Michael Braun: Zu Martin Dakovic’ Gedicht „Ich war ein Gemeral“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Martin Dakovic’ Gedicht „Ich war ein Gemeral“ aus Christoph Buchwald und Dagmara Kraus (Hrsg.): Jahrbuch der Lyrik 2020. –

 

 

 

 

MARTIN DAKOVIC

Ich war ein Gemeral

Ich war für mich selbst wo Wasser sich trennt von jeglicher See
und keuchend die Mättchen schnorchen, Schein, Schore, Jeff
und schien mir selbes für Gedanken dass alles wenn es endet
kein immerglühner Biegel die Wolken herbeischeucht

Im Namen des Bällders hoch Land niederwerfen und fehren
jeder kleinen weiten Lampe ihren lebendigen Funcken rauben
und je lünger es dauert desto schneller taumeln sie dazu
und der Durst den er bewirkte leit uns suchen, lot uns sehen

 

„Jede Sicht der Dinge, die nicht befremdet, ist falsch.

Wird etwas Wirkliches vertraut, kann es nur an Wirklichkeit verlieren.“ Gemessen an diesen Maximen Paul Valérys, ist der 1991 in Bosnien geborene und als Kriegsflüchtling nach Deutschland gekommene Dichter Martin Dakovic auf dem richtigen Weg. Er schickt uns in seinen Gedichten auf Abwege und Umwege, so subtil und fintenreich, dass wir schnell die Orientierung verlieren, wenn wir textintern nach verlässlichen semantischen Kernen oder leicht handhabbaren Botschaften suchen. Dakovic lässt der Sprache den Vortritt und konfrontiert uns mit Wörtern, die feine Risse aufweisen oder ihre ursprüngliche Gestalt eingebüßt und sich leicht verändert haben. Seine Gedichte, die er Sprechübungen nennt, fordern uns dazu auf, die einzelnen Wörter zu prüfen wie rätselhafte Objekte, sie zu zerlegen, sie vor uns hinzusprechen, um uns dann mit dem Lockstoff der Fremdheit in die Etymologie zu schicken, in die Herkunftsgeschichten der Wörter und in ihre lautliche Struktur. Bereits der Titel „Ich war ein Gemeral“ weist in verschiedene semantische Richtungen. Am allerwenigsten in die militärische Hierarchie des „Generals“, sondern vielmehr in die Tiere der See, den „Meeraal“, in den abtrünnig gewordenen „Gemahl“ oder in die hier verzerrte Eröffnungsformel des Märchens: „Es war einmal“ oder – in Arnold Stadlerscher Variante: „Ich war einmal.“ In fast jeder Verszeile lauern diese durch kleine semantische oder lautliche Verschiebungen entstandenen Stolperfallen. Aus den „Mädchen“ und den „Märchen“ entspringen die „Mättchen“, aus der „immergrünen“ Pflanze ein „immerglühner Biegel“. Die Wörter des Gedichts sind dazu da, fortwährend subtilen Metamorphosen unterworfen zu werden. Hier ist ein sehr lockerer Nachfahre des Sprachzauberers Oskar Pastior am Werk, der einen sehr speziellen „Krimgotischen Fächer“ aus unterschiedlichsten Spracherfindungen aufspannt. Durch die Herstellung sprachlicher Randphänomene wird der Prozess der Bedeutungsgenerierung auf die Probe gestellt.

Michael Braun, Volltext, Heft 3, 2021

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