Michael Buselmeier: Radfahrt gegen Ende des Winters

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Michael Buselmeier: Radfahrt gegen Ende des Winters

Buselmeier-Radfahrt gegen Ende des Winters

I’M WITH YOU IN ROCKLAND

Bernd, alter Freund, hörst du mir zu?
aaaaazuckerkrank, künstliche Niere, zwei Hirnschläge
aaaaamit 41 ein Rollstuhl-Greis, im Flur abgestellt
diese Verse senk ich in deinen Traum.

Sieh uns an, die Lebenden, Genossen Redakteure
aaaaawie sie dröhnen und fuchteln mit fetten Wörtern
aaaaaund spitzen, in deinen Kleidern so tun als wärst du
nicht da. Du bist lebendiger als wir.

Was ist geschehen? Zerstückelte Wünsche
aaaaaFettansatz, graue Bartstoppeln, eine Lebensversicherung
aaaaader Schaum im Bierglas, der Sportteil der Zeitung
War unser Haß zu schmal?

Ihr Brandstifter! Säufer, die unverständliche Flugblätter
aaaaaschrieben, Selbstmörder im Frack, irrsinnig lächelnd
aaaaaauf die Sonne deutend, in obszönen Bibeln blätternd
kehrt wieder, ihr stört.

Wir wollen alles! Tod den Verwaltern! Parolen der heiligen
aaaaaJunkies, Herzneurotiker, der schwulen Programmierer
aaaaaund Stadtindianer, der Jesusmänner mit klappernden Krücken
Das Normale ist krank.

Unsere Aufregung in der Bahnhofshalle, eng beisammen
aaaaaüber die Imbißtische gebeugt, bevor wir Transparente
aaaaaausrollten und singend vor die Fabriken zogen
über Schienen und Schrott.

Alles vergessen, sagst du, Schnee. Weiße gekachelte Wände
aaaaaAber die Zeitungen brannten, wir selbst drehten
aaaaaden Herren den Ton ab, stachen Reifen auf, bliesen
Mützen vom Kopf.

Artaud schrie. Du schriest ohne Erbarmen im Leichenhaus
aaaaaam Sarg deiner Frau, du schlugst dir die Brust
aaaaadie Kinder heulten. Zaghaft, jeder für sich
ohne dich machen wir weiter,

wehrlos zurückgelehnt in bequeme Sessel
aaaaaschauen wir dem zu, der uns würgt, unterhalten
aaaaadie sachlichen Gangster, wie Tanzmäuse, geduldig
zu lange schon.

Bernd, der mich nicht mehr erkennt, der sich fühlt
aaaaawie eine lächerliche Masse. Ich sehe dich auf der Hauptstraße
aaaaagepanzert vornübergebeugt, die Stadtzeitung im Arm
Staub, kehr wieder.

Ich sehe dich, ein Manuskript dicht vor den Augen
aaaaa„Das Ding muß rein“ rufen, schmal von den Schmerzen
aaaaagelbe lederne Haut, bedeckt mit Einstichen
Eingetaucht in die Glut.

Ich singe deinen Haß auf die Macht, die du ausübtest
aaaaadeine unmenschliche Tapferkeit. Verachtend grob
aaaaaauch zu Freunden und konntest so liebenswert sein
in deinem hellgrauen Anzug,

Demokrat mit der schwarzen Fahne. Im Rollstuhl
aaaaazahlten wir dir den bösen Blick heim
aaaaadie Stimme war matt geworden, der Witz stumpf
Wir schoben dich einfach hinaus.

Zuletzt der Traum von einem verwinkelten Haus mit Neckarblick
aaaaaKindergeschrei, ratternden Setzmaschinen, Musik
aaaaaDebatten und Rauch in sämtlichen Räumen, du mitten drin
kurzsichtig über den Leuchttisch gebeugt.

Nun bist du fort, im tiefsten Winter verschwunden
aaaaaund ich schäme mich meines Bluts. Am Tag
aaaaameines Todes wirst du mir entgegenkommen, bleich
wie ein Bäcker und eisig

lächelnd in dein Schweißtuch gehüllt. Wir beide
aaaaabegraben von Erde und Schnee, vierhändig
aaaaaauf derselben schrecklichen Schreibmaschine spielend
I’m with you in Rockland.

 

 

 

Michael Buselmeier,

geboren 1938, ist in Heidelberg aufgewachsen. Ausbildung als Schauspieler. Studium der Germanistik und Kunstgeschichte. Er lebt als freier Autor in Heidelberg. Veröffentlichungen u.a.: Nichts soll sich ändern (Gedichte, 1978); Die Rückkehr der Schwäne (Neue Gedichte, 1980); Der Untergang von Heidelberg (Roman, 1981).
Die Gedichte in diesem Buch, geschrieben zwischen 1974 und 1982, machen eine poetische (und politische) Entwicklung sichtbar, die nicht allein die ihres Verfassers ist. Das erste Kapitel versammelt Texte, die man überwiegend dem Typus ,Alltagsgedicht‘ zurechnen kann (aus dem Band Nichts soll sich ändern, zum Teil überarbeitet). Kennzeichnend sind das Interesse an den nahen Dingen und der Reiz der schlichten Form; der Versuch, politische Erfahrung mit privater zu verknüpfen, d.h. auch: das persönlich Erlebte als politisch wirksam zu legitimieren und den schmerzenden Widerspruch zwischen Wunsch und Wirklichkeit nach dem Scheitern der Studentenbewegung auszuhalten.
Im zweiten Teil (s. „Die Rückkehr der Schwäne“) tritt das explizit politische Gedicht zugunsten einer entschiedenen Selbsterforschung zurück. Existentielle Trauer, die nicht in Selbstmitleid umschlägt, prägt die Darstellung von Innen- und Außenwelt. In Buselmeiers Landschaftsgedichten findet man eine ,Archäologie des Heimatgefühls‘. Sie sind nicht beschaulich, doch machen sie einen engen geographischen Raum als Geborgenheit stiftende Heimat erfahrbar, die – real verloren – in der Poesie überlebt.
In den Gedichten des letzten Teils (unveröffentlicht) verstärkt der Autor die Reflexion auf die lyrische Tradition, anknüpfend an frühe Erregungsquellen. Dabei sind nicht nur die Formen reicher, die Bilder artifizieller, die Sprache präziser, sondern auch Motive und Gegenstände komplexer und widersprüchlicher geworden.

Suhrkamp Verlag, Klappentext, 1982

 

DIE PYRAMIDEN
Für Michael Buselmeier

waren oliv und spitz
als ich an ihnen vorbeifuhr
kam ich aus einem spielzeugort
mit friedensdenkmal

im blick die frische nacht den begleiter
der sprach mit armen und händen vom meer
wie am Schnürchen posierten rebstöcke
über bunkern gereiht am hellichten haus
wo wir zögerten der katzenstimme zu folgen

nichts also bekam ich mit von den pyramiden
außer vielleicht ihre schnorchel
die sie aus den gipfeln gestreckt hatten
starr und gebogen erinnerten sie mich
an tastorgane lote atemrohre das interieur
vorgeführt in der ausbildung zur zivilverteidigung

Róža Domašcyna

 

 

 

Zum 80. Geburtstag des Autors:

Michael Buselmeier: Kurze Bilanz
Sinn und Form, Heft 2, März/April 2019

Volker Oesterreich im Gespräch mit Michael Buselmeier
Rhein-Neckar-Zeitung, 25.10.2018

Oleg Jurjew: Jugendlicher Buselmeier
Michael Braun und Ralph Schock (Hrsg.): Nichts soll sich ändern, Wunderhorn Verlag, 2018

Michael Zeller: „…eben noch ein Kind…“
Michael Braun und Ralph Schock (Hrsg.): Nichts soll sich ändern, Wunderhorn Verlag, 2018

Zum 85. Geburtstag des Autors:

 

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + InstagramIMDb + KLG +
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Porträtgalerie: Autorenarchiv Isolde Ohlbaum + IMAGO

 

Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Michael Buselmeier

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