UND DIE STIMMEN
Und die Stimmen wieder
Die Betstimmen als Kaffeehausstimmen, als
Stubenstimmen wieder, Spätnachmittagsstimmen
Und das späte Licht wieder, das leuchtende
Draussen über den Strassen wieder, den
Bäumen, Baumkronen und verheissungsvoll wieder
So wieder und wie die Verheissung der Nacht
Der Kälte, der tiefblauen, lilanahen, so
Nah den Lampenschirmen wieder, den Lampen, die
Und scheinen, so blendend wieder und blass
So erinnert, so noch, so als gäbe es auch und
Die Tröstungen wieder, die Heiligsprechungen
Und die Liebe wieder, so beteuert wieder
Mit den Stimmen der Angst, so versteckt und
Auch die Handtaschen wieder, die Wollschals
Die Hüte, die Schleifen, die Zimmerpflanzen
Vor Wintereinbruch, jetzt, schon, noch
Noch, jetzt und nächtliche wie nahe
Der Nacht, so wieder und früh
versammelt in einem umfangreichen Band ausgewählte Gedichte aus den seit langem vergriffenen Gedichtveröffentlichungen „Dich noch und“ und „Das neue Leben“ und größere, über die Jahre entstandene und verstreut veröffentlichte Werkgruppen, unter ihnen die Gedichte, die ihrem Autor den Mondsee- und den Meraner Lyrik-Preis einbrachten, sowie eine große Zahl neuer Gedichte. Sie zeigen Michael Donhauser als einen Dichter, der bei aller thematischen Konstanz eine große formale Spannweite vom kurzen Dreizeiler über rhythmisch und lautlich reich orchestrierte Lang-Gedichte bis hin zum bildstarken Prosa-Gedicht virtuos für die ersten Ziele von Dichtung, für Berauschung und Elevation, zu nutzen weiß: „Dichtung, alle Dichtung“, schreibt Michael Donhauser, „hat ihren Grund, sofern es einen Grund gibt, in der Euphorie, in etwas Leichtem also, das trägt, trägt, da es gestaltet ist und verbindet, was sich zeigt, doch nüchtern insofern, als es immer um Wortwahl und Silbenfolgen geht – und stets auch habe ich das Brüchige und Bindende ineinsgesetzt, einmal durch den Gebrauch der Konjunktion ‘und’, wo die Stimme stockt, einmal durch das Wiederaufgreifen des Volksliedhaften, durch dessen Variation oder Beugung, um so die Sprache empfänglich zu machen für die Aufgabe, jene nämlich, zu vereinen, ineinszusetzen, was gesondert erscheint. Denn in aller Dichtung wohnt eine Stimme, welche sagt, welche singt, es ist eine Stimme wie die jener Sängerin in einem etwas abgelegenen Tanzlokal, das ich oft besuchte – diese Stimme hielt die Vokale, offen, als sollten sie nie enden, als würden sie nie enden, in ihrer Seele, während sie dieselben Vokale gleichzeitig von sich stieß, als wollte sie Raum schaffen, als schaffte sie so den Raum für einen Gesang, der ihre Lippen kaum je verlassen würde. Es wirkte so etwas Konkaves und Konvexes ineinander, in dieser Stimme, die zu einer Mitte nur fand, wenn sie verstummte, lächelnd, mit leicht geöffnetem Mund, während sie schaute, die Sängerin, über die Tanzfläche hin, die meist leer blieb, und also in die Leere, als wäre diese gleichsam Abbild eines unsäglich vertanen Lebens – und so sah ich, wie sie schwieg oder dann auch nur trällerte, wie sie Lalala sang und selbst das Trällern bald so, bald so war, bald Ausdruck, bald Leiern, brüchig und wahrhaftig, leicht dahintragend, was schwer zu tragen hieß.“
Urs Engeler Editor, Ankündigung, 2005
− Die Dichtung Michael Donhausers bewegt sich fern vom Zeitgeist. −
Das literarische Unternehmen, das Michael Donhauser seit mindestens fünfzehn Jahren mit grosser Konsequenz und Gelassenheit verfolgt, wirft immer wieder die Frage auf, wie wir der Welt gegenübertreten. Denn dass wir es tun und dass in dem, was Heidegger als Dasein charakterisierte, die Glücksbedingungen des Ästhetischen liegen, daran will Donhauser keine modischen Zweifel hegen. Aus dieser grundlegenden Sicherheit ergibt sich dann weiter ein Sprachvertrauen, mit dem sich der 1956 in Vaduz geborene, in Wien und Vaduz lebende Autor abseits der diversen Strömungen der literarischen Moderne befindet – und dennoch in beständigem Austausch mit ihr. Lyrische Sprechweisen, die in seinen Texten oft durchklingen, kommen von weiter her. Goethe oder Hölderlin, Michael Donhauser bewahrt sie und trägt sie weiter, indem er ihre Inhalte entdramatisiert, den alten Formen ihre Strenge nehmend, sie in neue Kontexte, neue Nachbarschaften stellend.
Das Ich mittendrin
„Erzählen oder Beschreiben“ lautet eine Alternative, die Georg Lukács einst der Epik aufzwang (wobei er freilich an den bürgerlichen Roman des 19. Jahrhunderts dachte). Donhauser ist in seiner Lyrik zumeist auch Erzähler, aber jene Alternative gilt für ihn nicht, denn die Möglichkeiten, sich in Beziehung zu setzen und sich berühren zu lassen, sind unendlich viel feiner. Das lyrische Ich – auch dieses wird von Donhauser „gerettet“ – steht nicht über dem, was es zu erzählen hat, sondern mitten in der Welt, und es macht sich keine Sorgen über irgendein Ende.
Nicht Beschreibung ist sein Ziel, sondern bescheidener: Anrufung, Beschwörung, Beseelung. Seine Aufgabe besteht darin, dem Sprachlosen Ausdruck zu schenken, also sich in es hineinzuversetzen. Und sie besteht darin, die Formen, die dem Sprachlosen eignen, aufzuspüren. Dem Ich eröffnet sich dabei die Chance, sich in dem, was ihm zunächst entgegensteht, aufgehoben zu sehen. Bei Donhauser sind dies Landschaften mit ihrem Licht und ihrer Weite, aber auch einzelne Dinge, Tiere, Mitmenschen, oft Zufallsbegegnungen. Und diese Landschaften erweisen im lyrischen Sprechen ihre Form, ihre Staffelung, ihre Zwischenräume, ihr Mass und die Abweichungen vom Mass, die eine zugrunde liegende Harmonie bestätigen. Donhausers Gedichte sind durchaus und mit Absicht „hohe Literatur“, ihr Ton ist oft getragen, auch wenn da und dort Brüche oder Ironien eingefügt sind.
Der vom Dichter zusammengestellte, vor kurzem bei der Edition Urs Engeler erschienene Auswahlband „Ich habe lange nicht doch nur an dich gedacht“ veranschaulicht jene fünfzehn Jahre des Abtastens der diversen Möglichkeiten lyrischer Formensprache, und er zeugt von einer unbeirrten Suche nach den Augenblicken, in denen eine Freude des Existierens spürbar wird. Dabei begibt sich seine Sprache in diverse Spannungsfelder, so zwischen Konkretheit und Abstraktheit, wo die Phänomene zu Motiven werden, die sich auf den Buchseiten gleichsam einnisten, so zwischen Horizontalität und Vertikalität, zwischen einer fast episch zu nennenden Breite (in den Diptychen aus Saint-Nazaire) und einem fliessenden Ton, wo einander in schmalen Textgebilden die Laute berühren und weitertreiben (in den Gedichten von Lev Enes, einer Kunstfigur, die an Hofmannsthals Loris erinnern kann oder an die Homonyme Pessoas).
Form und Freiheit
Vielleicht liegt diesen Spannungsfeldern eines zugrunde, nämlich das zwischen Form und Freiheit Aufgespannte, wo überlieferte Regeln lyrischen Sprechens immer wieder gesetzt und befolgt, aber ebenso bewusst auch übertreten, beiseite geschoben oder abgeändert werden. In den 78 Dreizeilern erstaunt die Freiheit und Sicherheit, mit der Donhauser den Geist des japanischen Haikus erfasst und in seine ästhetische Welt überträgt. Und durchwegs erstaunt die Vielfalt der Rhythmen, die Donhauser zu schaffen imstande ist, von lieblichen, springenden, scheinbar naiven Versen bis hin zu den weiten Perioden seiner lyrischen Prosa, in denen sich, oft um unscheinbare Einzelheiten herum, ganze Erzählräume auftun.
Die Gegenden Donhausers laden zum Verweilen ein. Der Leser stösst darin auf Sätze, die sich einprägen, die nachhallen oder nahe bleiben, mit ihm weiterwandern. „Regentage hiess, nah zu wohnen dem / Himmel mit Wolken und Pfützen im / Asphalt …“ Wir lauschen: dem Regen, dem Satz. Der dann verklingt oder von sich aus zurücktritt, um das Wahrgenommene bestehen zu lassen, oder auch nur die Schatten der Dinge, „die Ruhe gewährten, wo rauschend die Silben als Worte vergingen und ein Atmen in allem lebte, wehend von fernher und feiernd, mit den Blättern, bis in die Nacht, das ewige Lob“.
Das Goethesche „Stirb und werde“, von Donhauser zu Beginn des 21. Jahrhunderts nachvollzogen, betrifft „die Natur, wie die Menschen sie oft nannten“, und es betrifft die Dichtung, es betrifft immer noch dieses eine Gedicht.
Eine Zusammenschau von Donhausers lyrischem Schaffen aus den Jahren 1991 bis 2005 enthält dieser jüngste Band des Dichters. Melodiös tritt uns gleich zu Beginn ein Zyklus von „Liebes- und Lobgedichten“ entgegen, die, am „so, wie, und, oder“ aufgefädelt, ihre eigenwillige Rhythmik entfalten. Beharrlich umkreist das lyrische Ich die Dinge der Natur und ihre Erscheinungen, als ob es die Eindrücke aufnehmen wollte und ihrer (aus allzu großer Ehrfurcht) doch nicht ganz sicher wäre. Wie etwa in dem Gedicht „Und die Kirschbäume“, wo sich sein Zögern dergestalt niederschlägt: „Und die Kirschbäume werde ich / Und in die Sprache tragen, so wenn sie / Und stehen entlang einer Strasse oder / Verteilt an einem Hang ein Hain so wären.“
Selten verirrt sich eine Metapher in Donhausers Naturlyrik, z. B. wenn die „Kamine dampfen, ozeanisch“. Sogleich aber kehrt er zurück zu einer nüchternen Mimesis, die den Dingen vom „Brotkorb“ zum „Automobil“ keinen zweiten Sinn unterlegt und sie folglich für sich selbst sprechen lässt. Allein Alliterationen und ein charakteristisches Singen ohne Ach und Weh, aufgezeichnet mit großer formaler Strenge, erlaubt der Dichter der dargestellten Welt.
In die von großer Gleichmut getragenen ländlichen Tableaus drängt sich dann und wann auch die lärmende Gegenwart. Der Grundton von Donhausers kontemplativer Dichtung bleibt freilich eine Harmonie, die sich gegen naturmystische Anwandlungen oder gar Klischees verwehrt.
Dieser Vorzug bedarf allerdings einer Anstrengung, die sich der Lektüre entzieht. Aus den beiläufig erwähnten „paar aphoristischen Sätzen, die also dann seine Kunst waren“, lässt sich der langwierige Schaffensprozess einer Lyrik erahnen, die auch im Prosagedicht („Siebzehn Diptychen“) wie selbstverständlich zu Hause ist.
Gelegentlich nennt Donhauser Ortsnamen oder zitiert Dichter, meist aber verweilt er im Allgemeinen und evoziert Stimmungen, die dem sozialen und politischen Kontext enthoben sind und auf diese Weise das Nahe und Entfernte in eine wohltuende lyrische Geborgenheit tauchen. Es ist das Vertrauen auf die heilende Kraft des Schauens, die diesen Versen innewohnt und die im Dialog mit den „Dingen am Weg“, denen sich der Dichter „[…] mit ein wenig Zuneigung und / ein wenig Gleichgültigkeit […]“ zuwendet, beschworen wird.
Alles in allem zeichnet Donhausers Sammlung ein sparsamer Umgang mit althergebrachten Stilmitteln der Poesie aus, der es gelingt, zum ursprünglichen Klang der Dinge und ihrer Suggestivkraft vorzudringen. Dass Lyrik wie jegliche Literatur letztlich Arrangement und Auswahl bedeutet, daran lassen, wie gesagt, auch Donhausers poetische Epitaphe keinen Zweifel. Aber seine Sprache ist leiser, unaufdringlicher und erlischt gleichsam als Gipfel der Zurückhaltung auf der leeren letzten Seite, welche die Zahl 191 trägt.
− Nachdem Michael Donhauser die Natur wieder entdeckt hat, holt er nun das Volkslied in die zeitgenössische Lyrik zurück. −
Schon die autobiografische Selbstauskunft kennzeichnet den Lyriker Michael Donhauser als Außenseiter: „Ich wurde am 27. Oktober 1956 in Vaduz, im Fürstentum Liechtenstein geboren, doch nicht als Bürger dieses Staates.“ Die Aufzählung der Lebensstationen – Volksschulbesuch, Gymnasium, 1976 Übersiedlung nach Wien, wo Donhauser Romanistik studiert und mit einer Arbeit zu Baudelaire-Übersetzungen promoviert – kippt scheinbar unmotiviert in eine Aufzählung beliebiger Details: die Stelle in einem Pariser Park, eine Bar, das Gesicht einer unbekannten Person. Das Leben des Dichters wird zum Gedicht, Fremdheit sein Daueraufenthalt. Obschon Michael Donhauser mit dem Manuskripte-Preis (1990), dem Christine-Lavant-Preis (1994) und heuer sogar dem Ernst-Jandl-Preis ausgezeichnet wurde, hat er in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur den Status eines Outsiders.
Ob der Neubelebung des lange Zeit totgesagten Genres der Naturlyrik ist Donhauser die Rolle des prophetischen Sehers zugeschrieben worden – nicht ganz ohne dessen Zutun. Als poetologische Maxime seiner Lyrik und lyrischen Prosa formulierte er einmal: „Dichtung, alle Dichtung hat ihren Grund, sofern es einen Grund gibt, in der Euphorie.“ Evokation des Schönen, Euphorie, Ekstase als Grundform von Welt und Wahrnehmung ist auch das Grundmotiv von Donhausers jüngstem Buch: „Ich habe lange nicht doch nur an dich gedacht.“
Die Auswahl aus Gedichten der letzten 15 Jahre hebt mit Liebes- und Lobgedichten an: „So und gelobt seien die Zwetschkenbäume, die / Und wie wiedergefunden so zart, so überhängend und / In Reihen so verteilt …“. Nur wer die Naturbeschreibung für bare Münze nimmt und die sogleich stakkatoartig folgenden Fragen „Wie zu leben sei“ und „Was zu loben?“ für bloße Zutat hält, wird sich mit dem Kitschverdikt auseinander setzen müssen.
Das mittlerweile von einer Reihe von Autoren meist ziemlich unmotiviert übernommene stilistische Verfahren des zwischengeschobenen „und“ in Wendungen wie „Dich noch und suche ich“ ist geradezu ein Markenzeichen von Donhausers Schreiben, das so zu einer Art hymnischem Stottern gerät. Dieses in die Sprachbewegung hineingenommene Zurückweichen zeichnet viele Beispiele jener lyrischen Prosa aus, mit der Donhauser von den Dingen Besitz ergreift – seien es Amsel, Geranie oder Granatapfel. Auf 25 verschiedene Weisen wird da umso eindringlicher eine Tomate beschrieben, das Entkernen einer Aprikose gerät zum Liebesakt, Sprache wird zum Medium der Unio mystica erhoben. Der Naturbeobachter Donhauser, der nicht allzu viel von Philosophie oder Theologie wissen will, wählt ganz bewusst die künstlichen Landschaften von Parks oder Stadträndern zum Gegenstand seiner Dichtung, das ihm oft zugesprochene Attribut eines dichtenden Naturforschers – „nur weil ich Holunder von einer Birke unterscheiden kann“ – weist er von sich.
In den aus jüngster Zeit stammenden „Maienfelder Elegien“ verabschiedet sich der Autor nicht nur von der Naturlyrik, sondern auch von jener Form lyrischer Prosa, die Donhauser selbst nie als Gedicht bezeichnet hat. Der frei rhythmisierte Vers, der seit den 1960er-Jahren die deutsche Lyrik dominiert und dem aus ominösen Gründen überdies die besondere Qualität politischen Engagements zugeschrieben wurde, war Donhauser zu vage geworden. Aus Respekt und Achtung vor dem klassischen Vers, sagt er, habe er so lange gebraucht, um zu einer gebundenen Form der dichterischen Rede zu gelangen, wie er sie erstmals im als Gedichtband deklarierten „Sarganserland“ (1991) verwendet hat. Das klingt dann so: „Trockenbuchten / unter Bäumen / Staub zu Staub / Nässespur // Milchtankwagen / schwere Ähren / Honig floß / Wein und Blut.“ Das Stottern des dichterischen Weltentwurfs wird durch repetitives Leiern abgelöst, einen Gesang, der auch den Anklang an Volksliedhaftes nicht mehr scheut. Das gilt im Besonderen für jene Gedichte aus jüngster Zeit, die Donhauser als seine Bearbeitungen von Rohübersetzungen aus dem Litauischen ausgibt. Dass es sich bei Lev Enes um ein Pseudonym von Michael Donhauser handelt, sei hiermit verraten: „Lauer Abend / ach die Fragen / schau die Tage / wie sie waren // wie sie werden / sie bewahren / ein Verblühen / ein Erwärmen.“
Teekannensprüche? Ein Japaner? Mörike? Der Outsider ist mit diesen Texten ganz nach innen gelangt, in das Innere des Gedichts, der Welt und der Sprache, gegen deren pseudomodernistische Sprachzerstörung sich Donhauser immer wieder gewandt hat: „Für mich ist die deutsche Sprache eine gelernte Sprache – eine Schriftsprache. Das ist nicht die Sprache, mit der ich gezüchtigt, erzogen oder was immer wurde. Das Deutsche ist eine Art Fremdsprache, und eine Fremdsprache liebt man immer, weil man sie erst erlernen muss.“
Mit dieser Sprache erreicht Donhauser etwas, das sich nur noch mit paradoxen Formeln bezeichnen lässt – durch Sprache evozierte Stummheit, Schrift, die nur noch als Klang Bedeutung hat, Fremde als Idylle des Eigenen. Einen Zustand, über den Friedrich Hölderlin einmal schrieb: „Das Eigene ist das Schwierigste.“
Der Gitterstrommast
am Vorstadtabendhimmel:
ein Willkommensgruss
Im Klappentext von Michael Donhausers exzellentem Gedichtband Ich habe lange nicht doch nur an dich gedacht (Urs Engeler Editor, Basel, Weil am Rhein und Wien 2005) lese ich diese wunderbaren Worte des Autors über Poesie:
Dichtung, alle Dichtung hat ihren Grund, sofern es einen Grund gibt, in der Euphorie, in etwas Leichtem also, das trägt, trägt, da es gestaltet ist und verbindet, was sich zeigt, doch nüchtern insofern, als es immer um Wortwahl und Silbenfolgen geht und stets auch habe ich das Brüchige und Bindende ineinsgesetzt, einmal durch den Gebrauch der Konjunktion „und“, wo die Stimme stockt, einmal durch das Wiederaufgreifen des Volksliedhaften, durch dessen Variation oder Beugung, um so die Sprache empfänglich zu machen für die Aufgabe, jene nämlich, zu vereinen, ineinszusetzen, was gesondert erscheint. Denn in aller Dichtung wohnt eine Stimme, welche sagt, welche singt, es ist eine Stimme wie die jener Sängerin in einem etwas abgelegenen Tanzlokal, das ich oft besuchte – diese Stimme hielt die Vokale, offen, als sollten sie nie enden, als würden sie nie enden, in ihrer Seele, während sie dieselben Vokale gleichzeitig von sich stieß, als wollte sie Raum schaffen, als schaffte sie so den Raum für einen Gesang, der ihre Lippen kaum je verlassen würde. Es wirkte so etwa Konkaves und Konvexes ineinander, in dieser Stimme, die zu einer Mitte nur fand, wenn sie verstummte, lächelnd, mit leicht geöffnetem Mund, während sie schaute, die Sängerin, über die Tanzfläche hin, die meist leer blieb, und also in die Leere, als wäre diese gleichsam Abbild eines unsäglich vertanen Lebens – und so sah ich, wie sie schwieg oder dann auch nur trällerte, wie sie Lalala sang und selbst das Trällern bald so, bald so war, bald Ausdruck, bald Leiern, brüchig und wahrhaftig, leicht dahintragend, was schwer zu tragen hieß.
Was sollte ich diesen Worten in diesem Zusammenhang noch hinzufügen außer: Ich habe lange nicht doch nur an dich gedacht ist ein großes Lyrikbuch. Es verschafft dem Leser einen Überblick über mindestens ein Dutzend Jahre erstklassiger kreativer Arbeit Michael Donhausers mit dem Gedicht. Die feinen und ruhigen Beobachtungen dieses sensibel äugenden Autors sind Gedichte mit Langzeitwert, Gedichte, zu denen ich auch in den kommenden Jahren immer wieder greifen werde. Diese poetische Ernte hat es wahrhaftig gelohnt, in die Verlagsscheuer von Urs Engeler Editor einzufahren.
Theo Breuer, aus: Theo Breuer: Aus dem Hinterland, Edition YE, 2005
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