Michael Donhauser: Sarganserland

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Michael Donhauser: Sarganserland

Donhauser-Sarganserland

Vielleicht an einem Abend, an
einem Abend spät vielleicht

Ein Glas gefüllt mit Anis und
eine Stimme, die weint

Vielleicht, daß eine Stimme
weint

Ein Glas an einem Abend spät
vielleicht

Ich gehe nicht, nicht mehr
sehr weit

Zu sehr, zu sehr, nicht mehr
zu weit

 

 

 

Michael Donhausers neue Gedichte wagen viel:

sie brauchen die größten und zugleich einfachsten Wörter, die heute kaum mehr jemand in den Mund, geschweige denn ins Gedicht zu nehmen wagt, um von einfachen und großen Dingen zu reden: von der Trunkenheit, dem Schmerz, von Glück und Verlust, der Zärtlichkeit und der Liebe:

Sehnliches oder Sehen, es
beugen die Zweige sich und
wärmer noch oder bricht
von Früchten schwer, was
zärtlich entlang im Laub
verirrt und leuchtend liegt

Es sind melodisch und rhythmisch streng gebaute Gebilde, die Michael Donhauser als Meister poetischen Sprechens ausweisen. Die fünf mal elf Gedichte seiner neuen Sammlung beendet die Prosa „Umgebung“: „Sie ist mir nur manchmal nahezu heimlich eine Heimat gewesen, ich habe mich nicht eingerichtet in ihr: der Winter war ins Land gezogen, wie es hieß, das Knöcheltiefe, der Schnee, er würde sich bald mischen mit dem Kot und Schlamm und die Spritzer würden dann über den Wegrand hinaus eine Art Aura bilden, eine Kotspritzeraura zu der Wegstückaura, welche die Kurve als ein Tor umkränzte.“

Urs Engeler Editor, Ankündigung, 1998

 

Gedichte atmen Blütenduft

− Michael Donhausers Textband Sarganserland. −

Michael Donhauser hatte in seinem Essay „Zum Gedicht, dem europäischen“ – in der Zeitschrift „Das Gedicht“ (1997) – die Frage nach einer europäischen Lyrik mit der These beantwortet, es könne keine solche Lyrik geben, da Poesie regional sei. Denn sie beziehe „ihre Kraft aus dem terroir, der Erde, Lage und ihrer Beschaffenheit, den geologischen und energetischen Vorgaben“. Ein einheitliches europäisches „terroir“ gebe es aber nicht, so Donhauser. In seinem nunmehr sechsten Gedichtband ist die Verbundenheit mit dem terroir gewährleistet: Das Buch widmet sich der schweizer Region Sarganserland, in deren Nähe, im liechtensteinischen Vaduz, der Autor geboren wurde und wo er heute lebt.

Mit den rund sechzig titellosen Gedichten des Bandes folgt Donhauser seiner postulierten Lyrikauffassung: Die Texte sind vorwiegend Wahrnehmungs- und Empfindungsberichte vor dem Hintergrund der Natur der Heimatregion. Wie die vorausgegangenen Bände ist auch „Sarganserland“ beherrscht vom Repertoire der heimischen Flora. In üppiger Fülle ist von duftenden Früchten, laubbehängten Bäumen, von Anis, Holunder, Hagebuttenzweigen und Quittenblüten die Rede. So atmen die Texte blütenduftenden Frühling oder häufiger den von reifen Früchten schweren Herbst. Auch andere Motive, wie melancholische Liebesthematik, werden in den Kontext der Naturwahrnehmung eingebettet und sind nicht selten von Naturmetaphern begleitet: „Guter feuchter Lehm, das / fingerleise oder Wiegen mit / Knospen, Gezweige, wo bist / sagte ich, Liebende, du, wir / waren Felder, Wintersaat“. Die ländliche Idylle bleibt allerdings nicht ungetrübt. Immer wieder werden den Naturschilderungen Gegenstände der industriellen Zivilisation, die sich scheinbar gar nicht zur poetischen Sprache eignen, in scharfem Kontrast gegenübergestellt: Angefangen beim Straßenrandgras der Schotterränder, über Schienenstränge, Wohnlager und Kieswerke, bis hin zu den sehr prosaischen Landwirtschaftsstraßen und Milchtankwagen.

Wege waren / waren Wege / Talschaften / und Felder //
Wiesen lagen / weitgebreitet / hügelan / naher Schlaf //
Hecken säumten / Regenstraßen / war es lang / warst es du //
Trockenbuchten / unter Bäumen / Staub zu Staub / Nässespur //
Milchtankwagen / schwere Ähren / Honig floß / Wein und Blut

In seinen ersten Gedichtbänden war Michael Donhauser mit umfangreichen Prosagedichten hervorgetreten. Bereits in seinem 1994 erschienenen Buch „Das neue Leben. 78 Dreizeiler“, ist aber eine deutliche Reduktion in seiner Sprache festzustellen. „Sarganserland“ zeichnet sich nun, abgesehen von der letzten der sechs Abteilungen des Buches, durch strophisch gegliederte, äußerst kurzzeilige Texte aus. Die poetische Wirkung der durchgehend ungereimten Gedichte liegt vor allem im Sprachrhythmus, der von Zeilensprüngen dominiert wird und in der gehäuften Verwendung von Attributen der Natur. Die unvermittelt auftretenden Versatzstücke der Zivilisation wirken wie Fremdkörper; in der Tradition der zivilisationskritischen Haltung der Naturlyrik dienen sie dem Kontrastreichtum der Situationen sowie der Spannung der Texte. Donhausers reduzierte, fragmentarische Sprache ist allerdings nicht leicht zu dechiffrieren. So vermitteln die Gedichte selten mehr als ein Stimmungsbild: Eindrücke von Liebe, Natur und den Einschnitten durch die Zivilisation. Mit diesen Motivkomplexen bleibt der Autor seinen bevorzugten Themenfeldern treu; Donhauser-Kennern wird in „Sarganserland“ außer der Form nichts Neues begegnen. Wer aber Donhausers Kosmos aus Pflanzen, Früchten und schwellender Natur schätzt, oder wer eine Variante des Naturgedichts der Gegenwartslyrik kennenlernen möchte, dem sei das Buch empfohlen.

Klaus Engels, literaturkritik.de, Nr. 11 November 1999

Zu Michael Donhausers Gedichtband Sarganserland

Das ist ein Gedichtband von einer Landstraße (und von ein paar anderen Straßen und Boulevards). Einer Straße mit einer Kurve, mit Schotterrand, mit Gras zum Ruhen und Liegen. Vielleicht ist es eine Schnellstraße, doch in diesem Buch wird sie anders verzeichnet, in dieses Buch wird die Straße halbblind eingezeichnet, während eines Schwächeanfalls, schwindend, nachlassend, mit der Hand vor den Augen oder in den Augenblicken des Vergessens. Der lange Schwächeanfall – oder Gewaltverlust – an dieser Straße, der Taumel – vielleicht hat der Geher Anis getrunken oder von einer der vielen Dolden – führt aber in eine Verstärkung, ist wie ein bestimmtes Heilmittel. Die Klänge des Straßenrands werden gestärkt, dass dort Namen sind und „Blumen als Namen“, die „lismen“ werden gestärkt und hörbar, also nie zuvor gehörte und gleich wieder präsente Klangblumen, Sonnen und Dahlien gibt es am Straßenrand. Was ist diese Verstärkung? Die Augen sind ja geschwächt und mit der Hand geschützt, also ist die Energie der Blumen, Gräser und Kieselsteine größer, sie beginnen zu zeigen, die Farben beginnen zu sagen, die Stangen beginnen zu zeichnen, sogar folgendes kann man sagen: die Blätter beginnen zu sein und die Tische in den Gärten, und der Verkehr beginnt „rötlichblau“ zu sein. Die Straße wird hier nicht beschrieben als „ländlich und staubig“, sondern sie selbst gibt sich „ländlich und staubig“, das heißt, sie scheint sich so zu schmücken und ins Licht zu legen. Die Straße wird sarganserisch. Plötzlich sind da „Wohnlager“, „Kamillen“ und „Kieswerke“, aber nicht gezeigte, sondern Zeigen und Sichtbarkeit zersetzende, fast Rost erzeugende, und statt richtiger Wege gibt es hier neue Unabsichtlichkeiten und Wahllosigkeiten. Wahllos unabsichtlich zwischen „Wäschestangen“ und „Bahnhofsbänken“.
Die Kurve, die die Straße macht – ist das ihr Taumel, ihre Schwäche? Trinkt die Straße dort Anis? Ist dieses ein Buch vom Benzin? Wo fährt man hin mit diesem Benzin? Ist es ein großes Reiseziel? Ja, zu „Zellophan und / Sternenhimmel / Sphärenkreise / Filterstummel“. Und in welcher Verfassung kommt man dort an? So: „Kam und an: bemoost, verrußt, war / Schweiß und Schlaf und stand als / einer der steht bei seiner Tasche im / Staub, es summte, etwas verloren / sangen ein paar Vögel, welches // Wort, fragte ich, würde das erste hier / sein, oder rauchte, schaute und die / örtliche Straße entlang, wo kein / Mensch nur war, die Blumen im / Schotter wankten, bewegt von // Weither“. Wie ist es dort in einem der innersten Himmelskreise? Dort ist die Reisetasche, bei der man steht, dort ist die Straße örtlich, man schaut sie entlang, dort ist kein Mensch nur.
Am Ende dieses Buches wird es ganz ganz ganz spannend – es schließt mit der Prosa „Umgebung“: Jetzt wird erkennbar, nein erkennbar ist das falsche Wort, es liegt ja die Hand auf den Augen, jetzt wird gesagt: die Landschaft liegt da um uns sphärisch, sie umgibt, das heißt: ist gegeben, ein Geschenk? Die Straße macht eine kleine Kurve, wird sie da schwach, taumelig, sphärisch, dreht sie sich da zum Himmel (wie man eine Zigarette dreht?), wölbt sie sich da, sind dort ein paar Töne der Sphärenmusik?
Dieses Buch führt in die sphärische Welt und die Atmosphäre (die einen himmlischen Körper mit einer Hülle umgibt), hüllt uns in Pistazien, Scherben, Wäschestangen, Hallen, Aschen, lismen, Zweige, Regen, Schuppen, Gärten, Bänder und Drähte.
Eines jener Bücher, die, in der Hülle der Sprache, weit über die Sprache hinaus gehen.

Peter Waterhouse, aus: Tipps der Göttinger Sieben, Redaktion Text+Kritik

Vielleicht, dass eine Stimme weint

− Sarganserland – Gedichte von Michael Donhauser. −

kommen zu sehen, so hatte der „Aufsatz“ geheißen, mit dem Michael Donhauser im letzten Jahr seine Übersetzung später Verse von Arthur Rimbaud abgeschlossen hatte. In ihm war der Name Sargans – Hauptort des „Sarganserlandes“ im Alpenrheintal – gefallen, durchaus in Anspielung auf Rimbauds Wanderungen durch die Schweiz, aber auch als die beinahe synästhetische – und damit auf Rimbauds Poetik zielende – „Realisierung“ eines Wortes durch Farben: „in dieser Sonne am Asphalt, die den Asphalt weißt mit Resten von Schatten, schwebenden Schatten bis hinauf zum Perronkopf, wo „Sargans“ steht – dort steht Weiß auf Blau „Sargans“ auf einer Tafel an einem Sprossenmasten, der sich himmelwärts verjüngt“.
Donhausers neuer Gedichtband ist in fünf Abteilungen gegliedert, jede von ihnen enthält elf titellose Gedichte, und wiederum hat er an das Ende seines Buches ein lyrisches Prosastück gestellt, das ganz im Bild bleibt – und Poesie so (physikalisch) reflektiert, wie sich der eingangs genannte Text Lebensspuren bis zur Unsichtbarkeit angeeignet hatte. Die erste Abteilung heißt Sarganserland, und sie kann gelesen werden als eine Fortschreibung, ja als ein Fort-Gang des Rimbaud-Buches: „Vielleicht an einem Abend, an / einem Abend spät vielleicht // ein Glas gefüllt mit Anis und / eine Stimme, die weint // Vielleicht, dass eine Stimme weint // Ein Glas an einem Abend spät vielleicht // Ich gehe nicht, nicht mehr sehr weit // Zu sehr, nicht mehr / zu weit“. Donhausers Gedichte betreten den kleinen Grat zwischen Anverwandlung und Verfremdung, zwischen verschwiegener Scheu und scheuer Verschwiegenheit, ihre Sprachskepsis oszilliert in einem zwar beredten, aber syntaktisch fluktuierenden Vergleich.
Dem „Sarganserland“ ist als Motto ein Satz des in einem späteren Gedicht auch noch einmal genannten Jan Potocki („Die Handschrift von Saragossa“) vorangestellt: „Je mis ma main sur mes yeux et je me sentis défaillir“, frei übersetzt: kommen zu sehen. Und tatsächlich hat Michael Donhauser die Hand von seinen Augen genommen, um sich nicht zu verlieren. Und doch ist es bezeichnend, dass er sich nicht zu der Kleistschen Metapher von den (unwiderruflich) weggeschnittenen Augenlidern versteigt. Indem er (nicht sein Programm, sondern) sein Konzept – „die bläulichen Bäume, keine These, kein Thema“ – ex negativo bestimmt, hält er sich die Möglichkeit offen, doch einmal wieder die Hand vors Gesicht zu legen. Ganz zuletzt lauscht er noch einmal alle Aggregatzustände lyrischen Sprechens der Wirklichkeit ab, ein Bedenken, das wieder Grazie geworden ist, Naturkunde als Poetologie: „Wasser, das / singt, leisher / nächtlich und / gurgelt mit // Silben, wenn / wankend es / taucht und ein / dunkel ins // Becken, das / murmelt, bricht / Wellen, die / schlagen an // Heller, dass / es versiegt / flüstert, rinnt / für und für“. Nein, das ist keine Lautmalerei, das ist, als ob Michael Donhauser nicht zu Gott, sondern, unbeirrt stockend, zu einem Gebet betete.

Hermann Wallmann, Süddeutsche Zeitung, 4./5.12.1999

Der Atem des Gehenden oder Gibt es eine Sprache der Erde?

„Dies also“, so notierte vor siebzig Jahren der Dichter Francis Ponge (1899-1988), „so lächerlich anspruchsvoll es erscheinen mag, ist ungefähr mein Plan: Ich möchte eine Art ‚De natura rerum‘ schreiben. Daran erkennt man wohl den Unterschied zwischen mir und den zeitgenössischen Dichtern: Ich will keine Gedichte schreiben, sondern eine einzige Kosmogonie.“ Es war das Programm einer rigiden Sachlichkeit, dem sich der Dichter der Dinge verschrieben hatte. Alle naiven Lyrismen sollten überwunden werden durch die minuziöse Genauigkeit der Beschreibung. Die sinnlichen Erscheinungen, so glaubte Ponge, sind im Gedicht in ihrer sinnlichen Konkretheit so ins Licht zu rücken, dass sie von sich aus zu strahlen beginnen. So entwarf er in Aufzeichnungen und lyriknahen Prosastücken seine sachlichen Emphasen der Natur-Gegenstände: Er schrieb eine „Einführung in den Kieselstein“, eine „Ode auf den Schlamm“, „Notizen für eine Muschel“ und mikroskopische Erkündungen der Auster, der Aprikose oder der Brombeeren.
Von diesem Plan einer Phänomenologie der Dinge, einer Kosmogonie der sinnlichen Erscheinungen hat sich der österreichische Dichter Michael Donhauser inspirieren lassen – ohne dabei das genuin Lyrische aufzugeben. Auch seine poetische Leidenschaft gilt der kontemplativen Versenkung in die Natur-Phänomene, auch er nähert sich in langen, zyklischen Gedichten oder in emphatischen Miniaturen den scheinbar vertrauten Einzelheiten der Natur. Schon die Prosagedichte der Bände „Der Holunder“ (1986) und „Die Wörtlichkeit der Quitte“ (1990) präsentierten sich als sympathetische Annäherungen an Natur-Dinge, in den etymologischen und kulturhistorischen Abschweifungen des Gedichtbandes „Von den Dingen“ (1993) versuchte Donhauser dann die direkte Verwirklichung der Verwirklichung von Ponges Utopie. Die maliziösen Reaktionen, die auf die Veröffentlichung dieses Bandes im Hanser-Verlag folgten, signalisierten das völlige Unverständnis der Kritik für diese emphatischen Apologien auf die Sumpfdotterblume, den Misthaufen oder die Tomate.
Tatsächlich gerät leicht in Lächerlichkeits-Verdacht, wer sich wie Donhauser ganz ohne Ironie den Naturstoffen widmet oder eine Landschaft in geduldigen, sammelnden Bewegungen zu vermessen trachtet. Lyrische Spaziergänge unter freiem Himmel gelten als hoffnungslos gestrige Angelegenheit, die Beschreibung von Formen und Farben der Natur-Einzelheiten als ein Fall fürs Botanik-Lehrbuch. Michael Donhauser unternimmt dennoch – entgegen allen postmodernen Negationen emphatischer Dichtungskonzepte – den Versuch einer lyrischen Mimesis der Schöpfung. Er betritt als Lyriker jenes „Genesis-Gelände“, das Peter Waterhouse im Blick auf die geologischen und mineralogischen Wörterlisten Paul Celans analysiert hat. „Gibt es ein Denken der Erde, eine überliefernde Form, eine Sprache der Erde… Gibt es grosse Küstenworte, Bergworte, gibt es Blattflüstern, Landerzählungen? Ist die Welt ein Stimmenplanet?“ So fragt Waterhouse im Blick auf Celans Wörterlisten und hat damit eine schöne Metapher für jene Dichtung der Naturmagie gefunden, die sich den organischen Kreisläufen und Zusammenhängen der Naturphänomene wie selbstverständlich anschmiegen will. Das Gedicht des Michael Donhauser ist ebenso wie jenes von Peter Waterhouse oder auch das des Österreichers Oswald Egger ein „Genesis-Gelände“, das der Dichter im bedächtigen Gehen und aufmerksamen Schauen erkundet.
Der lyrische Rhythmus der Erkundung dieses „Genesis-Geländes“ ist eng verbunden mit dem Atem des Gehenden. „Der Versfuss ist Einatmen, Ausatmen, Schritt“, hat Ossip Mandelstam in seinem „Gespräch über Dante“ gesagt – und auch die vier und fünfstrophig organisierten Gedichte in Donhausers jüngstem Gedichtband „Sarganserland“ folgen dieser ruhigen Bewegung. „Wieder, noch, einmal“ ist eins der sechs Kapitel überschrieben, und diese Bewegung des Wiederholens und Atemholens strukturiert den poetischen Gang des Dichters. In „Sarganserland“ arbeitet Donhauser an der lyrischen Topographie einer Landschaft, des Alpen-Rheintals, in dessen winterlichen „Nachtlandstrassen“, Baum- und Hügel-Figurationen er eine imaginäre „Heimat“ zu verorten versucht. Es ist jene Gegend um die Stadt Sargans, die der Kindheitslandschaft des 1956 im liechtensteinischen Vaduz geborenen Michael Donhauser gewissermassen benachbart ist, jenes Sehnsuchtsterrain, das der Autor schon in seinem Nachwort zu seiner Übersetzung der späten Gedichte Rimbauds betreten hatte. Schon dieses Nachwort liest sich wie eine emphatische Danksagung an einen paradiesischen Raum, in dem sich nicht nur die Sinne für die Wahrnehmung von Natur, sondern auch von Sprache öffnen. Das „Sarganserland“, dieser vom Vokal „a“ klanglich aufgeladene Ort, erscheint hier als Gegend, in die auch der irrlichternde, taumelnde Wanderer Rimbaud hineingesprochen hat, der ja die Schweiz zweimal zu Fuss durchquert hat. Auch im Gedichtband „Sarganserland“ entsteht nun das Gedicht Donhausers aus jenen „Blicken zu Boden und auf in die Weite“, die er in einem poetischen Essay (in Heft 12 der Zeitschrift „Zwischen den Zeilen“) als lyrisches Constituens beschrieben hat.

Im Gegensatz zu den ausschweifenden Zyklen der vorangegangenen Bücher legt Donhauser in „Sarganserland“ aber konzentriertere Formen von Naturdichtung vor: Die Vier- oder Fünfzeiler mit ihren jeweils vier oder fünf Strophen sind so gebaut, dass es nicht zu einer öden Addition auratischer Natur-Vokabeln kommt. Mittels kleiner semantischer Verschiebungen und syntaktischer Inversionen versucht Donhauser einen allzu geschmeidigen Versfluss zu verhindern und die einzelne Gedichtzeile mit rhythmisch gegenläufigen Elementen in der Schwebe zu halten. Manchmal wird der Vers auch so weit reduziert oder skelettiert, dass nur noch ein karges Wort in der Zeile zurückbleibt. So sind dann zwar die vertrauten Realien von Donhausers lyrischer Kosmogonie vorhanden: „Blattwerk“, „Quittenblüte“, „Ginster“, „Schnee“ und natürlich „die Amsel“, sein lyrisches Wappentier, aber sie sind nicht mehr eingefügt in einen naturmagischen Klangraum, sondern in seltsam bedrohlich wirkende Konstellationen. Ein Gedicht über das Element Wasser signalisiert in seiner syntaktischen Disharmonie auch eine Unruhe, die offen lässt, in welchem Materialisationszustand sich das Wasser wirklich befindet: „Wasser, das / singt, leisher / nächtlich und / gurgelt mit // Silben, wenn / wankend es / taucht und ein/ dunkel ins // Becken das / murmelt, bricht / Wellen, die / schlagen an // Heller, dass / es versiegt / flüstert, rinnt / für und für“. Erst im abschliessenden Prosagedicht des Bandes öffnet sich das zuvor schroff Gefügte zu einer auch formalen Weite: im Schauen und Beschwören des winterlichen „Sarganserlandes“ kann Natur noch einmal triumphal aufstrahlen und hier erfährt das schreibende Ich diese Schnee-Landschaft als überwältigende Unio mystica. Natur wird zum sakralen Raum: „so ging ich und war ich bis hierher gekommen, immer weiter und so immer unentschlossener, umzukehren, zurückzugehen – doch ich blieb stehen, vom Hagenbuttenstrauch, dem Vogel der Erwartung angehalten, vom Haus her ein Hundegebell zu hören, doch es blieb still, doch ich zögerte noch, hörte den Schnee, das Reglose, die Halme und über der Stille den Vogel, die Unhörbarkeit als Vogelflug.“

Michael Braun, Basler Zeitung, 26.11.1999

Sehnen und Sehen

Auch Donhausers jüngster Gedichtband Sarganserland umfasst zyklisch geordnete Liebes- und Lobgedichte auf Landschaften, die ein gehendes Ich durchstreift, doch sind die einzelnen Texte wesentlich knapper, einfacher, konzentrierter geraten. Es ist allerdings noch immer ein zögerndes, reflektierendes, sich Wort für Wort vorantastendes Sprechen, poetisch und traumverloren, mit gesplitteter Syntax, und unterscheidet sich insofern gründlich von der Glätte und Geschwindigkeit der Alltagssprache. Auf eine ganz eigene und intensiv andere, fast meditative Weise wird das für jeden Sichtbare angesprochen.

Michael Buselmeier, der Freitag, 1.12.2000

Weiterer Beitrag zu diesem Buch:

Guido Graf: An Mauern und Birken
Frankfurter Rundschau, 24.11.1999

 

Das Sehen als eine Glückseligkeit

– Kleine Lobrede auf Michael Donhauser, den Christian-Wagner-Preisträger 2002. –

Eine Landschaft, hat der Dichter Peter Waterhouse einmal gesagt, ist „etwas Großes mit weiten Zwischenräumen und vielem Schweigen und einer Unbestimmtheit“. Diese Landschafts-Attribute, so mag hier die pragmatische Vernunft intervenieren, haben in der Moderne nur noch als romantisches Zitat Geltung, als Motive aus einer versunkenen Vergangenheit. Stille, Schweigen, Weite und Unbestimmtheit – das sind Kategorien, die in unseren industriell applanierten Landschaften fehlen. Durch die fortdauernde zweckrationale Zurüstung der Welt sind wir fast taub geworden für das Schweigen der Natur. Und zwanghaft versucht das aufgeklärte Bewusstsein auch die letzten Reste an Unbestimmtheit auszulöschen, die in den Zwischenräumen noch verblieben sind. Das „große Alphabet der Natur“, das Natur-Enthusiasten wie Carl von Linné und Christian Wagner noch inständig aufriefen, ist ad acta gelegt worden, zu besichtigen allenfalls im Museum für Naturgeschichte.
Und doch kann es geschehen, dass sich hie und da einige Spaziergänger planmäßig in jene Zwischenräume verirren, die noch nicht abgezirkelt sind von reiner Funktionalität. Spaziergänger und Fußreisende, die im Gleichmaß des Gehens auch einen Rhythmus zu finden hoffen für ihr Sprechen und einen Tonfall für ihre Begegnung mit der Landschaft. Als einer jener bedächtigen Spaziergänger in einer poetisch verwandelten Landschaft begegnet uns der Dichter Michael Donhauser, ein zunächst ziellos Gehender, ein Gehender an der Peripherie der Städte, vorbei an Baustellen und „Nachtlandstraßen“, an Dorfeinfahrten und Parkplatzrändern, quer durch Wälder und Obstbaumgärten, ein Gehender, der offenbar hofft, dass die Wege, die er einschlägt, irgendwann zu Heimwegen werden. Ein wenig traumverloren streift dieser Dichter durch die Landschaft, er registriert aber sehr genau die Naturgegenstände in seiner unmittelbaren Umgebung, er horcht auf die sich überlagernden Stimmen und Geräusche und versucht sich im inständigen Schauen der Präsenz der Dinge zu vergewissern. Das Sehen, so darf man eine Gedichtüberschrift aus dem 1999 erschienenen Band Sarganserland übersetzen, wird zum Sehnen, zu einem Blick, der die Dinge illuminiert, bis sie von sich aus zu strahlen beginnen. Die Gedichte Michael Donhausers leben also einer Emphase der Sichtbarkeit. Mit der allmählichen Erzeugung der Sichtbarkeit werden die Dinge auch als akustische Phänomene erfahrbar, im nahen Klang weitet sich die verloren geglaubte Landschaft zum paradiesischen Raum.
Das Gleichmaß des Gehens ist für Dichter, die noch an eine Begegnung mit Natur glauben, seit je zum Versmaß geworden. Gehen und Schreiben, das ist die Symbiose der Poesie. Und wer die poetische Begegnung mit Natur-Dingen evoziert, der glaubt in irgendeiner Weise an ihre Errettung. Man kann dann, wie der Namensgeber des heute verliehenen Preises, man kann wie Christian Wagner in seinem Landschafts-Enthusiasmus von der „möglichsten Schonung alles Lebendigen„ sprechen, oder man kann wie Adalbert Stifter das „sanfte Gesetz“ der Natur aufrufen. Fast überflüssig zu erwähnen, dass die Begeisterung des Warmbronner Meisters für den „blühenden Kirschbaum“ auch in den zahlreichen Baum-Erkundungen des Dichters Michael Donhauser weiterlebt.
Voraussetzung der natur-begeisterten Poesie bleibt aber immer eine Ansprechbarkeit durch die Dinge. Dass die Dinge atmen können, dass sie leuchten, Schatten werfen, aufblühen, duften, dass sie singen, knistern, rieseln, flirren oder rauschen, dass ihnen leicht ihr Leben genommen werden kann – das sind die vielen Voraussetzungen ihrer Wörtlichkeit. Wer wie Michael Donhauser „die Wörtlichkeit der Quitte“ aufruft, der wird nicht nur von der materialen Objektivität der Quitte berührt, sondern auch von ihrer sinnlichen Präsenz, von ihrer Ansprechbarkeit und Aussprechbarkeit, vielleicht auch von ihrer Transzendenz. Wenn Natur-Dinge in einem Gedicht emphatisch vergegenwärtigt werden, dann handelt es sich, wie Peter Waterhouse in seinem Essaybuch Die Geheimnislosigkeit schreibt, um „Auferstehungs-Dinge“, um „Aufatmungs-Dinge“, die ihre eigene Leuchtkraft und ihr zaubrisches Eigenleben entfalten. Es gibt allerdings ein weit verbreitetes Misstrauen gegen diese Art von Dichtung. Sehr schnell wird der Anachronismus-Verdacht bemüht, wenn ein Dichter wie Michael Donhauser sich ganz ohne Ironie den Naturstoffen widmet oder eine Landschaft in geduldigen, sammelnden Bewegungen zu vermessen trachtet. Lyrische Spaziergänge unter freiem Himmel gelten als hoffnungslos gestrige Angelegenheit, die Beschreibung von Farben, Formen und Figuren der Natur als ein Fall für das Botanik-Lehrbuch. Von solchen besinnungslosen Negationen aller naturmimetischen Konzepte hat sich Donhauser nicht irre machen lassen.
Er hat stattdessen ein eigenes sanftes Gesetz des Gehens, des Betrachtens und Aufrufens der Dinge entwickelt. In einem 1995 in der Zeitschrift Zwischen den Zeilen publizierten Essay über seine Prosagedichte hat er ausgesprochen, wie sich die poetische Berührung der Dinge vollziehen kann:

Sie – die Gedichte – geben den Dingen jene Dauer, worin Festhalten und Loslassen ineinsfallen mit einem Zeigen, Aufzeichnen, Erinnern.

Es geht also nicht um Bemächtigung oder Klassifizierung der Dinge, es geht um Berührung, um die Einheit von Festhalten und Loslassen, um eine poetische Erinnerung, die den Dingen das zurückerstattet, was einst Walter Benjamin ihre „Aura“ genannt hat. Das Wort „Aura“ bezeichnet ursprünglich die „sanft bewegte Luft“ und den „Hauch“. Bei Benjamin wird die „Aura“ ein „sonderbares Gespinst aus Raum und Zeit; die einmalige Erscheinung einer Ferne, so nahe sie auch sein mag“. Im Zusammenhang seines Essays über Baudelaire hat Benjamin eine luzide poetische Definition der „Aura“ gefunden, die eine schöne Korrespondenz herzustellen erlaubt zu den Gedichten Michael Donhausers. „Die Aura einer Erscheinung erfahren“, so Benjamin, „heisst sie mit dem Vermögen belehnen, den Blick aufzuschlagen.“ Besonders aufschlussreich ist hier der Hinweis auf jenen Moment, da nicht mehr das Subjekt, der Betrachter, den Blick aufschlägt, sondern der Gegenstand selbst, die sinnliche Erscheinung. Auch bei Donhauser finden wir dieses Wechselverhältnis der Blicke zwischen Schauendem und Angeschautem. „Ein Gedicht“, so heißt es in Donhausers Versuch über „die Elster“, „ist eine Sprache aus Echos und Findlingen und Blicken zu Boden und auf in die Weite.“ In diesem Fall erweitert sich dieses Wechselverhältnis: Es findet nicht nur ein Austausch der Blicke statt, sondern auch einer der Töne und Laute, Stimmen und Geräusche. Die Vogelrufe zum Beispiel, die in Donhausers Poesie ein suggestives Zentrum bilden, erreichen das lyrische Ich nicht nur als Naturlaut, sondern schon als poetisch organisierter Gesang. Der „Eulenruf“, der im schon erwähnten Essay über die Elster ertönt, hat selbst metrische Qualitäten:

der Eulenruf, jambisch, anapästisch, wechselnd.

Wer die alten Kategorien der Lyrik-Theorie reaktivieren möchte, wird im Fall von Michael Donhausers Dichtung von Naturmagie sprechen. Hier ist Vorsicht geboten. Denn es gibt etwas, was diese Lesart stört, etwas, das nicht aufgeht in der unio mystica zwischen Dichter und Naturding. Es ist das zögerliche, stockende, mitunter auch bewusst stotternde, antigrammatische Sprechen, das Donhauser besonders in seinen frühen Gedichtbänden kultiviert. Wer sich zum Beispiel in seinen 1991 veröffentlichten Band Dich noch und vertieft, entdeckt etwas, das die romantische Verschmelzungssehnsucht zwischen lyrischem Subjekt und Natur-Objekt unterläuft. Nehmen wir das Gedicht „Die Amsel“, ein Gedicht also über das literarische Wappentier Michael Donhausers, das in jedem seiner Bücher an markanten Stellen auftritt. Eine kleine Drehung nur, ein behutsames Drehen und Wenden der Wörter und Satzteile, ein kurzer Moment des Innehaltens vor der Sprache, eine auch nur geringe syntaktische Inversion – und schon kommt hier der Automatismus des Sprechens ins Stocken. Je näher der Lyriker ein Wort ansieht, desto ferner blickt es zurück. Die Konjunktion „und“ fungiert hier nicht als Binde-Wort, sondern als ein grammatisches Instrument der Trennung. Schon die erste Zeile im Gedicht „Die Amsel“ erzeugt einen Zustand der grammatischen Verunsicherung, der die Sprache auf ihr Material zurück lenkt, und ebenso auf die Differenz von Wort und Ding. Schon der Eingangsvers sträubt sich gegen alle Emphase:

Sie, die, ihr, Lied und verdreht, singt es in keiner Erwartung.

Schon dieser poetische Auftakt, der erwartungslose Gesang der Amsel, das absichtslose Sprechen des Gedichts ist seltsam verdreht, gleichsam gegen die Leserichtung gesetzt. Noch einmal also:

Sie, die, ihr, Lied und verdreht, singt es in keiner Erwartung.

Wer sich, grammatisch düpiert, in die frühen Liebes- und Lobgedichte Michael Donhausers hineinbegibt, der verirrt sich auf einem syntaktischen Zickzackweg, auf dem aber die vertrauten Wörter romantischer Naturpoesie wieder begegnen, ehrwürdige Wörter mit metaphysischer Patina wie „Herz der Nacht“, „Abendstille“, „Sehnsucht“ oder „Der Rausch, der Wind, die Schatten“. Das Gedicht „Die Amsel“ ist ein bewusst ent-harmonisierendes, aus allen syntaktischen und semantischen Verankerungen gelöstes Gebilde, das ein romantisches Strömen und Singen nicht zulässt, das dem „Herz der Nacht“ seine hervorgehobene Stellung aufkündigt und selbst der Amsel ihr zweckfreies „Zwitschern“ nicht gestattet, sondern es zwischen „Zitaten“ ansiedelt. Hören wir noch einmal, unter Vollzug einiger Drehungen, „Die Amsel“:

Sie, die, ihr, Lied und verdreht, singt es in keiner Erwartung
Wenn nicht oder vielleicht in der des Morgens, als weinte das Lied
In ihrem Lied, das Herz der Nacht und sich aus, oder als gäbe es
Doch und seine Unendlichkeit, wenn sie es weitet, weit aufschlägt
Über dem Platz und über die Dächer, hinüber bis und hin zu dir
Als wärst du und berührbar, von ihrem Lied, oder wie so berührt
Lied du oder du, wo du, die du, wenn du wie und sie es entwirft
Mit und in einem kurzen Zwitschern, zwischen, Zitaten, daß
Bricht sie es ab, ist es noch und dann stumm, als stände und still
Ihr Lied und fragte, wo du und bist, wäre nicht jetzt oder ich und
Ein Rest als du von dir und wie verkündet so verdreht und hier

Bei aller grammatischen Verdrehtheit wird aber eins nicht dementiert: die Berührbarkeit des Sprechenden durch „das Lied“ der Amsel. In späteren Texten wird diese Berührbarkeit des lyrischen Ich emphatischer evoziert, reorganisiert sich auch ein etwas geschmeidigerer Versfluss. Für den frühen Donhauser hat man die Nähe zu Francis Ponge, dem Dichter der Dinge, festgestellt, eine lyrische Affinität zu dessen inniger Naturkunde. Es war das Programm einer rigiden Sachlichkeit, einer minuziösen Genauigkeit der Beschreibung, dem sich Ponge verschrieben hatte. Tatsächlich hat sich Michael Donhauser von Ponges Plan einer Phänomenologie der Dinge inspirieren lassen. Die Ähnlichkeit der lyrischen Projekte bei der Autoren manifestiert sich ja schon in den Titeln ihrer Gedichte und Prosagedichte. Ponge schrieb eine Einführung in den Kieselstein, eine „Ode auf den Schlamm“ „Notizen für eine Muschel“ und mikroskopische Erkundungen der Auster, der Aprikose oder der Brombeeren. Auf diese emphatischen Apologien der Natur-Dinge antworten Donhausers poetische Erkundungen der Sumpfdotterblume, des Misthaufens, der Zypresse oder der Tomate. Die fast enzyklopädisch ausufernde lyrische Phänomenologie im Band Von den Dingen weicht später konzentrierteren Formen der Naturdichtung. Im Sarganserland arbeitet der Autor nur noch mit knappen Vier- oder Fünfzeilern, wobei hier der Vers mitunter so weit reduziert wird, dass nur noch ein karges Wort in der Zeile zurück bleibt. Hier geht es um die lyrische Topographie einer Landschaft, um das Alpen-Rheintal, in dessen winterlichen „Nachtlandstrassen“, Baum- und Hügel-Figurationen Donhauser eine imaginäre „Heimat“ zu verorten versucht. Es ist jene Gegend um die Stadt Sargans, die der Kindheitslandschaft des 1956 im liechtensteinischen Vaduz geborenen Michael Donhauser gewissermaßen benachbart ist, jenes Sehnsuchtsterrain, das der Autor auch schon in seinem Nachwort zu seiner Übersetzung der späten Gedichte Rimbauds betreten hat. Ein Gedicht dieses Bandes, das vom Element Wasser handelt, signalisiert in seiner syntaktischen Disharmonie eine Unruhe, die offen lässt, in welchem Materialisationszustand sich das Wasser wirklich befindet. Der fluiden Natur-Materie wird hier eine eigene Sprache zuerkannt, denn es „gurgelt mit / Silben“. Da es keinen festen Aggregatzustand des Wassers gibt, verschickt das Gedicht seinen Stoff mithilfe des Enjambements in immer neue Konstellationen:

Wasser, das
singt, leiser
nächtlich und
gurgelt mit

Silben, wenn
wankend es
taucht und ein
dunkel ins

Becken das
murmelt, bricht
Wellen, die
schlagen an

Heller, dass
es versiegt
flüstert, rinnt
für und für.

Die „poetische Sprache in ihrem Dingbezug“, die Donhauser in seinen frühen Objekt-Gedichten aufruft – sie hat sich in späteren Arbeiten verändert, hat Weiterungen, Differenzierungen erfahren. In seiner seltsam akkuraten, wellenförmigen Postkarten-Schrift hat Donhauser seinen Laudator darauf hingewiesen, dass sich seine neuen Diptychen und Prosagedichte vom Konzept eines Ponge entfernt haben. Tatsächlich präsentiert sich Donhauser in den soeben erschienenen zwölf Diptychen in Prosa und im langen Gedicht „Die Hecke“ nicht nur als lyrischer Phänomenologe und Landschaftsmaler, sondern auch als Städtewanderer, der die Interaktionen aufzeichnet zwischen urbanen Reizzonen, zivilisatorischen Kulissen und Naturphänomenen. Auffällig ist auch, dass sich seine Natur-Szenarien nun vermehrt mit Menschen bevölkern, mit Kindern, Frauen, Markthändlern, mit „Geliebten“ und „Engelgleichen“, die eine neue Wahrnehmungs-Konzentration einfordern. Auch die syntaktische Ordnung hat sich verändert, die sinnliche Suchbewegung fügt sich nun in einen eher strömenden, fließenden Versrhythmus. Geblieben ist aber die Suche nach einer „Anfänglichkeit“ der Dinge, die angeschaut werden wie eine Erscheinung der Schöpfungsfrühe, als auratische Phänomene, die selbst die Augen öffnen und dem Betrachter entgegenblicken. „Sieh“, heisst es in der lyrischen Prosa des Bandes Die Gärten, „und es war eine Einladung, einzugehen in das Sehen als in eine Glückseligkeit“. Es macht die Intensität der Texte Michael Donhausers aus, dass sie uns an dieser Glückseligkeit teilhaben lassen.

Michael Braun, manuskripte, Heft 161, 2003

 

 

Michael Donhauser – Lieder und Legenden, Lesung und Gespräch

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Michael Donhauser liest bei Weltklang – Nacht der Poesie 2020 ab 1:41:50.

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