Michael Krüger: Das Ungeplante zulassen

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Michael Krüger: Das Ungeplante zulassen

Krüger-Das Ungeplante zulassen

(…)

Damit will ich meinen Rundgang schließen: „Wir wissen nichts vom Gedicht“, sagt Gerhard Falkner; „Am Anfang weiß nichts in uns, was das Gedicht bereithält“, heißt es bei Durs Grünbein; „ein Gedicht schreiben ist noch kein Akt des Willens. (…) Was ein Gedicht gelingen läßt, ist keine Sache des Willens“, notiert Philip Larkin; „Von dem, was ich geschrieben habe, wußte ich wenig, bis ich es geschrieben hatte“, notiert Robert Creeley; der großartige Benjamin Péret formulierte: „Es wird die Aufgabe künftiger Generationen sein, die Synthese von Vernunft und Poesie zu finden“; „Der Anfang, die eine Zeile, die paar Worte, das Fragment, an dem man hängenbleibt, das Bild – es bleibt jedesmal ein Mysterium“, sagt Cees Nooteboom; und Dylan Thomas weiß:

kein Dichter würde intensiv der komplizierten Kunst des Dichtens nachgehen, hoffte er nicht, daß sich plötzlich der Zufall der Magie ereignen werde.

Oder eben mit der Feststellung von Octavio Paz:

Wenn man den Dichtern glauben darf, gibt es im Augenblick des Ausdrucks immer eine unvermeidliche und unerwartete Mitwirkung. (…) Die Stimme des Dichters ist und ist nicht die seine. Wie heißt, wer ist es, der meine Rede unterbricht und mich Dinge sagen läßt, die ich gar nicht sagen wollte?

Für Paz ist die Inspiration also „eine Manifestation der konstitutiven ,Andersheit‘ des Menschen. Sie ist weder in unserem Inneren zu finden, noch hinter uns, wie etwas, das plötzlich aus dem Schlamm der Vergangenheit auftaucht, sondern sie ist uns sozusagen voraus; ist etwas, oder besser, jemand, der uns einlädt, wir selbst zu sein. Und dieser Jemand ist unser Sein selbst.“
Für die Lyrikerin Monika Rinck liegt die „Zukunft der Poesie im Dunkeln, wie alle möglichen anderen Zukünfte auch“ – das möchte man ohne Vorbehalt unterstreichen. Dieses Schicksal hängt aber nicht ursächlich von der Konstitution der Dichtung ab, sondern von der Neigung des Menschen, das, was ihm am nächsten steht, unter Verdacht zu stellen. „Verstehen“, heißt es in Monika Rincks Aufsatz „Nach der Poesie“, „gibt es als dramatisches Geschehen eigentlich nicht mehr, obwohl das Nichtverstehen nach wie vor in jeder Hinsicht ein furchtbares Drama zu sein scheint. Es stellen viele auch kluge Leute angesichts von Gedichten das Denken ein, was eine unnötige und für beide Seiten bedauerliche Situation ist.“
Ich möchte schließen mit einem Hinweis auf den schon erwähnten Essay „Zur Anthropologie des Gedichts und zum Ärgernis seiner Schönheit“ von Peter von Matt, den ich für den subtilsten Versuch halte, dem Ereignis des Gedichts auf die Schliche zu kommen. Er schreibt:

Wenn aber das Gedicht ein anthropologisches Ereignis ist und nicht nur eine zeitweilige Praxis, wenn es mehr ist als die vorübergehende Kulturtechnik eines, zweier Jahrhunderte, dann stellt sich die Frage, womit sein Wille, schön zu sein, anthropologisch zusammenhängt. Die Antwort ist einfach und unergründlich. Hinter dem Gedicht steht der Stachel einer einzigen Idee: der Vollkommenheit.

Diese paradiesische Vorstellung, die in der geringen Lebenszeit verwirklicht werden muß, aber in der Regel nicht verwirklicht werden kann, ist das ausgesprochene oder verborgene Zentrum des Gedichts.

Es versucht, das Akute, das Plötzliche, die Sekunde der Vollkommenheit in Dauer zu verwandeln.

Daß die Dichter dieser Idee der unerreichbaren Vollkommenheit näher kommen als andere Schriftsteller, hat die Geschichte der Poesie von den Anfängen bis heute unter Beweis gestellt. Damit ist das Elend nicht aus der Welt geschafft, aber durch die Differenz zwischen dem Möglichen und dem Tatsächlichen, wie sie große Poesie immer deutlich macht, wird sichtbar, daß wir noch lange nicht am Ende sind. Oder mit den Worten des Dichters Lars Gustafsson:

Wir fangen noch einmal an, wir geben nicht auf.

 

 

 

In seiner Münchner Rede zur Poesie

greift Michael Krüger eine der ältesten Streit-Fragen der abendländischen Poetik auf: die Frage nach den Ursprüngen dichterischer Inspiration. In Auseinandersetzung mit den Äußerungen von Lyrikern des 20. Jahrhunderts wie – neben vielen anderen – Rudolf Borchardt, Joseph Brodsky, René Char, Lars Gustafsson und Octavio Paz, von Philosophen wie Peter Bieri und Hans Blumenberg und Germanisten wie Heinz Schlaffer und Peter von Matt entwickelt er eine eigene, pointierte Position, die von der These ausgeht, dass die Quelle, „aus der die klarsten Wasser sprudeln“, „im Dunkeln verborgen“ bleibe: „Die Hirnforschung wird uns früher oder später darüber aufklären können, wie dieser Überfall genau funktioniert, der für einen Moment – wie lange eigentlich? – das Bewußtsein außer Kraft setzt oder eine ähnliche Operation ausführt, die an einen geglückten Bankraub erinnert: auf jeden Fall geht es so schnell, daß der Hergang nur schwer zu rekonstruieren ist.“

Stiftung Lyrik Kabinett, Klappentext, 2014

 

Beiträge zu diesem Buch:

Walter Fabian Schmid: Zu Michael Krügers Poesierede
poetenladen.de, 11.5.2015

Gabriele Wix: Verteidigung des Poetischen
literaturkritik.de, August 2015

Carl Wilhelm Macke: Wie Gedichte entstehen
culturmag.de,  8.4.2015

Daniella Jancsó: „Wir fangen noch einmal an. Wir geben nicht auf.“
signaturen-magazin.de

Studio LCB am 4.10.2023: Michael Krüger. Verabredung mit Dichtern
Gesprächspartner∙innen: Marcel Beyer und Felicitas von Lovenberg
Moderation: Tobias Lehmkuhl

 

 

 

DAS UMSPANNWERK
für H. M. Enzensberger

Im Umspannwerk
brennt ein Feuer
ein Feuer brennt
an einem Ort von dem wir dachten
er regiere unsere Stadt

In glitzernden Gärten aus Drähten
verläuft sich mein winziges Herz
fängt an die Schalter zu liebkosen
verwirrtes Tierchen

so dunkel die Hallen und überall
Zungen hungrige Zungen

Jetzt ist das Feuer vorbei
es hat unserem Werk nichts angehabt
Sein gelbes Herz schlägt wieder laut und mächtig
und unsere kleinen
stolpern brav und blöde
hinterher 

Tanja Dückers 

 

 

 

Welche Poeme haben das Leben und Schreiben von Karl Mickel und Volker Braun in der DDR und Michael Krüger in der BRD geprägt? Darüber diskutierten die drei Lyriker und Essayisten 1993.

 

 

 

Das Werk: Michael Krüger am 14.6.2004 im Literarischen Colloquium Berlin

 

 

 

Frank Wierke: Verabredungen mit einem Dichter – Michael Krüger

 

Zum 70. Geburtstag des Autors:

Gregor Dotzauer: Das unbändige Leben der Agaven
Der Tagesspiegel, 9.12.2013

Volker Isfort: Er wird noch gebraucht
Abendzeitung München, 8.12.2013

Thomas Steinfeld: Herr K. tritt ab
Süddeutsche Zeitung, 9.12.2013

Charles Simic: Der Regenmantelmann
Neue Zürcher Zeitung, 9.12.2013

Norbert Gstrein: Der leere Raum
Neue Zürcher Zeitung, 9.12.2013

Cees Nooteboom: Der andere Atem
Neue Zürcher Zeitung, 9.12.2013

Peter von Matt: Der Freund auf der Kommandobrücke
Neue Zürcher Zeitung, 9.12.2013

Hans-Dieter Schütt: Warum fallen Sterne nicht herab
neues deutschland, 9.12.2013

Mara Delius: Nach draußen, hinein ins Buch
Die Welt, 9.12.2013

Jenny Schon: Hundert Schritte

 

 

Zum 75. Geburtstag des Autors:

Britta Schultejans: Michael Krüger wird 75
Abendzeitung, 7.12.2018

Georg Reuchlein: Michael Krüger (75)
BuchMarkt, 9.12.2018

Zum 80. Geburtstag des Autors:

Gerrit Bartels Interview mit Michael Krüger: „Gott ist ein Melancholiker“
Der Tagesspiegel, 7.12.2023

Willi Winkler Interview mit Michael Krüger: „Ich habe mich der Literatur höflich genähert“
Süddeutsche Zeitung, 7.12.2023

Arno Widmann: Der virtuose Gesang und der Schrei
Frankfurter Rundschau, 9.12.2023

Andrea Köhler: Kaum einer hat so viele Literaturnobelpreisträger in seinem Verlag versammelt wie Michael Krüger
Neue Zürcher Zeitung, 8.12.2023

Hannes Hintermeier: Schwimmer im Meer der Gedichte
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.12.2023

Hans-Dieter Schütt: Wie kommen Sterne an den Himmel?
nd, 8.12.2023

Leander Berger: Lesen als Lebensmittel
Badische Zeitung, 9.12.2023

Quh: Freund der Ziegen
quh-berg.de, 9.12.2023

Martin Schult: „Danke“
Börsenblatt, 8.12.2023

 

 

 

Volker Weidermann: Küsse, Nasenküsse, Ringkämpfe. Abschiedsfest für Michael Krüger.

Ein Abend für Michael Krüger. Michael Krüger ist eine Legende des Literaturbetriebs. Am 16.1.2014 sprach er in der Literaturwerkstatt Berlin mit Harald Hartung über seine Arbeit als Verleger, Herausgeber, Autor und Übersetzer.

 

 

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Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Michael Krüger

 

Michael KrügerLebenselixier Literatur im Gespräch mit Norbert Bischofberger, SRF 22.9.2013.

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