– Zu Gottfried Benns Gedicht „Rosen“ aus Gottfried Benn: Sämtliche Gedichte. –
GOTTFRIED BENN
Rosen
Wenn erst die Rosen verrinnen
aus Vasen oder vom Strauch
und ihr Entblättern beginnen,
fallen die Tränen auch.
Traum von der Stunden Dauer,
Wechsel und Wiederbeginn,
Traum – vor der Tiefe der Trauer:
blättern die Rosen hin.
Wahn von der Stunden Steigen
aller ins Auferstehn,
Wahn – vor dem Fallen, dem Schweigen:
wenn die Rosen vergehn.
„Die Rosen, ja die Rosen! Meine Frau hat mir verboten, noch in einem Gedicht das Wort Rosen zu verwenden –, schade, es ist ein so schönes Wort“, schrieb ein ungewohnt sentimentaler Gottfried Benn am 4. Juli 1950 an Friedrich Wilhelm Oelze. Der hochgebildete Bremer Großkaufmann war in ästhetischen und Lebensfragen fast 25 Jahre lang Benns wichtigster, zeitweilig einziger Vertrauter.
Das im Ton eines Volksliedes gehaltene Gedicht „Rosen“ entstand im Mai 1946. Als das erste Gedicht, das Benn seit Januar 1945 geschrieben hat, ist es zugleich ein resümierendes Stillleben und eine elegische Klage bar jeder metaphysischen Hoffnung.
Am 1. Juni 1946 schickte Benn es mit folgender Widmung an seinen Brieffreund:
Für Frau Charlotte Stephanie Oelze und den Garten in Oberneuland. 30. V 1946
Das Brief- und Widmungsgedicht zeigt, dass Benn auch anders konnte, als mit poetisch einverleibtem Fachvokabular aus der Medizin oder Biologie und mit artistischen Wortneubildungen den Leser intellektuell zu umwerben oder auf Distanz zu halten. „Rosen“ ist die Poesie des anderen Benn, der gegenüber dem provozierenden Artisten gerne vergessen oder gegen diesen ausgespielt wird. Der sachliche, verhalten klagende Ton dieser lyrischen Petitesse setzte sich in seinem Spätwerk durch.
Bei allem Traditionsbezug des Gedichts auf Barock und Romantik war der Avantgardist Benn sich der Gefahr der gefühligen Verkitschung durchaus bewusst, die durch die nachdrückliche Verwendung eines so prominenten Symbols wie der Rose drohte. Wie aus einem Brief Benns an Oelze vom 14. Juni 1949 hervorgeht, hatte dieser das Gedicht kritisiert, es war ihm einfach zu kitschig. Von einer Aufnahme in den wichtigen Auswahlband Trunkene Flut mit Gedichten von 1912 bis 1949 riet Oelze deshalb ab. Der Dichter sprach ein höfliches Machtwort, denn schließlich war in „Rosen“ seine spezifische biographische Zeiterfahrung eingeschrieben: Trauer. Aufgrund seines anfänglichen Eintretens für den nationalsozialistischen Staat in Form von Essays und Rundfunkbeiträgen galt Benn als politisch Diskreditierter. Trunkene Flut gehörte dann zu den Büchern, die Benns Comeback begründeten. Motivgeschichtlich ist die Rose ein Symbol der Liebe, der Vergänglichkeit und des Todes, aber auch der Vollkommenheit und der sich selbst bespiegelnden Schönheit. Benn ruft alle diese Sinngehalte auf und verschränkt die Rose als Naturmotiv („vom Strauch“) mit ihrem kulturellen Arrangement („aus Vasen“). Liest man „Vase“ synonymisch für „Strophe“ oder „Gedicht“, steht die Rose auch für die Dichtkunst.
Der Topos der Vergänglichkeit und die sie begleitende Denkfigur der Melancholie des Verschwindens – des Lebens wie der Liebe beziehungsweise der erotischen Anziehungskraft – nehmen in „Rosen“ Gestalt an über die Stufen „verrinnen“, „Entblättern“ und „fallen“ und münden in „Schweigen“ und „vergehn“, Im „Schweigen“ konvergieren Naturvergänglichkeit und die Conditio humana des Sterbenmüssens, die durch die stabreimende Reihe „Tränen“, „Traum“, „Tiefe der Trauer“ repräsentiert wird. Das Fortschrittsdenken einer zweckorientierten Geschichtsphilosophie („Steigen“) und die theologische Perspektive eines Lebens nach dem Tod („Auferstehn“) werden als „Wahn“ abqualifiziert. Benns Altersschwermut kommt hier ebenso zum Ausdruck wie ein resignativer Reflex auf die jüngste Zeitgeschichte.
Sprachrhythmisch ist das Gedicht mit seinen kreuzgereimten Strophen, deren Zeilen jeweils drei betonte Silben aufweisen, ein Valse triste. Die letzte Zeile („wenn die Rosen vergehn“) als Variation der ersten kennzeichnet das Gedicht als ein Rondeau. Das Vergangensein der Rosen schließt jedoch – zumindest auf der gedanklichen Ebene – eine Wiederaufnahme der ersten Zeile und somit ein nochmaliges Durchspielen der Strophen aus. Das Leben kennt keinen Refrain.
Das Verdikt seiner Frau hat Benn übrigens nicht daran gehindert, der Rose weiterhin zu huldigen, so 1952 in dem Gedicht „Keiner weine –“:
Rosen, gottweißwoher so schön,
in grünen Himmeln die Stadt
abends
in der Vergänglichkeit der Jahre!
Michael Lentz, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Fünfunddreißigster Band, Insel Verlag, 2012
Schreibe einen Kommentar