Michael Rom: will nicht zu den großohrigen elefanten

Mashup von Juliane Duda zum Buch von Michael Rom: will nicht zu den großohrigen elefanten

Rom/Rom-will nicht zu den großohrigen elefanten

die schatten leben in der sonne
und trotz des genossenen glückes
gleichen wir nicht dieser
verflogenen landschaft.
eine schmierige katastrophe spricht:
klotz und blitz.
rotz und kitz.
witz und schlitz.
der schmerz wird widersprüche aufreißen.
der kehlkopf gebiert reime, wenn der körper
das glücksgefühl nicht in blut umsetzen kann.
und es zieht am himmel entlang
nachts, wenn er schwarz
wandern fabeltiere die unendliche straße
der große vogel greif, das geschlecht
der hippokampen,
ein weib, das bis zum nabel einem
aaaaakatzenkörper
entwachsen
schwingen oder hörner an der stirn.
südoststurm, die stimme der schweigsamen.
und im hirn die geile tollheit
aaaaaals grab getragen.

 

 

 

Mein Michael Rom

Zeidler beginnt einfach: eins, zwei, drei, vier, auf seiner Bassgitarre holzt er Achtel, so schnell es geht. Acht Achtel auf der leeren tiefsten Saite, acht im ersten Bund. Dann wieder leer. Das macht er drei- oder viermal.
Dann ZACK! springt das Schlagzeug an, Grossmann hackt sich auf genau den Achteln fest. Die ersten Köpfe im Publikum beginnen zu nicken, Conny Schleime schlägt rhythmisch mit der flachen Hand auf ihre Hüfte. Kerbach nimmt seine Gitarre und krätscht schräge, atonale Akkorde in den Bass-Schlagzeug-Teppich. Das dauert. Michael Rom tritt vor, fixiert das Mikrofon, dann schreit er:

Die Jahre fliegen dahin… die Jahre verkleben dein Leben.

Er setzt sich auch genau auf die Achtel vom Zeidler, lässt kleine Pausen, zerhackt die Verse.
„Der Buhmann geht um.“ Die Combo ist im Takt, Rom hält zackig mit, seine Hände zucken, er erfindet unverständliche Gesten. „Begießen, begreifen… Abzäunen, abpfählen werd’ ich meinen Garten… abpflöcken, lokalisieren… Begrenzung.“ Blickkontakt mit allen. „Das ist der Bergiff.“ Und PENG! ist mit dem Doppel-f das letzte von fünf Achteln verheizt, der Song bricht ab, die Musik ist weg.

Das war das Stück, mit dem eine Band ihre Auftritte begann, die erst nach ihrem Zerfall so hieß, wie manche sie heute noch kennen: ZWITSCHERMASCHINE.
1980 haben wir uns getroffen im Theater der Jungen Generation in Dresden. Michael Rom und ich, wir waren beide nebenberuflich die Bühnen-Soldaten, die die Prinzessin im Tapferen Schneiderlein mit sich führte. Wir hatten ein hölzernes Laufgitter in den Händen, welches ihr den gehörigen Abstand zum Volke verschaffte und aus dem sie hin und wieder austrat, weswegen wir auch das Törchen dafür zu öffnen und zu schließen hatten. Unsere Rüstungen waren silbern lackierte Polystyrol-Eierverpackungen, unsere Helme Backformen aus Aluminiumblech. Das Kichern im Kinderpublikum war uns wohl auch deswegen immer sicher.
Der Dichter Thomas Rosenlöcher hatte Michael Rom diese Stelle vermittelt, Rosenlöcher hatte Rom durch dessen künstlerische Eigenwilligkeiten in Radeburg, Moritzburg oder Dresden-Kleinzschachwitz kennen- und schätzen gelernt. Michael Rom gehörte im weitesten Sinn zu den am Rand des Kraters Gebliebenen – des Kraters, den die Go-West-Explosion des Malers A.R. Penck in der oberelbischen Kunstresidenz hinterlassen hatte, und lebte zu dieser Zeit in einem der Kavaliershäuser am Moritzburger Schloss. Da er inzwischen im Schloss nicht mehr angestellt war, musste er ausziehen, er suchte, wie ich, eine Wohnung in Dresden. Wir waren uns sympathisch.
Am Bahnhof Dresden-Mitte hatte ich in einem alten Haus eine große, leerstehende Wohnung entdeckt, und wir beschlossen, der zuständigen Behörde vorzuschlagen, uns das gemeinsame WG-artige Wohnen dort zu gestatten. Das gelang, wir wurden sogar angehalten, im Rahmen eines staatlichen Förderprogramms diese Wohnung umfassend ordentlich zu modernisieren. Wir legten also neue Strom- und Wasserleitungen, renovierten die fünf Zimmer, die Küche, die Innen-Toilette und den 13 Meter langen Flur, die Kohle-Ofen, den Parkett-Fußboden. Wir lackierten Türblätter und Fensterrahmen. Das Lebensmittelgeschäft im Erdgeschoss war leider eben geschlossen worden, dennoch waren alle Wohnungen im Haus noch vermietet. In der etwa gleichgroßen Nachbarwohnung lebten zwei freundliche ältere Damen: Frau Stürmer und Frau Friedrich.
Dieses Eckhaus, gebaut um 1890, ist das erste Haus, von der Stadtmitte aus gesehen, das im Stadtbezirk Dresden-West steht. Wir waren sicher: Würde also Dresden irgendwann auch einmal wie Berlin geteilt werden, wäre unser Haus im Westen, und die Mauer hätte ihren Platz auf dem Bahnviadukt vor unseren Fenstern gefunden mit der bunten Seite zu uns.
Auf dem Viadukt herrschte glücklicher- und natürlicherweise aufregender Eisenbahnverkehr, sogar noch mit Dampfloks. Gelbe, grüne, rote Güterwaggons und silberne oder blaue Kesselwagen rollten vorbei, auch Panzer auf flachen Spezialtransportern, D-Züge, der Express Paris-Moskau rauschte, die Doppelstockwagen der S-Bahn oder der Nachtzug nach Warschau, der allerdings wegen des Kriegsrechts in Polen neben der E-Lok nur aus einem unbeleuchteten Zweite-Klasse-Personenwagen bestand. Vier Gleise führten zum Hauptbahnhof bzw. nach Neustadt, zwei Anschlussgleise zum Güterbahnhof Friedrichstadt zweigten ab. Möglicherweise hätten sich also vier Züge gleichzeitig auf der Brücke des Viadukts begegnen können, allerdings haben wir das nie erlebt – das aufregendste Treffen vereinte immerhin einmal drei Güterzüge auf dieser Eisenbahnbrücke über die Schweriner Straße mit uns als Augenzeugen.
In der WG hatte ich großzügig Gelegenheit, den Dichter Michael Rom kennenzulernen, manchmal las er mir nachts seine neu geschriebenen Stücke vor. Die handelnden Figuren hießen Sbirre und Faschheit [jenen Text habe ich noch nicht wiedergefunden]. Oder er legte mir dar, wie ein Dichterleben auszusehen habe. Bei ihm standen Bücher von Hans Henny Jahnn, Elias Canetti, Heinrich von Kleist. Beim Kaffeetrinken am Postplatz, in der Mocca-Stube am Altmarkt, beim Schnitzel in Höhles Bierstuben oder abends in den Meissner Weinstuben am Bahnhof Neustadt [oh, es wimmelte von Stuben] erfuhr ich viel über Rom und Kunst und Mann und Frau, auch über Macht und Menschen.
Einige der Künstler-Freunde Michael Roms hatten inzwischen gleichzeitig – angestiftet vom Maler Ralf Kerbach – eine Punk-Band formiert und ihm Gelegenheit gegeben, seine Texte zusammen mit ihnen musikalisch vorzutragen. Dort fehlte irgendwann der Schlagzeuger. Da ich einschlägige Erfahrungen hatte, schlug ich vor, mal mit zur Probe zu kommen, um festzustellen, ob ich in die Gruppe passte. So lernte ich Ralf Kerbach kennen und Cornelia Schleime, Matthias Zeidler, Sascha Anderson, zwei Maler, zwei weitere Aufschreiber, Dichter. Wir passten zusammen, und ich blieb dabei. Wir trafen uns dann relativ regelmäßig in Kerbachs Atelier zum Proben. Und wir fuhren meist mit der Eisenbahn zu etlichen Konzerten nach Berlin, nach Erfurt, auch mal eine Woche nach Eschenbach im Vogtland. Die Band nutzte verschiedene Namen und blieb besetzungskonstant: drei Musiker, Kerbach Gitarre, Zeidler Bass, ich am Schlagzeug, und die drei Sänger, die jeweils ihre eigenen Texte sangen. Kerbach und Zeidler entwickelten zwischen den Proben musikalische Grundmuster, in den Proben wurde dann nach passenden Texten gesucht, die die drei Sänger dabei hatten. Es entstanden Rom-Songs, Schleime-Songs und Anderson-Songs mit der Musik der Band. Wir spielten nur eigene Songs, keine Cover-Versionen oder irgendetwas Nachgespieltes, wir kamen so auf ungefähr zwanzig eigene Stücke [auf der Split-LP eNDe – Aggressive Rockproduktionen, Westberlin 1983 – gemeinsam mit SCHLEIM-KEIM, finden sich außer ÜBERN FLUSS, ein Schleime-Song, ausschließlich Anderson-Songs].
Die Texte, die Michael Rom der Band lieferte, sind auch in diesem Buch enthalten. Besonders eindrucksvoll für mich waren und sind BUHMANN, der als Song eine Gedichtversion war, mit dem die Konzerte begannen, sowie MITTEN IM KANAL. Michael konnte seine Texte beeindruckend klar und versendend präsentieren. Er war rhythmisch sehr talentiert und traf mit der Struktur der Texte genau die der Musik.
Das Ende der Band kam 1982 mit Kerbachs Übersiedelung in den Westen Deutschlands. Rom stellte zwei Ausreiseanträge und folgte Kerbach schließlich 1984. Die Band ZWITSCHERMASCHINE hatte sich „atomisiert“ [Schleime]. Wir gingen alle unserer Wege.
Ab 1991, nach dem schockierenden Mord an Michael Rom in Berlin, wo er bei einem Raubüberfall vom Täter erschossen worden war, nomadisierte dann ewig die Absicht durch den Freundeskreis, Roms Texte als Buch zu veröffentlichen, was angesichts des Mythos vom verschollenen Nachlass aussichtslos schien.
Ich machte mir schließlich 2013 eine Liste und schrieb auf: Wer könnte Material von Michael haben, in welchem Archiv könnten Rom-Texte gestrandet sein, in welchen Anthologien tauchen Sachen von ihm auf? Ich habe einiges gefunden und in diesem Buch versammelt. Wir haben jetzt Texte ab 1980 bis 1991. Es gibt Tonaufnahmen, wo Michael Rom Lyrische Bilder liest oder ein Theaterstück. Es gibt Handschriftliches, Getipptes und einige Aquarell-Zeichnungen. Alle gefundenen Original-Skripte werden nach Erscheinen dieses Buches in das Literaturarchiv der Akademie der Künste Berlin gegeben.
Michael Rom verstand sich immer als Dichter. Das Lesen seiner Gedichte und Stücke waren und sind für mich eine beeindruckende, erregende Erfahrung. Er hat Texte geschrieben, die auf den ersten Blick unspielbar erscheinen und schon deshalb in die Hände, Köpfe, Körper und Münder von Theater- oder Filmleuten gehören. Er faltet eine Wortgebirgswelt, seine rohe, nicht entgratete Dichtung reißt in mir Gedanken und Gefühle auf. Es hat sich gelohnt.

Wolfgang Grossmann, Januar 2018, Vorwort

 

Dieser Band versammelt

alle bis heute auffindbaren Texte eines nahezu unbekannten deutschen Dichters: Michael Rom gehörte zum Poetenkreis in Prenzlauer Berg in Berlin/DDR und lebte einige Zeit in Dresden. Er schrieb expressionistische Gedichte, die bei dem Maler Ralf Kerbach und seiner Dresdener Untergrund-Kapelle ZWITSCHERMASCHINE Anklang fanden. Auch die Malerin Cornelia Schleime sang dort ihre Texte. Und Sascha Anderson, wohl einer der inzwischen berühmtesten Stasi-Spitzel der DDR. Wie A.R. Penck gingen sie alle nacheinander aus dem eigenartigen Dresden weg und auseinander, auch in den Westen Deutschlands. Dort wuchsen die Texte Roms sachte ins Uferlose; er nannte sie deswegen „Lyrische Bilder“; er setzte sich weiter mit dem Verfassen von Theaterstücken auseinander.
Nach seiner Zeit in Köln traf er in Frankfurt/Main auf den Maler Thomas Olescher; gemeinsam realisierten sie etliche Performances und Happenings, denen die Dichtungen Roms sinngebend im Zentrum standen. 1990 wechselte Rom nach Berlin. Nur ein Jahr später wurde er dort von einem Kriminellen bei einem Raubüberfall auf ein Hotel, in dem er als Nachtportier aushalf, erschossen. Völlig sinnlos. Danach kam zum Mythos von der Stasi-Mord-Verschwörung noch der vom verschollenen Dichter-Nachlass. Fakt war einzig: Michael Roms Texte waren weg. Wolfgang Grossmann recherchierte bockig ungefähr drei Jahre lang in zahlreichen privaten und öffentlichen Sammlungen, Archiven und Bibliotheken. Er befragte alte Freunde, damals Dabeigewesene und mutmaßlich Sachkundige und hat dadurch neue Bekannte und etliches aufgespürt, was nun in diesem Buch versammelt ist: Gedichte, „Lyrische Bilder“, Stücktexte, auch einige Statements oder Pamphlete und Bilder und Grafiken des Autors: Es tauchten textverarbeitende Holzschnitte bei einem befreundeten serbischen Maler und verzaubernde Aquarelle auf. – Es finden sich Werke aus Roms so ganzem wie kurzem Leben. Dokumentiert werden Ergebnisse einer rohen, noch nicht entgrateten Dichtung, in der sowohl der Punk der achtziger Jahre seinen Niederschlag fand, wie auch umgekehrt Rom selbst in der neueren, zerklüftet-energischen Wortgebirgswelt z.B. Till Lindemanns und dessen Rammstein-Lyrik weiterwirkt.
Zum 60. Geburtstag Michael Roms erscheint also diese Ausgabe, die versucht, Rom, einer abgebrochenen Künstlerpersönlichkeit, ihren Platz in der Geschichte der unangepassten Literatur eines zerrissenen Deutschlands zu geben.
Zu entdecken sind ein Werk und dessen Urheber voller Eigenwilligkeit als Echo auf die Gewalt, die Lügen, die Abhängigkeiten und die Verleumdungen der Nachkriegszeit, die widerspenstig und kraftvoll liebend die eigenen Entwürfe zur realen Existenz formulieren.

Vorwerk 8, Klappentext, 2018

 

Überall Umwege, Abwege, Sprünge

–Der Dresdner Dichter Michael Rom starb früh. Jetzt vereint ein Sammelband seine Songs, Stücke und lyrischen Bilder. –

Der Schriftsteller Franz Fühmann packt 1981 ein paar von Michael Roms Texten in eine Anthologie, die er der Akademie der Künste der DDR vorlegt. Aber es besteht keine Chance, das Konvolut von jungen Dichtern zu veröffentlichen, nicht mal als Arbeitsheft für Germanisten, Philosophen und Gesellschaftswissenschaftler. Angeblich steckt zu viel Unmut, Missmut darin. Zu viel, das die DDR ablehnt. Die Öffentlichkeit für einen Dichter wie Rom sind Wohnzimmerlesungen im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, heimlich von der Staatssicherheit mitgeschnitten.
Er singt zudem in Dresden in einer Punkband, die sich Vierte Wurzel aus Zwitschermaschine nennt – an der Seite der Maler Cornelia Schleime und Ralf Kerbach. Die Band musiziert in Ateliers, auf Studentenfesten, unterm Dach der Kirche, durchaus nicht so schnell und simpel, wie man sich Punk vorstellt. Nach Kerbachs Weggang 1982 nach Westberlin stellt Rom zwei Ausreiseanträge. Gründet und betreibt mit Freunden das Experimentaltheater Sum, bis er im Februar 1984 freikommt.
Offiziell ist er in jenen Jahren zuerst Mitarbeiter, später Leiter des Heimatmuseums Radeburg. Nach Ansicht der Behörden nimmt er sich jedoch zu viele Freiheiten für Kunst und Musik. Deshalb muss er als Hausmeister ins Schloss Moritzburg wechseln, wird Malsaalhelfer und Kleindarsteller am Theater der Jungen Generation Dresden, arbeitet im Versand der Sächsischen Hauptbibelgesellschaft. Im Westen wohnt er zuerst in Köln, später in Frankfurt am Main. Hier und da druckt man seine Texte. 1990 zieht er nach Berlin und wird dort am 29. April 1991 bei einem Raubüberfall auf ein Hotel erschossen, als er aushilfsweise als Nachtportier sein Geld verdient. Da ist Michael Rom erst 33 Jahre alt. Sein Nachlass galt lange als verschollen.
Der ehemalige Zwitschermaschine-Schlagzeuger Wolfgang Grossmann hat jetzt an Texten und Zeichnungen zusammengetragen, was bei Freunden und in Archiven zu finden war: die frühen Gedichte und Songs, alle in konsequenter Kleinschreibung, von denen drei bei Franz Fühmann in der Mappe gelegen haben. Außerdem das Theaterstück, das 1985 bei Kiepenheuer & Witsch in der Anthologie Berührung ist nur eine Randerscheinung. Neue Literatur aus der DDR erschien. Wiedergefunden wurden Roms Malerbücher, seine Zeichnungen und der Lesungsmitschnitt eines „Lyrischen Bildes“ im Literarischen Colloqium Berlin. Es war in der Zusammenarbeit mit dem ungarn-deutschen Maler Thomas Olescher entstanden.
Bei der Besichtigung der frühen Texte wird offenkundig: Missmut trifft es nur halb.

alle lichter brennen
der freigeist geht um
bist du es… warst du es…

Da ist neben verfaulter Hoffnung viel Begierde spürbar, die große Geste, Jux und Überschwang. Da scheint nichts fertig. Da wechseln unablässig Ton und Rhythmus, Adressat und Material. Der Sänger und Schauspieler Michael Rom dürfte im Vortrag höchst begnadet gewesen sein, um solche Zeilen heil ans Publikum zu bringen.
Die Texte und lyrischen Bilder offenbaren: Die Fallhöhe selbst im frühen Gedicht ist Programm. Man kann bei Rom von einem Hunger nach Variationen sprechen. Überall Umwege, Abwege, Sprünge; Kritik an engen Verhältnissen. Rom sieht sich, Mythen folgend, als Schöpfer, was wiederum ausschweifende Doppelbilder erzeugt: Er betet den Wald an und ist auch der Wald, sagt „Sonne“ und wird eine. Dies trifft das Interesse an Zeitgeschichte. Wie kommt ein junger Mensch in einem repressiven, einem dialektisch und moralisch auserklärten Umfeld zur eigenen Stimme? Durch Abweichen und Drüberstellen, wie es schon die Romantiker geschafft haben, die Expressionisten oder die Dichter der Wiener Gruppe.

etwas ruft, etwas winkt, etwas wächst, etwas wuchert.

Rom hat seine Sprache gefunden.

Uwe Salzbrenner, Sächsische Zeitung, 21.4.2018

 

 

Uwe Stuhrberg: Der lange Weg zu Rom. Cybersax.de

Tom Mustroph: Ach du schöne Endzeit. Plattenbau CD der Woche: Zwitschermaschine lebt – mit sieben Songs und Peter Hein

Anton Launer: Punkrock in der Stasizentrale

 

Ich bin der Schlagzeuger von Zwitschermaschine

Zeidler beginnt einfach: Eins, zwei, drei, vier, auf seiner Bassgitarre holzt er Achtel, so schnell es geht. Acht Achtel auf der leeren tiefsten Saite, acht im ersten Bund. Dann wieder leer. Das macht er drei- oder viermal. Dann ZACK! springt das Schlagzeug an, Grossmann hackt sich auf genau den Achteln fest. Die ersten Köpfe im Publikum beginnen zu nicken, Conny Schleime schlägt rhythmisch mit der flachen Hand auf ihre Hüfte. Ralf Kerbach nimmt seine Gitarre und krätscht schräge, atonale Akkorde in den Bass-Schlagzeug-Teppich. Das dauert. Michael Rom tritt vor, fixiert das Mikrofon, dann schreit er:

Die Wochen kriechen dahin… die Jahre verfliegen im Wind.

Er setzt sich auch genau auf die Achtel vom Zeidler, lässt kleine Pausen, zerhackt die Verse.

Der Buhmann geht um.

Die Combo ist im Takt, Rom hält eckig mit, seine Hände zucken, er gebärdet unverständliche Gesten.

Begießen, begreifen Abzäunen, abpfählen werd ich meinen Garten… abpflöcken, lokalisieren Begrenzung.

Blickkontakt mit allen.

Das ist der Begriff.

Und PENG! ist mit dem Doppel-f das letzte Achtel verheizt, der Song bricht ab, die Musik ist weg.
Das war das Stück, mit dem 1981 eine Band ihre Auftritte begann, die erst nach ihrem Zerfall so hieß, wie manche sie heute noch kennen: Zwitschermaschine.
Die Malerin Cornelia Schleime beschreibt 2007 in Punk in der DDR – too much future1 das Entstehen und Arbeiten der Band aus Dresden ausführlich und zutreffend. Ja, die Oase waren Conny Schleime und der Maler Ralf Kerbach, dann Matthias Zeidler und optimal passend Michael Rom. Es ging um Ausdruck, Kunst, Lust. Da Schleime und Kerbach ihre Bilder nicht ausstellen konnten, das Zeigen ihrer Kunst verboten war, gingen sie andere Wege, sich erkennbar zu machen: Wort, Ton, Film, Geräusch, Musik. Sascha Anderson turnte in der Szene aktiv herum, dockte an die vier an, prägte tendenziell, nahm Einfluss, packte einiges dazu, organisierte viel, verriet alles.
Ich war seit Frühjahr 1981 der Schlagzeuger von Zwitschermaschine. Wir waren alle keine Musiker. Um Musik ging es nicht. Wichtig waren Einfachheit und Rhythmik. Drei von uns sangen, Cornelia Schleime und die Dichter Michael Rom und Sascha Anderson. Drei weitere benutzten Instrumente, Ralf Kerbach (git), der Dichter Matthias Zeidler (bg) und ich. Kerbach und Zeidler spielten uns auf den Proben von ihnen gefundene Musikstrukturen vor und entwickelten sie da auch weiter. Schleime, Rom und Anderson, die ihre eigenen Texte dabei hatten, meldeten sich dann, wenn einer zur Musik passen könnte. Das wurde ausprobiert und so entstanden relativ schnell unsere Songs. Allerdings immer Solisten mit Band. Sang jemand, hatten die beiden anderen Pause. Oder Zeit, dann bei unseren Auftritten, parallel performative Dinge zur Musik zu tun: Große Blätter mit gezeichneten Sonnen zerreißen oder Publikum, Musiker und Gegenstände im Raum mit Bindfaden verknüpfen, Leute fotografieren. Wir spielten oft in Kirchen, meist in Berlin, im August 1981 bei Volker Förster, einem Bühnenbildner aus Magdeburg, der im Dorfgasthof von Eschenbach im Vogtland ein Malertreffen mit Sommerfest gemacht hatte, im Mai 1982 an der Berliner Schauspielschule, vier Wochen später in Erfurt, wo wir Schleim-Keim kennenlernten. In Berlin trafen wir mit Rosa Extra auf einen Westberliner, genannt Dimitri Leningrad, der vor allem mit Sascha sprach, wegen Tonaufnahmen. Die machten wir dann etwas später inoffiziell im Theater der jungen Generation in Dresden und im Januar 1983 in einem kleinen privaten Tonstudio bei Dresden, dort ohne Kerbach, der im September 1982 in den Westen gegangen war. Bei beiden Sessions spielten wir alles, was wir hatten, einmal mit und einmal ohne Kerbach, statt seiner half uns beim zweiten Mal Gitarrist Lothar Fiedler. Die Band zerfiel dann, Conny Schleime meint treffend, wir haben uns atomisiert. Mit Connys Weggang hörte das Doppelherz von Zwitschermaschine ganz auf zu schlagen. Außer Matthias Zeidler folgten wir so einzeln Kerbach in den Westen, ich als letzter 1986. Wir kennen uns, haben sporadisch und zufällig Kontakt und gehen jeweils unserer eigenen Wege.
Am 20. Mai 1983 hörte ich auf NDR „Musik für junge Leute – Bericht zur Lage der Nation“ unseren Song „Alles oder nichts und noch viel mehr“ im Radio und erfuhr so vom Erscheinen der Split-LP eNDe, die durch den Aufdruck „DDR von unten – Schallplatte mit 2 Gruppen und Textbeilage“ Aufmerksamkeit erregte. Verlegt in Westberlin, bei Aggressive Rockproduktionen. Das waren Schleim-Keim alias Sau-Kerle und wir. Nur dort und seitdem hießen wir Vierte Wurzel aus Zwitschermaschine, inspiriert vom Maler Paul Klee. Jedoch hört man auf der West-Platte fast nur Sascha mit Combo; das gezählt überwiegende Restmaterial der anderen beiden Sänger fehlt auffällig. Rosa Extra sollte bei dem Projekt auch dabei sein, sie machten ebenfalls ihre Aufnahmen bei Dresden, wurden dann aber von der Stasi bedroht und erpresst und gaben ihr Originalband beim Spitzeldienst ab. Es findet sich heute in der Stasi-Unterlagen-Behörde in Berlin.
Musik von Zwitschermaschine gibt’s nur auf der bekannten Platte. Irgendwelche weiteren Tondokumente sind nicht zugänglich. Die anderen Studio-Aufnahmen sind zwischen Ost und West gesunken oder wurden weggebunkert. Es gab noch eine Tonband-Kassette, die unseren Auftritt in der Schauspielschule dokumentiert, die hat mir Sascha allerdings direkt nach der Show penetrant abgeschwatzt, ich gab sie ihm also, jetzt hat er sie und rückt sie nicht raus. Nicht geschenkt.
Angeregt durch das Herausgeben von Michael Roms Buch will nicht zu den großohrigen elefanten,2 in dem sich die Rohlinge der Texte Roms (der 1991 bei einem Raubüberfall ermordet worden war) finden, aktivierte ich, als Der Schlagzeuger von Zwitschermaschine, meine Erinnerungen 2020 und versammelte Musiker, die ebenfalls die Rom-Songs als Cover-Band wiederbeleben wollten. So wurde Altmaterial aus dem Kopf rekonstruiert und neue Tanzmusik hergestellt, die mit Michael Roms nicht entgrateter Dichtung Punk, Freestyle und Expressionismus annektiert. Deswegen gibt es jetzt eine weitere Schallplatte: ROM.3

Wolfgang Grossmann, aus Alexander Pehlemann, Ronald Galenza und Robert Miessner (Hrsg.): MAGNETIZDAT DDR. Magnetbanduntergrund Ost 1979–1990, Verbrecher Verlag, 2023

Ausschnitte aus „ich fühle mich in grenzen wohl“ –

Lyrik aus Berlin-Ost

am 12.3.1987 im LCB

Lesung: Sascha Anderson, Andreas Röhler und Michael Rom
Moderation: Ernest Wichner

 

Crowdfunding für Michael Rom: will nicht zu den großohrigen elefanten

 

Michael Grossmann rezitiert Gedichte von Michael Rom in einem Berliner Treppenhaus und spricht über ihn.

 

Der Schlagzeuger von Zwitschermaschine: Buhmann. Musik und Text von Ralf Kerbach und dem Dichter Michael Rom. Rekonstruierte Erinnerung an Songs von Zwitschermaschine von 1980

 

 

Fakten und Vermutungen zum HerausgeberFacebook

 

Zum 65. Geburtstag des Autors:

Der Mann, der mit 33 Jahren starb
Sächsische Zeitung, 9.12.2022

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