MEIN INVENTAR
1
Der Tisch und sein Fach
ein Hohlraum ausgegähnt leer
in den ich schreibe
2
Der Stuhl ausgesetzt
Rückenlehne schwingt gekrümmt
Rücken krumm gelehnt
3
Der Schrank deckt meinen
Irrtum makuliert bleibt das
Wort ohne Botschaft
4
Das Regal hält mein
Gedächtnis fest in Ordnern
Zeitung ausgesiebt
5
Der Sesselbezug
NeoBarock rollt Kopf über
hört Stimmengewirr
6
Der Ofen verkohlt
unterm Gußeisenmantel
jede Kanone
7
Der Eimer sammelt
was abfällt Winters Asche
Sommers Kirschkerne
8
Der Besen kehrt sich
einen Dreck um mein Gefühl
liegt auf der Schaufel
9
Das Radio verschweigt
die Sender schlecht aufgeklärt
Kosumgut verdummt
10
Die Lampe pendelt
im Wind ein dünner Faden
an dem das Licht hängt
11
Der Kocher versteht
sein Handwerk am besten doch
auch nur mit Wasser
12
Die Tasse teebraun
grundloser Durstblick süchtig
liest im Bodensatz
13
Die Spitzmaschine
festgekrallt am Tisch leise
knirrscht der Bleistiftzahn
14
Das Papier ahnt längst
wie schnell so ein Weiß vergilbt
bevor es schwarz wird
15
Der Leimtopf kittet
was sonst nicht zu halten ist
Wort und VERSprechen
16
I Die Schreibmaschine
continentales Erbstück
tolles Fahrgestell
II Erikas Reisetyp
dagegen ein flachbrüstig
hüstelndes Fräulein
17
Der Duden Konrads
schwatzhafte Schatzgrube gräbt
und fällt selbst hinein
18
Die Plakate bunt
verkleben die Wände ganz
von innen den Kopf
19
Das Fenster blickt durch
Bilder grenzen ein und aus
Augen verblendet
20
Die Tür schief in den
Angeln ohne Haken heißt
kein Wort wird beißen
21
Vier schräge Wände
unterm Flachdach und keine
kommt mir spanisch vor
22
Das Ich-Inventar
selbst das als Teil der Möbel
Strich im Vexierbild
führt in langen erzählenden Gedichten von 1995 rückwärts in die Geschichte bis 1977. Die Texte sind vom deutschen Dilemma geprägt, vom Abbau aller Lösungen, von der Wende, von alten und neuen Hoffnungen.
Michael Wüstefelds Erinnern zielt vom Heute ins Gestern: für jedes Jahr hat er ein kurzes Gedicht hinzugestellt, so daß eine lebendige und kritische Montage der Deutschen Anatomie entsteht.
tende, Klappentext, 1996
MICHAEL WÜSTEFELD
DU UND DEINE GESUNDHEIT
Die Wälder werden gerodet
Keiner soll sich verlaufen
die Wölfe werden entzahnt
niemand soll sie fürchten
die Großmütter werden abgefüllt
Niemand soll sich unwohl fühlen
Peter Wawerzinek
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