DAS SPIELEN MIT WÖRTERN
Was ist älter – die Sprache
aaaaaoder das Spiel, das sie begründet?
Was machen in der Sprache Veränderungen
aaaaadie sich „die Zeiten“ nennen?
Hat das Spiel ein eigenes Wesen
aaaaaoder ist es dem Geist nur Entdeckung gewesen
in Gestalt des niemand gehörigen Lachens
aaaaaDas Spiel hat sich gelöst von der Stelle
an der das Scherzen haust
aaaaaEs setzt den Geist in Bewegung
um nichts dem Menschen zu versprechen.
Das Wort ist älter als Träume
aaaaaund verhindert daß man heimlich übersteigt
die strengen Gesetze und der Übel Räume.
aaaaaUnter seinem Schutz versteht man die Wahrheit.
In ihm kann die Gestalt des göttlichen Alten
aaaaasich aufrichten und der Mensch sich nicht erniedrigen.
Das Wort ist wohl als erstes entstanden
aaaaaoder ist unter den ersten erschienen
und deshalb nie allein gelbieben.
Gestalt und Gestalt kreuzen sich
aaaaaauch der Sinn bleibt nicht allein.
Es gibt kein Eins-Sein wenn man anfängt zu schaffen.
aaaaaDie Spielregeln liegen in Händen
des Großen Schaffens
aaaaawenn Raum und Raum
und Zeit und Zeit sich verbinden.
aaaaaDas Bewußtsein macht halt vor dem Abglanz
und steht als Abbild ohne Angst.
aaaaaJeder nimmt in die Hände
den Anteil seines Spiels.
aaaaaIst das nicht Unsterblichkeit und Ende?
Doch.
aaaaaWarum gewinnt dann im Land
das Spielen immer mehr die Oberhand?
trifft schnell auf das, was ihm entgegensteht: „alles deutet darauf hin / der Mensch ist eine Intrige, die zur Vertreibung führt / nicht aber zur Lösung.“ Dennoch bleibt dem Menschen auch die Sehnsucht nach dem „glücklichen Schreiten“ in den Paradiesgärten, treibt ihn an und um, und führt ihn zum nächsten Irrtum.
Nüchtern, skeptisch und mit poetischer Zauberkraft widerspiegeln Pavlovićs Paradiesische Sprüche dieses menschlich-universelle Zerwürfnis, fragen nach dem Woher und Wohin jedes Einzelnen wie auch der Menschheit. Bild- und wortgewaltig wird von den Verwüstungen durch Krieg und Natur erzählt – und wie sich im Untergang auch die Vision neu offenbart. Etwa beim „irregelaufenen“ Brand im Kloster Hilandar (Berg Athos 2004), wenn Pavlović angesichts der Ohnmacht gegenüber der Zerstörung des Heiligtums schlicht bemerkt: „im Unfasslichen ist jeder Mönch / er selbst geworden“.
Mit diesen während der letzten zehn Jahre entstandenen philosophischen Parabeln und Gedichten vereint Miodrag Pavlović die Essenz seines Denkens und Dichtens zu einer großen Gesamtschau, ganz profan und transzendent zugleich.
Edition Korrespondenzen, Ankündigung
„Wer ist eigentlich stärker“, fragt Miodrag Pavlović einmal, „der Dämon, der uns beschmutzt / oder Gott, der uns wäscht?“ Der 1928 in Novi Sad geborene serbische Lyriker und Prosaautor hat von jeher eine Vorliebe für alle Verwandlungen des Paradiesischen. Für den Dichter Oskar Pastior betrug der Abstand zwischen Himmel und Hölle gerade drei Gramm. Bei Miodrag Pavlović dürfte es noch weniger sein. So nah kommen sich die beiden Sphären bisweilen, dass nur eine poetische Volte den Gedanken erträglich macht:
Gräben sind
Vordächer, umgestülpte
damit uns
das unterirdische Wasser
nicht auf den Kopf fällt
damit die untere Sonne
nicht allzu hoch steht
während wir mit den Füssen
in bleigrauen Gewölben schaffen
sehen wir unter uns Vögel
und ernten
was jemand über uns
sät.
Mythos und Geschichte
In Pavlovićs Texten geht es stets ums Ganze. Wie nur wenige Dichter versteht er es, die alten Erzählungen aus Mythos und Geschichte mit den Erfahrungen der Moderne zu verschmelzen. In seiner Cosmologia profanata aus dem Jahr 1990 (dt. 2003) entwirft er eine poetische Kosmologie, die sich weniger an christlichen Vorstellungen als an der alten naturphilosophischen Lehre von den Elementen ausrichtet. Doch er beschränkt sich nicht auf Ideen. Seine Schöpfungsgeschichte aus Feuer, Wasser, Luft und Erde verknüpft er mit der Suche nach einer neuen Sprache. Und findet eine Sagweise, die sich auf das Elementare konzentriert. Das Ei mit seinen an Himmel und Erde gemahnenden Rundungen, der Seestern im Wasser, „leuchtend und mehrdeutig“, nicht zuletzt der Mensch als ein „zweitrangiger Schöpfer / von Geschöpfen“ – stets sind es kleine Lebewesen in vollendeter oder noch versteckter Gestalt, durch welche Pavlović die ihm eigene Formkraft erprobt. So karg sind die Verse wie die archaische Welt der Schöpfung, von der sie sprechen, weit entfernt von jeglichem Pathos und voll versteckter Ironie.
Auch in seinem neuen Buch, das Gedichte aus den letzten zwölf Jahren versammelt, fragt der 1928 geborene Pavlović schon früh nach der Sprache: „Was ist älter – die Sprache / oder das Spiel, das sie begründet?“ Damit ist nicht nur unser alltägliches Sprechen gemeint, die Suche nach der Sprache ist zugleich die Suche nach dem menschlichen Ursprung:
Das Wort ist wohl als erstes entstanden
oder ist unter den ersten erschienen
und deshalb nie allein geblieben.
Gestalt und Gestalt kreuzen sich
auch der Sinn bleibt nicht allein.
Es gibt kein Eins-Sein, wenn man anfängt zu schaffen.
Pavlović deutet die Entwicklung der Sprache als Verfallsgeschichte, weg von dem einen göttlichen Wort, hin zu den vielen Redeweisen, die nur noch der Mitteilung dienen.
Vielleicht, heisst es in einem anderen Gedicht, begann die Vertreibung ja schon im Paradies selbst. Seither lebt der Mensch in der Finsternis, fragt, zögert, und „atmet – in demselben Raum / wie die Schlange, die er verabscheut“. Aber es ergibt keinen Sinn, der verlorenen Idylle nachzuweinen. Miodrag Pavlovićs Verse sprechen vielmehr davon, sich in der entzauberten Welt einzurichten. Sein Bekenntnis zu einem profanen Bewusstsein gleicht einer Rückkehr zu sich selbst: „Du bist dein eigener Führer, sagt mir jemand durch den Bart, und das bedeutet, dass dich alles überraschen kann.“
Kaleidoskop von Bedeutungen
Den Traum von einer Annäherung ans paradiesische Wort gibt Pavlović dennoch nicht auf. Immer wieder umkreist er die Idee einer Sprache, die sich dem vorschnellen Sinn entzieht, die vieldeutig ist und „erfüllt von einer Menge / Geschmäcker, Düfte und Farben“. Eine solche Sagweise, ein solcher „Klang, der unter dem Gaumen summt“, gelingt ihm in einigen Prosagedichten, die er zu kleinen Zyklen gruppiert hat. Hier durchstreift der Schreibende eine Bibliothek in Venedig oder weilt zu einem Besuch auf der Osterinsel, selbst ins Kloster wird er einmal aufgenommen. Das Moralisierend-Didaktische, das man für gewöhnlich mit Sinnsprüchen verbindet, fehlt diesen Gedichten glücklicherweise völlig. Es sind Stücke, deren Sprache sehr körperlich ist und die dem Leser zugleich ein Kaleidoskop an Bedeutungsmöglichkeiten und Verweisen anbieten. So finden sich auch wieder Verse, die als Gleichnisse auf die Kriegswirren in Jugoslawien lesbar sind.
Miodrag Pavlović gibt in seinen Gedichten keine Antworten. Bisweilen ist es fast anrührend, den Suchbewegungen der Verse zu folgen. Hier spricht jemand, der genau um die Schlagseiten der Zivilisation weiss, der die Geschichte studiert und ihre Erzählungen erprobt hat. Und der sich trotzdem nicht vor verschlossenen Toren glaubt, auch wenn manchmal nur jene winzige Öffnung bleibt, die Pavlović in einem frühen Gedicht besingt:
Aber dort am Ende des Saals, sieh doch,
öffnet sich ein Türchen vor dem Mauseloch
und ein kleines Licht und ein kleines Geschöpf
wollen mit aller Kraft vordringen zu uns!
Es komme dieser kleinste Erlöser,
diese Maus am Horizont –
unsere grosse Hoffnung!
− Miodrag Pavlović als lyrischer Traumpförtner. –
Träume werden in Miodrag Pavlovićs neuen Gedichten nicht nur erzählt, sie sind auch Handelnde, werden zu Personen. Bilder, Versatzstücke der Wirklichkeit sind hier die Vorsteher der Traumwelt. In surrealer Beschwingtheit dreht sich immer wieder alles um eine Tiefe, in der „Sterne oder Frauen“ erscheinen und der Tag der Auferstehung als jener beschrieben wird, an dem man schlicht versorgt sein wird. Diese geistigen Räume hat Pavlović immer schon integriert, doch jetzt münden sie nicht nur im Gedicht, sondern auch in dem hier vorliegenden Band in philosophisch-dichterischen Parabeln, die der 1928 in Novi Sad geborene serbische Lyriker Paradiesische Sprüche genannt hat.
Denken und Dichten gehen eine oszillierende Synthese ein, die, und das macht den Zauber dieser Texte aus, gleichermaßen profan wie transzendent ist. Stellenweise irritiert sie, hebelt die Perspektiven der Wahrnehmung aus, nicht selten werden die Wurzeln von Kirchen und Bäumen „im Staub des Himmels“ geschlagen. Diese Texte sind melancholischer als frühere, ein leichter Nebelmantel des Abschieds scheint sie zu umspannen.
„Was ist älter – die Sprache / oder das Spiel, das sie begründet?“ Diese in dem Gedicht „Das Spielen mit Wörtern“ gestellte Frage wird in vielfachen Umkreisungen immer wieder gestellt. Lyrische Logik: „Das Wort ist älter als Träume.“ Solche Kraft attestiert Pavlović ihm, und man möchte zurückfragen, ob Worte nicht auch Träume sind und Träume nur Wörter – so verspielt und aus den Angeln gehoben ist diese Sprachwirklichkeit. Sie verführt zum Denken, verschenkt Bilder und öffnet Räume. Die Zärtlichkeit, mit der das Wort und die Wortwelt inspiziert werden, vermittelt eine wesenhafte Beziehung: „Das Wort ist wohl als erstes entstanden / oder ist unter den ersten erschienen / und deshalb nie allein geblieben.“
Die Leichtigkeit, mit der die großen Themen wie Tod, Liebe, Seele oder Gott hier behandelt werden, sollte nicht über die Ernsthaftigkeit hinwegtäuschen. Die Tiefe, aus der diese Sprache nach oben strömt, ist gerade durch die luftige Verführung durch Witz und Spiel immer gegeben. Obwohl die Texte sehr oft erzählerisch sind, heben sie zum Gesang an. Jeder Prophet sei anfangs redlich, später leugne er alles. Pavlović ist zum Glück kein Prophet und sich treu geblieben. „An dem, was wir tun, sieht man, was wir sind.“ Er hat das Paradies, in einer bis ins Klangliche präzise sinnlichen Übersetzung Peter Urbans, für uns umgepflügt und dabei zum Glück keine „zeitweiligen Wörter“ benutzt.
Miodrag Pavlović beim Vilenica International Literary Festival 2010, Ljubljana, 23.9.2010.
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