DAS VERHÖR
ekstase ? champagner ? nackte mimosen ?
ein engel hat uns verführt ?
da gab’s weder betten noch hosen.
jetzt wird der mond registriert.
ein bahnhof gleicht irgendwie einem gericht.
der metzger wetzt seine messer mit eifer
– aber heut darf er’s nicht.
heute kommt Johannes der täufer.
kein hafen war da ! keine parole !
wird das urteil heute vollstreckt ?
ich lauf euch nicht weg wie ein wilder mongole
den das monstrum seife erschreckt.
und keine träume !… nur gegenüber
tauschen die narren ihre geigen für blumenkohl ein
und die andern für verzuckerte nasenstüber,
ein grauer narr, grüner narr – narren : herein !
welche ekstase ? was für ein blinder halunke
liest auf meiner zunge den brief vom verbot ?
eben noch war ich im feuer ein funke,
dann glaubt’ ich zu sterben und bin plötzlich tot.
– Zu Lyrik und Poetik Mircea Dinescus. –
„An jenem Tage lasen wir nicht weiter“, sagt Francesca, die ihre mit Paolo bei der Lektüre des Lanzelot-Romans entdeckte und sogleich vollzogene Liebe mit dem Tod bezahlte, zum Jenseitswanderer Dante, der auf diese Worte sympathetisch reagiert:
Und ich sank hin, gleichwie ein Toter hinsinkt.
Daß das Wort verwandelnd wirke wie der ins Meer gegossene Becher Weines, der im Gedicht Paul Valérys die Wogen tanzen läßt, ist der Traum jedes, daß das Wort Tat werde, daß seine Hörer aufspringen wie die Emmaus-Jünger in den Bildern Caravaggios, der Traum des engagierten Schriftstellers.
Die Geschichte der Weltliteratur bordet nicht über von Beispielen solcher Traumerfüllung. Gewiß, nur wenige leugnen, daß die französischen Aufklärer die Revolution herbeischrieben, indem sie die herrschenden Verhältnisse als ungerecht entlarvten, kühn über sie hinausdachten – gefordert, erwartet, erlebt haben Diderot, Rousseau, Voltaire die Revolution nicht.
Gewiß, über Frankreich warfen die Flugzeuge der Alliierten während des Zweiten Weltkriegs neben Gewehren auch Gedichte von Aragon, Eluard, Emmanuel ab: Literatur als Waffe. Charles de Gaulle rühmte den literarischen Widerstand als einen der beiden Dämme, die das Überschwappen der nazistischen Flut auf Frankreich verhindert haben; und er schloß seine Rede mit der Formel:
Keine Blumen, keine Kränze. Danke.
Gesagt ist damit: Die Zeit der Einmischung der Literaten endet mit dem Ausnahmezustand. Die Verhaftung des Oppositionellen Jean-Paul Sartre während des Algerienkriegs soll de Gaulle mit dem Ausspruch vereitelt haben:
Man steckt Voltaire nicht ins Kittchen.
Respekt vor einer öffentlichen Institution, gewiß, aber Respekt, der auf der Sicherheit gründet, der engagierte Autor kämpfe letztlich gegen Windmühlenflügel.
Die Frage nach der Geschichtsmächtigkeit von Literatur, nach ihrem direkten Einfluß auf die Realität, ließe sich auch durch die Heranziehung anderer historischer Beispiele kaum adäquat beantworten. Ihre Wirkung auf Bewußtsein und Handlungsmotivation der Leser – mit welcher Elle wollte man sie messen? Ihr Wert wird eher ex negative bestimmbar, an der Allergie der Tyrannen gegen die Wörter, wie Mircea Dinescu sagt, von dem hier die Rede sein soll. Die Allergie der Tyrannen gegen die Wörter verlangt wirksame, für alle Längen- und Breitengrade gleich gut geeignete Maßnahmen: Bücherverbrennung, Schreibverbot, Hausarrest, Ausweisung, Gefängnis, Mord.
Wenn es den Tyrannen gelungen ist, ihren Weisen die Zungen abzuschneiden – so sind sie doch an der Erfindung von Gefängnissen für die Wörter gescheitert. Es hat Autoren gegeben, die in den Kellern verfault sind, ihre Wörter aber gingen frei auf den Straßen umher und mischten sich in den Wirtshäusern unter die Menschen.
Die unblutigen Revolutionen des Jahres 1989 in Osteuropa belegen, daß das Wort Tat werden kann, daß seine Leser und Hörer seine Bedeutung nicht nur durch kurzlebige symbolische Gesten würdigen. Gerade dem Hausarrest entkommen, wurde Mircea Dinescu ausgewählt, den Rumänen den Sieg der Revolution öffentlich zu verkünden; Vaclav Havel zog aus der Gefängniszelle in den Hradschin. Ironisch hat Dinescu darauf hingewiesen, daß – hätte er das ihm angetragene Amt des Staatspräsidenten nicht ausgeschlagen – jetzt in den einstigen Satellitenstaaten die literarischen Gattungen an der Macht wären: das Drama mit Havel in der CSFR, der Essay mit Göncz in Ungarn, die Literaturkritik in Bulgarien, die Lyrik in Rumänien.
Die Tyrannen selbst haben die Literaten als ihre Nachfolger aufgebaut, weil sie sie zu den wichtigsten Staatsfeinden erklärten, ihre Werke als umstürzlerisch verboten. Woher rührt die Allergie der Tyrannen gegen die Wörter?
Totalitäre Systeme haben die Tendenz, sich selbst als den Anfang sinnvoller Geschichte zu setzen. Mit ihnen erst beginnt die Epoche der Rationalität, die das Land wie ein wohlgeformtes Gitternetz überziehen soll. Gradliniges Denken verbreitet die Propaganda: Fortschritt, Erfolg, Gesundheit. Der Geheimdienst wacht darüber, daß niemand zu weit hinter der Fahne des befohlenen Optimismus zurückbleibt oder über den Rand der Zeitung hinaussieht oder äußert, hinter den Scheuklappen könne Welt sein.
Das verordnete Bild von der Welt und der verordnete Blick auf die Welt treiben Wahrnehmung in die Sackgase. Wo wieder und wieder skandierte Parolen Wirklichkeit zu verdecken suchen, wo das kleine Einmaleins als Schlüssel für alle Welträtsel taugen soll, erwächst unweigerlich Bedarf nach Vieldeutigkeit, Facettenreichtum. Decken kann man diesen Bedarf am ehesten in der Literatur, am besten – so die übereinstimmende Erfahrung finsterer Zeiten – in der Lyrik. Gedichte bedürfen keiner Bühne keines verlegerischen Apparats, sie sind schnell memoriert, abgeschrieben, verbreitet. Sie sprengen den Automatismus der propagandistischen Sprache auf, gehen an die Grenze von Grammatik und Syntax, stellen Worte sperrig in den Raum, gewinnen aus Alltagsdingen Chiffren, schaffen Beziehungen zwischen Entlegenem, laden zum Träumen ein.
Das Vorurteil, engagierte Literatur habe direkt handlungsanweisenden Charakter, biete vorgefertigte Modelle und Lösungen an, die getreulich übernommen werden sollen, wird von Dinescus Lyrik andauernd widerlegt. Ihr geht es darum, Bewußtsein zu wecken und wachzuhalten, die Voraussetzung für den freien Blick auf die Realität zu schaffen. Was er deshalb anbietet, ist die Abfolge von Perspektiven auf die Welt, die ihm als verkehrte Welt erscheint. In ihr ist alles aus den Fugen. Alle Erfahrungen, Systeme, Sicherheiten wirken außer Kraft gesetzt: Ziegen knabbern Straßenbahnen wie Möhren, die Turmuhr trägt Monokel und Frack, alte Kathedralen produzieren Schrauben, auf einem Feld mit elektrischem Roggen singt der Bauer wie ein Schwan, auf den Zungen blühen Schwielen.
Das Bild der verkehrten Welt hat in der Lyrik Mircea Dinescus zumindest zwei Aufgaben zu erfüllen. Es ist – Ironie des Schicksals – zum einen getreues Abbild der Realität wie im Gedicht „Interview“:
Bei uns ist der Kirchhof an die Landwirtschaft verscheuert worden
das Schwein mampft das in der Krippe vergessene Kind
(sowieso haben sie beide dem Staat gehört)
im allgemeinen ist es gut bei uns auf dem Land
unsre Kleinen stehen mit den Kannen vorm Fernseher
vielleicht gibt’s da irgendwann Milch
im Radio sind wir mit der Ernte schon seit langem fertig
und auch auf dem Feld sind wir bald schon soweit
im allgemeinen ist es gut bei uns auf dem Land (…)
Das Bild der verkehrten Welt, Großmetapher aller Utopien seit dem Alten Testament, das den Löwen und das Lamm einträchtig nebeneinanderlegte, das das Große klein und das Krumme gleich und schlicht machen wollte, stellt die existierende Realität radikal in Frage, entwirft ein wünschenswertes Gegenbild:
und in der zeitung des winds
steht die Nachricht vom streik der kiwivögel
vom aufstand der kakaobäume.
Dinescu stellt Abbild und Gegenbild absichtlich nebeneinander, läßt sie manchmal zusammenfließen. Der Abstand der wirklichen Welt von der verkehrten Welt und die Nähe der verkehrten Welt zur wirklichen Welt – beide erzeugen Ungenügen am gegenwärtigen Zustand, fordern als gewünschte Reaktion die Aktion des Lesers heraus.
Totalitäre Systeme dulden in Zeitläuften, die ihnen normal erscheinen, selbst abstrakte Kunst nicht, da sie – trotz aller Abgehobenheit von der aktuellen Situation – dieser ein „Man kann die Dinge auch anders sehen, es könnte alles auch anders sein“ entgegenhält und sich so der Einsträngigkeit des vorgeschriebenen Sehens entzieht. In Bedrängnis geraten, wenn konkrete andere Perspektiven auftauchen, erinnern sich diese Regime aber auch daran, daß Literatur, so sie nur weit genug Abstand zur Realität hält, auch als Opium fürs Volk taugt, daß l’art pour l’art das System zu stabilisieren vermag, da es ihm bewußt äußerlich bleibt, eine eigenständige, weltunabhängige Region zu sein behauptet.
Die rumänische Kulturpolitik – Dinescu hat dieses Faktum ironisch aufgespießt – ging in den achtziger Jahren dazu über, nicht mehr den seither propagierten Proletkult zu fördern, sondern die sogenannte ,absolute Poesie‘. Der zupackende Proletarier mit den angespannten Muskeln, der exzellenten Arbeitsleistung und den kleinen privaten Problemen, die von der Brigade oder vom Sekretär der Partei gelöst werden, dieser Proletarier, der – kaum vom Trampelpfad der Normalität abgewichen – gleich wieder auf den Trampelpfad zurückfindet, wurde nun als eine Figur erkannt, die immer noch zu viele Identifikationsangebote für mögliche eigene Schwierigkeiten der Leser bot. Finanziell unterstützt wurde deshalb die ,absolute Poesie‘, die Meditation über Wolken und Azur, Sterne und Mond, die Evasion in den Bereich von Träumen, die nicht mehr zum Vergleich mit der Wirklichkeit einladen sollten.
Sartre hatte schon in den vierziger Jahren unmißverständlich darauf hingewiesen, daß die Wahl, über die Situation der Juden im Naziregime oder über Schmetterlinge zu schreiben, eine Moral offenbare. Dinescu hat sich nie in den Flug der Schmetterlinge geträumt. „Weil der traum nichts ist als das natürliche kind der realität“ – wie er sagt – verarbeiten seine Träume Tagesreste, enthalten seine individuellen Phantasien immer auch große Teile der Probleme aller, die von der gleichen lastenden Realität bedrückt sind wie er.
Es bietet sich an, zum besseren Verständnis noch einmal auf Sartre zu verweisen, der feststellte, daß in Extremsituationen die Gesellschaft dem Autor seine Themen geradezu auferlegt, daß sie literarische Werke wie Leitartikel liest: politisch. Sie verlangt danach, mit dem konfrontiert zu werden, was aus der offiziellen Optik ausgeblendet ist, sie will die Darstellung von Existenz in ihrer ganzen Bandbreite.
Wo gleichgerichtete Flimmertierchen, die mechanisch auf pawlowsche Reflexe reagieren, als gesellschaftliches Ideal gelten, ist ein Ich, das seinen Traumata und seinen Träumen Worte leiht, ein Skandalon. Dinescu spricht von glücklichen und unglücklichen Momenten der Liebe, von Krankheit, von dem Krebsverdacht, den man ihm einredete, von der Armseligkeit der Welt und vom schweigenden Gott:
KUNSTAUSSTELLUNG IM HERBST
imagination kostet nichts
das weiß am besten gott der maler
im september
wenn er von der feuchtigkeit der armen profitiert
und eine impressionistische ausstellung an der schimmelnden wand eröffnet
(kleine rahmenlose flecke, überbordende mauernässe, die Manet erregend fand)
von der weder der pope
noch der zeremoniensüchtige bürgermeister
eine ahnung haben
sonst, gewiß doch, hätte man ein band zerschnitten
man hätte reden geschwungen
der champagner hätte geperlt
und die kritik hätte ihren rosa knochen abgenagt
hier an der wand des armen
wo gottes rheumatische hand
ihre schöpfung vollendet
Der individuelle Blick öffnet den andern die Augen für aller Alltäglichkeit und er ironisiert zugleich die blinden Institutionen der Gesellschaft dafür, daß sie nicht auch noch aus dem Menetekel der schimmelnden Wand Profit ziehen.
Dinescus Bilder der verkehrten Welt bleiben nie unverbindlich allgemein, sie hängen wie Kletten am Gewand der Macht. Wo die Herrschaft des Menschen über den Menschen tagtäglich bis zur physischen Vernichtung ausgeübt wird, ist auch die Natur hemmungsloser Zerstörung preisgegeben, muß das geometrische Zwangskonzept gewaltsam durchgesetzt werden. Kritik an der Denaturierung der Umwelt – in westlicher Lyrik stets der Gefahr ausgesetzt, sich abgeschmacktem Blut und Boden – oder anheimelnd gemütlichem Kitsch anzunähern –, ist bei Dinescu direkt politisch, da die Märchengestalten des verrückten Königs und des Narren als Figuren des Tyrannen leicht zu entschlüsseln sind:
– erinnere dich an jene absurde schachpartie
in der der verrückte könig zuerst die pferde opferte
dann die dörfer verlegte
– mit der pflugschar übt der könig an uns chirurgie
das eisen überzeugt uns knochenweis
– die letzten dörfer und sanften gefühle
treibt der narr mit dem stock zum prozeß
Nicht alle Bilder können so einfach verständlich sein, aber ihre furchtlose Offenheit lädt dazu ein, auch jene Verse auf mögliche Fußangeln zu untersuchen, die sich weniger direkt auf die Realität zu beziehen scheinen.
Nur bis zu einem gewissen Grad akzeptiert Dinescu Sartres Diktum:
Bananen schmecken besser, wenn man sie direkt nach dem Pflücken ißt. Auch Werke des Geistes sind zum alsbaldigen Verbrauch bestimmt.
Dinescu legt Wert auf eine längere Halbwertzeit, auf ein späteres Verfallsdatum. Seine Gedichte sind nicht datiert wie diejenigen der französischen Résistanceautoren. Es geht ihm nicht um die gleichsam journalistische Notation von aktuellen Mängeln, von einzelnen Verletzungen der Menschenrechte. Auch allzu leichte Verständlichkeit ist nicht sein Ziel. Zum einen galt es lange Jahre, die Zensur poetisch hinters Licht zu führen, zum anderen birgt der Versuch der Vulgarisierung immer die Gefahr der Unterschätzung des Gegenübers in sich. Dinescu greift deshalb nicht – wie dies in vergleichbar dunklen Zeiten üblich war –, auf einfachste bekannte Formen wie Litanei oder Gebet zurück, er beschränkt sich nicht auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Zwar bedient er sich des vertrauten Märchen- und Legendenschatzes, der Schulautoren, aber er greift auch weit darüber hinaus, bringt Homer und Rimbaud, Hölderlin und Borges, Shakespeare und Bulgakow neben vielen anderen ins Spiel, um Raum für realitätsnahe Träume und historische Assoziationen zu schaffen, die das Sosein der Welt wieder und wieder als ein verkehrtes erweisen.
Im Kontext des verordneten Staatsatheismus und der willigen Kollaboration vieler kirchlicher Würdenträger mit den Mächtigen – der Priester trägt den Rekorder unter der Soutane, der Pfarrer spielt mit dem Milizmann Tricktrack – sind die Gedichte Dinescus auch Gedichte über die Theodizee, die Möglichkeit der Existenz Gottes angesichts der mit Händen zu greifenden Negativität seiner Schöpfung:
– ach närrisches, vierbeiniges jahrhundert,
die götter sind erstickt im kohlenmonoxyd.
ich will sie sehn, vergessen und verwundet,
ich will sie sehn, auch wenn man sie nicht sieht.
– dem herrgott stehl ich seine polstermöbel,
wenn es im himmel schon nach abfall stinkt
– (he, gott der armen poeten, wo
zum teufel lungerst du rum)
– wie auf dem jahrmarkt ziehst du
lieber gott
unsere gräber aus dem ärmel
– der liebe gott hatte sich den hut über die ohren gezogen
statt eines heiligenscheins besaß er einen teekessel unter druck
– mit „herr bär“ mußten wir ihn anreden
damit er uns mitten in den großen schlachten
antworten konnte: „ich halte winterschlaf“.
Wer Gott in die verkehrte Welt rückt, wer an ihm zweifelt oder zu verzweifeln scheint der muß auch seine eigene Rolle als Neuschöpfer der Welt in Worten in Frage stellen. Viele Gedichte Mircea Dinescus sind poetologische Gedichte, in denen die Skepsis gegenüber dem eigenen Tun, die Angst vor der eigenen Ohnmacht und Folgenlosigkeit das Übergewicht besitzen:
– drollige naivität
der gedanke, die poesie könne die weit verbessern
– Unterdessen beschreibt der Poet das Papier
und Herodes mordet inzwischen
Als lächerlich, verächtlich qualifiziert er mitunter literarisches Tun, die Leser als die taubsten Säugetiere. Aber
Frau Tinte fließ zurück in den Strom
werde Wald Frau Papier
ist nicht sein Fazit.
Zorn erfaßt ihn, wenn er an jene denkt, die Literatur zur Lüge prostituieren, der Macht nach dem Mund dichten:
die holden sänger singen beim rapport
und nicken mit dem löffel immerfort
In vielen verschiedenen Bildern geißelt er die Dichter mit der offenen Hand, die das Häßliche schönreimen:
– verratne jugend, keiner kommt vorbei
als spezialisten in wortklauberei
– an einem hohen tisch
schälen die wörter die wirklichkeit und essen nur
ihren süßlichen kern
– unter ihren zungen schwitzen die modernen
vollzugsanstalten
– jene die in die trompeten des nichts blasen
verbrauchen die luft meines aufschreis
Literatur als Aufschrei, als Protest gegen die Verkäufer eingefärbter Modebrillen, muß nicht folgenlos verhallen:
zwischen dem dröhnen der optimismusfabriken
und der theorie der gefährlichen unverbindlichkeit
streckt eine hand zum gedichtbuch aus
rasiert euch billig
verzehrt in der pause seinen eßbaren einband
streut ein paar seiten auf dem rübenfeld aus
bis die wurzeln erröten
Will Literatur die Möglichkeit, zur Bewußtwerdung beizutragen, wahrnehmen, muß sie den Pakt mit der Wirklichkeit schließen:
Lange Zeit glaubte ich, die Poesie schlafe
unterm Flügel des Storchs, ich glaubte
ich müsse graben nach ihr in den Wäldern
doch wie ein Prophet, den das Gluckern der Sonden
aus der Wüste vertreibt, schließe ich jetzt
den Pakt mit der Wirklichkeit
und bekenn meine Fehler:
Mit einer Spitzhacke brech ich die Wand auf
und laß euch hineinschaun.
Man muß Mircea Dinescus selbstkritische Skepsis gegenüber den Möglichkeiten der Literatur nicht teilen.
drollige naivität
der gedanke, die poesie könne die weit verbessern.
als fände ein tiger
dem du ein stück zucker in den käfig wirfst
plötzlich gefallen an shakespeare.
Gewiß, der Tiger war durch Poesie nicht zu sänftigen. Aber wer sich an Ceaușescus hilfloses Entsetzen erinnert, als ihm bei seinem letzten öffentlichen Auftritt nicht Beifall, Hochrufe, Parolen entgegenschallten, sondern andere Wörter, wer dieses augenfällige Beispiel von Tyrannenallergie gegen Wörter gesehen hat, der wird die Rolle der Literatur nicht allzu geringschätzen wollen. Die rumänischen Aufständischen des Dezember 1989 jedenfalls taten es nicht, als sie gerade Mircea Dinescu, den verfemten Dichter, den Sieg der Revolution verkünden ließen, als sie ihm das Amt des Staatspräsidenten antrugen.
Im Gegensatz zu seinen Autorenkollegen in Bulgarien, Ungarn und der Tschechoslowakei, die dem ehrenvollen Ruf Folge leisteten, hat Dinescu Würde und Macht abgelehnt. Seine letzte Begründung für den Verzicht:
Um in Rumänien ein guter Präsident zu werden, hätte man sich vor allem auf die Wurst- und Bierproduktion verstehen müssen. Havel hat nicht Wurst und Bier und Seife an seine Bevölkerung verteilen müssen, weil sie das schon hatte. Er konnte sich um Freiheit und Menschenrechte kümmern, hier aber ersehnen die Menschen erst mal ihr materielles Existenzminimum.
Allenfalls das Ministerium für Opposition könne er sich als Arbeitsplatz vorstellen, hat er an anderer Stelle gesagt.
In der Opposition ist gezwungenermaßen derzeit schon wieder sein Platz. Die Lage in Rumänien erscheint von außen gesehen undurchsichtiger als in den anderen Ländern des einstigen Ostblocks, der Weg zu wirklicher Demokratie weiter und beschwerlicher. Ein Grund dafür ist sicher, daß die Diktatur Ceaușescus die hemmungsloseste war, die Versehrtheit der Menschen darum tiefer reicht. Die Opposition, die in organisierter Form vor dem Dezember 1989 gar nicht bestand, fand keine Institutionen vor, an die sie sich hätte anbinden können wie die katholische Kirche und die Gewerkschaft Solidarität in Polen, die Charta 77 in der Tschechoslowakei. Es gelang ihr auch nicht, tragfähige Organisationsformen zu schaffen. Die rumänischen Intellektuellen sind weiter auf die Rolle der ungeliebten Kritiker reduziert.
Da sich die politischen Verhältnisse noch nicht geklärt haben, Cliquenwirtschaft nicht überwunden ist, nationalistische, von einem Großrumänien träumende Propagandisten alte Parolen in kaum geflickten Gewändern präsentieren, Andersdenkende wieder mundtot machen wollen, haben die Gedichte Mircea Dinescus nichts von ihrer Aktualität verloren.
Es läßt sich indessen nicht leugnen, daß die Funktion der Literatur für das öffentliche Bewußtsein – Überlebenselixier in totalitären Systemen – spürbar nachläßt. Abzusehen ist, daß der immense Nachholbedarf an Konsum an glitzernder Oberflächlichkeit, die wachsende Vielfalt der Medien auf dem Weg zur Informationsgesellschaft westlicher Prägung mit einem Übermaß an unverbundenen wirklichen und scheinbaren Fakten die für den einzelnen nicht sehr adäquat zu bewerten sind, die Literatur als Möglichkeit der Selbstfindung in die Defensive drängt. Die Schlangen vor den Buchhandlungen, einst so lang wie diejenigen vor Bäckereien und Metzgereien werden kürzer.
Schon ein Jahrzehnt vor dem Umschwung in Rumänien hat Dinescu hellsichtig die mögliche Zukunft der engagierten Literaten in ironische Bilder gefaßt:
Um als Schriftsteller zu Ruhm und Ehren zu kommen
in Europa
mußt du zumindest ein Kannibale sein
oder eine närrische Lösung für die Urbarmachung der Sahara
vorschlagen
(man könnte z.B. Leute mit Wasser auf der Lunge mit dem Fallschirm dort abspringen lassen).
Passive Toren sind nicht mehr gesucht;
wenn du einen Fleischwolf heiraten würdest
trüge wer weiß welcher Konzern aus Amerika
die Kosten der Hochzeitsreise
– vorausgesetzt, du zeugst ein paar gepfefferte Kinder,
fad wie diese berühmten Hamburger…
(…)
Es fällt dir schwer zu kapieren
daß die Poesie kein Papier mehr braucht
daß eine Gewehrkugel mehr von sich reden macht als ein Buch
daß die begüterten
Zahnärzte Mechaniker Friseusen Piloten
Kellner Diplomingenieure fixen Jungen Admiräle und Straßenkehrer
mit gutem Grund keine Lust auf Sonette haben:
denn das Höchste auf Erden erreicht man wenn man
sich mit den Fettaugen auf der Suppe verschwägert
das heißt stets obenauf ist
Es läßt sich nicht vorhersagen, ob und wann diese Situation in Rumänien eintreten wird, ob und wann im Westen die Aura des Dissidenten, des Bürgerrechtlers, des Verfolgten abbröckeln wird und ob dadurch das Interesse an ihm abebbt. Aber jeder aufmerksame Leser von Dinescus Gedichten – in seiner Heimat mehr als dreihunderttausendmal, in Deutschland mehr als zehntausendmal verkauft – jeder Leser, der seine Träume als natürliche Kinder der Realität erkannt hat, wird dieser Realität freier, bewußter gegenüberstehen. Es mag sein, daß seine Hoffnung, „wenn ich heut nicht schweig, darfst du morgen nicht schweigen“ aufs Ganze gesehen zu optimistisch ist.
Eines aber hat die Entwicklung in Rumänien wieder unter Beweis gestellt: Literatur als kritische Auseinandersetzung mit dem Gegebenen ist der Ort, an dem der Überschuß des Möglichen und Wünschenswerten im Wirklichen aufbewahrt wird und lebendig bleibt, Literatur ist der Ort latenten, stets abrufbaren Widerstands. Mircea Dinescus Lyrik hat sich in der Ausnahmesituation der Diktatur bewährt als Mittel zur Verteidigung der Humanität des Menschen. Sie wird auch in gewandelten Zeiten erkannt werden – wie er es in seinem Gedicht „troubadour“ formuliert hat –, als „ein blaßrosa imperativ“.
Henning Krauß, aus Ioan Constantinescu, Henning Krauß und Klaus P. Prem (Hrsg.): Mircea Dinescu – Dichter und Bürgerrechtler. Neue Gedichte, Dokumente, Analysen, Dr. Bernd Wißner Verlag, 1992
Mircea Dinescu – Lyrik, Revolution und das neue Europa. Ansprachen und Texte anläßlich der Verleihung der Akademischen Ehrenbürgerwürde der Universität Augsburg. Herausgegeben von Ioan Constantinescu und Henning Krauß. Augsburg 1991
Detlev Konnert: Im Schatten der Karpaten – Rumäniens Weisheit
Knud Cordsen: Poesie als Waffe
BR24, 11.11.2020
Mircea Dinescu liest Gedichte 1967 als 17jähriger.
Mircea Dinescus Auftritt am 22.12.1989 in Rumänien als Dichter und Verkünder.
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