Mirko Bonné: Elis in Venedig

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Mirko Bonné: Elis in Venedig

Bonné-Elis in Venedig

SMILEY

Uncooles Abendland vor der Videouhrzeit
Hast ein neues Hemd
Steht dir gut in dem eisigen Wind von den Sternen
Nur musst du schön wie ein Quantensprung sein
Oder der verzweifelte Frühlingsbeginn
Im Herbst ohne Sinn
Sinnlos unsterblich
Verliebt in jemand den es nicht gibt
Die Frau vom faulen Baal
Bundestagswahl
Erdrutschsieg
Und ungerecht: Angewidert von Güte
Guter Miene
Leg den Steppenwolf hin

 

 

 

Das mehr als zwanzig Jahre

umspannende lyrische Frühwerk Mirko Bonnés spielt mit „Trojanern“, „Homevideos“ und einem „schwebenden ABC“, durchmisst Orte voller „Blechmüll“ und „Werftschrott“ in Landschaften, „wo Kinder nach Patronen graben“ und die „Gedächtniseingreiftruppe“ „lichterlohe Amseln“ ins „Herzland“ bannt. Die Gedichte feiern „Lebendigkeitsmomente“, begehen „Anschläge auf die Ordnung“ und erinnern daran: „Unsere Worte waren zu lang / auf Reisen. / Es wird wieder Zeit für Besuche.“ Elis in Venedig versammelt endlich die frühen, in hochgelobten Bänden und bedeutenden Zeitschriften erschienenen Gedichte eines Meisters der Vergegenwärtigung.
Seine sprachmagische Dichtung sei „voller Volten und von einer hoffnungslosen Sinnlichkeit“, bescheinigte ihm Helmut Böttiger im Deutschlandfunk Kultur. Von Elis in Venedig führen die Linien seiner an Georg Trakl und Günter Eich geschulten, auf E.E. Cummings und Sylvia Plath antwortenden, Marc Aurel und Paul Celan nachhörenden Poetik zu den gefeierten Gedichtbänden Traklpark (2012) und Wimpern und Asche (2018).

Schöffling & Co Verlagsbuchhandlung, Klappentext, 2022

 

Und tief erklingt das „O“

– Vom Verpuffen und Atmen der Bilder – ein Band versammelt eine Auswahl der Gedichte Mirko Bonnés aus 20 Jahren. –

Machen wir es einmal ganz offiziell und heißen – gemäß dem Titel eines Gedichts – hier alle „Willkommen!“: Kinder, Greise, „Cafénymphen“, Damen hinter den Gardinen, Jäger, Sammler und „Terrier aller Herren Länder“. Wer so lange Begrüßungen etwa von politischen Reden kennt, weiß, dass sie stets nett gemeint sind, aber doch zumeist ermüden. So verhält es sich auch mit einigen Poemen Mirko Bonnés, der sichtbar eine Schwäche hat und pflegt für die Aufzählungen und Sammelsurien. Es wuchert gehörig in seiner Dichtung. Und die Beliebigkeit so mancher Reihungen von Eindrücken lässt einen klareren Zuschnitt wünschen.
Man muss sich durch diesen Textdschungel, der Miniaturen aus zwei Jahrzehnten versammelt, also mit etwas Geduld bewegen, um auf Lohnenswertes zu stoßen. Aber man wird fündig. Mitunter treten wir dann in die Modelleisenbahnszenerie einer Kindheit ein, hören das letzte warme Wort eines Ich an ein Du inmitten eines Kälteeinbruchs. Oder wir wechseln in ein „amphibisches Futur im Singular“, in dem sich alles im „Schwebestand“ hält, zwischen Wasser und Land, Schweigen und Reden.
Insbesondere in diesem Dazwischen kommt ein bedeutsames Momentum im Schreiben des 1965 geborenen Lyrikers zum Ausdruck, nämlich der Verzicht auf Statik zugunsten eines permanenten In-Bewegung-Seins. Alles ist im Fluss, ferner Teil einer „Wortlava“. Wo sie austritt, reißt sie wie in dem Poem „Strombolianisch“ Einsamkeit, Liebe, Jamben, Feuer und allerlei Mythen mit sich, ganz so, als gäbe es kein Morgen mehr.
Und tatsächlich hebt der Schriftsteller, der neben zahlreichen Lyrikbänden ebenso mit Romanen wie Lichter als der Tag (2017) und zuletzt Seeland Schneeland (2021) in Erscheinung getreten ist, immer wieder gern das Zeitregime auf. Mehrfach beschwören seine Gedichte das große Hier, das unmittelbare Erleben des Augenblicks. In ihm finden Verwandlungen aller Art statt. Brennnessel werden zu Zeichen, Bergmänner zu Wegerich, Regenschirme zu wurzelschlagenden Pflanzen.
Die Realität ist schlichtweg nicht genug, vielmehr dient sie dem Autor lediglich als Ausgangspunkt für eine poetische Wahrnehmungsform, die das Sichtbare beständig in eine Seelenlandschaft überführt. Wo Äußeres in Inneres mündet, stellt übrigens der Mund einen metaphorischen Schwellenraum dar. Er vermag bei seiner Öffnung das charakteristische „O“, das zudem den Titel des programmatischen, ersten Gedichts des Bandes bezeichnet, auszusprechen. Mit diesem Laut vernehmen wir den orphischen Beginn aller Poesie, die Magie schaffen will:

Auf den Lippen
Vollzieht sich
In dir, ein Daheim ohne Worte selbst der Ort,
Ein porentiefer Zauber, ein Ariel.

Als literaturhistorisches Vorbild hinter solchen Versen firmiert unverkennbar die Lyrik von Rainer Maria Rilke. Um der überfordernden Wirklichkeit seiner Zeit einen Kontrapunkt zu bieten, entwickelte er eine die Realität verschiebende Ästhetik. So wie er eine Gazelle oder ein Kunstwerk verfremdete und in faszinierend-schöne Gedankenbewegungen hinübergleiten konnte, so treibt in ähnlicher Weise Mirko Bonné der „Glaube an, dass die Luft sich formen lässt“. Manchmal gehen daraus dann im buchstäblichen Sinne Luftnummern hervor, aber häufig führt es auch zu Bildern, die doch einen tiefen Atem besitzen.

Björn Hayer, Frankfurter Rundschau, 5.3.2022

Weiterer Beitrag zu diesem Buch:

Herbert Fuchs: Frühvollendete Gedichte
literaturkritik.de, Juni 2022

 

 

DIE FÜNF. Fragen an Mirko Bonné

 

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