DEKORATION FÜR DEN VERBRENNUNGSPLATZ
Hast du je gesehen
wie in einen grünen Baum
der Blitz einschlug?
Das Lächeln, das im Schlaf
um die Lippen geistert
ist Täuschung
Täuschung ist das Klopfen
vor Morgengrauen
in Gedanken
Was sind das für Stimmen
die sich da unter unsere Stimmen mischen?
Was sind das für Gespenster
die da ihre Befehle
in unseren Stimmen geben?
Nein, hier herrscht nicht Vereinigung
und auch nicht Trennung
Dekoration ist das für den Verbrennungsplatz
in ihr leuchtet in der Glut der Trennung
eine Leiche, die einer anderen
ungeduldig harrt
Sieh,
gegenüber brennt ein Baum
Sieh es dir an,
wie wir uns unter ihm
vor dem Regen unterstellen
und zu Asche werden
Ashuthosh Dube
Auf Indien fällt neuerdings der Blick aus anderer Perspektive als noch vor ein paar Jahren. Fiel er früher vorwiegend auf das Armenhaus, so heute auf das Land im Kommen, die Wirtschaft mit imposanten Zuwachsraten. Zu impotentem Mitleid ständig aufgerufen, sind wir erleichtert, die Perspektive wechseln zu können. Wir sind der Armut und der Probleme überdrüssig. Und mancher hatte sich schon damit beholfen, ein paar hübsche Kulissen vor die komplexe Wirklichkeit des Riesenlandes zu rücken, eine die exotische Tourismuskulisse, eine andere die der inmitten der disparaten Alltagszustände tapfer bewunderten alten Kulturdenkmale. Heute lassen wir uns sogar ein auf eine Bewunderung der Bollywood-Produkte, die schamlos über die Wirklichkeit hinweggehen. Ein sachgerechter Blick auf die vielschichtige Realität des heutigen Indiens ist bei solcher Kulissenschieberei nicht möglich.
Der indische Blick auf das Land mit seiner kulturellen, sozialen und ökonomischen Vielfalt ist naturgemäß vielfältig. Im Einklang mit mancher Form der Fremdsicht schwärmt auch ein Teil der avancierten Mittelschicht von Zuwachsraten. Diese Mittelschicht hat Zugang zu Bildungsinstitutionen, die sie zu global players destilliert. Sie sind vielfach resolut entschlossen, in ihrem Vorwärtsstreben die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Mag sein, dass zur Vergangenheit auch dabei das gerechnet wird, was heute noch die Regel ist: eine untere Mittelschicht, ganz zu schweigen von der Landbevölkerung, die große Mühe hat, sich durchzubringen und ihren Kindern eine Zukunft zu eröffnen. Wahrscheinlich ist, dass sich die Zukunft Indiens daran entscheiden wird, wie diese Menschen am Erfolg beteiligt werden. Werden sie es nicht, so wird das ganze Gebäude von der Basis her morsch werden.
In Indien sind viele Kreise kritische und aktive Begleiter der gesellschaftlichen Entwicklung. Unter den Intellektuellen sind dabei auch die Schriftsteller, in diesem Band repräsentiert durch Hindi-Lyriker der unmittelbaren Gegenwart. In der modernen indischen Literatur ist nie die Frage verstummt, welches die Aufgabe des Schriftstellers angesichts der gesellschaftlichen Probleme sei. Die Bandbreite der Antworten zwischen gesellschaftlicher Agitationsbereitschaft (und entsprechend langweiliger Literatur) und Beharren auf der Eigengesetzlichkeit künstlerischen Schaffens war differenziert und weit. Die heutigen Lyriker verkennen nicht, wie wenig ein Schriftsteller zum Wandel der Gesellschaft beitragen kann. Gerade die besten Schriftsteller bringen das Kunststück fertig, künstlerische Ansprüche in ihren Werken einzulösen und sich außerhalb davon gleichzeitig aktiv in den gesellschaftlichen Diskurs einzuschalten. Als Künstler aber sieht sich der Schriftsteller, so in den hier versammelten Gedichten, vielfach in reiner Betrachterrolle, und wo er ins Geschehen involviert ist, erfährt er oft schmerzlich seine Wirkungslosigkeit im Konkreten. Dies kann ihn zu Anwandlungen von Selbstverachtung führen, indem er sich als jemand sieht, der sich durch Aneignung des Stoffs zum Nutzen seiner eigenen Kreativität bereichert. Seine gesellschaftliche Ohnmacht empfindet er schmerzhaft aber zugleich als einzige Möglichkeit ernstzunehmenden Schaffens. Aus diesem Gefühl heraus entstehen viele Gedichte, die sich ironisch oder melancholisch mit dem Ertrag der Schriftstellerexistenz beschäftigen.
Als gesellschaftliche Themen stehen jenseits der Reflexion über die Aufgabe des Schriftstellers als Künstler in den hier vorgestellten Gedichten im Vordergrund: die prekäre Situation der unteren Mittelschicht und der Unterschicht samt der allgegenwärtigen Korruption; die Gewalt in der Auseinandersetzung zwischen Bevölkerungsgruppen, angefacht durch einen seit Jahren frecher die Grundlage Indiens als eines pluralen Staates unterwühlende Hindutumsbewegung, die entsprechende Reaktionen von muslimischer Seite provoziert, wobei sich schließlich die Gewalt verselbständigt; die zunehmenden Kastenkonflikte, die im Kampf um wirtschaftliches Vorankommen aufbrechen, und schließlich die Stellung der Frau.
Die Lyriker dieses Bandes sind allesamt Angehörige einer intellektuellen Mittelschicht. Sie schreiben als Künstler nach ihren eigenen ästhetischen Regeln, aber in der Wahl ihrer Stoffe machen sie sich zum Anwalt jenes Teils Indiens, der öffentlicher Anwaltschaft bedarf. Es ist eine Anwaltschaft, die auf die leise Wirkung des künstlerischen Wortes setzt.
Monika Horstmann und Vishnu Khare, Vorwort
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