ATLAS
Oh ich linksgemachter Atlas. Ich stehe schwankend
aaaaaunterm Erdenball,
breite Längengrade aus wie Schleier, durchgeknallter
aaaaaAtlas, der ich bin.
Es sind deine Schleier, deine Weihe, dein sehr
aaaaaspezieller Kult. Als Atlas
trage ich so schwer an mir wie an der Welt. Doch gäbe
aaaaaich mich fort,
bekäm ich mich intakt zurück? Oder mit einem Stechen in der Lunge?
Sieh, ich will mich ja nicht mehr. Barbarin, wieder ich. Was so tief stürzt,
ist meistens schwer. Was so weit fliegt, hat entweder Flügel oder Düsen.
Was so verästelt fällt, fällt tiefer, es fällt weicher, fällt zu Bett, ins Wurzelwerk
des wurzellosen Baumes, Traumes, Schaumes, Schamhaars, Bettchens.
Frettchen sind nervöse Tiere, wie es auch die Menschen sind. So fällt es
für die Gattung günstig aus. Spiegele mich zur Unkenntlichkeit, in Stücken
gib mich mir wieder zurück. Nichts, nichts anfangen. Eines weitermachen,
dessen Gegenwart monströs in einer ungemachten, in einer blinden auch,
in einer Zukunft liegt. Bone de chine. Verstehe nur: Zum Zusammensetzen
hab ich es zerschlagen. Quer steht das Bild. Die Finsternis gehört dazu.
Begreife: Wir dürfen uns da, wo es finster ist, nicht nur dem Licht verbünden.
Und wünschte das erneut formierte Ich, es würde endlich ausge-ixt, darf es
das nicht. Denn wir sind in jeder Hinsicht gegen das Ja-Sagen zur Finsternis.
Trost für das durchgeformte Ich: Du wirst leben, denn ich deformiere dich.
des Protokolls gibt es einen klebrigen Kern: Ein zusammengeleimtes Buch ist gemeint oder, spezieller: das einer Niederschrift vorgeleimte Blatt, mit einer Chronologie zum Schriftstück und Angaben zum Verfasser. Das steht am Anfang des Buches, wird ihm aber zuletzt eingeklebt. Daher auch die Tendenz zum Hohn – in all seiner Nachträglichkeit.
Es gibt die Klebrigkeit der inneren Fixierung, die auf immer wieder erneutes Durchdenken dringt, und es gibt den unvergesslichen Honig an den Schuhen, in der Tasche, an den Fingern, der an den unachtsamen Moment seines Verschüttens erinnert. Auch dies kann als ein Protokoll gesehen, wenn auch nicht gelesen werden. Oder nehmen wir den Körper als Protokoll unseres Lebens, für den Verlauf der Zeit, dem wir unterliegen. Nehmen wir den Honig als Protokoll des Bienenflugs und als Auskunft über die von ihnen gerade noch erreichbaren Blüten.
Die Honigprotokolle sind beinahe quadratisch und ineinander verfugt wie Kacheln. Sie bilden ein Raster, das ihre Ordnung offenbart. Etwas ist passiert – das Gedicht gibt Auskunft und bittet seinerseits um Deutung. Es behandelt eine längst vergessene Süße. Sinne, Affekte, Materialien oder eine Angst, die gestern noch in die Zukunft ging. Auch davon berichtet das Protokoll. Es wendet sich an Konzepte, die es nicht abstreifen kann: kollektive Erfahrungen, von Einzelnen protokolliert. Die Arbeitsteilung erfolgt via Reizschwellen, die eine Folge der Vielfachpaarung sind. So wird eine hohe Bandbreite von Empfindlichkeiten garantiert.
… Denn alle rechten Dichter… sprechen nicht durch Kunst, sondern als Begeisterte und Besessene alle diese schönen Gedichte… und so wenig die, welche vom tanzenden Wahnsinn befallen sind, mit vernünftigem Bewusstsein tanzen, so dichten auch die Liederdichter nicht bei vernünftigem Bewusstsein diese schönen Lieder, sondern wenn sie von Harmonie und Rhythmus erfüllt sind… Es sagen uns nämlich die Dichter, dass sie aus honigströmenden Quellen aus gewissen Gärten und Hainen der Musen pflückend diese Gesänge uns bringen, wie die Bienen, auch selbst so umherfliegend. Und wahr reden sie. (Platon: ION)
Doch es ist wie beim Bienentanz: Am Ende wird nur noch für die beste Höhle getanzt.
kookbooks, Ankündigung
– Achtung, hier wird das Lasso der Sprache ausgeworfen: Die Dichterin Monika Rinck und ihre Honigprotokolle. –
Ein Geheimtipp sind Monika Rincks Gedichte schon lange nicht mehr, aber geheimnisvoll sind sie durchaus. Die vielfach ausgezeichnete, 1969 in Zweibrücken geborene Autorin ist eine gelehrte Lyrikerin. Und dieses ihr Wissen, das sie unter anderem an deutschen und amerikanischen Universitäten erworben hat, dringt auch in ihrem jüngsten Gedichtband Honigprotokolle aus fast jeder Zeile, doch, um es gleich zu sagen: das wird niemals zur Belastung. Im Gegenteil, ihre „Affektlehre“ – wie eines dieser „Protokolle“ heißt – kennt (mindestens) zwei Werkzeuge:
Ich habe Lieder in mir
und eine Sense.
Was soviel bedeuten mag wie: Ich kann singen und schneiden. Übrigens, schneidend singen kann sie auch, und wie!
Honigprotokolle, das ist eine seltsame Gattung, man darf sagen: Monika Rinck hat sie erfunden. Zuerst hätten da nur Skizzen gestanden, die sich innerhalb von drei Jahren langsam zu dieser Form entwickelt hätten, wie Monika Rinck im Gespräch verrät. Um die sechzig dieser bienenfleißigen Gesänge werden nun als Prosagedichte präsentiert, und fast alle beginnen mit dem nur gelegentlich variierten Vers:
Hört ihr das, so höhnen Honigprotokolle…
Schon dieser Einstieg offeriert ein üppiges Binnenreim-Spiel mit Ö und O und I, wie auch im Namen der Autorin ja das O und das I dominieren. Somit gießt sie immer auch ein bisschen Hohn aufs eigene Haupt, dem all das entspringt, ein honigsüßer, zynischer, reizender, abgeklärter, oft auch mild-ironischer Hohn. Das Thema? Alles und nichts. Das Hier und Jetzt und das Gestern. Das ganze Leben, oder besser: die ganze Sprache. Die brauchbare und, ja, die unbrauchbare Sprache, denn eine muss es doch sagen:
Das geht so nicht. Denk nach.
Da wird wirklich viel gehöhnt, Madame macht sich lustig über die großen Männer, etwa über Friedrich Nietzsche: „Du wurdest nicht geliebt. Daher dein Groll“, um dann nachzusetzen: „Ewig murrt das Hochgebirge.“ Franz Kafka hantiert in einer Loge „mit dem „Damenmesserchen“ (ein Traum, was wäre eine Lyrikerin ohne ihre Träume), und die superkomplizierte Lehre des Pariser Psycho-Gurus Jacques Lacan wird mal eben runtergebrochen auf eine „Thai-Massage (…) in seiner Fünf-Minuten-Phase, ey“. Diesem lyrischen Ich nimmt man ohne weiteres ab:
Wie Tränen werde ich fließen, bis ich hart bin, und ich werde hart bleiben.
Eine Tonlagen-Meisterin ist hier am Werk, die ständig das Lasso schwingt, um ein Puzzleteil aus der reichen literarischen Tradition einzufangen: Auf der Straße in Dijon erlebt der Surrealismus eine Auferstehung dank einer Passantin „auf hohen Schuhen“, die ausruft: „J’ai gardé ma dignité, j’ai épousé un chien.“ (Zu Deutsch: Ich habe meine Würde bewahrt, ich habe einen Hund geheiratet.) Nicht nur der Surrealismus eines Breton, ebenfalls Baudelaire winkt von Ferne, dessen „poemes en prose“ ohnehin in formaler Hinsicht als Folie dienen dürften.
Ein andermal greift jemand in eine Tasche, die mit Fell ausgeschlagen ist („wühl du in deiner Tasche wie in einem Tier. Ihr habt / ja schöne Frauen hier“); man denkt an Meret Oppenheims berühmte Felltasse (die nicht genannt wird). Einmal wird mit Benn (der ungenannt bleibt) „die Lage“ erkannt, oder mit Brecht (ebenfalls ungenannt) der Himmel vom See aus geschaut. Celans „schwarze Milch der Frühe“ findet ein Echo in dem Gedicht „Schattenpflanzen“, das mit den Versen endet:
Greif zu. Hier ist pechschwarzer weißer Nougat aus Montelimar.
Immer noch unsicher, ob laufen, warten, ob Tunnel oder ob Nacht.
Viele Anspielungen werden einem entgehen. Das macht aber nichts, denn diese ungemein originellen, hochmusikalischen Gedichte kann man auch „einfach so“ genießen. Monika Rinck ruft zwar sozusagen dauervirtuos Stimmen auf, als sei’s eine Kleinigkeit, doch niemals ohne Gefühl. Hart mag sie sein, diese Honigprotokollantin, bienenfleißig sowieso, aber niemals kalt.
Ein wiederkehrendes Thema des Bandes ist denn auch die Liebe, und zwar in individueller wie in kollektiver Hinsicht. Wie schon in Monika Rincks Essay Ah, das Love-Ding! (2006), einer listig-zeitgemäßen Variation auf Roland Barthes Fragmente einer Sprache der Liebe, zeigt sich das allgemeine Partywesen und damit die „Gruppe“ als gewissermaßen Dritter im Bunde, wenn es um die Liebe zu zweit, um die romantische Liebe geht. Enttäuschung ist da vorprogrammiert, sowohl bei der Gruppe, siehe hierzu das witzige „Lied der undankbaren Partygäste“, als auch bei den Liebenden. „Von der Romantik“ ist eines der Honigprotokolle betitelt, worin ein einerseits aggressives, andererseits melancholisches Spiel mit der verbürgten romantischen Sehnsucht (ergo „reine Affirmation“) getrieben wird: „Im Harem der Güte bin ich / die Strengste“ verkündet das lyrische Ich. Es ist ein zweifelndes, bisweilen verzweifeltes, vor allem ein weibliches Ich, das hier spricht:
Ich krieche. Romantik. Überwältigung
die ich begrüßen kann. Es ist schon spät, es wird schon kalt. Wald. Wald.
Die romantische Illusion der Liebe als Passion ist wohl noch nie so genial und wohlklingend knapp zusammengefasst worden. Vielleicht sollte man sagen: Monika Rinck summt sich durch das Dickicht der Liebesgefühle, nervös, aber willig der Schönheit. Und tatsächlich stehen dann wunderschöne Gedichte neben todtraurigen. So weint einmal die verlassene Geliebte allein und sucht Trost bei ihrem alten Stofftier, ach, wenn es trösten könnte! Es ist aber „ein grimmes dünnes Pferdchen und ich, / ich schäme mich vor seinem Blick“.
Als Grundsummen der Honigprotokolle ist die Melancholie also nicht zu überhören. Sie gehört einem dichtenden, von Sprache betörten und von Erfahrung ernüchterten Menschenkind, dessen Bewunderung, so ahnt man dann beim Schlussgedicht „Honig“, den Bienen gilt. Die Bienen sind „Sinnbild“ und „Wachmannschaft“, sie bieten Schutz im Innern, ihr sprichwörtlicher Fleiß dient dem überzeitlichen Gesang. Und niemals sind sie egoistisch, diese Tierchen, denn:
Es sammeln die einen für die andern,
und keiner tut etwas für sich ganz alleine.
Auch das Gift der Eifersucht scheint ihnen fremd zu sein. „Die Liebe“, so lautet die Bienen-Utopie der erstaunlichen Dichterin Monika Rinck, „ist die Liebe der Gesamtheit.“ Wir folgern, ganz prosaisch: Gesamtheit ist das Gegenteil von Party.
– Hohn in Honig: Gedichte von Monika Rinck. –
Fällt ein Brot mit der Honigseite zu Boden, ist die dünne süße Schicht meist zerstört und nicht mehr zu essen. Um labile und labiale Zwischenzustände, zwischenmenschliche, sprachlich-semantische, mediale, geht es in Monika Rincks Gedichtband Honigprotokolle – manchmal nahe am Märchen, am Bericht, in erzählenden, die Sprache reflektierenden, sehr klangsinnigen Gedichten und stets auf der Suche nach einer paradoxerweise trotz allem gelingenden Liebe. Hinzu treten Zeichnungen der in Berlin lebenden Autorin und Kompositionen von Bo Wiget.
Lautlich zumindest enthält der süße Honig in sich den bitteren Hohn. Honigprotokolle schreiben mit dem dreifachen runden „O“ am Ende das phallisch-spillerige „I“ weg, zum Beispiel aus dem hier auch anklingenden Namen „Monika Rinck“, und wenn die meisten Gedichte mit der Halbzeile „Hört ihr das, so höhnen Honigprotokolle“ beginnen, liefern sich darin die runden und die gestrafften Lippen rein artikulatorisch eine Schlacht. Ob eine Kussgestik daraus wird, ist freilich die Frage; wahrscheinlicher scheint eine „Thai-Massage bei Lacan“.
In dem berühmten Mythos, den Platon im „Gastmahl“ seinen Sokrates erzählen lässt, war der Mensch vor seiner Trennung in Mann und Frau ein einziges Wesen. Vielleicht war er kugelartig anzusehen wie die „Vollständigkeit“, welche die in Berlin lebende Autorin bereits in zwei Hälften geteilt auf den Buchumschlag gezeichnet hat. Diese „Vollständigkeit“ aus Hohn und Honig (und „Monika“) zu erneuern, geht natürlich nur im Bewusstsein ihrer Unmöglichkeit und des paradoxen Zwangs, das eigene Gegenteil sowohl ein- als auch ausschließen zu müssen: „Die Liebe ist die Liebe der Gesamtheit“, und: „Wir dürfen uns da, wo es finster ist, nicht nur dem Licht verbünden“, andererseits aber auch:
Denn wir sind in jeder Hinsicht gegen das Ja-Sagen zur Finsternis.
Nicht zufällig fällt der Name des negativen Dialektikers Theodor W. Adorno.
Vom jetzigen Geschlechterverhältnis möchten sich die Leute ,bitte‘ frei machen, heißt es augenzwinkernd in dem Gedicht „Diva und Dealer“, und entsprechend weit reicht auch die Suche nach anderen Möglichkeiten: von der Antike, die mit Anspielungen auf Lysistrate und ihre sexuelle Verweigerung, auf Odysseus und die Metamorphosen des Ovid präsent ist, bis zu jüngst durch die Medien gegangenen entgleisten „Facebook“-Parties. Von der hier einschlägigen Geschichte einer Tessa ausgehend, greift das „Lied der undankbaren Partygäste“, eine Komposition für Sprech- und Singstimme sowie Klavier, geradezu auf ontologische Grundlagen zurück: „Sein ist und Nichtsein ist nicht“. Weitere Lieder des Komponisten Bo Wiget, darunter vierstimmige Kanons, erweitern die Suche medial. Diese durchstreift auch die verschiedensten Sprachgegenden von Umgangssprache, Jargon und Comicsprache bis zur Wissenschaftssprache, und das Gedicht vom „Augenfühlerfisch“, der in der Tiefsee angelt, erscheint auch in der englischen Übersetzung von Nicholas Grindell.
Innerhalb des einzelnen Texts suchen die beiden menschlichen Hälften einander häufig in Form einer semantischen Rahmenstruktur, die ein zu Beginn gesetztes Thema verändert wieder aufnimmt. Ähnlich wie das „O“ und das „I“, das Runde und das Gestreckte, in den Honigprotokollen aufeinandertreffen, die runde Vollständigkeit allein aber der „Hohn“ ist, wandert Rinck virtuos durch das „Weltinnenall des Binnenreims“, bis hin zu Rilke. Häufig erinnert die Lautstruktur an gleichsam umarmende Binnenreime, eine in dieser Art innerhalb prosanaher, dezent rhythmisierter Langzeilen überraschend neu wirkende Technik. Besonders gut zu verfolgen ist sie in „Stroh“, das auch eine Art immanenter Poetik enthält, insofern der „Versuch, doch zu begreifen“ einem Griff in den Nebel gleicht, bei dem man „auf der anderen Seite“ des fragilen, labi(a)len Zwischenraums wieder herauskommt, der die nie gelingende Vereinigung mehr umspielt als repräsentiert:
Nun, du hast keine Worte, aber willst,
wofür du keine Worte hast, besitzen.
Da die Episoden und Reflexionen aufeinander aufbauen, scheint es geraten, den Band in protokollarischer Ordnung von vorn nach hinten zu lesen – und sich darauf zu freuen, wie Monika Rinck selbst ihn vorträgt: als Dichterin von oraler Poesie im besten Sinn, von scheinbar schlichten Liedtexten ebenso wie von komplexer, sprachreflexiver Poesie.
– Randbemerkungen zu einigen aktuellen Gedichtbänden. –
Monika Rincks poetisch-essayistische Miniaturen in der Helm aus Phlox-Anthologie arbeiten an der Ausdifferenzierung jenes Buckel-Topos, der bereits in ihren vorangegangenen Gedichtbüchern auftauchte.
„Mein Denken“, so heißt es im Band Zum Fernbleiben der Umarmung (2007), „war eine abgeweidete Wiese mit Buckeln“. Dieses „bucklige Gefühl“ – so definiert sie es in ihrem Essayband Ah, das Love-Ding! (2006) – meint die unerschöpfliche Neugier auf immer neue Denkfiguren aus der Psychoanalyse und der französischen Philosophie, die zu einer Poetik des Begehrens zusammengeführt werden sollen. Und im Helm aus Phlox ist nun „der mobile Buckel“ der Repräsentant jenes „schmerzempfindlichen Dings“, das wir Dichtung nennen.
Man hat Monika Rinck stets für den „verzückend frei flottierenden Assoziationsdrang“ ihrer Gedichte gelobt. Dieser Assoziationsdrang führt zu einem lässigen Switchen zwischen unterschiedlichsten Themen und Wissensfeldern, die dann in einer „mobilen Form“ poetisch verknüpft werden. Es ist ein unglaublich temporeicher, sinnlicher, von verblüffenden Assoziationen immer wieder belebter Dynamismus, der diese Gedichte vorantreibt.
In ihrem neuen und bislang schönsten Band Honigprotokolle verbindet Rinck die repetitiven Elemente der Litanei mit ihren sprachspielerischen Passionen – und erzeugt damit eine unerhört suggestive rhythmische Bewegung der Verse. Honigprotokolle: Bereits der Titel markiert ja eine Antinomie des Festen und des Flüssigen: Das Zähflüssige des Honigs tritt in unmittelbar stoffliche wie hochsymbolische Verbindung mit den Fixierungen der Schrift. Der Honig repräsentiert seit der Antike bekanntlich den Schöpfungsprozess des Dichters. Philosophen wie Platon und Dichter wie Horaz entwarfen Analogien zwischen dem Produkt der Biene und dem poetischen Prozess:
Aus bitterem Thymian sauge ich, der klugen Biene gleich, den süßen Honig meiner Dichtung.
Und die große Mehrzahl ihrer neuen Gedichte lässt Monika Rinck mit dieser ambig schillernden Fügung beginnen: „Hört ihr das, so höhnen Honigprotokolle…“ – und auf diese reizvoll tönenden Assonanzen folgen dann metrisch sehr genau verfugte Exkurse in kleine Phantasmagorien, sinnliche Momentaufnahmen, politische Szenen – oder Abschweifungen in disparateste Wortfelder. Und so entsteht mittels einer kühnen Bild-Artistik eine „wilde Vielfalt, in die Tausenderlei eingefaltet ist“. Wie im programmatischen Gedicht „Honighohn“:
So höhnen Honigprotokolle, rotgolden, schön, pastös:
Klebrigkeiten. Fussel. Was der Honig an sich bindet: Protokolle.
Beflockte Unionen auf grau- bis graublauem Trikotstoff. Menschen
Werden. Hängen. Bleiben. Samen und Pollen genauso. Süße der Luft.
Kandierte Haare, Bahnen, Brücken. Stelle ich sie weg vom Kopf,
bleiben sie auf ewig stehen. Jedes Maß ist wahr in jedem Sinn.
Doch in Bezug auf was? Diese Sprünge! Barocker Minimator
des Verlangens. Wilde Vielfalt, in die Tausenderlei eingefaltet ist,
nur wird es nicht umgesetzt.
Dass den Rinckschen Wanderungen durch das „Weltinnenall des Binnenreims“ noch einige minimalistische Lieder des Komponisten Bo Wiget beigefügt sind, erhöht jene „Heiterkeit des Denkens“, von der in einem der Honigprotokolle die Rede ist.
Michael Braun, die horen, Heft 246, 2. Quartal 2112
„Hört ihr das? So höhnen Honigprotokolle“. Mit diesem Satz heben viele der Gedichte des Bandes Honigprotokolle an, für den die 1969 in Zweibrücken geborene, mehrfach ausgezeichnete Lyrikerin Monika Rinck mit dem Peter-Huchel-Preis bedacht wurde. Den auf sie und in sich hineinhörenden Leser gleichsam anrufend, machen sie spöttisch auf den durch Süße überspielten Widerspruch aufmerksam: Honigprotokolle – als könnte an sich schon Klebriges durch Niederschrift noch haltbarer, hörbarer gemacht werden. Ist nicht gerade das Zähflüssige dieser hell schimmernden Produkte eines Kollektivs bereits stabil genug?
Der Honig und seine Erzeugerin, die Biene, eröffnen einen weiten Kulturhorizont, der seit der Antike gerade von den Dichtern immer wieder vermessen wird, um im Abgleich mit dem eigenen Standort die Positionen in den Landschaften zwischen Himmel und Erde, göttlich glänzender Wahrheit und erotisch-lustvoller Weltlichkeit, bestimmen und verzeichnen zu können. Denn was da an Nektar und Pflanzensäften in immer neuen Blüten-Konstellationen sich anbietet, was zu Poesie wird, ist welthaltiges Lebensmittel und wird zum kollektiven Erinnerungscontainer der vergehenden Gegenwarten zur Errettung der Zukunft. Anders gesagt: Was in Gedichten zusammenkommt, geschmeckt werden kann, ist eine Sprach-Materialsammlung der überblühenden Zeit, so einmalig wie zufällig.
Rincks poetische Verfahren an der Schnittstelle zwischen Natur und Kultur ist ein Sammeln und Sampeln – und das Gedicht wird zum rhythmisch pulsierenden Klangraum, in dem noch kleinste Tonfetzen, Wahrnehmungspartikel zwischen Geschwätzigkeit und Stille, durch die Metaphern- und Metamorphosenschleuder gejagt, zum Stimulans der Denk- und Sprachwelten werden.
Es entsteht ein heiterer Fluss, eine lautliche Durchlässigkeit, in der auch die Identität eines lyrischen Ichs obsolet wird. Wie hier:
Als Atlas
trage ich so schwer an mir wie an der Welt. Doch gäbe ich mich fort
bekäm ich mich intakt zurück? Oder mit einem Stechen in der Lunge?
Sieh, ich will mich ja nicht mehr. (…)
Was so verästelt fällt, fällt tiefer,
es fällt weicher, fällt zu Bett, ins Wurzelwerk
des wurzellosen Baumes, Traumes, Schaumes, Schamhaars, Bettchens.
Und weiter:
Frettchen sind nervöse Tiere, wie es auch die Menschen sind. So fällt es
für die Gattung günstig aus. Spiegele mich zur Unkenntlichkeit, in Stücken
gib mich mir wieder zurück. Nichts, nichts anfangen. Eines weitermachen,
dessen Gegenwart monströs in einer ungemachten, in einer blinden auch,
in einer Zukunft liegt (…)
Verstehe nur: Zum Zusammensetzen
hab ich es zerschlagen. Quer steht das Bild. Die Finsternis gehört dazu. (…)
Nicht, dass wir das nicht wüssten. Aber wo heute die ökonomischen Zwänge in allen Lebensbereichen mit der zuvor ausgerufenen Beliebigkeit aufräumen, ist es doch eine Erkenntnisfreude, einen poetischen Honig zu schlecken, der alles und für alle in sich zu bewahren weiß.
Wir betrachten am Ende den Körper
als Protokoll unseres Lebens.
Andreas Kohm, Mannheimer Morgen, 8.4.2013
– Huchel-Preissträgerin Monika Rinck las in Wilhelmshorst aus ihrem Prosaband Honigprotokolle. –
Eine wahre Huchel-Preisträgerin muss irgendwann auch mal im Wilhelmshorster Peter-Huchel-Haus gewesen sein. Während aber andere wie Nora Bossong oder Marion Poschmann noch immer ante portas warten, hat es Monika Rinck geschafft: Im Frühjahr bekam sie die viel begehrte lyrische Trophäe, und nun las sie am poetischen Ort aus dem gekrönten Opus Honigprotokolle. Es ist ihr elfter Preis innerhalb von zwölf Jahren, von diversen Stipendien ganz abgesehen.
Das Buch aus dem Berliner Kookbooks-Verlag ist gerade mal achtzig Seiten stark, beherbergt aber fünfundsechzig Gedichte, die man notfalls auch gut rhythmisierte Prosa nennen könnte, ohne rot zu werden. Im Untertitel heißt dieser Band „Sieben Skizzen zu Gedichten, welche sehr gut sind“. Viel Selbstbewusstsein und Humor, aber meint sie nun die Skizzen, oder gar die Gedichte? Das gut besuchte Huchelhaus erfuhr es aus dem Munde der Autorin. Allerdings trug sie ihre Sprachschöpfungen eher alle nach einer als jede nach ihrer Art vor.
Trotzdem gab es beim Hören so manches Vergnügen, denn Honig ist der temperamentvollen Autorin Metapher für vieles: die Spur auf dem beschriebenen Papier, die Süße einer guten Liebe oder Freundschaft, Sinnbild der Natur, von der sie nicht viel versteht, Honig als Endprodukt des immengleichen Wortesammelns, und Worte, die zuletzt im Ohr wie Honig klingen können. Auch seine Kehrseite wird nicht vergessen, das Anhaftende, klebrige Süße, die süße Klebrigkeit.
Obgleich sie nicht wisse, ob ihre Werke beim Leser als Gedichte wahrgenommen werden, schickt sie ihn nicht zum Genießen los. Ein Fährtenleser soll er sein, wie es Jagdhunde sind, sie aber sei die Spurlegerin. Ihre „assoziative Intelligenz“ verlangt nach einem aktiven Gegenüber, nix da mit Antriebsarmut!
Wäre da nicht dieses stete „Hört ihr das, so höhnen Honigprotokolle“ am Anfang der meisten Gedichte, so könnte man Rincks Lyrismen für übermütige Spielereien halten. Sie nimmt sich ja die Freiheit, den Rezipienten mitzunehmen, wo sie ist oder sein will, bei den Kollegen, an der Seite eines Übersetzers, im Wald, wo sich Wiesel und Autowrack begegnen, im Lärm eines Aeroporthotels oder als Personifizierung all dessen, was in und an einem See so passieren kann, eines ihrer schönsten Werke.
Um ein Du oder Wir als Gegenüber niemals verlegen, geht es mal spielerisch, mal stringenter zu. Ab und an verführen Begriffe sie zu unpoetischen Wendungen. Aber dafür ist ja das Zwischendeck der höhnenden Honigprotokolle eingebaut, Hohn klingt ja fast so wie Honig. Dies schafft Abstand, ohne ihr Temperament zu bremsen, sorgt dafür, dass keine zu große Ordnung im Werk entsteht, das schadet der Poesie. So stehen richtig süße Sachen neben erzwungenen – bitterer Honig sozusagen!
Literaturwissenschaft als Wegbegleiter und Moderator dieser Lesung? Sie will doch immer alles ganz genau wissen, bis zum Untergang eines Gedichts. Nun, Michael Opitz bemühte sich sehr, mehr Leben als Lehre aus den Gedichten zu ziehen, doch zuletzt gab es doch wieder Begriffsgefechte um Romantik, Surrealismus, tötende Fragen zur Arbeitsweise der Lyrikerin. Die Wissenschaft kann eben nicht aus ihrer Haut heraus. Für Monika Rinck aber hat ein Gedicht viele Eingänge. Das nun sollte den lebendigen Leser freuen samt seiner assoziativen Intelligenz.
Gerold Paul, Potsdamer Neueste Nachrichten, 12.10.2013
Schwierig, schwierig. Man merkt hier sollte sehr gewollt und manchmal auch etwas gezwungen Avantgarde geschrieben werden, also voll der Mainstream. Die ersten „Gedichte“ fand ich zwar noch ganz gut und manchmal auch überraschend, aber dann, aber dann… wurde es immer langweiliger, war es immer die gleiche weichgekochte Honigsuppe. Monika Rinck ist ohne weiteres belesen, kommt zumeist intellektuell rüber, aber irgendwie stockt das ganze. Stockt ist der richtige Ausdruck. Stockt, so wie gestocktes Ei, also Eierstich. Die ersten Gabeln sind hhmm, die danach bleiben zwischen den Zähnen kleben. Also jemand der so wie ich Gedichte liebt, für den ist dieses Büchlein eine nette Bereicherung im Bücherregal, aber eben auch nicht mehr. Dass sie dafür einen Preis bekommen hat zeigt, wie sehr die sogenannte Inellektuelle Literatur in Deutschland im eigenen Saft kocht. Schade drum. Es gibt keine wirklich neuen Dichter in diesem Land.
Selten habe ich ein so schönes und phantasievolles Lyrikband gelesen wie diesen. Die Sprache ist großartig- die Konstruktion und der Aufbau des Buches macht Laune das Buch zu lesen – und sich mit den Texten auseinanderzusetzen. Die Phantasie fliesst wie guter Honig – und man taucht in eine wundersame Welt ein, die bald auch die eigene wird. Danke für dieses herausragende Buch! Endlich etwas Neues und wirklich schönes- auf dem Lyrikmarkt!
Das ist ein Superbuch, das sind Gedichte, die man täglich neu lesen kann. Über lange Zeit geben sie Bilder und Klänge, die helfen, den ganz normalen Irrsinn des Alltags zu ertragen. Hat man das Buch, will man es nicht mehr missen.
Singe mir Muse, so beginnt immer die Dichtung, und sie singt, sang zuerst von Dingen, die Homer von anderen gehört hat, Überlieferungen, Erinnerungen. Singe mir, auf dass mein Reden das Erzählte neu macht, auferstehen lässt, dass es loskommt und sich freimacht vom ewigen Kommentar der Zuhörer: Kenn ich schon, hab ich schon gehört, sowas hat doch der und die schon gemacht, steht protokolliert in meiner Erinnerung; ein spotten und höhnen, wie jedes Erinnerte spottet und höhnt: Willkommen im Club. Du bist so ähnlich wie. Nichts Neues unter der Sonne.
Und käme tatsächlich etwas ganz neues, es würde vorbeirutschen, bestenfalls ein irritiertes Staunen, es fände keinen Halt, nichts, woran es festklebt, nichts, womit es in Beziehung tritt. Es ist das Bekannte, von dem aus die Welt sich erschließt, das den Verstand nährt und das Leben versüßt, wenn es denn hinterfragbar, durchlichtet, Klebstoff wird, um das neue vorbeifliegende Neue festzuhalten: Honig eben.
Wie Homer beginnt Monika Rinck fast alle ihrer Gesänge, die der Form nach episch sind, optische Hexameter, auch wenn es keine sind, mit ihrer, der neuen, Evokation der Muse Erinnerung: „Hört ihr das, so höhnen Honigprotokolle:“ und weisen auf eine Fluse hin, die sich festgeklebt hat und es beginnt ein Dialog der alte Adam, das Erinnerte spricht mit dem, was sein Neu-Sein behalten will, befragt es, knetet es, walkt es hinein in den schnellfließenden Strom des inneren Monolog, der in Wirklichkeit immer ein Dialog ist:
Hört ihr das, so höhnen Honigprotokolle, ein Frühling imitiert immer
den nächsten, so droht er wie einer, der später nachkommen will.
Vielleicht gibt es einen inneren Zusammenhang in der Reihung der Texte ich habe, abgesehen von einzelnen sprachlichen Brücken, keinen gesehen und keinen vermisst.
Keines der etwas über 60 Gedichte eignet sich, unterschätzt zu werden, dazu verführt gelegentlich das Humorige. Doch die Sprachspiele, der geliebte Binnenreim, die rhythmischen Korrespondenzen erleichtern zuversichtlich den Zugang auch Lesern, die moderne Lyrik fürchten; hilfreiche Hinweise, Fürst Kopf gelegentlich eins auf die Rübe zu geben erhält man aus den Texten genug, wenn man sie denn finden will. Bo Wiget hat, falls gar nichts mehr gehen sollte, ein paar der Texte musifiziert.
Es ist jedenfalls ein wasserreicher Strom, in den all die Themen wie Episoden geraten, voll mit Lachsen, lebensvolle Kühle, den trotz aller humorigen Eskapaden am Ufer ein Hauch Melancholie begleitet, es endet –, der Größe des Werkes angemessen, episch – aber sozusagen hoffnungsvoll:
Wer innen
verunglückt, wird mit allen Mitteln gerettet. Wer außen verunglückt, verzehrt.
Der Satz allein ist genug, um das schöne, dünne, meisterliche Buch teuer zu machen.
„Hört ihr das, so höhnen Honigprotokolle“: Monika Rinck liest aus ihrem neuen Band Honigprotokolle im Lyrik Kabinett München am 8.10.2012
Hans-Karl Fischer: Monika Rinck: Honigprotokolle
signaturen-magazin.de
Ingrid Isermann: Monika Rinck: Honigprotokolle
literaturundkunst.net, Nr. 65, 03/2013
Andreas Hutt: Der Grat
fixpoetry.com, 15.4.2012
Manuela Schmitz: Das Gedicht lebt, solange der Honig klebt
Deutschlandfunk, 7. 11. 2012
Insa Wilke: More than honey, honey! Laudatio auf Monika Rinck und ihren Gedichtband Honigprotokolle
Edit: Papier für neue Texte, Heft 62, 2013
– Ihre Gedankenschnelligkeit und Reflexionseleganz findet man selten in zeitgenössischer Lyrik: Die in Berlin lebende Dichterin Monika Rinck erhält in Staufen den Peter-Huchel-Preis. Ein Porträt. –
Monika Rinck, die vielseitig begabte Dichterin und Essayistin, führt seit 1997 ein Wörter- und Traum-Tagebuch mit mittlerweile 3353 Eintragungen, das alltägliche Vokabelfunde, Theoriebruchstücke und Sprachassoziationen auswertet. In diesem „Begriffsstudio“ erforscht die Dichterin die entlegensten Gebiete: den „sockenschusslorbeer“ ebenso wie den „entgeisterungszapfen“, den „liebenswürdigkeitsrammler“ und die „rettungsschneekatze“. Die dazugehörigen Kommentare vollziehen die blitzschnelle Koppelung verschiedenster Denkwelten und Fachbegriffe – ein Verfahren, das auch in ihren Gedichten Anwendung findet. „Mein Denken“, so heißt es einmal programmatisch, „war eine abgeweidete Wiese mit Buckeln“. Dieses „bucklige Gefühl“ – so definiert sie es in ihrem 2006 publizierten Essayband Ah, das Love-Ding! – meint die unerschöpfliche Neugier auf immer neue Denkfiguren aus der Psychoanalyse und der französischen Philosophie, die zu einer Poetik des Begehrens zusammengeführt werden sollen.
Die 1969 in Zweibrücken geborene Monika Rinck, die in Berlin lebt, vagabundiert auf unterschiedlichen Terrains der Kunst, Philosophie und Literatur. Nach einem Studium der Religionswissenschaft und vergleichenden Literaturwissenschaft in Bochum, Berlin und Yale hatte sich Monika Rinck in ihrer akademischen Abschlussarbeit mit den Motiven der Unio Mystica (Einswerdung) beim mittelalterlichen Mystiker Meister Eckart und bei Robert Musil beschäftigt. Auf den Lesebühnen Berlins hatte sie sich schon Ruhm erworben, als 2004 ihr erster Gedichtband “Verzückte Distanzen” erschien. Am Mittwoch erhält sie den mit 10.000 Euro dotierten, vom Südwestfunk und dem Land Baden-Württemberg gemeinsam getragenen Peter-Huchel-Preis für ihr exzellentes Gedichtbuch Honigprotokolle, ihren vierten Lyrikband.
Der Honig gilt als magischer Wirkstoff. In der Antike als früheste Götterspeise verehrt, repräsentiert er in der abendländischen Philosophie den Prozess der Schöpfung. Dichter wie Lukrez und Horaz entwarfen Analogien zwischen den Baumeisterfähigkeiten der Biene und der Arbeit des Lyrikers:
Aus bitterem Thymian sauge ich, der klugen Biene gleich, den süßen Honig meiner Dichtung.
All diese kanonischen Honig-Topoi von Platon bis Boethius hat auch Monika Rinck in ihre fein gewebten Honigprotokolle eingeflochten, die freilich noch mit Stichwörtern der Gegenwartsphilosophie und Textsplittern aus Fachsprachen und Jargons angereichert werden. Die Honigprotokolle sind ein Meisterstück der Ästhetik des Diversen.
Bereits der Titel dieses Gedichtbuchs führt eine paradoxe textuelle Existenz. Honigprotokolle: In diesem Wort vereinigt sich ja das Feste und das Flüssige. Das Zähflüssige des Honigs tritt in unmittelbar stoffliche wie hochsymbolische Verbindung mit den Fixierungen der Schrift. Die Gedichte selbst ermöglichen ein Vexierspiel mit den Lautähnlichkeiten der semantisch differenten Wörter „Honig“ und „Hohn“. Und all diese phonetischen Exerzitien bündelt die Autorin in einem bizarren Refrain:
Hört ihr das, so höhnen Honigprotokolle…
Monika Rinck verbindet die Elemente der Litanei mit ihren sprachspielerischen Passionen – und erzeugt damit eine unerhört suggestive rhythmische Bewegung der Verse. Die metrische Grundlage sind dabei „gemischte Daktylen“ und „hüpfende Rhythmen“, von denen es heißt, dass sie „das Weltinnenall des Binnenreims“ erschließen.
Die Honigprotokolle kultivieren das Nebeneinander kleiner Phantasmagorien, sinnlicher Momentaufnahmen, politischer Szenen – und sie forcieren Abschweifungen in disparate Wortfelder. So entsteht mittels einer kühnen Bild-Artistik eine „wilde Vielfalt, in die Tausenderlei eingefaltet ist“. Wie im programmatischen Gedicht „Honighohn“:
… Was der Honig an sich bindet: Protokolle.
Beflockte Unionen auf grau- bis graublauem Trikotstoff. Menschen
Werden. Hängen. Bleiben. Samen und Pollen genauso. Süße der Luft. Kandierte Haare,
Bahnen, Brücken. Stelle ich sie weg vom Kopf,
bleiben sie auf ewig stehen. Jedes Maß ist wahr in jedem Sinn.
Doch in Bezug auf was? Diese Sprünge! Barocker Minimator
des Verlangens. Wilde Vielfalt, in die Tausenderlei eingefaltet ist,
nur wird es nicht umgesetzt.
Den Rinck’schen Assoziationsketten sind noch einige minimalistische Lieder des Komponisten Bo Wiget beigefügt, die jene „Heiterkeit des Denkens“ erhöhen, auf die sich diese Dichtung verpflichtet hat. In der Schlusszeile eines „Honigprotokolls“, das selbstkritisch vor „billigen, schnittigen Begriffen“ warnt, wird die Schlüsselformel der Alchemie aufgerufen: „Solve et Coagula !“ – „Löse und verbinde“ – diese alchemistische Maxime zur Verbindung des Disparaten dürfte auch zukünftig die Dichtung Monika Rincks beflügeln.
Peter-Huchel-Preis 2013 an Monika Rinck für ihren Lyrikband Honigprotokolle. Zur Preisverleihung am 3.4.2013 in Staufen liest Monika Rinck Gedichte, Insa Wilke hält die Laudation und Monika Rinck die Dankrede.
Hendrik Jackson im Gespräch mit Monika Rinck
Holm-Uwe Burgemann und Konstantin Schönfelder: VOR|ZEICHEN #10 Monika Rinck Champagner für Alle
Monika Rinck beim 22. Literaturfestival Druskininkai Poetic Fall 2011.
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