Nadja Küchenmeister: Nach Georg Trakls Gedicht „Der Schatten“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Nach Georg Trakls Gedicht „Der Schatten“. –

 

 

 

 

GEORG TRAKL

Der Schatten

Da ich heut morgen im Garten saß –
Die Bäume standen in blauer Blüh,
Voll Drosselruf und Tirili –
Sah ich meinen Schatten im Gras,

Gewaltig verzerrt, ein wunderlich Tier,
Das lag wie ein böser Traum vor mir.

Und ich ging und zitterte sehr,
Indes ein Brunnen ins Blaue sang
Und purpurn eine Knospe sprang
Und das Tier ging nebenher.

 

Morgen Schauer

nebel überfallt die berge wie im flug und schleicht
metallisch um die spitzen karger bäume. der morgen
ist von tau zerfressen, leckt an einem straßenschild.

dein tier ist wach und lauscht dem rauschen in den
pappeln. von krähen schwer beladen sind die masten
eine schwarze fracht. und ein geräusch ist in den lüften

als würde jemand in der ferne särge putzen, schon die
halbe nacht. die dumpfheit alter schauermärchen, alter
lieder. dein tier liegt ausgestreckt mit aufgesperrtem

rachen und lässt den atem durch die lücken seiner zähne
streichen. ein wagen schleppt die regenfeuchte wie trauer
an den sommerreifen nach. ist auch der himmel wieder

reingewaschen und von so leichter heiterkeit: dein tier
ist müde, will nicht mehr. und es erzählen immerzu
die pappeln und einmal blüht die königin der nacht.

 

Das innere Tier

Als ich das Gedicht „morgenschauer“ schrieb, das in seinem Titel übrigens nicht auf Georg Trakl, sondern auf Stefan George verweist, habe ich nicht an Trakl, aber auch nicht an George gedacht. Ich hatte, wie so oft beim Schreiben, einen einzigen Vers zur Hand, von dem aus sich das ganze Gedicht entrollte. Dabei handelte es sich nicht um den Anfangsvers, sondern um diesen aus der letzten Strophe:

dein tier ist müde, will nicht mehr.

Die Erschöpfung, die sich darin ausdrückt, erschien mir so ursprünglich und tief, dass ich nicht anders konnte, als sie dem inneren Tier zuzuschreiben, das unter allem, was wir als menschlich in uns ansehen, lauert. Die sich daran knüpfenden Assoziationen verdanken sich einer Reise nach Norwegen im Jahr 2010, wo ich nahe der Stadt Voss am Fuße des Tvindevossen, eines über mehrere Steinstufen abfallenden Wasserfalls, übernachtete. Auf einem kleinen Abendspaziergang nahm ich den Überfall des Nebels nicht ohne Grauen wahr, zudem hing ein durchdringender Nieselregen in der Luft, der feuchte Glanz auf der Schnellstraße schien etwas zu bedeuten. Am nächsten Morgen war der Himmel wieder von strahlender Bläue, aber auf den Telefonmasten sammelten sich Scharen schwarzer Vögel und die Bilder der vergangenen Nacht tauchten wieder vor mir auf. Gleichzeitig erinnerte ich mich beim Schreiben aber auch an ein Gespräch mit meiner Freundin Franziska, die mir kurz zuvor freudig berichtet hatte, dass die Blüten ihrer „Selenicereus grandiflorus“ (der Trivialname dieser Kakteenart lautet „Königin der Nacht“) aufgegangen waren, was bei diesem Kaktus tatsächlich eine Besonderheit darstellt, denn er blüht im Sommer nur eine einzige Nacht lang. All diese Erinnerungen fügten sich nun zu einem Gedicht. Das innere Tier, das sich bisweilen ganz gut in Schach halten lässt, folgt seinem eigenen Gesetz. Mal ist es wachsam, mal entspannt, mal ist es unaussprechlich müde. Als ich mit meiner Arbeit fertig war, musste ich, insbesondere bei der zweiten Strophe, sofort an Georg Trakl denken. Die darin anklingende Schwermut und Dunkelheit der Bildsprache ist selbst für meine Gedichte eher ungewöhnlich, aber man muss das Gedicht eben auch machen lassen, selbst wenn es einen aus fremden Augen anblickt. Ich dachte also an Trakl, ohne sein Gedicht „Der Schatten“ zu kennen, ohne mir überhaupt darüber im Klaren zu sein, dass ein „wunderlich Tier“ auch durch seine Verse wandert. Bei Trakl wird das „lyrische Ich“ von seinem gewaltig verzerrten Schatten begleitet, der singende Brunnen und die aufbrechende Knospe können ihn nicht verscheuchen. Die aufbrechende Knospe? Die Königin der Nacht! Je öfter ich das Gedicht anschaue, desto seltsamer wird mir zumute. Es geschieht mir leider immer wieder, dass ich das Schöne nicht ohne Bedauern ansehen kann, nicht ohne das Wissen um sein Ende, und so erscheint es mir naheliegend, dass die Müdigkeit überhand nimmt, wo eine Blume ihre Blüten öffnet. Spätestens hier könnte man an Stefan George und sein Gedicht „juli-schwermut“ denken:

wie bin ich
Der blumen müd – der schönen blumen müd!

Gleichwohl der darin ausgesprochene Gedanke durch viele meiner Texte weht, habe ich den Titel einem anderen Gedicht entlehnt. In Georges Gedicht „morgenschauer“ heißt es:

Lasst solch ein schmerz sich nieten
Und solch ein hauch und solch ein licht?
Der morgen sich gebieten
Der fremd und selig in uns bricht?
Wie durch die seele zogen
Die pfade – dann durch das gefild.
Gelinde düfte sogen
dann gossen sie sich schnell und wild.

Sie gossen sich schnell und wild – wie die Wasser des Tvindefossen. Und dennoch dachte ich beim Lesen an Georg Trakl, den ich gerade nicht in meiner Jugend für mich entdeckte, wie so viele andere, weil wir in der Schule mit ihm wie auch mit Gottfried Benn traktiert wurden und es Jahre brauchte, bis ich mich beiden Dichtern, dann aber umso hingebungsvoller, widmen konnte. Mein Gedicht „morgenschauer“ schreibt sich von keinem anderen Gedicht her, zumindest nicht bewusst, aber jetzt, wo es da steht und mich anschaut, glaube ich doch, dass es aus sich heraus hinübergrüßt in eine längst vergangene Zeit, deren seelische Erschütterungen bis heute spürbar sind und immer wiederkehren werden im Gedicht. 

Nadja Küchenmeister, aus Mirko Bonné und Tom Schulz (Hrsg.): TRAKL und wir. Fünfzig Blicke in einen Opal, Stiftung Lyrik Kabinett, 2014

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