– Zu Georg Trakls Gedicht „Kaspar Hauser Lied“. –
GEORG TRAKL
Kaspar Hauser Lied
Für Bessie Loos
Er wahrlich liebte die Sonne, die purpurn den Hügel hinabstieg,
Die Wege des Walds, den singenden Schwarzvogel
Und die Freude des Grüns.
Ernsthaft war sein Wohnen im Schatten des Baums
Und rein sein Antlitz.
Gott sprach eine sanfte Flamme zu seinem Herzen:
O Mensch!
Stille fand sein Schritt die Stadt am Abend;
Die dunkle Klage seines Munds:
Ich will ein Reiter werden.
Ihm aber folgte Busch und Tier,
Haus und Dämmergarten weißer Menschen
Und sein Mörder suchte nach ihm.
Frühling und Sommer und schön der Herbst
Des Gerechten, sein leiser Schritt
An den dunklen Zimmern Träumender hin.
Nachts blieb er mit seinem Stern allein;
Sah, daß Schnee fiel in kahles Gezweig
Und im dämmernden Hausflur den Schatten des Mörders.
Silbern sank des Ungebornen Haupt hin.
Fünfzehn Jahre nach Trakls Lied auf den fremden Jungen mit Reiterambitionen, gelernten Phrasen auf den Lippen und einer Herkunft im Nebel testeten Wissenschaftler an sehr privaten Dingen, bis ihr Lied sich so sang: Er war nicht der und auch nicht ein, er war wohl nur. Und alle Lieder von Verlaine, Haendler, George, Biermann und nicht zuletzt Trakl klangen manchem schal und altverliebt.
Der Hauser ist ein Zeichen für die Dichter. Ein Mensch, den sie hätten erfinden wollen, wär er nie durch Nürnberg getappt, hätt er nie sein Blut in Ansbach gelassen.
Ob Trakl je in Ansbach war? Platen, in Leben und in Sprache stets dem Tode näher als dem Leben, stammt von dort. Man möchte Blut in Ansbach lassen, denn der Ort ist ruhig. Es gibt dort heute wache Menschen, die der Kunst und Literatur sehr zugeneigt. In Archiven und Vereinen, sogar Banken fördern sie, was ihnen eingegeben, doch nichts täuscht: Der Ort ist ruhig. Kein Hauser weit und breit.
Die Forschung nimmt der Lyrik verschiedenen Ortes ihre Kraftmagie. So ist es unerträglich, von dem Umstand zu lesen, dass er sich wohl selbst verwundet hat – Hic occultus occulto occisus est –, für all die Dinge, die ihm wichtig schienen und den Dichtern hehre Ziele sind: die Anerkennung, das Vertrauen, die Erkenntnis. Bin ich gut gelaunt, dann nenne ich den Hauser: Spekulant. Bin ich genervt, dann nenn ich den Wirren: Kasper.
Es will mir so eine Briefzeile einfallen an Frau Loos, Frau Bruce:
Nach Venedig, Bessie, ist es klarer denn je. Wir sind sehr unterschiedliche Gestirne. Einander zugewandt und doch Wesen, mit von einander strebenden Kulturen. Du fragtest mich, wem ich verwandt sei. Ich hielt den Atem an und sah ihn in nicht ganz voller Größe vor mir stehen, den jungen Mann, der mir Pandoras Bruder scheint. Hineingestellt in diese Welt, mit Gaben, die als solche erst erkannt sein wollen, in alte Zeiten, um ein Paradespiel der Civitas uns vorzuführen.
Dabei spielt es keine Rolle, ob er echt oder falsch ist, der Junge aus dem Keller, der Lügner aus der Zelle.
Wir Dichter stehen genauso in den Straßen von einem Mal auf’s andere, nur eine Rede führend.
Ich will, ich bin, ich halte, ich will sein wie. Mein Vater.
Wir Dichter sind die Erfinder unserer Welten. Lügner ist ein allzu hartes Wort. Rätsel scheint mir angemessen. Hic jacet / Casparus Hauser / Aenigma / sui temporis / ignota nativitas / occulta mors/ MDCCCXXXIII.
Hier liegt das Rätsel seiner Zeit. Von unbekannter Geburt, verborgenem Tod. Ein Dichter sicherlich, gebührend einsam und verlassen.
Nora Gomringer, aus Mirko Bonné und Tom Schulz (Hrsg.): TRAKL und wir. Fünfzig Blicke in einen Opal, Stiftung Lyrik Kabinett, 2014
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