– Zu Reiner Kunzes Gedicht „Das Ende der Kunst“ aus Reiner Kunze: gespräch mit der amsel. –
REINER KUNZE
Das ende der kunst
Du darfst nicht, sagte die eule zum auerhahn,
du darfst nicht die sonne besingen
Die sonne ist nicht wichtig
Der auerhahn nahm
die sonne aus seinem gedicht
Du bist ein künstler,
sagte die eule zum auerhahn
Und es war schön finster
Ein Gedicht über das Dichten, eine kleine, scheinbar einfache Geschichte. Ein Vogel dichtet, ein anderer redet ihm hinein, das hat Folgen. Diese haben etwas mit dem Ende der Kunst zu tun. So will es der merkwürdig abstrakte Titel, der die konkrete Geschichte zum Symptom, zum Exempel für etwas Allgemeines macht. Merkwürdig auch die paradoxe Schlußzeile: schön und finster passen nur ironisch zusammen. Worauf zielt die Ironie?
Mit der ersten Zeile schon gibt sich der Text als Fabel zu erkennen. In einer Fabel stehen sprechende Tiere für Menschen, und diese Verfremdung dient dazu, eine Einsicht über die Menschen und die Gesellschaft anschaulich zu vermitteln. Wenn der Auerhahn für einen Dichter, einen Künstler steht, wofür steht dann die Eule? Traditionell kennen wir diesen Nachtvogel als Symbol der Weisheit. Das will hier nicht passen, diese Eule ist ebenso töricht wie anmaßend; „Uhu“ paßte besser. Sie ist aber vor allem mächtig, denn der Auerhahn unterwirft sich sofort ihrer Forderung. So klärt sich die Botschaft der Fabel leicht: Sie prangen Verhältnisse als finster an, in denen Künstler sich genötigt sehen, ihre Werke gegen ihre Intentionen zu ändern und sich widerspruchslos den Vorschriften von Zensurinstanzen zu beugen. Dadurch führen sie selber Zustände mit herbei, die letztlich das Ende der Kunst bedeuten.
Eine alte und leider nach wie vor aktuelle Botschaft. Sie war aktuell, als der Aufklärer Johann Heinrich Voß eine Fabel „Der Kauz und der Adler“ schrieb, in der Eule, Kauz und „Ober-Uhu“ als Zensoren gegen den Hahn auftreten, der aufrührerisch die Sonne „emporkräht“. Die Botschaft war ebenso aktuell, als Reiner Kunze, anfangs selber gläubiger Kommunist, seinen Staat, die DDR, in den sechziger Jahren literarisch kritisierte, was ihm Publikationsverbot, Bespitzelung, Emigration eintrug. „Das ende der kunst“, im Westen zuerst in Kunzes Sammlung Sensible Wege von 1969 veröffentlicht, war schon 1960 in der DDR geschrieben und zwei Jahre später dort auch gedruckt worden. Der Autor, an seinem Meister Brecht in „Sklavensprache“ als Schreibmethode für finstere Zeiten geübt, erlaubte sich mit diesem Gedicht also mehr als der Auerhahn, und doch ließen es ihm die DDR-Ober-Uhus durchgehen, vorläufig.
Bleibt die Frage, was für ein Gedicht des Auerhahns es wohl war, das die Kritik der Zensor-Eule auf sich zog. Wir wissen nur, daß er darin, unter anderem, die Sonne besingen wollte. Aber können Auerhähne überhaupt singen? Dieser „balzt“ vielleicht, dann wäre sein Gedicht ein Liebesgedicht in der Art von „Wie herrlich leuchtet mir die Natur, / Wie lacht die Sonne…“. Oder geht es um eine metaphorische Sonne der Aufklärung, der Freiheit wie die, welche Vossens Hahn bekräht? Am nächsten liegt es anzunehmen, der Auerhahn wollte einfach singen, „wie der Vogel singt“, einfache „Naturlyrik“ also. Wer könnte nun einem Zensor willkommener sein als ein Schriftsteller, der kein garstiges politisches Lied anstimmen, sondern nur die Sonne besingen will? Die Lyrik der DDR war voll von solch harmloser Naturlyrik. Sogar in der DDR-Nationalhymne wurde die Sonne besungen. So läßt sich das Thema Sonne vielleicht als der letzte Ausweg eines Dichters verstehen, der mit weniger harmlosen Themen an der Zensur scheiterte. Und dann wird auch das noch zensiert. Das ist das Ende.
Norbert Mecklenburg, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Achtundzwanzigster Band, Insel Verlag, 2005
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