Oleg Jurjew: Von Orten. Ein Poem

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Oleg Jurjew: Von Orten. Ein Poem

Jurjew-Von Orten. Ein Poem

EINE BERGSTRASSE. ÜBER DIE LIEBE ZUM VATERLAND

Dalmatien. Feuer in einem Gebüsch am Straßenrand.
aaaaaDie blausilberne Flamme,
nachdem sie bis zum Gehtnichtmehr über die
aaaaaabgewinkelten Zweige hochgerannt
ist, tut einen Sprung ins Leere und wird zur kleinen
aaaaaFinsternis. In kurzer Zeit
wird der Hang über dem Meer aufflammen. Und dann die gesamte Adriaküste.

Busse und Autos fahren verlangsamt, als ob sie rückblicken. Halt macht jedoch
nur ein einziger Eistransporter, schräg mit Zebras bemalt. Der Fahrer in
tarnfarbenem Leibchen kommt mit einen Feuerlöscher auf dem Bauch. Hat
gerüttelt, hat geschüttelt – vergeblich – und ließ ihn schließlich nach unten
rollen – ins glänzende Adriatische Meer.

Erbittert stößt er die Transportertür zur Seite und beginnt das Feuer mit
raubereiften Handgranaten in buntem Stanniol zu bewerfen.

 

 

 

In Die Kunst.

Gespräche des Meisters gesammelt von Paul Gsell sagt der Bildhauer Auguste Rodin sinngemäß, dass es nicht darauf ankommt etwas richtig, sondern wahr wiederzugeben. Er macht es deutlich an Géricaults „Rennen in Epsom“, einem Bild, auf dem vier Pferde im gestreckten Galopp mit gleichzeitig weit nach vorn und weit nach hinten ausgestreckten Vorder- und Hinterbeinen dargestellt sind. Das ist natürlich falsch, aber eben wahr. Eine Wahrheit, die der Kunst der Literatur, wie sie von Oleg Jurjew meisterhaft vorgeführt wird, sehr nahe kommt. Es ist die Kunst der Auslassung dessen, was sich im Kopf des an die eigenen Bilder von Welt gebundenen Lesers abspult.

Gutleut Verlag, Ankündigung

 

Eine poetische Einführung des Autors Sascha Anderson

zu den neuesten Gedichten des russischen Sprachvirtuosen

Oleg Jurjew.

Eine Normszene: Jemand wirft Flaschen in eine Tonne für Glas; eine zweite: Die noch nicht beschnittenen Platanen an der Mauer zum Zoo; und drittens: Runde, niedrige, ineinander fließende Hügel. Nur drei Beispiele für die in sich wie in einem festverankerten kulturellen Daseinsraum ruhenden Entrees der neuesten sieben_und_dreißig Gedichte Oleg Jurjews.
So weit, so gut: Nur was sollen dann jene etwas windig anmutenden, etwas in Bewegung versetzenden Verben, die da dastehen wie Segel im Sabbat: Das Werfen, das Beschneiden, das Fließen. Ganz einfach: Derart greift die Zeit unter dem Deckmantel formvollendeter Vergangenheit – mit all ihren Schuldigkeiten, Absurditäten, je gewesenen Sonnenauf- und -untergängen, Verkrümmungen, kurz Beeinflussungen – ein ins absolute Jetzt des Augenblicks. Und wie immer ist es die Ruhe vor dem Sturm. Die keineswegs trügerische Ruhe. Denn Jurjew ist ja kein Trickkünstler. Er ist ein Erzähler ersten Ranges (siehe das gute Dutzend in russischer und deutscher Sprache geschriebener und erschienener Bücher), das heißt, er ist fähig, der Gerinnung des fotografischen Gedächtnisses eine bewegende Dimension der Ewigkeit abzuringen; will heißen: dass das regelmäßige Werfen der Flaschen in eine Glastonne „klingt, als hacke jemand gläsernes Holz“.
In Die Kunst. Gespräche des Meisters gesammelt von Paul Gsell sagt der Bildhauer Auguste Rodin sinngemäß, dass es nicht darauf ankommt etwas richtig, sondern wahr wiederzugeben. Er macht es deutlich an Géricaults „Rennen in Epsom“, einem Bild, auf dem vier Pferde im gestreckten Galopp mit gleichzeitig weit nach vorn und weit nach hinten ausgestreckten Vorder- und Hinterbeinen dargestellt sind. Das ist natürlich falsch, aber eben wahr. Eine Wahrheit, die der Kunst der Literatur, wie sie von Oleg Jurjew meisterhaft vorgeführt wird, sehr nahe kommt. Es ist die Kunst der Auslassung dessen, was sich im Kopf des an die eigenen Bilder von Welt gebundenen Lesers abspult. Insofern will ich Ihnen Jurjew, den 1959 in Leningrad (heute wieder Petersburg) Geborenen, ankündigen als den Künstler jedes vierundzwanzigsten Bildes und warte wie auf einen Krimi auf das, was jetzt, nach „Von Orten“, passiert, da ihm die Zeit vor die Linse läuft.

Sascha Anderson, faustkultur.de

Oleg Jurjews poetische Topographien

Von Orten nennt der bekannte russische Romancier und Lyriker Oleg Jurjew sein auf Deutsch verfasstes Poem in fünf Gesängen, und in der Tat handeln diese „petits poèmes en prose“ von der Kurpfalz und dem Zürcher Oberland, von Florenz und Frankfurt am Main, vom Elsass und vom alten Leningrad, im Sinne präziser Momentaufnahmen (mit Angabe von Jahr, Jahres- und Tageszeit). Jurjew nimmt es genau; schon im Titel fixiert er seinen Gegenstand (beispielsweise „Frankfurt. Immer noch April; der erste Tag nachdem man die Kneipentische rausgestellt hat. Über den kleinen Platz mit der Uhr“), um anschliessend akribisch-suggestive Beobachtungen folgen zu lassen. Beobachtungen von Strassenszenen mit „bleichen Greisinnen“, mit „Serbo-Kroaten, Indo-Pakistanis und Afro-Afrikanern“, mit Mädchen, die „einem zugezogenen, aber nicht-geknöpften Regenschirm ähnlich“ sind, aber auch Naturbeschreibungen von schönster Expressivität, ob es um den „Himmel aus blassem Lila-Rosa-Pudding mit dem herausgelöffelten Mond in der Mitte“ geht oder um Schnee, der von den Drähten glitt „wie Salz von der Klinge“. Jurjews Wahrnehmung begnügt sich nicht mit einer fotorealistischen Sprache, sie verlangt nach krausen Metaphern und kühnen Vergleichen. So heisst es denn über das Pskower Gebiet, wo Puschkins Landgut Michajlowskoje lag: „Ein Land nur aus Bäuchen und Brüsten“. Das ist ebenso anschaulich wie die toskanische Szenerie mit den „zusammengeklappten Schirmen“ der Zypressen und den „aufgeklappten“ der Pinien. Oleg Jurjew feiert das Detail und rückt ihm ironisch zu Leibe. Seine „Gesänge“ unterminieren das Pathos, indem sie sich lustvoll in die Niederungen des Prosaischen begeben. Das Resultat: funkelnde Gebilde von paradoxem Charme. Da und dort gleichen sie poetischen Erinnerungsvignetten.

I. R. Neue Zürcher Zeitung, 10.2.2011

Seit 20 Jahren

lebt er als Dichter, Dramatiker und Erzähler in Deutschland, und seit fünf Jahren schreibt er einmal monatlich die Kolumne Jurjews Klassiker im Tagesspiegel – wie so manchen Essay übrigens auf Deutsch. Literarisch hat er aber immer an seiner russischen Muttersprache festgehalten – auch wenn Elke Erb und Olga Martynova seine Romane (zuletzt Die russische Fracht bei Suhrkamp) mit viel Gespür übertragen.
Denn Oleg Jurjews fantastische Wortgespinste wollen einem mit jeder Silbe im Munde zergehen. Mit dem in fünf Gesänge unterteilten Poem Von Orten hat er seine halluzinatorische Beobachtungsgabe nun zum ersten Mal unvermittelt ins Deutsche gerettet. Jüngste Reiseerlebnisse und Kindheitserinnerungen gehen in diesen Prosagedichten eine Liaison ein. Die Orte sind ein verschneiter Weinberg in der Kurpfalz, der unweit seiner Wohnung gelegene Frankfurter Ostpark, die Straße zwischen Chicago und Urbana-Champaign im amerikanischen Illinois, eine illegale Siedlung an der abchasischen Schwarzmeerküste oder die Tram Nummer neun in Leningrad, der Stadt, in der er 1959 geboren wurde.

Paul Michael, Der Tagesspiegel, 16.4.2011

Mystik im Teeglas

– Über den russischen Lyriker Oleg Jurjew. –

Einer der interessantesten russischen Gegenwartsautoren dürfte der seit 1991 in Frankfurt am Main lebende Lyriker und Romancier Oleg Jurjew sein, von dem soeben im Verlag Jung und Jung eine zweisprachige Auswahl seiner Gedichte erschienen ist (In zwei Spiegeln, Salzburg 2012).
Es ist auf dem deutschsprachigen Büchermarkt leider nicht selbstverständlich, dem Leser bei übersetzten Gedichten auch die Originaltexte mit zur Verfügung zu stellen. So kann man den Salzburger Büchermachern nur ein Lob dafür aussprechen, dass sich jeweils auf der linken Buchseite auch die im kyrillischen Alphabet gedruckten Originaltexte der Gedichte finden, was, ganz nebenbei, auch optisch schön anzuschauen ist.
Vor zwei Jahren erschien im Gutleut Verlag ein schmales Bändchen Jurjews, für das es aber gar nicht erst eines Übersetzers bedurfte. Denn sein Poem Von Orten hat der Dichter in beiden Sprachen geschrieben, es ist im Original Russisch und Deutsch. Vier Jahre hat er dafür gebraucht. Die Texte des Buches fließen in Langzeilen dahin und überschreiten die Genregrenzen. In ihrem Sprachfluss erinnern sie an die lyrischen Stücke eines Francis Ponge, in ihrem überbordenden Einfallsreichtum an die Logbücher eines Tom Raworth (Logbuch, Verlag das Wunderhorn, Heidelberg 2011).
In seinem Poem Von Orten entdeckt Jurjew ein Frankfurt, wie wir es so vor ihm noch nicht gesehen haben:

In den Alleen zuckten die Laternen. Bedrohlich roch es nach vorgewittrigem
Moder. Die Bäume hockten sich hin und griffen sich an den Kopf.

Aber auch fernere Orte geraten in den Blick des Dichters: Zürich, die Nordsee, Chicago, Florenz.

Der Leipziger Schriftsteller Jan Kuhlbrodt hat Oleg Jurjew einen Mystiker des Alltags genannt, ihm „eine Mystik im Teeglas“ sowie einen „spezifischen Humor“ bescheinigt. Jurjews Humor kommt gewissermaßen aus dem Metaphorischen und aus der Anschauung.
An das Poem Von Orten knüpft Jurjew nun mit dem Poem Von Zeiten an, das gerade im Entstehen begriffen ist und aus dem wir hier fünf Texte vorab drucken. In einem davon läuft die Zeit rückwärts und der Erzähler wird genau sechzehn Minuten jünger. Es ist nicht sicher, ob dem Leser dieses Minipoems Gleiches widerfahren wird, während er es liest. Es gibt Blitze aus Eis ebenso wie klirrend-klare Sommer in diesen wundersamen Texten, in denen vielleicht auch ein Daniil Charms seine Spur hinterlassen hat. Und es gibt das schöne Wort „Nasenwurzelstadt“.
Er sei glücklich, hat Oleg Jurjew einmal gesagt, wenn er auf seiner Terrasse sitzen darf, Gedichte zwitschern kann und keinen Roman schreiben müsse, um die Welt zu verstehen.
Oleg Jurjew wurde 1959 in Leningrad, dem heutigen St. Petersburg, als Sohn einer Lehrerin und eines Violinisten und Konservatoriumsdozenten geboren. Heute lebt er mit der Lyrikerin Olga Martynova und dem Sohn Daniel in Frankfurt.

Volker Sielaff, Sprache im technischen Zeitalter, Heft 202, Juli 2012

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Jan Kuhlbrodt: Ortswechsel
fixpoetry.com, 28.1.2012

Eva Jancak: Von Orten. Ein Poem
literaturgefluester.wordpress.com, 5.10.2012

Astrid Nischkauer: DAS UNPRÄSENTE PRÄSENS
fixpoetry.com, 29.3.2016

 

Poesie entsteht in Zwischenräumen

– Gespräch mit Olga Martynova, Oleg Jurjew und Daniel Jurjew am 18. Juli 2013 in Frankfurt am Main. –

Axel Helbig: Liebe Olga Martynova, lieber Oleg Jurjew, lieber Daniel Jurjew, dieses Interview mit gleich drei Autoren über insgesamt sieben Bücher ist auch für mich eine Premiere. Anlass, dieses literarische Quartett anzustreben, war für mich die Tatsache, dass es allein im Jahr 2012 zu drei Veröffentlichungen gekommen ist, an denen Sie alle drei beteiligt waren – Wsewolod Petrows Novelle Die Manon Lescaut von Turdej, übersetzt von Daniel Jurjew, wurde von Olga Martynova mit einem Kommentar und von Oleg Jurjew mit einem Nachwort versehen; auch Igor Bulatovskys Gedichtband Längs und Quer, übersetzt u.a. von Daniel Jurjew und Olga Martynova, wurde von Oleg Jurjew mit einem Nachwort versehen; und schließlich ist Oleg Jurjews erster im Deutschen erschienener Gedichtband In zwei Spiegeln u.a. von Olga Martynova und Daniel Jurjew übertragen worden. Man könnte also durchaus von „Familie als Werkstatt“ sprechen. Zu dieser Werkstatt-Familie müssten gerechterweise noch Elke Erb und Gregor Laschen hinzugezählt werden, die in vielerlei Hinsicht als Übersetzer und Freunde an den heute zu besprechenden Büchern beteiligt gewesen sind. Sprechen wollen wir heute auch über Olga Martynovas Romane Sogar Papageien überleben uns (2010) und Mörikes Schlüsselbein (2013) – beide auf Deutsch verfasst – sowie über das ebenfalls auf Deutsch verfasste Poem Von Orten von Oleg Jurjew (2010). Nicht unerwähnt bleiben kann Olga Martynovas Gedichtband Von Tschwirik und Tschwirka (2012), der parallel zum Papageien-Roman entstanden ist. Im Gegensatz zum Roman wurden jedoch die Gedichte auf Russisch verfasst und erst danach von Elke Erb und Olga Martynova ins Deutsche übertragen.
Meine erste Frage möchte ich an Oleg Jurjew richten. Oleg, Sie und Olga haben bereits vor Ihrer Übersiedlung nach Frankfurt am Main ein Autorenleben in Leningrad/Sankt Petersburg geführt und waren in die dortige Literaturszene gut integriert. Wie hat sich dieses Leben als Autoren in der Sowjetunion/später Russland abgespielt? Was waren die Beweggründe, die vertraute Umgebung zu verlassen und nach Deutschland umzuziehen?

Oleg Jurjew: Wir gehörten zur inoffiziellen Literaturszene, de facto einer Parallelgesellschaft zum offiziellen Literaturbetrieb, wir veröffentlichten in Samisdat-Zeitschriften und -Almanachen, nahmen an rein privaten Wohnungslesungen teil und waren an sich bereit, so weiter zu leben. Wir hatten nie geglaubt, jemals eine Zeile von uns in einem Verlag gedruckt zu sehen. Das war eine sehr umfangreiche Szene mit sehr vielen Autoren aus sehr vielen Literaturrichtungen – Freunde und Feinde, wie im normalen Literaturleben. Nach der Perestrojka hatte sich die Situation geändert, meine Theaterstücke konnten aufgeführt und gedruckt werden. Wir konnten sogar von der Literatur leben. Ende 1990 sind wir für zwei Wochen nach Deutschland zu Lesungen eingeladen worden. Daniel, damals zwei Jahre alt, war mit nach Deutschland gekommen, da wir für ihn keine Betreuung in Petersburg finden konnten. Nach den Lesungen sind wir durch Deutschland gefahren und irgendwie hier stecken geblieben. Das war nicht geplant. Wir waren lange in einem riesigen Käfig zuhause, einem Käfig, den du dein ganzes Leben lang bereisen und sehr interessante Empfindungen und Eindrücke sammeln konntest – aber doch ein Käfig, an den Grenzen unpassierbar. Deutschland, das wir dann über mehrere Monate bereist hatten, gefiel uns sofort. Wir interessierten uns dafür, wie die Menschen hier leben. Das war der „Beweggrund“, nicht mehr.

Helbig: Es gibt ja auch viele deutsche Autoren, die im Ausland leben. Wie diese haben auch Sie Ihr Selbstverständnis als russische Autoren nicht in Zweifel gezogen. Dass Sie heute auch in deutscher Sprache schreiben, daran war in dieser Anfangszeit ja nicht zu denken.

Olga Martynova: Das Schreiben in deutscher Sprache haben wir damals nicht thematisiert, allerdings haben wir dies auch nie bewusst ausgeschlossen. Es war jedoch klar, dass wir, wenn dieser Aufenthalt in Deutschland sich verlängert, eines Tages auch mit der deutschen Sprache arbeiten würden. Wir hatten gleich nach unserer Ankunft begonnen die deutsche Sprache zu lernen, die wir vorher nicht gekannt hatten. Außer bitte und danke kannten wir kaum ein Wort. Uns hat es in der Anfangszeit sehr geholfen, dass wir eine zweisprachige Mandelstam-Ausgabe besaßen. Meine erste Veröffentlichung auf Deutsch war 1998, das war eine Buchbesprechung für DIE ZEIT.

Oleg Jurjew: Bei mir war es ähnlich, ein Text für eine deutsche Zeitung.

Helbig: Mit Bezug auf Ihre Petersburger Zeit in der dortigen Parallelgesellschaft weisen Sie immer wieder auf die Bedeutung der Dichtergruppe Kamera Chranenija („Gepäckaufbewahrung“) hin. Aus dieser Gruppe hat sich inzwischen ein Internet-Portal entwickelt. Gibt es auch einen gleichnamigen Verlag?

Oleg Jurjew: Die Reihenfolge war anders. In den 90er Jahren machten wir viele Bücher. Die wurden teilweise in Deutschland (aber auch von Kollegen in Russland) geschrieben und sind in Petersburg erschienen. Diese Praxis haben wir dann eingestellt. Vermutlich hatten wir geglaubt, alle uns wichtigen Bücher realisiert zu haben. Einige Jahre später haben wir unsere russische Publikationspraxis im Internet weitergeführt. Diese Seite Kamera Chranenija existiert immer noch, sie wird von uns von Deutschland aus realisiert.

Helbig: Oleg, Sie haben in Ihrer Rede anlässlich der Verleihung des Hilde-Domin-Preises für Literatur im Exil einmal vom dreifachen Exil gesprochen, daß Sie bei der Übersiedlung nach Frankfurt gegen ein einfaches Exil eingetauscht haben. Was ist damit gemeint?

Oleg Jurjew: Ja, es handelte sich um ein dreifaches Exil. Zunächst muss man sehen, dass jeder Dichter per se im Exil lebt und schreibt. Dazu kommt, dass ich Jude und als solcher ebenfalls in einem Exil bin. Das dritte Exil, eine Art inneres Exil, ist durch die Parallelgesellschaft definiert gewesen. Ich glaubte zunächst, dass ich durch einen Umzug nach Deutschland diese drei Exile gegen eines austauschen könnte. Inzwischen weiß ich, dass man – auch bei offenen Grenzen – dieses dreifache Exil nicht so einfach loswerden kann. Vielleicht sind es jetzt noch mehr als vorher. Ich hatte für meine Dankesrede ein Motto von James Joyce gewählt, aus A Portrait of the Artist as a Young Man, in dem dieser Gedanke des mehrfachen Exils analog ausgedrückt ist, „… silence, exile and cunning“ („Stille, Fremde und List“). Aber zwischen Olga und mir besteht inzwischen ein Unterschied. Ich bin noch immer ein russischer Autor in Frankfurt, Olga ist inzwischen eine deutsche Autorin. Möglicherweise hat sie deshalb weniger Exile als ich.

Helbig: Ich gebe diese Frage gleich weiter. Olga, Sie sprechen von einem zweigeteilten Sprachbewusstsein, Sie fühlen sich als Lyrikerin nach wie vor in der russischen Sprache zuhause, als Prosaautorin sind Sie inzwischen eine sehr erfolgreiche deutsche Autorin geworden. Ist das wirklich geteilt, oder sollte man besser sagen: eine russische Autorin, die auch deutsch schreibt?

Olga Martynova: Ich weiß es nicht. Ich habe über das Thema Exil nie nachgedacht. Ich fühle mich überall gleichermaßen zuhause. Ich habe mich nie fremd gefühlt. Ich gehe davon aus, dass dort, wo ich freiwillig bin, das Wichtige passiert. Dort ist für mich die Mitte der Welt. Es hat sich erwiesen, dass die damalige inoffizielle Literatur in Russland wichtiger war als die damalige offizielle Literatur. Als Oleg seinen Essay über das Exil geschrieben hatte, habe ich erstmals über diese Frage nachgedacht. Ich fand dieses Gedankenspiel über verschiedene Exile faszinierend.

Oleg Jurjew: Vermutlich hätte auch ich nicht über diese Frage nachgedacht, wenn ich nicht diesen Preis bekommen hätte. (lacht) Wenn man will, dass ich über etwas nachdenke, muss man mir einen Preis verleihen.

Helbig: Man hat früher nie darüber nachgedacht, ob Joyce ein Exilautor ist, oder ob Pound ein Exilautor ist. Die hat man selbstverständlich als englische oder amerikanische Autoren weitergedacht. Bei Russen, die in Frankfurt leben, stellt man sich offenbar diese Frage. Dabei sind ja Ihre Romane, Oleg, zuvor bereits bei russischen Verlagen erschienen.

Oleg Jurjew: Nicht unbedingt zuvor. Ab und an ging es in Deutschland schneller. Einige Romane sind zunächst in deutscher Übersetzung erschienen. Ich habe etwa die gleiche Zahl Bücher in Russland und Deutschland veröffentlicht. Etwa 12 oder 13 auf jeder Seite. In diesem Jahr sind in Moskau zwei Bücher erschienen. In diesem Sinne sind wir nicht Exilautoren, die vom Literaturleben in Russland abgeschnitten wären.

Helbig: Petersburg ist ein Fundort für Literatur der Vergangenheit aber natürlich auch für spannende aktuelle Texte. Igor Bulatovsky, den Sie dem deutschen Lesepublikum nahe gebracht haben, ist Jahrgang 1971. Wie kam es zu diesem Band Längs und Quer von Bulatovsky?

Daniel Jurjew: Das Buch setzt sich aus Texten zusammen, die unterschiedliche Übersetzer im Laufe der letzten Jahre übertragen haben. Eine Reihe von Texten sind im Rahmen eines Übersetzungsprojektes mit Gregor Laschen entstanden. Für diese Texte hat Igor Bulatovsky 2005 den Hubert-Burda-Preis für ost- und südeuropäische Lyrik erhalten. Andere Gedichte waren schon vorher von meinen Eltern und Elke Erb übersetzt worden. Dazu kamen Zeitschriftenveröffentlichungen, u.a. in OSTRAGEHEGE. Als der Verlag Das Wunderhorn Interesse zeigte, einen Band von Bulatovsky zu übersetzen, habe ich mich an die Arbeit gemacht und weitere übertragen.

Helbig: Bulatovsky ist der erste Dichter der aktuellen Petersburger Lyrikszene, der in Deutschland bekannt geworden ist. Gibt: es weitere Autoren, die die deutsche Aufmerksamkeit verdienten?

Daniel Jurjew: Eine Autorin, die in Deutschland noch viel zu wenig Beachtung hat, ist die gerade erst verstorbene Jelena Schwarz (1948–2010). Ich habe jetzt Gedichte übersetzt, die im April in der Neuen Rundschau veröffentlicht worden sind. Sie ist eine Autorin, die für meine Eltern und viele andere in der inoffiziellen Literaturszene der 70er, 80er Jahre eine große Bedeutung hatte. Ich hoffe, dass es auch für diese Übersetzungen einen interessierten Verlag geben wird.

Helbig: Oleg Jurjew, vielleicht sprechen wir jetzt über Ihren Band Von Orten. Überraschend war für mich zu lesen, dass Sie diese Texte parallel auf Russisch und auf Deutsch geschrieben haben. Also nicht von der einen Sprache in die andere übertragen, sondern den kreativen Prozess zu den gesetzten Themen zweimal durchlaufen haben.

Oleg Jurjew: Das ist mein bisher einziges auf Deutsch verfasstes Buch. Die russischen Texte sind tatsächlich parallel entstanden. Das war ein seltsamer Vorgang, es sind abwechselnd deutsche und russische Texte entstanden. Sie sind thematisch aus einer Quelle gekommen aber in zwei Sprachen gewachsen. Ich ging jeweils von den gleichen Bildern aus. Die Sprachrhythmen sind unterschiedlich. Es lässt sich auch nicht alles in beiden Sprachen umsetzten. Ein Bild, das im russischen funktioniert, muss nicht im Deutschen funktionieren und umgekehrt. Das russische Buch hat einen Text mehr, dafür gab es keine deutsche Entsprechung. Aber im weitesten Sinne sind die Bilder und Intentionen der beiden Bücher identisch. Dennoch war dieses Prozedere für mich etwas ganz Neues und im Prinzip auch Seltsames. Interessanterweise werden die in Russisch verfassten Texte in Russland nicht als Gedichte, sondern als Kurzprosa wahrgenommen. Die auf Deutsch verfassten Texte werden als Gedichte verstanden. Das freut mich. Ich liebe dieses Buch sehr und lese oft und gern aus ihm.

Helbig: Ich habe die Texte als wunderbare Gedichte gelesen. Sie haben eine große Dichte erreicht und sind dennoch fließend, ja geradezu geschmeidig. Der Leser wird nicht zugetextet, ihm werden Räume eröffnet. Es sind Texte, die sich auf Bilder und Metaphern stützen.

Oleg Jurjew: Mit dieser Lesart bin ich sehr einverstanden.

Helbig: Dazu kommt, dass einige der Gedichte einen sehr schönen Blick auf Frankfurt eröffnen. Ich weiß nicht, was in den letzten Jahrzehnten an Beachtlichem über Frankfurt geschrieben worden ist. Diese Gedichte gehören jedenfalls dazu. Sie sind ein poetischer Zeitabdruck, der das Leben der Stadt in vielen Facetten in poetischen Bildern einfängt.

Martynova: Die Gedichte sind in Frankfurt auch sehr gut aufgenommen worden.

Oleg Jurjew: Das Buch ist zurzeit vergriffen. Vielleicht wird es nachaufgelegt. Das ist Sache des Verlegers. Meine Aufgabe ist das Schreiben. Ich bin schon beim nächsten Buch, ebenfalls ein Poem.

Helbig: Oleg, Sie sagen, jedes Gedicht hat idealerweise sein eigenes Gesetz. Deshalb müssen wohl auch, trotz gleicher Intentionen und Bilder im Russischen und im Deutschen, zwei unterschiedliche Gedichte entstehen?

Oleg Jurjew: Die Gedichte folgen den eigenen Sprachmelodien. Gerade in diesem Sinne sind die beiden Sprachen recht unterschiedlich. Für mich war interessant und wichtig, dass ich den Bildern und Intentionen nicht als deutscher Autor oder als russischer Autor gefolgt bin, sondern einfach als Autor. Dabei hatte ich zwei Sprach-Werkzeuge zur Verfügung, das Deutsche und das Russische. Ich habe versucht, diese Werkzeuge parallel zu benutzen. Ich wollte herausfinden, ob es einen großen Unterschied ausmacht, in welcher Sprache ich das Gedicht schreibe. Im Ergebnis habe ich festgestellt, dass es darauf ankommt, einen Text konsequent zu Ende zu schreiben. Dann macht es, bei allem Unterschied der Sprachen, auch keinen Unterschied, ob das Gedicht auf Deutsch oder auf Russisch geschrieben wird.

Helbig: Oleg, Ihr Nachwort zum Band von Bulatovsky war das Interessanteste und Anregendste, was ich in letzter Zeit zum Gedicht gelesen habe. Das kann jetzt gar nicht alles reflektiert werden. Ich empfehle jedenfalls, diesen Text zu lesen. Sie schreiben u.a.:

Gedichte sind nur dann als Gedichte zu bezeichnen, wenn sie die Fähigkeit zum Atmen haben.

Bei diesen beiden parallel geschriebenen Bänden war also darauf zu achten, dass die Gedichte in beiden Sprachen die Fähigkeit zum Atmen erlangen?

Oleg Jurjew: Das ist so. Aber gute Prosa muss auch atmen. Die Texte der beiden Bücher stehen gewissermaßen auf der Grenze zwischen Gedicht und Prosa. Die Poesie entsteht nicht in Worten, sondern in Zwischenräumen. Die Worte sind dazu da, diese Pausen und Zwischenräume zu schaffen. So wird das Atmen möglich. Aber das funktioniert natürlich alles über Bilder.

Helbig: Oleg, In zwei Spiegeln ist der erste Band, in welchem dem deutschen Leser ein Überblick über Ihre dichterische Arbeit gegeben wird, Gedichte aus 25 Jahren. Es gibt von Ihnen eine schöne rigorose Aussage:

Seit dem 30. Januar 1970 habe ich mich mit nichts anderem beschäftigt als mit dem Gedichteschreiben und Gedichtelesen.

Was ist an jenem Tag geschehen und warum diese rigorose Aussage?

Oleg Jurjew: Nicht rigoros! Am 30. Januar 1970 habe ich mein erstes Gedicht geschrieben – über das traurige Schicksal eines kleinen Ziegenbocks. Das Gedicht verschwand aus dem Gedächtnis, das Datum (das ich als ein sehr ernster junger Mann von elf Jahren aufgetragen habe) ist geblieben.

Helbig: Sie sagen:

Ich schreibe Gedichte, um zu erfahren, wovon sie handeln.

Das erinnert mich an Günther Eich, der gesagt hat:

Ich schreibe Gedichte, um mich in der Wirklichkeit zu orientieren. Ich betrachte sie als trigonometrische Punkte oder als Bojen, die in einer unbekannten Fläche den Kurs markieren. Erst durch das Schreiben erlangen die Dinge Wirklichkeit. Sie ist nicht meine Voraussetzung, sondern mein Ziel. Ich muß es erst herstellen.

Oleg Jurjew: Das ist schön gesagt, aber sehr kompliziert. Mein Satz ist einfacher. Deshalb wahrscheinlich schaffte er es auf die Buchklappe, die oberste Position auf der Karriereleiter für jeden Satz.

Helbig: Oleg, irgendwo habe ich diese schöne kryptische Bemerkung von Ihnen gefunden:

Jedes Gedicht ist ein von innen unbestimmbarer Vogel.

Was hat es damit auf sich?

Oleg Jurjew: Hier (obwohl ich nicht weiß, wo) habe ich einen Satz aus meinem Buch Spaziergänge beim Hohlmond zitiert. Darin verwandelt der Ich-Erzähler sich in einen Vogel, aber er weiß natürlich nicht, weil er drinnen im Vogel ist, was für einer er ist – eine Taube, ein Spatz oder eine Schwalbe. Wahrscheinlich habe ich damit die Situation eines Dichters gemeint, der sich drinnen im Gedicht befindet (oder eines Gedichtes, das sich drinnen im Dichter befindet) – man muss von außen schauen, um zu bestimmen, was für ein Vogel dieses Gedicht ist.

Helbig: Ich will noch einmal auf Von Orten zurückkommen. Sie haben in einem Interview einmal gesagt, „dass man in einer Fremdsprache eher das Ende der Möglichkeiten eines Textes bemerkt“. Woran liegt das und welche Erfahrungen haben Sie diesbezüglich beim doppelsprachigen Projekt Von Orten gemacht? Vorhin sprachen wir über Joyce, der sinngemäß gesagt hat: Der Abstand zur Sprache macht einen richtigen Dichter aus.

Oleg Jurjew: Ja, richtig, ohne Abstand zur Sprache ist keine Literatur möglich. In einer Fremdsprache ist dieser Abstand normalerweise leichter, zumindest schneller herzustellen. Das Ende der Möglichkeiten eines Textes ist nur ein Teil des Abstands zur Sprache. Bei Von Orten war interessant zu beobachten, wie der Autor (also ich) in zwei Sprachen zwei unterschiedliche Techniken anwenden musste, um den gleichen Abstand zum Text zu finden.

Helbig: Olga, auch von Ihnen ist gerade ein neuer Gedichtband erschienen. Die Besonderheit des Bandes Von Tschwirik und Tschwirka ist, dass die auf Russisch verfassten Gedichte parallel zum auf Deutsch verfassten Roman Sogar Papageien überleben uns entstanden sind. Der Band hat drei Teile – neben den Tschwirik- und Tschwirka-Gedichten gibt es einen Zyklus „Wwedenskij (Eine Untersuchung in Versen)“ und einen Zyklus „Verse von Rom“. Ist diese Parallelität, dieser Wechsel von Prosa und Lyrik und der Wechsel der Sprachen, eine Art Atemholen im Schreibprozess des Romans gewesen?

Martynova: Das waren keine bewussten Entscheidungen für eine Sprache. Das schaltet automatisch um. Wenn ich russische Texte lese, kommt ein russischer Gedankenstrom in Gang. Das hat nichts mit den Gattungen Prosa und Lyrik zu tun. Wenn ich Prosa schreibe, gerate ich wie in einen Sog, es ergibt sich ein unaufhörlicher Schreibfluss, der Kopf ist immer mit dieser Sache beschäftigt. Irgendwann kommt dann aber doch der Punkt, wo man nicht mehr schreiben kann. Man ist blockiert und kommt nicht weiter, hat aber dennoch diesen Druck weiterzuschreiben. Etwa zu der Zeit als ich an Sogar Papageien überleben uns geschrieben habe, hatte Elke Erb ihr Buch Sonanz veröffentlicht, in welchem sie ihr dem automatischen Schreiben verwandtes Verfahren der Fünf-Minuten-Notate ausprobiert hat. Ich dachte dann, dass es in diesen Phasen gut wäre, das auch einmal auszuprobieren. Jeder geht anders mit dieser Voraussetzung um. Natürlich hat Elke Erb vollkommen anders gearbeitet als Breton und Soupault und ich wieder anders. Aber auch ich habe versucht vollkommen abzuschalten und etwas zu notieren. Nachdem ich eine größere Zahl von Texten gewonnen hatte, begann ich diese zu bearbeiten – mit Verstand und Logik, weit entfernt vom automatischen Impuls. Im Ergebnis entstand der Zyklus „von Tschwirik und Tschwirka“.

Helbig: Es gibt einen Berührungspunkt zwischen den Gedichten und dem Roman. Marina, die Hauptgestalt des Romans setzt sich wissenschaftlich mit den Oberiuten auseinander, einer avantgardistischen Petersburger Dichtergruppe aus den 20er und 30er Jahren. Im Gedichtband ist einem dieser Dichter – Alexander Wwedenskij – ein ganzer Zyklus gewidmet. Sind in den Tschwirik- und Tschwirka-Gedichten auch Impulse der Oberiuten aufgenommen worden?

Martynova: Es gibt Berührungspunkte, jedoch nicht bei den Tschwirik- und Tschwirka-Gedichten. Diese haben nichts mit der Oberiuten-Ästhetik zu tun. Sie sind anders geschrieben. Der Wwedenskij-Zyklus hat natürlich etwas mit den Oberiuten zu tun, allerdings nicht stilistisch, sondern gedanklich. Was die Oberiuten gemacht haben, hat auch mit der Abschaltung des Bewusstseins zu tun. Das ist offensichtlich ein Thema, das die Dichter seit etwa einhundert Jahren interessiert. Wwedenskij und Charms haben vieles versucht, sie haben sogar Äther gerochen, um in bestimmte Zustände zu gelangen. Aber sie waren zu sehr Literaten, um nicht auch mit dem Verstand zu arbeiten. Wwedenskij hat einmal gesagt, „nicht verstehen ist die einzige Möglichkeit, etwas zu verstehen“. Aus diesem Paradoxon heraus hat er versucht zu schreiben. Die Tschwirik- und Tschwirka-Gedichte haben andere inhaltliche Berührungspunkte mit dem Roman. Im Roman gibt es eine Episode, wo jemand raucht in einer Kriegsnacht und ihm sein Grabennachbar sagt, „Man raucht nicht im Krieg, man wird uns entdecken, du Idiot!“. Es gibt ein Gedicht „Tschwirik im Krieg“, wo genau dasselbe mit den Mitteln der Lyrik beschrieben wird.

Helbig: Sind die Gesprächsaufzeichnungen, die die Oberiuten gemacht haben, um augenblickliche Empfindungen festzuhalten, etwas, das dem „automatischen Schreiben“ vergleichbare Ergebnisse bringt?

Martinova: Nein, das Ziel war nur, das aufzuschreiben. Sie haben gesprochen, wie man spricht, aber einer, Leonid Lipawskij, hat gesagt:

ich fotografiere diese Gespräche.

Er hat sie protokolliert. Sie haben sich einfach getroffen und haben getrunken, gegessen, gesprochen.

Oleg Jurjew: Meistens war das eher Selbstunterhaltung. Sie kamen in der Art eines Stammtischs regelmäßig zusammen. Das Leben in den sowjetischen 30er Jahren war noch langweiliger als das Leben in den sowjetischen 70er oder 80er Jahren. Die Langeweile war die Haupteigenschaft des sowjetischen Lebens.

Maratynova: Und doch musste man damit rechnen, jederzeit in der Nacht abgeholt zu werden. Also ganz so langweilig war es doch nicht.

Oleg Jurjew: Auch das ist langweilig. Man schaltete das ab, man erwartete das nicht. Aber dennoch waren das sehr nervöse Menschen.

Helbig: Olga, Sie haben gesagt, dass für Ihr Schreiben das Spielerische Moment der Oberiuten-Literatur ein wichtiger Impuls gewesen, das Narrative jedoch stets das bestimmende Moment geblieben sei.

Martynova: Unterm Strich habe ich gar nicht so viel von den Oberiuten. Das Spielerische kann man unterschiedlich definieren. Es ist sehr umfassend, es kann auch sehr ernst sein. Als Autorin beeinflusst mich alles, was ich lese und sehe. Insofern haben die Oberiuten auf mich keinen stärkeren Einfluss als Tolstoj, Kafka oder Musil. Alle Bücher, die ich lese, beeinflussen mich auf eine bestimmte Art.

Ostragehege, Heft 72, 2013

 

 

Oleg Jurjew: „Wenn ,übersetzt‘, dann aus der Sprache des Orts und Moments ins Russische und ins Deutsche.“ Ein Interview von Maria Lipiskova mit Oleg Jurjew am 17.9.2010.

Ulrich Erler: Ein Gedicht fragt nicht, es kommt einfach

Eine Auswahl an Gedichten von Oleg Yuryev mit einem Kommentar von Valery Shubinsky im Ivan Limbach Verlag

von arten und weisen – Oleg Jurjews Poeme. Mit Elke Erb, Katharina Hacker, Olga Martynova und Steffen Popp. Lesung und Gespräch am 14.2.2019 im Literarischen Colloquium Berlin.

 

 

 

Olga Martynova und Daniel Jurjew stellen Werke von Oleg Jurjew in der Bamberger Villa Concordia 2021 vor.

 

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Die Autoren Olga Martynova und Oleg Jurjew zum Thema „Finanzierung von Kreativität“.

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