Orplid & Co. – Hundert Minuten Poesie. Dichter im Café Clara

Mashup von Juliane Duda zu der CD Orplid & Co. – Hundert Minuten Poesie. Dichter im Café Clara

Orplid & Co.-Hundert Minuten Poesie. Dichter im Café Clara

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Orplid & Co.

„Du bist Orplid, mein Land! / Das ferne leuchtet…“; Eduard Mörike (1804 bis 1875) in seinem etwas irritierenden „Gesang Weylas“, gewidmet jener imaginierten Insel-Welt ORPLID, die der „bald fröhliche, bald melancholische Pfarrer von Cleversulzbach in Schwaben“, wie viele hingerissen von den Reiseberichten Georg Forsters, irgendwo in der Südsee erstehen ließ, und zwar als etwas, das inzwischen „ausgestorben und öde“ war gleich so vielen Burgen des deutschen Mittelalters… Für manche ist dann der Name der mysteriösen Insel zu einem Synonym für die Poesie schlechthin geworden, nicht zuletzt wohl wegen des ähnlichen Klangs. Wer auf den Namen Orplid gekommen ist, als wir 91 in düsterem Gemäuer (der ehemaligen Zensurbehörde der DDR) unseren Verein zur Pflege und Förderung der Poesie e.V gegründet haben, weiß ich nicht mehr genau; ich bin es gewiß nicht gewesen, der diesen nostalgie-schwangeren Namen ins Spiel gebracht hat, auf ein „traurig schönes Denkmal vergangener Hoheit“ (Mörike) verweisend. Die Reihe unserer Lesungen lief dann auch unter dem keckeren und ironisierenden Titel Orplid & Co., zweifellos angemessener der intendierten neugierigen Sichtung und experimentierenden Präsentation gegenwärtiger Poesie, in welchem Landstrich, in welchem Land sie auch immer ihre Signale hören ließ. Wie wenig es sich bei unserer Arbeit um rückwärts gewandte Nostalgie inclusive der berüchtigten „DDR-Nostalgie“ gehandelt hat, das lehrt bereits der erste Blick auf die Liste unserer Veranstaltungen, die Liste der AutorInnen, die mitgewirkt haben. (Daß in all dem indirekt auch ein politisches Moment wirkt, wollen wir nicht verhehlen.)
Vielleicht genügt schon die Kenntnisnahme des Programms der beiden Jubiläumsveranstaltungen anläßlich des drei- und fünfjährigen Bestehens unseres Vereins, um unsere gleichermaßen fabelhaften wie nicht zu leicht faßbaren Intentionen wenigstens erahnen zu können: Am 12. April 1994 gaben der aus Rumänien stammende Berliner Oskar Pastior, der Anglo-Österreicher Peter Waterhouse, der deutsch und sorbisch schreibende Kito Lorenc aus dem bautzener Land Einblick in ihre neuere poetische Produktion; am 9. April 1996 waren es Volker Braun, Elfriede Czurda, Adolf Endler, Johannes Schenk und Kathrin Schmidt. (In beiden Fällen war Elke Erb die Festrednerin.) 1994 hieß es sehr richtig in der zitty:

… zum dreijährigen Jubiläum aber geht es wieder um Kreuz- und Querverhältnisse im mittleren Europa…

Mit vier Silben: ORPLID & CO.! Bei solchem eher komponierten denn zufälligen Kreuz und Quer und Hin und Her zwischen Ländern, Landschaften, Kontinenten, wie es für die Arbeit von Orplid charakteristisch geworden ist, haben die Lyriker und einige Prosaisten aus den Gefilden der früheren DDR ihren Part durchaus als gleichrangige und von westdeutschen, schweizerischen, österreichischen etc. Autoren hoch geschätzte Partner gespielt – im spürbaren Widerspruch zu mancher Situationsbeschreibung, die die „kulturelle Differenz“ zwischen Ost und West genüßlich überbetont. (Diskrepanzen ergaben sich weniger aufgrund der Herkunft der AutorInnen aus dem oder jenem Teil der deutschsprachigen Welt als aufgrund unterschiedlicher ästhetischer Konzeptionen, hier quasi „konservativer“, dort quasi „avantgardistischer“, wie sie sich in allen Literaturen als Gegensätze finden.) Um die Summe zu ziehen: Insgesamt sind es 114 (einhundertvierzehn) „Lesungen im Café Clara“ gewesen; mitgemacht haben (oft mehrmals) 169 Damen und Herren aus aller Welt – man könnte diese Notiz auch „Von Bella Achmadulina bis Ulrich Zieger“ überschreiben –, 51 von ihnen „aus dem Osten“ Deutschlands (nicht wenige hatten allerdings in den Jahren vor 89 der DDR den Rücken gekehrt), was nicht bedeuten soll, daß wir die Literatur bzw. die Lyrik aus der damaligen DDR oder das, was sich auf diesem Feld inzwischen entwickelt hat, für die wichtigere unserer Zeit erachten. – Ein Schwerpunkt mag allerdings ins Auge fallen: Der sogenannte „Prenzlauer Berg“ mit seinen Prosaisten und Poeten, welcher in einigermaßen regelmäßigen Abständen im Hinblick auf seine Historie wie auf seinen gegenwärtigen Zustand von uns ins Visier genommen worden ist, und gewiß nicht allein deshalb, weil es den Versuch der „Schleifung des Prenzlbergs“ (Wolfgang Emmerich), seine Diffamierung als „Stasi-Plantage“ abzuwehren galt, sondern weil diese „Szene“ tatsächlich einige der interessanteren Gestalten der neueren deutschen Literatur hervorgebracht hat, mögen sie auch immer noch nicht gebührend gewürdigt werden, die Ulrich Zieger und Andreas Koziol, die Detlef Opitz und Frank-Wolf Matthies, die Bert Papenfuß und Jan Faktor undsoweiter, undsoweiter. (Eine Lesung mit Sascha Anderson, am 10.12.91 präsentiert, haben wir freilich mitleidslos aus unseren Listen „gestrichen“, eine zweite Tilgung ist bis heute nicht nötig geworden.) – Natürlich hat es all die Jahre hindurch an Mühsal und Schwierigkeiten nicht gemangelt (trotz aller Unterstützung durch den Senat von Berlin, durch die Stiftung Preußische Seehandlung, die Stiftung Kulturfonds und andere), und es ist durchaus sinnvoll gewesen, uns immer wieder selber ins Gewissen zu reden:

Sieben Jahre sollten es schon werden! Sieben Jahre sollten es schon werden!

Nun, meine Damen und Herren, die sieben Jahre sind um, und wir haben es wirklich geschafft, fast auf die Minute genau. Urteilen Sie selber über das, was von Orplid geleistet, was unter Umständen versäumt worden ist. Und lassen Sie sich Zeit bei der Vergabe der Noten; ein bißchen mehr Zeit werden Sie haben in den nächsten Monaten. Denn für eine Weile werden Sie die Lesungen unter dem schönen Titel Orplid & Co. in keinem Veranstaltungskalender mehr angekündigt, von keinem Plakat mehr hinausposaunt finden. Besondere Umstände, darunter die Notwendigkeit der Neu-Orientierung im literarischen Gelände, gebieten es uns, zumindest unsere öffentlichen Aktivitäten für längere Zeit „ruhen“ zu lassen, um es relativ lieblich auszudrücken. Orplid, der Verein, wird zum U-Boot, das eines nicht allzu fernen Tages an einem anderen Strand Berlins und ein wenig anders bewimpelt – Sie merken, der Verf. ist selber ’n Dichter! – ratzpatz wieder auftauchen mag. – Adios!, vorerst.

Adolf Endler, Vorwort, aus Orplid & Co. – Lesungen im Café Clara 1991–1998

 

 

„Du bist Orplid, mein Land! / Das ferne leuchtet…“

Am 1. Oktober 1989 bat Brigitte Schreier-Endler um Aufhebung ihres Vertrages im Jugendklubhaus Arthur Hoffmann. Es gab zwei Gründe, die sie dazu veranlassten zu kündigen und Leipzig den Rücken zu kehren.

Endler hatte eine vierwöchige Lesereise in den USA. Und ich wollte mit, hätte aber keine Freistellung von meiner Arbeit gekriegt. Außerdem war alles am Zerfallen. Und es kam noch eine Sache hinzu. Endler hatte 1988 einen Herzinfarkt. Die giftige Luft in Leipzig hat ihn fertig gemacht. Also haben wir versucht, eine Wohnung zu kriegen in Berlin. Und das hat dann geklappt. Im Sommer 1990 sind wir in die Colbestraße in Friedrichshain. Und dann kam Dorothea Oehme auf Endler zu, ob er nicht in ihrer neu gegründeten Unabhängigen Verlagsbuchhandlung Ackerstraße ein Buch machen wollte, das ja dann auch noch im selben Jahr erschienen ist: Citatteria & Zackendullst. Mich hat sie gefragt, ob ich nicht Lust hätte, eine Lesereihe zu machen. Wir haben das dann Orplid & Co. genannt. Als wir den Verein anmelden wollten, wurde gesagt „& Co.“ ginge aus finanzrechtlichen Gründen nicht als Vereinsname, und so waren wir fürs Finanzamt Orplid e.V.1

Angelehnt war der Name an Eduard Mörikes fernes Inselland Orplid, nur dass Endlers Orplid noch Kompagnons hatte – einen „Verein zur Pflege und Förderung der Poesie e.V“.
Bald erwies sich die Verbindung von Verlag und Veranstaltungsreihe aus mehreren Gründen als ungünstig und Adolf Endler und Brigitte Schreier-Endler machten die Veranstaltungsreihe alleine, ohne Verlag, im Café Clara – begleitet von wechselnden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, unter ihnen Gerd Adloff, die über die Jahre durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Stipendien und Arbeitslosengeld recht und schlecht finanziert wurden. Bis zuletzt war das Budget knapp, eine Regelförderung durch den Berliner Senat gab es nicht. Endler blieb weiter freischaffender Autor, bekam aber ein kleines Honorar für die Einführungen, die er vor jeder Lesung machte.

Am Anfang haben wir das privat finanziert. Als Pastior und Mickel lasen, haben wir alle zusammengelegt und die Eintrittsgelder dazugenommen, wir hatten nicht sofort eine Förderung, das hat ein halbes Jahr gedauert.2

Am Ende die beeindruckende Bilanz: 114 Lesungen im Café Clara, 169 Lesende aus aller Welt, „man könnte diese Notiz auch ,Von Bella Achmadulina bis Ulrich Zieger‘ überschreiben“,3 51 aus dem Osten. „Sarah Kirsch hat abgesagt wegen der Anderson-Geschichte. Anselm Glück ist nicht angereist. Ansonsten sind alle gekommen, die wir eingeladen hatten“, erinnert sich Brigitte Schreier-Endler.

Einige waren sehr böse auf uns, weil sie der Meinung waren, dass die Eingeladenen nicht so gut sind wie sie. Die kannten Eddie im Wesentlichen durch Sauftouren, also dachten sie, sie kommen bevorzugt dran. Ich habe dann immer gesagt, wir sind schon seit einem Dreivierteljahr ausgebucht. Ich war die Böse, die absagen musste. Irgendwann rief uns mal István Eörsis Frau Veronika an und erzählte, Allen Ginsberg kommt nach Berlin, wir machen ein schönes Essen. Ich bin auf- und abgegangen und habe mir immer gesagt, wir machen eine Lesung, wir machen eine Lesung mit ihm. Eddie hat abgewunken, den kannst du doch gar nicht bezahlen. Ich hab mich dann dahintergeklemmt, und es hat geklappt. Wir haben an den Manager geschrieben, dass das im ehemaligen Osten ist, und Ginsberg hatte einfach Lust. Das war doch bei Endler genauso, wenn es kein Geld gab und man wollte unbedingt lesen da, dann stellt man sich doch nicht stur.4

So kam Orplid & Co. zu seinem berühmtesten Dichter.
We schon in der Steinstraße, ging die Reihe in der Clara-Zetkin-, ab 1995 Dorotheenstraße, sieben Jahre. „Nach sieben Jahren ist man immer wieder irgendwo hinausgeschmissen worden“,5 so begründete Endler das Ende. „Wir wollten nicht bis ultimo machen“, sagt Brigitte Schreier-Endler heute.

Es wurde schwieriger mit der Finanzierung. Und Endler wollte auch weiterschreiben. Orplid hat ihn schon weitaus mehr beschäftigt als ursprünglich geplant, und gesundheitlich ging es ihm auch nicht mehr so gut.6

Im Vorwort zur Abschlussdokumentation schreibt er:

„Orplid“, der Verein, wird zum U-Boot, das eines nicht allzu fernen Tages an einem anderen Strand Berlins und ein wenig anders bewimpelt – Sie merken, der Verf ist selber ’n Dichter! – ratzpatz wieder auftauchen mag. – Adios!, vorerst.7

Einstweilen schleicht das U-Boot am Grund der Wasserstraßen zwischen Müggel- und Wannsee hin und her.

Annett Gröschner, aus Text+Kritik: Adolf Endler – Heft 238, edition text + kritik, 2023

 

Michaela Ott: Ja Clare Pose — Poesie Clara

Cornelia Geißer: Eine Insel für die Dichtung

 

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Bild von Juliane Duda mit den Übermalungen von C.M.P. Schleime und den Texten von Andreas Koziol aus seinem Bestiarium Literaricum. Hier „Die Elkeerb“.

 

Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Elke Erb

 

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