REQUIEM FÜR QUERULANTEN
Im akkuraten Alphabet
der Anfang immer vorne steht
Doch beiderseits im Bodensatz
hat das Binom von Brockhaus Platz
Ceterum censeo: daß Uterus Computerus
mit Collophonium behandelt werden muß
Distelputzend im Dilemma
sitzt das Dioskuren-Duo MA
Eckdaten sind im Einzelfall
dem Endverbraucher eh egal
Vom falschen Flopp das Findelkind
erträumt sich, was der Volksmund spinnt
Der Guglhupf jedoch galvanisiert
wenn man die Gabel gordisch führt
Hospitalimus findet hochkarätig statt
wo das Häkchen keinen Haken hat
Die Initiale steckt im Isthmus fest –
der Irrtum ignoriert den Rest
Je Janus der Jambus
je Jumbo der Bambus
Um Kunst und Kragen Komma Knie
knäult sich Kaldaunenentropie
Lähmt Lambdas Lymphe, rinnt das Lab
im Labyrinth noch einmal glimpflich ab
Mitten auf Mallorca melkt ein Molekül
in der Minderheit sein Mütchen kühl
Ach Newton, laß den nominalen Nimbus sausen
sonst mausen die Bananen die Banausen
Geht ein Ontario durchs Orifizium?
Oh nur bei Omsk (Herr Oblomov bleibt stumm)
Perforierte Paestum die Pleureuse
war im Plenum die Partei ihr böse
Im Rückwind pfeift die Quint den Quanten
der Theorie ein Requiem für Querulanten
Denn im Reim verhält das Ritual
realiter zum Raum sich irreal
Am Paddel saß der Stellenwert –
kein Sattelpaß die Wellen stört
Schneuzt sich Eszeha phrenetisch –
Tristram Shandy schnurrt phonetisch
Triangulär getürkte Thesenschlucker
tilgen das Tohuwabohu im Zucker
Der Ulster in der Alster schwamm
als der Ulan nach Bator kam
Auf der Uni- und Versalienschiene
voziferieren unverdaute Vitamine
Wandert die Urne zum Walzwerk:
Walz mir bitte einen Wahlzwerg!
Naßkalt die Xenie auf ihrer Achse sitzt
wenn Marx mit Aeskulap nach Xanten flitzt
Drüben Yale und hier Lyon
üben rülpsend Ypsilon
Dann aber zoomt es aus Zisternen
von sechsundzwanzig Zitruskernen
(…) Dier hier versammelten Texte sind, mit Ausnahme einiger datierter, am Rande der letzten vier, fünf Jahre ins Kraut geschossen. Ihre Bündelung unter dem Gesichtspunkt erfolgte über dem Gesichtspunkt – „Listenartiges“ hatte sich (wie das in der Materie zu sein pflegt) gehäuft: neben den projekthaft strengen Anagrammsachen und Palindromgeschichten war die Lockerung an den Reihengebilden insoweit erholsam, als die Reihungsprinzipien sich jeweils am Einzelfall (dem Einfall mit ausbaufähiger Zelle) entwickeln, ablösen, mit unerwarteten Kriterien es treiben und von abwesenden Kriterien erläutern lassen konnten – Myzelstrukturen; aber nicht alle! (…)
Oskar Pastior, Nachwort, 19.10.1990
Zur Seminararbeit „Der Habicht und das Bistum“ / Oskar Pastior Arbeit: Präludium und Intermezzi 1–3. Ausschnitte einer Performance, die der Sprecher, Schauspieler und Literaturwissenschaftler Sven Brömsel 1993 zu und aus Texten Oskar Pastiors konzipiert hat.
Ich glaube, es war der zweite oder dritte Tag seines Aufenthalts in Bayern. Oskar war, von Wien kommend, in München eingetroffen, wo er Familie hatte, musste aber zunächst in einem Auffanglager außerhalb der Stadt sich aufhalten, um die Formalien seines endgültigen Verzichts auf die rumänische Staatsbürgerschaft zu klären. Sein Entschluss, nicht mehr zurückzukehren, stand fest.
Wir trafen uns bei Barbara und Peter Hamm, die damals in der Leopoldstraße wohnten, in einem zurückgesetzten Haus im oberen Stockwerk. Gewartet wurde auf Gottfried Just, damals ein einflussreicher Literaturkritiker der eher konservativen Fraktion, hochgescheit und eloquent, der nach einem Opernbesuch kommen wollte, und auf Martin Walser, der telefonisch mitgeteilt hatte, noch einen Kollegen mitbringen zu wollen. Martin Walser hatte (und hat) ein großes Herz. Er war in jener Zeit die Anlaufstation für alle Arten von Gestrandeten, ob sie nun aus dem Gefängnis kamen oder aus Rumänien, was natürlich auch ein Gefängnis war. Deutschstämmige Staatsbürger wurden vom großen Genossen Ceauşescu zu Tausenden in die Bundesrepublik verkauft, um Platz zu schaffen, für Oskar dagegen hatte er kein Kopfgeld einstreichen können, der war von einer genehmigten Auslandsreise nicht mehr zurückgefahren.
Keine Ahnung, wo Martin Walser den freundlichen Schriftsteller aufgegabelt und warum er ihn im Schlepptau hatte, aber da so etwas häufiger passierte, gab es auch nicht viele Fragen. Oskar war da. Er trug eine dunkle Hose und einen Pullover mit Rautenmuster, beides neu. Und er rauchte. Rauchen war damals noch nicht geächtet, fast alle rauchten, eine paradiesische Situation für die Länder der Dritten Welt, in denen Tabak angebaut wurde. Nein, Oskar rauchte nicht zivilisiert wie wir, er rauchte wie ein Schlot. Der helle würzige Tabak von Ernte 23 hatte es ihm besonders angetan, der musste vor, während und nach dem Essen in Massen inhaliert werden, als hinge sein Leben daran. Martin, ein Jahrgang wie Oskar: 1927, erzählte, wie nur er erzählen kann, wir hörten zu. Auf diese Weise merkten wir nicht sofort, dass Oskar gar nicht zu Wort kam. Oskar hatte nichts gesagt und sagte nichts. Er hörte zu, wie wir den labyrinthisch verschlungenen Wegen der deutschen Linken zu folgen versuchten, er hörte rauchend zu, wie zwischen den verschiedenen K-Fraktionen sorgfältig unterschieden wurde, er hörte rauchend und schweigend zu, wie dieses und jenes gerechtfertigt oder verdammt wurde – und wird sich seinen Teil gedacht haben. Ich nehme an, er hat nur Bahnhof verstanden. Keiner außer den Eingeweihten hat genau verstanden, wo die Linien zwischen den maoistischen, trotzkistischen, albanischen, kubanischen, leninistischen, anarchistischen, fundamental kommunistischen und den tausend anderen Fraktionen verliefen, was also sollte ein Fremder, der (was wir damals noch nicht wussten) ein Arbeitslager hinter sich hatte, von diesem Spuk halten? Wahrscheinlich hat er uns für bekloppt gehalten. Später, als Just endlich eintraf, kam der Abend zu seinem grotesken Höhepunkt, als nämlich, mit ausführlichen Demonstrationen, über die Qualität von Unterhosen gestritten wurde (und selbst ich, als treuer Verteidiger der ausrangierten Armeeunterhose, nichts mehr beitragen konnte).
Auf jeden Fall war irgendwann natürlich die letzte S-Bahn weg, und es musste ein Schlafplatz für den stummen, erschrocken dreinblickenden Oskar gefunden werden. Er wurde ohne langes Federlesen mir zugeteilt, da ich mit einer Freundin, die allerdings selten in München war, in einer Zwei-Zimmer-Neubauwohnung in der Hildeboldstraße in Nord-Schwabing wohnte.
Oskar kam mit – und staunte nicht schlecht über den Kontrast der beiden Wohnungen, die er an diesem Abend aufgesucht hatte. Denn ich besaß nichts. Kein Bett, kein Sofa, keinen Schrank, keine Pflanzen oder Bilder. In jedem der beiden Zimmer lag eine Matratze auf dem Boden, daneben standen Kisten für die Habseligkeiten, für Bücher, Wäsche, Papiere. In der winzigen Küche wurde gearbeitet. Am Küchentisch haben wir dann bis zum Morgengrauen gesessen und geraucht – und nun war endlich auch Platz für Oskars unglaubliche Geschichte.
Oskar blieb. Er frug mich, ob es mir etwas ausmachen würde, wenn er gelegentlich bei mir übernachten würde, aber das gelegentlich war ein ständig. Er schleppte Dinge an. Er kochte gelegentlich. Wir besorgten ihm (über Gabriele Henkel) eine Schreibmaschine, ein neuer Tisch (Platte auf zwei Böcken) wurde angeschafft – und nach vier Wochen wusste ich (und musste es meiner Freundin beichten), dass Oskar nicht für immer, aber doch für lange bei mir wohnen bleiben und arbeiten würde.
Also suchte ich eine neue Wohnung, denn es war ausgeschlossen, dass wir zu dritt – noch dazu drei Raucher: Ernte, Rothändle, Kent – länger in der Hildeboldstraße wohnen bleiben durften, ohne uns zu hassen. Ich fand eine Wohnung in der Herzogstraße 108, unterem Dach, in der Oskar das Zimmer zum Hof hinaus erhielt, wo er, inzwischen ein geübter und begeisterter Fernseher, den vor allem die Werbesendungen faszinierten, seine ersten Werke im Westen schrieb, die dann in dem Band Vom Sichersten ins Tausendste bei Suhrkamp verlegt wurden. Von seinen Münchner Verwandten hatte Oskar ein uraltes Klappbett mit einem braunen Flauschvorhang erhalten, dessen breiter Bettkasten ihm zugleich als Bücherbord diente.
Da saß er also etwas mehr als ein Jahr, wenn ich mich richtig erinnere, ein liebenswerter, scheuer Mensch, der eine neue Sprache, eine neue Dichtersprache erlernen musste, der aber auch lernen musste, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Ich glaube, ich habe ihm dabei ein wenig geholfen, und auch meine Freunde Uwe Brandner, Horst Bienek, Paul Wühr, Konrad Balder Schäuffelen, Urs Widmer, der Kreis der Petrarca-Freunde um Hubert Burda, der Schauspieler Werner Schwier, der unter uns lebte, und der seltsame Dichter Carl Werner, der ganz unten wohnte und ständig illustre Gäste hatte. Alle bemühten sich, Oskar das Leben zu erleichtern, aber sie fragten sich auch, was genau hinter der verschlossenen Stirn dieses Einzelgängers vor sich ging. Denn jeder spürte, dass immer eine gewisse Distanz blieb, eine Trennwand, die ihn von den anderen absonderte. Am Anfang habe ich darunter gelitten, weil ich Angst hatte, ich könnte ihn versehentlich verletzt haben. Später wusste ich, dass er diese Distanz brauchte. Also ließ ich ihn ohne jede Frage ziehen, wenn er sich nachts – wenn ich ins Bett ging – auf den Weg machte, um etwas zu suchen, das er in Bukarest offenbar nicht hatte kriegen können.
Eines Tages kam endlich die erlösende Nachricht von Walter Höllerer, den ich gebeten hatte, Oskar ein Stipendium im Colloquium zu beschaffen. Schließlich musste Oskar mal etwas verdienen. Er zog nach Berlin, dann wollte er wiederkommen, blieb aber hängen. Als ich auch diese Wohnung aufgeben durfte, frug ich Oskar telefonisch, ob ich das furchtbare Klappbett einfach stehenlassen dürfe. Ja ja, lass es nur stehen, das arme Klappbett, war seine Antwort. Wahrscheinlich steht es noch heute dort.
Michael Krüger, TEXT+KRITIK, Heft 186, April 2010
ERSTER VERSUCH IN PHYKOSYLOMANIE
für Oskar Pastior
daafstorchet hots, dunter-
qualfen tuts un hofholmen
werds. so, wies ifler weg-
stolwert is, suntawelchert
hot un iwer ander in mai-
sten halwen em andakortichten
rasitus „über den mund
gefahren tät“.
Ernest Wichner
Interview mit Oskar Pastior für das Haus des Deutschen Ostens.
Interview mit mir. Diese Aufnahme beinhaltet ein poetologisch dichtes, leider aber nicht realisiertes Interview von Christian Prigent mit Oskar Pastior, dass vermutlich für die von Christian Prigent herausgegebene französische Zeitschrift TXT geführt wurde.
Lesung Oskar Pastior am 20.7.2005 im Deutschen Literaturarchiv Marbach.
Herta Müller: Mein Freund Oskar
Franz Josef Czernin: Die Regel, das Spiel und das Andere. Zum Werk Oskar Pastiors.
Oskar Pastior liest aus seinen verschiedenen Texten und Übersetzungen ein Programm, das die Sprachbewegung jeweils in der Konzentration auf einzelne Laute und Buchstaben nachvollzieht. Aufgenommen auf einem mehrtätigen Festival mit dem Titel Für die Beweglichkeit im Kunstverein Maerz in Linz.
Jochen Hieber: Die Suppe ist einmalig
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.10.1987
Herbert Wiesner: Frauen-Bild-Beschreibungsschrift
die tageszeitung, 20.10.1987
Hans Bergel: Vom Rückzug der Sprache auf sich selbst
Siebenbürgische Zeitung, 31.10.1987
Hannes Schuster: Ein „Wörtlichnehmer“, der das Wörtlichnehmen ertragbar macht
Siebenbürgische Zeitung, 15.11.1992
Bettina Knauer/Gunnar Och (Hg.): Oskar Pastior, 70
Akzente, 1997
Herta Müller: Minze Minze
Die Zeit, 17.10.1997
Franz Mon: „die krimgotische Schleuse sich entfächern zu lassen“
Der Literaturbote, 2004
Jörg Drews: Eros & Callas?-: Ein Echo-Kollaps
Süddeutsche Zeitung, 20.10.1997
Zsuzsanna Gahse: Schwitt, Schwitter, am Schwittersten
Stuttgarter Zeitung, 20.10.1997
Harald Hartung: Jalousien aufgemacht!
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.10.1997
Paul Jandl: Die Hosenträger der Erkenntnis
Neue Zürcher Zeitung, 20.10.1997
Cornelia Jentzsch: Gimpelschneise in der Winterreise
Berliner Zeitung, 20.10.1997
Dorothea von Törne: Der Meister der Wortlust
Der Tagesspiegel, 20.10.1997
Ernest Wichner: Magier der Vernunft
Frankfurter Rundschau, 20.10.1997
Thomas Krüger: hart pommern die fritten
Die Woche, 31.10.1997
Gerhard Mahlberg: Aus Anlaß seines 70sten Geburtstags am 20. OktoberDeutschlandradio
Thomas Kling: Die Ballade vom defekten Kabel
Literaturen, Heft 10, Oktober 2002
Thomas Kling: Die glühenden Halden
Frankfurter Rundschau, 19.10.2002
Nico Bleutge: Ein Verwandlungskünstler der Sprache
Stuttgarter Zeitung, 6.10.2006
Michael Braun: Vom Sichersten ins Tausendste
Basler Zeitung, 6.10.2006
Michael Krüger: Schamane des Experimentellen
Süddeutsche Zeitung, 6.10.2006
Christine Lötscher: Er verzauberte die Sprache und Menschen
Tages-Anzeiger, 6.10.2006
Martin Lüdke: Aus dem Staub gemacht
Frankfurter Rundschau, 6.10.2006
Peter Mohr: Ein Magier der Sprache
Badische Zeitung, 6.10.2006
Lothar Müller: Der Zungenzwinkerer
Süddeutsche Zeitung, 6.10.2006
Hubert Spiegel: Im Exil bei Freunden
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.10.2006
Oskarine ist ein Gedicht-Generator von Ulrike Gabriel, der auf den Gedichten von Oskar Pastior basiert. Jedes Gedicht spricht sich selbst – immer neu und mit der Dichter-Stimme.
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