Oskar Pastior: Zu Oskar Pastiors Gedicht „harmonie du soir“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Oskar Pastiors Gedicht „harmonie du soir“aus Oskar Pastior: o du roher iasmin.

 

 

 

 

OSKAR PASTIOR

harmonie du soir

rhino sore du mai-
marode uhr in iso-
moiras heidrun o
herosion di mura
im duro anis oehr

hei duo rosmarin
hei dominorasur

das rio horineum
sah urinoirdome
darin serum ohio
u midas renoir oh
dinosaurier ohm
sero in mohair du
hoinares dorium

dormi in osa rheu
siena hormior du
odeion husar mir
hieronimus roda

do re mi suor hain
homeridian suor
reihum so iordan-
roh iasminodeur
daimons irre uho

mond-ohr iris-aue
rosa mundi hier o
rhodus ein maori
oder mio harus in
hodina sumerior

darius hormon ei
radius hemorion
hui smirna rodeo
monsieur hi-ro-da
o hermiona urdis
du morserin ahoi
humorsardine io
in moras huri-ode
drei soma oh ruin
oder mausi roh in
eosin-ohr radium
rohmais er duino
um aio sehr rodin

hominide orsura
sieh dior murano
rhino sore du mai

 

Der Ausgangstext:

Charles Baudelaire: Les Fleurs du Mal: Spleen et Idéal: XLVII. Harmonie du soir

XLVII
Harmonie du soir

Voici venir les temps où vibrant sur sa tige
Chaque fleur s’évapore ainsi qu’un encensoir;
Les sons et les parfums tournent dans l’air du soir
Valse mélancolique et langoureux vertige!

Chaque fleur s’évapore ainsi qu’un encensoir;
Le violon frémit comme un cœur qu’on afflige;
Valse mélancolique et langoureux vertige!
Le ciel est triste et beau comme un grand reposoir.

Le violon frémit comme un cœur qu’on afflige,
Un cœur tendre, qui hait le néant vaste et noir!
Le ciel est triste et beau comme un grand reposoir.
Le soleil s’est noyé dans son sang qui se fige.

Un cœur tendre, qui hait le néant vaste et noir,
Du passé lumineux recueille tout vestige!
Le soleil s’est noyé dans son sang qui se fige…
Ton souvenir en moi luit comme un ostensoir!

 

Mein Gedicht ist eine von 43 Intonationen zu „Harmonie du soir“ von Charles Baudelaire, und zwar die fünfte und letzte in einer anagrammatischen Anpeilung nach der Logik etwa eines Bibliothekars, der das anvisierte Gedicht auf dem Parcours vom Allgemeinen zum Besonderen (oder ähnlich archivarisch) dingfest zu machen versuchen würde.
In einem ersten Schritt kam der Nachname des Autors zum Zug und unter die permutative Sinnbelehnungs- und Anmutungshaube, bzw. -lupe, des Anagramms: „baude laïre“ – zehn Buchstaben.
Im nächsten Schritt war zu erkunden, wie die Erweiterung des Materials durch Hinzutreten des Vornamens Charles den Namen „charles baudelaire“ weiter prägt, prägnanter macht.
Im dritten Schritt hatte der nun auftretende Buchtitel „les fleurs du mal“ zu zeigen, was in ihm steckt; nicht mehr und nicht weniger.
Im vierten war es dann das Buchkapitel namens „spleen et idéal“ (welches aus irgendeinem Vorwissen heraus das bewußte Gedicht in sich geortet hatte) –
Nun aber, fünftens, endlich das Gedicht selber, Nummer XLVII mit seinen 14 Buchstaben im Titel „Harmonie du soir“.
Das Anagrammgedicht „harmonie du soir“ hat also in der Fünferserie, die es abschließt, das letzte Wort und will ihr Fazit sein. Da unser Anagramm im eigenen Kosmos begründet liegt, den es ergründet, ist es aber auch endlos unabgeschlossen; die Teleologie der Serie 1–5 greift nicht; die fünf Permutationen von Titeln und Eigennamen münden zwar in dem als Quelle und Begeisterungsgrund (Beweginteresse) des ganzen Unterfangens angesehenen Originalgedichttitel, aber in den 5 Etappen sind auch meine zirka 60 Jahre, seit denen ich mit dem französischen Gedicht zuwege bin, in Schichten-, Sprachen- und Lektürenanwandlungen enthalten und sagen, Sie sehen es hier ja, zuweilen erstaunliche Dinge. Baudelaire gerät schon durchs Gerät des Titels des Gedichtes fast in östlich mediterrane Adria- und Abendlande; auch die Sumerer sind irgendwo dabei.
Nun kann das Anagramm der Eigennamen und Titel ja wirklich zaubern und bringt dem Ohr des Mitteleuropäers liebendgerne bei, was sich vielleicht lateinisch-transsylvanisch-romanisch-rumänisch oder sogar russisch angehaucht exotisch anhört, weil es mit seinem eigenen Flair sich dem teutonischen ENRITSUDAHL… (das ist die Formel, wie sie anfängt, der statistischen Frequenz der Laute deutscher Texte) entzieht und ihm schön hörbar entgegenflirrt – meine Leser und Zuhörer kennen ja inzwischen solche Sprachzustände und Aromastoffe im Dunstkreis der sieben krimgotischen Pendelröcke. So will ich beispielsweise ja auch nicht erklären müssen oder wollen, daß „iedera“ rumänisch Efeu, die „duba“ ein schreckliches schwarzes Auto – „hodina“ aber (auch „odihna“) Rast & Ruhekissen auf der Flucht wäre, dort auf der Etappe I, wo „baudelaire“ das Isotop von „idealbauer“ und eben auch die „adriabeule“ ist. Oder hier nun die „harmonie du soir“ als anders gefälteltes und doch buchstabenidentisches „hoinares dorium“, das heißt, rumänisch angedacht, ein vagabundierendes Sehnsuchtsdings.
Keine meiner 43 Intonationen in ihren weit mehr als 43 materialen Textzusammenhängen wäre aber nur ein Dreiundvierzigstel oder noch weniger des Baudelairegedichtes!
So wie ja die irrsinnige Hoffnung, man werde in der Zusammenschau und im Kaleidoskop der 43 Ton- und Textfiguren diese vielleicht einmal insgesamt und simultan zusammenhören können, bei Tage gottseidank nicht realistisch ist.
Jetzt kommt mir vor, ich kenne dies Gedicht seit eh und je. Jedenfalls seit den Vierziger-Fünfziger Jahren einer sogenannten Jugendzeit in Hermannstadt, knapp vor und knapp nach der Deportation; als es mir, dem damaligen Gymnasiasten ohne subtile Französischkenntnis, einfach über den Klang und die raffinierte Zeilenwiederholung zum Form- und Spracherlebnis wurde; das dann in langen 60 Jahren Inkubation immer wieder in diversen Schreibprojekten Ausbildungen zeitigte, mal krimgotisch, mal als Sonetburger, mal zopfmodulisch, buchstabengewichtet oder vokalisisch oder als Sestine, Villanella, Pantum usw., bis auch zu allen diesen abendharmoniebewegten oulipotischen Verfahren und Grammatiken der 43-fachen Lesart als Hervorbringung.

Aus Manfred Enzensperger (Hrsg.): Die Hölderlin Ameisen, DuMont, 2005

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