DENN
Denn wir sind Gladiatoren. In der Arena der Städte
schinden wir unsere speckig schimmernden Leiber
über die Todeskreuzung als die Ampel auf Rot
aaaaawechselt.
Denn wir sind geschwängerte Schaufensterpuppen,
die bucklig einhergehend hinter Glasverschlägen
auf die klebrige Niederkunft des Embryos warten.
Denn wir sind gezähmte Tiere. Im Käfig der Ubahnhöfe
laufen wir ein in die glattpolierte Stätte des Fights,
anzukündigen das Zucken der stumpf geschnittenen Krallen.
Denn wir sind hornbebrillte hohle Regenmäntel
die nachts in geduckter Haltung verharren vor Schaukästen
demütig die Börsenstände zu notieren.
Denn wir sind atemlos rudernde Galeerensträflinge,
gekettet an das lange blutige Ruder der Arbeit,
gepeitscht von goldener Rute und kein Land in Sicht.
Denn wir sind Schnaps süffelnde Wachmänner, die
nach Dienstschluß nochmals um den Block streichen
ob da nicht noch ein Licht verboten brenne.
Denn wir sind dumpf dampfende Brauereipferde,
die geschmückt mit den Federn der grinsenden Zuversicht
am Festzug übers Kopfsteinpflaster trotten.
Denn wir sind wilde losgelassene Kampfhähne, die
frühmorgens im Aufzug stehen und hacken und lechzen
nach dem geschlitzten Rock der Chefsekretärin.
Denn wir sind Geld scheißende Maulesel
die prällend rennen von einer Kneipe zur nächsten,
um mal so richtig einen draufzumachen.
Denn wir sind weckaminsüchtige VW-Golffahrer, die
mit angezogener Handbremse beim Nachbarn vorfahren
um auszuleuchten die in Rotlicht schimmernde Wohnung.
Denn wir sind räudig geknechtete Kettenhunde,
wir schlafen im Schmutz wir leben im Dung wir schlagen an
wenn ein Fremdling am Tor unseres Gutsherren rüttelt.
Denn wir sind Galle kotzende Propheten des Übergangs,
tagsüber saufen wir uns zu auf Parkbänken um dann nachts
durch unsere mit Quarzwürfeln besetzten Stimmbänder den Mond anzuzünden.
Denn wir sind zwergenwüchsige Trampolinsprinqer,
wir arbeiten hart in der Hoffnung eines Tages für immer
in den frierenden Lüften hängen zu bleiben.
Denn wir sind Buchstaben löffelnde Studenten
denen eines Tages der Buchstabe A wie Anarchie
in der intelligenten Luftröhre steckengeblieben.
Denn wir sind neonergraute taghelle Peepshows
bei denen du nur fünf Mark einschlitzen mußt
um deinen Körper nackend betrachten zu können.
Denn wir sind heruntergelassene Jalousien am Nachmittag,
wenn andere im Dachstuhl hämmern und in Fabriken schwitzen
und Kinderbanden plündernd durch die Straßen ziehen.
Denn wir sind unruhig flackernde Videofilme in Zimmern
wir flackern sonntags in den Vorstädten der Lust
wir flackern spät dann wenn die Schicht zu Ende.
Denn wir sind schwer angeschossene Schlachtschiffe,
die sich in voller Breitseite auf offener See gegenüberstehen
abzuwarten den Zeitpunkt des gemeinsamen Sinkens.
Denn wir sind fleischfressende Pflanzen,
die selbst stinkende Kleinkindleichen sich einverleiben
um nicht am Hungertuch zu nagen.
Denn wir sind zu Leben gegossene Zinnsoldaten
die von einer rachitisch rachsüchtigen Killerhand
in die kampfbereiten U-Bahnschächte geschickt werden.
Denn wir sind sterbende Lemminge im Schnee
die in ihrem pulsierenden Blut ein letztes Bad nehmen
um das Weiß des Winters einzufärben wie ein Dia.
Denn wir sind bunt schillernde Magengeschwüre im Klinikum
werden wir auf einem silbernen Tablett herumgereicht,
und ein langer dicker Schlauch fährt den Schlund hinunter.
Denn wir sind weiß gekalkte moderne Schlachthöfe
vor deren Toren Schulkinder mit ihren Ranzen stehen
um dem Todesgesang der Säue zu lauschen.
Denn wir sind auf den Hund gekommene Abbruchhäuser,
wir haben schon noblere Zeiten erlebt
als statt Kellerasseln feine Herren hier verkehrten.
Denn wir sind eiserne Theatervorhänge in der Staatsoper
die ohne Vorwarnung herunterrattern zu zerschmettern
das bühnenreife Gehirn des Herrn Generalintendanten.
Denn wir sind Hydranten verheiratet mit Telefonzellen
geschieden sind wir mit Feuchtigkeit gemästete Tempotaschentücher
denn wir sind keine Menschen wir sind keine Tiere mehr.
Denn wir sind, um es endlich zu sagen, ein Blatt Löschpapier
wir saugen auf mit dunkelblauer Lust mit heller Gier
jegliches Wort das träumend der stumpfe Stift uns schreibt.
Wolfgang Dietrich
Das Haus für Poesie feiert das 40-jährige Bestehen von Park – Zeitschrift für neue Literatur.
Zu Ehren der Zeitschrift haben am 7.2.2017 vier PARK-Autoren der letzten Jahre im Haus für Poesie gelesen: Kenah Cusanit, Gerhard Falkner, Kerstin Preiwuß und Monika Rinck. Michael Speier und Michael Braun führten durch den Abend.
Michael Speier liest beim 11. Internationalem Poesiefestival von Medellín im Juni 2001.
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