Patrizia de Rachewiltz: Übertretungen

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Patrizia de Rachewiltz: Übertretungen

Rachewiltz-Übertretungen

CANTO

Du bist der Ring im Baum,
die überschattende Kuppe, das harte Harz.
Von deinen blumigen Ahnen sickert der Saft
Wenn er wächst, voll von Granatäpfeln.
Helle zarte Wurzel verankert im See,
geflochtenes Haar in deinem Schlaf –
in einem einzelnen Ast der Zeit
zwei Äste. Der Spleen gegen Vorhänge und Balken
hat der Nacht der Berge Platz gemacht.
Wogegen du einen seltenen Rivalen schleuderst,
eine Reihe von Sonnenuntergängen.

Der Canto fährt fort den Himmel zu verschlingen,
sein Jammertal ist vererbt.
Dichter sterben als Gefangene
Aber nicht das Morgengrauen.
Brancusis Baumstrunk wird zu Licht
und der Vogel ist auf der Suche nach dir.
Nicht viele Blumen pflückte ich aber Ozeane,
für mich, schlank gefiederte Schwalbe,
wichst du auf Flügel aus und eine feste Stange.

Endlich verbreitet das Licht meine ersten Klagen,
und ich höre dem Seufzen des Windes zu.
Durchsichtiger Baum,
unser Haus hat leuchtende Türschwellen.
Ich suche außerhalb der Zeit und finde dort
Frieden,
indes deine Stimme für mich singt.

 

 

 

Nachwort

Patrizia de Rachewiltz, ein erstaunliches lyrisches Talent, Übersetzerin ins Italienische und Sprachlehrerin, geboren 1950, ist die Enkelin des Dichters der Cantos Ezra Pound. Sie war acht Jahre alt, als Ezra Pound nach der Entlassung aus der Klinik in Washington auf die Brunnenburg in Südtirol kam, auf der sie aufgewachsen ist. Im ergreifenden Gedicht „Sommer 1958“, veröffentlicht in Mein Taishan, hat sie ihre Gefühle bei der ersten Begegnung mit ihrem Großvater und die Trauer über dessen späteres Verstummen festgehalten.
Wie in Mein Taishan handeln die meisten Gedichte in den Übertretungen von der Suche nach Liebe, vom Wunsch nach Nähe und Geborgenheit, von einem irdischen Paradies. Sie sind eingebettet in „die grüne Welt“, in Wind, Wasser und Meer sowie in das Licht von Sonne, Mond und Sternen. Es tut sich darin aber auch mancher Abgrund auf.
Das Eröffnungsgedicht, „Die Krümelprinzessin“, erinnert an den Besuch der Teilnehmer der Ezra Pound-Tagung in Venedig 2007 in dem kleinen Haus an der Calle Querini, das Olga Rudge (1895–1996) von ihrem Vater bekommen hatte, und in dem sie Ezra Pound bis zu seinem Tod 1972 aufopfernd betreute. Ihren Großvater sieht die Dichterin noch immer als „die lange Gestalt mit seinem Stock“. Mit der Krümelprinzessin meint sie wohl ihre Mutter, Mary de Rachewiltz, die sich jetzt, da ihr Vater und Mentor tot ist, mit Krümeln begnügen muss.
Mary de Rachewiltz tritt auch in dem ihr gewidmeten Gedicht „Wieder ruhiger“ auf, und zwar als kluge Schlossherrin, die dafür sorgt, dass alle Bewohner stressfrei neben- und miteinander leben können. Vor der Mutter selbst erstreckt sich der weite Sommerhimmel. In ihrer Seele erneuert sich eine Abfolge antiker Verse und der langsam fließende Fluss spricht vom geliebten Dichter und Vater. Die Grille kommt im Sommerschlaf zu ihr und liebt sie. Am Ende des Gedichtes steht die Hoffnung auf einen Neuanfang (Make It New sagt man dazu seit Pound) durch ein starkes Gedächtnis. Das Gedicht „Die Strände von Agami“ widmet Patrizia de Rachewiltz ihrem Vater, dem Ägyptologen Boris von Rachewiltz (1926–1997).
Von den übrigen Gedichten bedürfen lediglich einige wenige eines Kommentars. So spielt in „Numinoser Nachtschatten“ und „Madrigal“ die spanische Stadt Salamanca eine Rolle. Dort, so träumte es der Autorin, fand ihr früheres Leben statt. Sie ruft den nicht namentlich genannten Dichter dieser Stadt an sowie zwei Königinnen, Johanna die Wahnsinnige („Joana la loca“ [1479–1555]) und deren Mutter („Isabella de Castile“ [1451–1504]), die nie selbst regiert haben. Im Nachtschatten-Gedicht stoßen wir zudem auf den Namen Konfuzius. Die im Gedicht erwähnten drei Münzen braucht man, wenn man I Ging: Das Buch der Wandlungen zum Wahrsagen verwendet, wie dies Olga Rudge, Patrizias Großmutter, täglich getan hat. Konfuzius war aber nicht etwa der Autor des Buches. Er soll jedoch gesagt haben, dass die Gescheiterten nicht dauernd „blutige Tränen“ vergießen dürften.
Mit der „Kathedrale mit vielen Pfeilern“ ist der hochgotische Bau in ’s-Hertogenbosch gemeint, dem niederländischen Wohnort der Dichterin. „bois le duc“ nennen die Franzosen den Maler Hieronymus Bosch, der aus ebendieser Stadt stammt. In „Madrigal“ sind es die Gräuel der Stierkämpfe, die zu einer Vision der Verstümmelung des menschlichen Körpers führen.
Im mit „Canto“ überschriebenen Gedicht treffen wir auf den rumänischen Bildhauer Konstantin Brancusi (1876–1957):

Brancusis Baumstrunk wird zu Licht.

Diese Stelle ist fern verwandt mit Pounds Versen in den Letzten Texten:

Brancusis Vogel
in der Höhlung von Föhrenstämmen
(Übersetzung von Eva Hesse).

In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass sich insbesondere das Nachtschatten-Gedicht in seiner Struktur an Pounds ideogrammatische Methode der Anhäufung analoger, zusammenklingender Einzelheiten anlehnt.

Walter Baumann, Nachwort

 

Nach Mein Taishan (2016)

sind die Übertretungen Patrizia de Rachewiltz’ zweites Buch in der Edition Noack & Block. Dieser Band, der auf Englisch 2011 unter dem Titel Trespassing in New Orleans erschienen ist, enthält Gedichte, die in Schubladen eingepfercht waren wie Tiere. Sie aus dem Pferch zu befreien, war zwar edel, aber auch „trespassing“ – ein Vergehen, auf das der deutsche Titel Übertretungen anspielt.
Patrizia de Rachewiltz dichtet ungereimt in freien Versen, manchmal mit langen, manchmal mit kurzen Verszeilen. Längere Gedichte sind in Strophen unterteilt. Diese Formenvielfalt verleiht den Übertretungen Lebendigkeit.
Die lyrischen Ich-Erzählungen richten sich direkt an das gesuchte und geliebte Du. Freude und positive Gefühle sind jedoch selten. Häufiger kommen Ängste und Niedergeschlagenheit zu Wort, die sonst selten Gehör finden.

Edition Noack & Block, Klappentext, 2020

 

 

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