NACHTS
Zeiten gab es, was mit dies und das,
wo das Flüstern von Worten nicht reichte.
Ein verlegter Sommer liegt auf irgendeinem Regal
im Erinnern, schlecht verwahrt für später zum
aaaaaAuskosten.
Sicher endete er früh, mit unerwarteten Nebeln,
mit jenem Wind, der gleitet durch Dunkel,
aaaaaungemessen.
Keine Stimme reichte, was mit dies und das,
und rascher fallen die Stunden.
Die vorliegenden Gedichte von Paul Bowles (1910–1999) stammen aus dem 1981 bei der Black Sparrow Press erschienenen Band Next to Nothing – Collected Poems 1926–1977, er umfasst sämtliche zu Lebzeiten veröffentlichte Lyrik des US-Amerikaners und ist zuvor in vier Einzelbänden publiziert worden: Two Poems / Zwei Gedichte (1933), Scenes / Szenen (1968), The Thicket of Spring / Frühlingsdickicht (1972) und Next to Nothing / Fast Nichts ( 1977). Bowles dichtet von 1926–1940 kontinuierlich, fällt daraufhin bis 1968 in einen lyrischen Hiatus, der mit der Drucklegung von Szenen, bereits seit 1940 im Manuskript, ab 1969 bis 1977 sporadisch von Gedichtproduktion unterbrochen wird. Er verfasst vornehmlich Prosa, 1949 erscheint mit The sheltering Sky / Der Himmel über der Wüste der erste von vier Romanen. Zu seinem Werk gehören weiter zahlreiche Bände Erzählungen, außerdem Reiseessays, eine Autobiographie sowie Übersetzungen und Herausgeberschaften aus dem Arabischen (u.a. Abdeslam Boulaich, Mohammed Choukri, Larbi Layachi, Mohammed Mrabet, Ahmed Yacoubi), dem Französischen (u.a. Isabelle Eberhardt, Jean Ferry, Francis Ponge, Jean-Paul Sartre) und Spanischen (u.a. Jorge Luís Borges, Rodrigo Rey Rosa, Ramón Sender, Ramón Gómez de la Serna). Gleichrangig zum literarischen Werk steht Paul Bowles’ lebenslange Betätigung als Komponist. Neben Textvertonungen von u.a. James Schuyler, Charles Henri Ford, Tennessee Williams hat Bowles Kammermusik, Vokalwerke, Opern und Konzerte komponiert sowie Aufträge für Bühnenmusik angenommen. Zu letzteren zählen Kollaborationen u.a. mit George Balanchine, Leonard Bernstein, Salvador Dalí, José Ferrer, Elia Kazan, Arthur Koestler, Joseph Losey, William Saroyan, Orson Welles.
1947 verlässt Paul Bowles endgültig die Riffelglaskammern, die freiwilligen Kristallmuscheln Amerikas, um in Tanger, Marokko, zu leben – Leere soll von nun an nie im Hause sein. Reisen haben ihn erstmals 1931 mit seinem damaligen Lebensgefährten, dem Komponisten Aaron Copland, in die internationale Stadt geführt. Zu jener Zeit war Bowles Mitglied im Pariser Exil-Kreis um Gertrude Stein. Jane Bowles, ebenfalls eine erfolgreiche Autorin, folgt ihm 1948 nach Tanger. Sie verstirbt nach jahrelanger Krankheit 1973 in Málaga. Alles, was Wille nun verlangt, sind Schere und Schwamm, den Wundring, Immunität. Von 1959–1961 unternimmt Bowles einen ethnographische Streifzug durch das Hinterland, um Field Recordings regionaler Musiktraditionen mitzuschneiden und ein paar erwartete Songs aufzunehmen. Das umfangreiche Archiv, im Auftrag der Library of Congress und der Rockefeller Foundation, ist als Music of Morocco: Recorded by Paul Bowles in den Handel gekommen. Ab 1970 gibt Bowles mit Daniel Halpern die Literaturzeitschrift Antaeus heraus, die bis 1994 vierteljährlich erscheint. Generationen von AutorInnen, LiteratInnen, KünstlerInnen haben ihn in seinem Tangerer Apartment besucht. Vornehmlich viele bedeutende DichterInnen der Beats legten auf ihren Reisen einen Stop bei Paul Bowles ein, wo gehört, wie erzählt. Bloß weit von warum.
Jonis Hartmann, Nachwort
und Zwecklosigkeit wird vorausgesetzt.“ Die mit diesem zweisprachigen Buch vorliegenden Gedichte von Paul Bowles umfassen sämtliche zu Lebzeiten veröffentlichte Lyrik des legendären Autors von The Sheltering Sky (dt. Himmel über der Wüste), übersetzt und herausgegeben von Jonis Hartmann. Die Lektüre dieser Texte schützt vor den mentalen Überfällen der „Stahlechsen“ und anderer reptiloider Phantasmen. In ihnen finden sich scharfsichtige Analysen der „Riffelglaskammern, in denen wir leben“, immer noch. „Die Dinge werden so weitergehen für / Immer. Nein / Kein Ding soll entzwei.“
roughbooks, Ankündigung
– Ein Song bleibt ein Song und ein Trip ein Trip: Die gesammelten Gedichte von Paul Bowles erscheinen in einer lyrischen Neuübersetzung von Jonis Hartmann. –
Das war nicht schön. Da steht der zwanzigjährige Amerikaner endlich in Paris vor der bewunderten Gertrude Stein. Und die erklärt ihm, er sei kein schlechter Dichter. Er sei überhaupt kein Dichter! Er solle es lassen! So ein Unsinn: „the heated beetle pants“. Käfer keuchten nicht! Oder: „can purple clouds forget to sail“ – ganz falsch! „Keine Wolke hatte je ein Bewusstsein, keine Wolke erinnert sich an irgendetwas!“ Die Gedichte seien schon publiziert, sagte der junge Dichter kleinlaut (publiziert immerhin in transition, der ersten Pariser Adresse für experimentelle Lyrik!). Das wisse sie, konterte die alte Dame, aber ein ernsthafter Lyriker korrigiere!
Die Szene ist überliefert von Florian Vetsch, der den alten Paul Bowles 1998, kurz vor dessen Tod, mehrfach in Tanger besuchte. Ihm, so Bowles, sei klar gewesen, dass es hier nicht um einzelne Bilder ging, die zu korrigieren wären, sondern um eine Haltung. Er liebte Lautréamont, die Surrealisten. Gertrude Stein offensichtlich nicht. Der Schweizer Florian Vetsch übertrug damals als erster die Collected Poems ins Deutsche; sie erschienen kurz nach seinem Gespräch mit Bowles im St. Gallener Erker-Verlag. Jetzt hat, gut 20 Jahre später, Jonis Hartmann (Jahrgang 1982) eine Neuübersetzung gewagt. Wo Vetsch weicher, im Verständnis interpolierend, verdeutlichend überträgt, bleibt Hartmann spröder, radikaler, unverschämter. Die Zeile „Salaamed, licked his lips and pressed them to the dust“ („Polemos“) heißt bei Vetsch:
Salam, sprach er, leckte die lippen und küsste den staub.
Bei Hartmann:
Salaamte, leckte die Lippen und presste sie in den Staub.
Hartmann erlaubt sich Neologismen und übersetzt manche Wörter nicht mehr. Ein „song“ bleibt ein Song und ein „trip“ ein Trip. („Es war ein langer Trip zurück. / Weiße Lilien winkten an Mauern. / Der Schweiß von blauen Trauben / Glänzte wie Glas…) Und er erlaubt sich, das englische Adjektiv „taupe“, im Deutschen selten gebraucht (es bezeichnet einen ins Bräunliche gleitenden Farbton), stehenzulassen:
Das weiße Licht unseres hauchdünnen Knasts
Wo träg wir liegen auf taupen Matten
(„Amerika“).
In der zweisprachigen Neuausgabe sind die Entscheidungen von Hartmann gut nachzuverfolgen, was einen weiteren Reiz ausmacht. Etwa wenn er im Gedicht „Kirche“, in dem es um Thomas Hood geht („Hood was / Not an / Import / Ant / Man“), wortspielt: („Hood war / Kein / Import / Tiger / Mann“). Er rettet das Tier, die Ameise („ant“), immerhin im Tiger und behält das Wort „important“ im Neologismus „import(t)iger“. Wie Florian Vetsch ist auch Jonis Hartmann Lyriker.
Die Collected Poems umfassen 26 Jugendgedichte (entstanden bis 1931, dem Jahr der Begegnung mit Stein). Sie sind wild, impulsiv, schöpfen Energie aus der écriture automatique, zerschlagen gewohnten Sinn, um eine frische Sprache für radikales Empfinden freizusetzen. Sie spielen mit der Erotik von Gewalt und der Schönheit künstlicher Paradiese. Unter diesen Gedichten findet sich auch das umwerfende achtteilige Prosagedicht „Kein Dorf“. Es beginnt:
Welche Clematis-Tentakel wurden vereinbart? Die Asche der Morgendämmerung ist in einer Million Kehlen, und tausend Motoren drücken aufs Herz.
Es folgen 14 Gedichte aus den Jahren 1934 bis 1940, diskrete Zeilen an einen Geliebten, Reisebilder mit Kamelen, dem goldenen Staub der Wüsten. Die Sehnsucht gilt dem Nichts, dem Schweigen, dem Verlorenen. Ein Ich will ankommen im Unterwegssein. Danach hat Bowles nur noch sechs späte Gedichte aus den Jahren 1969 bis 1977 in seine Sammlung aufgenommen (geschrieben, so Vetsch, habe er „hunderte“, aber nur die ausgewählt, für die er „sich nicht geschämt habe“). Es sind philosophische melancholische Etüden und Bekenntnisse.
Ob Bowles bei seiner ersten Begegnung mit Gertrude Stein ihrem Rat, keine Gedichte mehr zu schreiben, gefolgt war oder doch (so sah er es jedenfalls später) der eigenen Einsicht, dass er das Schreiben von Lyrik bewusster angehen müsse, bleibt unsicher – jedenfalls hielt er sich mit Versen eine Weile zurück und setzte seine Karriere als erfolgreicher Komponist (Oper, Bühne, Ballett) fort. Aber sicher folgte er Gertrude Stein, wenn er mit seinem damaligen Lebenspartner, dem Komponisten Aaron Copland, nach Tanger fuhr. Die Stadt an der Straße von Gibraltar, das Tor zu Afrika, der marokkanische Treffpunkt einer aufgekratzten Elite aus Kunst, Wirtschaft, Diplomatie, war die Chance, den „Riffelglaskammern“ Amerikas zu entkommen.
Tanger sollte Bowles’ Schicksal werden. 1937 zog er ganz in diese Internationale Zone, in der das Leben für Künstler aufregender und auf jeden Fall billiger war als anderswo. 1938 folgte ihm seine damals 21 Jahre alte Frau Jane nach; eine unkonventionelle Ehe begann. Er homosexuell (nie bekennend, in seiner Lyrik aber offenbar), sie lesbisch, die Frauen wechselnd wie Sommerkleider, wurden die beiden zu einem der interessantesten und begehrtesten Paare in den europäisch-amerikanischen Kreisen Tangers. Über dem Lektorat von Janes erstem Roman Zwei sehr ernsthafte Damen (1943) fand der gefragte Komponist Paul Bowles die Lust und den Mut, selbst Prosa zu schreiben. Im Unterschied zu Jane, die zunehmend von Schreibblockaden und Selbstzweifeln gequält wurde, verfasste er nach seinem gefeierten Erstling Himmel über der Wüste (1949) weitere Romane, Erzählungen, Reisereportagen und wurde zu einem der bekanntesten Schriftsteller Amerikas. Ein schreibender Nomade, der als festen Wohnsitz aber Tanger beibehielt. Sein Grundthema war die Heimatsuche im Fremdsein. Janes Thema blieb die Entfremdung in Paarbeziehungen. Im Unterschied zu ihr war er in seiner Prosa (anders als in der Lyrik) stilistisch eher konventionell. Sie hingegen wurde eine Kultfigur der Avantgarde. Truman Capote verehrte sie, Harold Pinter, Tennessee Williams hielten sie für die größte englisch schreibende Autorin des Jahrhunderts.
Zunächst hatten Beatniks das provozierende Paar in Tanger aufgespürt, nach ihnen kamen die Hippies. Sie suchten den Aussteiger Bowles, dessen Wahlheimat die Wüste war, den Ethnologen marokkanischer Musik, der mit Tonbändern in die abgelegensten Winkel zog. Als einen der ihren haben sie ihn wohl missverstanden. Jane und er, das war eine andere Liga. Sie gehörten in das alte, kultivierte Europa.
Er besaß kein Telefon. Und er mochte das Fliegen nicht. Er fuhr mit Schiffen, am liebsten auf Frachtern, monatelang über den Atlantik. Er war kein Tourist; er war ein Reisender. Oder er hatte ein Jaguar-Cabriolet mit Chauffeur. Das freilich ging auch.
1957, in ihrem 41. Lebensjahr, drogenabhängig, von ihrer Lebensleistung enttäuscht, sexuell und seelisch einer marokkanischen Feticheuse hörig, erlitt Jane einen ersten Schlaganfall. Für sie begann ein Martyrium; für ihn das Leben mit einer zunehmend Verlorenen. Psychiatrien, Sanatorien im nahe gelegenen spanischen Malaga und immer wieder der Versuch eines Neuanfangs in Tanger. Was Jane am Ende noch las, waren seine Gedichte, die zu ihren Lebzeiten in drei schmalen Bänden erschienen waren.
„Next to Nothing“, das titelgebende Langgedicht der Collected Poems, war schließlich Paul Bowles’ Epitaph an seine Frau Jane, die 1973, nach drei Schlaganfällen blind und gelähmt, endlich (sie hatte ihn wiederholt gebeten, sie zu töten) starb.
Ich bin die Spinne in deinem Salat, dein Brotaufstrich aus Blut.
Ich bin der rostige Skalpell, unter deinem Nagel der Dorn.
(…)
ich bin die falsche Richtung, das tote Nervenende, der unbeendete Schrei.
Eines Tags mögen meine Worte dir so wohltun wie mir deine weh.
– Er war ein Vorbild der Beat-Generation, doch seine Gedichte blieben hierzulande weitgehend unbekannt. Nun sind sie in einer zweisprachigen Ausgabe erhältlich. –
Sein erster Roman, The Sheltering Sky (1949, dt. Himmel über der Wüste), ging in die Weltliteratur ein und machte ihn zur Legende. Generationen von Lesern und Leserinnen begeisterten sich für diesen und die drei weiteren Romane, Erzählungen und Reiseberichte des amerikanischen Schriftstellers Paul Bowles (1910–1999), der seit 1947 in Tanger (Marokko) lebte.
Die Verfilmung von The Sheltering Sky durch Bernardo Bertolucci (1990) tat ein Übriges, damit dieser Autor nicht in Vergessenheit geraten konnte. In zwei Szenen des Films sieht man Bowles in einem Café, eine Reverenz gegenüber dem damals 80-Jährigen, der sich mit der recht freien filmischen Bearbeitung seines Romans nicht wirklich anfreunden konnte. Für die jungen Dichter der Beat-Generation war der Aussteiger und Reisende, der Grenzgänger, der suchende Mensch ein Vorbild. Bowles hat ausserdem auch als Komponist gearbeitet, seine Talente waren vielfältig.
Hierzulande sind indessen seine Gedichte, die er vor allem am Anfang seiner Karriere ab den 1930er Jahren geschrieben hatte, nur wenig bekannt. Dabei sind sie wie ein Vorgriff auf den dichterischen Ton von Robert Creeley, Jack Kerouac und Frank O’Hara:
Die Dinge werden so weitergehen für
Immer. Nein
Kein Ding soll entzwei.
Charakteristisch für die Texte sind das Thema des Aufbruchs und die Absage an veraltete Konventionen, sie zeichnen sich aus durch eine Neugier und die Zugewandtheit zu allem Fremden. Der Dichter verbindet Klarheit und Härte mit Zärtlichkeit und bringt dabei die Elemente zum Tanzen:
Ich will nach mehr. mehr. mehr.
Das lyrische Werk von Paul Bowles umfasst auch Prosagedichte und längere Meditationen über die Zeit und offene Räume. In diesen Texten steht immer die Freiheit an erster Stelle. Die frische und schwungvolle Übersetzung von Jonis Hartmann transportiert diese Texte eindrucksvoll in die Gegenwart. Ein kristalliner Sound trägt Geräusche vom Hafen heran und vielstimmigen Gesang vom Meer. Darin werden die kulturellen Gegensätze und Konflikte ausgelebt und befriedet zugleich.
Poesie ist Wissen von den Dingen und den Lebensformen. Hierin zeigt sich Paul Bowles als ein grosser Meister, sein „Far from why“ zelebriert ein Leben in Hingabe und Ekstase und besänftigt es in der Kontemplation. Sein poetisches Werk erhellt und klart auf in einer Zeit der Ängstlichkeit, es heilt auf eine wundersame Weise. Einmal mehr muss man dem Schweizer Roughbooks-Verleger Urs Engeler danken für die Hebung dieses poetischen Schatzes.
Astrid Nischkauer: hinter den Bäumen Musik
signaturen-magazin.de
Gerrit Bartels: Der Fremde im Glück
Der Tagesspiegel, 29.12.2010
Daniel Khafif: Paul Bowles Hommage zum 100. Geburtstag
netzpiloten.de, 24.1.2011
Tilman Krause: So mag er auferstehen
Die Welt, 30.12.2010
Paul Bowles: The Complete Outsider.
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