Paul Celan: Mohn und Gedächtnis

Mashup von Juliane Duda zum Buch von Paul Celan: Mohn und Gedächtnis

Celan-Mohn und Gedächtnis

LANDSCHAFT

Ihr hohen Pappeln – Menschen dieser Erde!
Ihr schwarzen Teiche Glücks – ihr spiegelt sie zu Tode!

Ich sah dich, Schwester, stehn in diesem Glanze.

 

 

 

„Befreit von tausend Ungewißheiten“

– Wie der Lyriker Paul Celan entdeckt wurde. –

,,Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ – Paul Celans bekanntester Vers steht in der „Todesfuge“, die wohl im Mai 1945 in Bukarest geschrieben und zwei Jahre später veröffentlicht wurde, allerdings nur in rumänischer Übersetzung. Berühmt wurde das Gedicht erst durch den schmalen Band Mohn und Gedächtnis, den die damals in Stuttgart ansässige Deutsche Verlags-Anstalt Ende 1952 zunächst als Weihnachtsgabe und kurz danach für den Handel herausgab. Es war das erste gültige Buch des 1920 als Paul Antschel in Czernowitz geborenen Dichters. Eine bereits 1948 in Wien unter dem Titel Der Sand aus den Urnen gedruckte Sammlung hatte er wegen einer Vielzahl sinnentstellender Fehler sofort nach Erscheinen zurückgezogen. Auch in ihr war die „Todesfuge“ enthalten.
„Schwarze Milch der Frühe“ – fast monolithisch ragten Celans Worte aus dem Gros der Nachkriegslyrik hervor. Sie ließen sich nur schwer in Zusammenhang bringen mit Gottfried Benn, der sich nach Hitlers Machtübernahme vehement für den „neuen Staat“ eingesetzt hatte, und dem heute fast vergessenen, damals aber ungeheuer einflußreichen Naturlyriker Wilhelm Lehmann. Diese beiden waren für die meisten um 1920 geborenen Dichter unerreichbare Vorbilder, nicht so für Celan. Sein lyrischer Stil wurde in den Randgebieten des deutschen Sprachraums geprägt, in der Bukowina, und die jüdische Tradition war für ihn ebenso wichtig wie die radikale Avantgarde der Zeit vor 1933. Während viele junge Autoren nach 1945 mit der Behauptung antraten, noch einmal ganz von vorn anfangen zu müssen, stand Celan in gewissem Sinne für Kontinuität. In seiner Sensibilität und Intellektualität schien er einem Walter Benjamin oder der in Auschwitz ermordeten Gertrud Kolmar viel näher als Kriegsheimkehrern wie Heinrich Böll oder Alfred Andersch. Auf überraschende Weise vermittelten Celans zugleich neuartige und formbewußte Strophen eine Vorstellung davon, wie sich die deutschsprachige Literatur hätte entwickeln können, wenn sie nicht durch den Nationalsozialismus ruiniert worden wäre.
,,Ein Meister aus Deutschland“ – das Wort „Deutschland“ verwendete Celan in seinen Gedichten mehr als zurückhaltend. Außer in der „Todesfuge“, mit der er, das erläuterte er 1960 in einem Brief, versucht hatte, „das Ungeheuerliche der Vergasungen zur Sprache zu bringen“,1 taucht es lediglich in dem 1959 geschriebenen Gedicht „Wolfsbohne“ noch einmal auf. Celan, der sich zu dieser Zeit massiven antisemitischen Angriffen ausgesetzt sah, wollte diesen Text zunächst in der Neuen Rundschau veröffentlichen, zog ihn dann aber zurück, weil er ihm letztlich eher „privat“ zu sein schien und künstlerisch den eigenen Ansprüchen nicht genügte.2 „Wolfsbohne“ hebt mit einem Motto von Hölderlin an, das sich wie eine Anspielung auf die „Todesfuge“ liest: „o / Ihr Blüten von Deutschland“, um gleich in der zweiten Strophe die Deportation und Ermordung von Celans Eltern unverschlüsselt zu thematisieren:

Weit in Michailowka, in
der Ukraine, wo
sie mir Vater und Mutter erschlugen: was
blühte dort, was
blüht dort?
3

Nach der Lager- und Ghettoerfahrung, nach Auschwitz wurde es für Celan nie wieder selbstverständlich, deutsch zu schreiben und zu sprechen. Er hatte sogar versucht, sich von seiner Muttersprache loszusagen und ins Rumänische überzuwechseln, dann war er nach Paris gezogen, um Franzose zu werden – nur seine literarische Arbeit blieb in erster Linie deutsch.4 Vor diesem Hintergrund wird es ihm nicht leichtgefallen sein, das erste Buch in einem Verlag zu veröffentlichen, der das Deutsche nicht nur im Namen führte, sondern auch Autoren im Programm hatte, die unter den Nazis anerkannt, wenn nicht gar selbst deren Parteigänger waren – allen voran Börries von Münchhausen und Ina Seidel. Auch Gottfried Benn publizierte nach 1933 in der Deutschen Verlags-Anstalt, und zwar ausgerechnet jene Bücher; mit denen er sich den neuen Machthabern am skrupellosesten antrug: die Essaysammlungen Kunst und Macht und Der neue Staat und die Intellektuellen. Antiquarische Exemplare dieser Bücher finden sich in Celans Handbibliothek. Möglicherweise hat er sie erst nach 1952 angeschafft, aber auch ihm wird von Anfang an klar gewesen sein, daß sein zukünftiger Verlag in den entscheidenden zwölf Jahren kein Hort des Widerstands gewesen war. Gustav Kilpper, der damalige Leiter der DVA, wurde zwar 1934 vorübergehend inhaftiert, weil ihm vorgeworfen wurde, neben vielem anderen auch regimekritische Zeitschriften und Bücher herauszubringen. Die meisten DVA-Publikationen waren aber durchaus linientreu, und nachdem Kilpper 1942 seinen Dienst letztlich aus politischen Gründen quittiert hatte, konnte der Verlag gänzlich „gleichgeschaltet“ werden.
Doch gab es für Celan überhaupt eine gute oder sogar bessere Alternative zur Deutschen Verlags-Anstalt? Zu Beginn der fünfziger Jahre war sie nicht nur einer der größten Verlage der jungen Bundesrepublik, sondern auch auf dem besten Weg, eine der ersten Adressen für anspruchsvolle Literatur zu werden. Kurzzeitig hatte Hans Werner Richter die Halbmonatszeitung Die Literatur als eine Art Organ der von ihm geleiteten Gruppe 47 in Stuttgart herausgegeben, bis diese als unrentabel wieder eingestellt wurde; ein Mißerfolg, den sich Richter bezeichnenderweise mit dem Fehlen von „50.000 literarisch interessierte[n] Juden“ erklärte.5 Wolfgang Hildesheimer veröffentlichte 1952 seine Lieblosen Legenden in der DVA, Karl Krolow, Hermann Lenz, Kurt Leonhard und Milo Dor gehörten zu ihren Autoren, und auch Ingeborg Bachmann suchte in Stuttgart eine verlegerische Heimat. Ihr erster Roman Stadt ohne Namen wurde jedoch zurückgewiesen, weil Bachmann sich, wie es in der Absage heißt, mit der „visionären Verkündung einer neuen Weltordnung“ übernommen habe.6 Eines der negativen Gutachten zu ihrem Roman stammte ausgerechnet von Rolf Schroers, jenem Schriftsteller, der sich damals als Berater der DVA entschieden für Celans Gedichte eingesetzt hatte.7
Celans Begeisterung war also nicht übertrieben, als er seiner späteren Frau Gisèle de Lestrange am 30. Mai 1952 nach Paris schrieb, er stehe jetzt mit dem „Lektor eines großen Stuttgarter Verlagshauses“ in aussichtsreicher Verbindung. Ein Vertrag mit der DVA war in dieser Zeit ein Glücksgriff. Das zeigte sich nicht zuletzt dadurch, daß Celans Debüt ungewöhnlich viel Aufsehen erregte – eine Erfolgsgeschichte, deren Anfang der Autor selbst erstaunlicherweise als eine der größten Demütigungen seiner literarischen Laufbahn empfand.
Denn Celans Weg nach Stuttgart wurde auf der Tagung der Gruppe 47 in Hamburg und Niendorf an der Ostsee angebahnt, zu der er auf Initiative von Milo Dor und vor allem von Ingeborg Bachmann eingeladen worden war. Bachmann kannte Celan aus Wien, wo die beiden nach dessen Flucht aus dem stalinistischen Rumänien im Frühjahr 1948 für wenige Wochen ein Paar geworden waren. Danach drifteten sie mehr und mehr auseinander. In Paris besuchte sie ihn zweimal, zuletzt im März 1951. Ihre Liebe war zu kompliziert, um zu einem gemeinsamen Alltag zu finden. In ihrer Dichtung allerdings fühlten sie sich nach wie vor so eng verbunden, daß zumindest für Bachmann die Werke des Freundes fast so wichtig waren wie ihre eigenen.
Im Frühjahr 1952 konnte Bachmann Hans Werner Richter nur mühsam dazu überreden, Celan um seine erste Lesung in Deutschland zu bitten. Offenkundig hielt der unbestrittene „Chef“ der Gruppe 47 von Anfang an nicht besonders viel von dem noch weitgehend unbekannten Lyriker. Diese Aversion scheint grundsätzlicher Natur gewesen zu sein, unterlief Celan mit seinen Dichtungen doch jene ästhetischen Grundüberzeugungen, die Richter bei den Gruppenmitgliedern stillschweigend voraussetzte. So wurde Celans Lesung in Niendorf am 23. Mai 1952 von ihm selbst als Debakel wahrgenommen. Entsprechend beurteilte es auch der Kritiker, Schriftsteller und Philologe Walter Jens. Die „Todesfuge“ sei in der Gruppe ein „Reinfall“ gewesen, was nicht nur an Celans pathetischer Rezitation gelegen habe, sondern auch daran, daß er in diesem Umfeld wie ein Fremdling gewirkt habe:

Das war eine völlig andere Welt, da kamen die Neorealisten nicht mit, die sozusagen mit diesem Programm groß geworden waren.8

Und Hans Werner Richter bemühte sich keineswegs um Verständnis für seinen Gast, im Gegenteil, er behandelte ihn wie einen „Gestörten“, der gar nicht zuhören könne, weil „er immer mit sich selbst beschäftigt“ sei.9 Als Diskussionsleiter scheint es Richter vor allem darum gegangen zu sein, die Wirkung von Celans Gedichten herunterzuspielen, um ihn als Kandidaten für den Preis der Gruppe unmöglich zu machen, den schließlich Ilse Aichinger erhielt. „Na ja, […] “, erinnerte sich Celan seinem Stuttgarter Freund Hermann Lenz gegenüber später an jene Tagung.

Da hat einer zu mir gesagt: Die Gedichte, die Sie vorgelesen haben, waren mir sehr unsympathisch. Und dann haben Sie sie auch noch im Tonfall von Goebbels vorgetragen.10

Die Ablehnung, auf die Celan bei seinem einzigen Auftritt vor der Gruppe 47 stieß, ist vielfach bezeugt. Dennoch führte seine Reise an die Ostsee zum erhofften Durchbruch. In Niendorf lernte er nämlich auch einige junge Deutsche kennen, die offen waren für seine Dichtung und die von sich aus die Schuldfrage stellten. Unter ihnen waren Rolf Schroers und eben Willi A. Koch, jener Lektor, der die von der DVA finanziell unterstützte Tagung für seinen Verlag begleitete. Für beide war Celan eine große Entdeckung. Einen Monat nach der Tagung meldete sich Koch bei ihm:

Der Eindruck, den Sie und Ihre Lyrik in Niendorf auf mich machten, ist in mir immer noch unvermindert stark und lebendig. Ich besitze nur die Anthologie von Hans Weigel, in der drei Ihrer Gedichte stehen. Ich habe sie schon mehrere Male im Verlag vorgelesen und kann Ihnen zu meiner grossen Freude sagen, dass sie offene Ohren und grosse Beachtung gefunden haben.11

Stärker kann ein Lektor einen unbekannten Autor kaum ermutigen. Eine interne Notiz vom 25. Juni 1952 bestätigt, daß sowohl Koch als auch der Verlagsleiter Helmut Dingeldey schon zu diesem Zeitpunkt davon ausgingen, Celans Gedichte zumindest als „Sonderausgabe“ zu veröffentlichen, und das, obwohl sein vollständiges Manuskript erst einige Tage später im Verlag eintraf.12
Wäre es nach Koch gegangen, hätte sich Celan bereits am 6. Juni 1952 im Stuttgarter Verlagsgebäude vorgestellt, der allerdings hatte kurzfristig abgesagt. Nachdem Ingeborg Bachmann mit dem Lektor in Stuttgart über ihren eigenen Roman verhandelt hatte, berichtete sie Celan, daß Koch „sehr unglücklich“ über den geplatzten Termin gewesen sei.13 Schließlich wurden die persönlichen Gespräche am 21. Juli nachgeholt. Im Anschluß las Celan, wie Hermann Lenz festhielt, vor geladenen Gästen „im Vestibül“ der Villa in der Mörikestraße 17, in der die DV A bis zum Neubau des Hauptsitzes in der Neckarstraße residierte. Auch Lenz, der Celan voller Sympathie begegnete, irritierte zunächst seine Art zu lesen:

Der getragene Tonfall seines Vortrags überraschte mich. Und obwohl ich die Assoziationen der Celanschen Verse beim Hören nicht so intensiv wahrnehmen konnte, wie ich mir dies wünschte, war ich mit dem Gehörten einig. Es berührte mich.14

Neben Lenz befand sich Hermann Kasack unter den Zuhörern, der durch seine 1947 bei Suhrkamp erschienene Stadt hinter dem Strom prominent geworden und seinerzeit Präsident des Süddeutschen Schriftstellerverbands war. Kasacks Roman schien Celan immerhin so beeindruckt zu haben, daß er dessen französische Übersetzung Gisèle de Lestrange schenkte.
Zehn Tage später informierte Koch Schroers über den Stuttgarter Abend:

Celan war bei uns und hat im Verlag gelesen. Wir hatten einige Freunde unseres Verlages dazu gebeten; der Erfolg war gewiss kein grosser, aber bei einigen Zuhörern, so vor allem bei Kasack, sehr nachhaltig. Kasack hat unbedingt zur Veröffentlichung geraten. Celan ist zur Zeit in Kärnten; er wird Mitte August wieder vorbeikommen […]. Seine Gedichte sind grundsätzlich vom Verlag angenommen, es wird noch über die Auswahl beraten, die Celan möglichst umfassend haben möchte.15

Dieser Bericht klingt nicht eben euphorisch, und auch Celan hat seinen Antrittsbesuch bei der DVA eher als ernüchternd empfunden: „an dem Ort, von dem ich mir alles weitere erwartete, ging alles schief“, heißt es in seinem Brief an Schroers vom 9. August.

Es stellte sich nämlich heraus, daß nicht ein richtiger Gedichtband, sondern nur eine Auswahl von ungefähr sechzehn Gedichten erscheinen könnte, in Form eines Anhängsels zur eigentlichen Weihnachtsgabe […] kurzum, ich hatte bald eingesehn, daß die Begeisterung durchaus nicht so allgemein war, wie Dr. Koch sie mir geschildert hatte. Man ließ mich vor ungefähr zwanzig Gästen lesen, lud mich zum Abendessen ein und machte mir ein wenig Hoffnung.16

Celan malte die Sache zu schwarz und unterschätzte sowohl Koch als auch den Einfluß von Schroers und Kasack. Auf dem Umweg über Österreich erreichte ihn drei Tage später eine Nachricht, die Koch seinem neuen Autor bereits am 7. August 1952 geschrieben hatte:

Lieber Herr Celan, ich bin sehr froh, dass ich Ihnen heute eine Mitteilung schicken kann, über die Sie sich sehr freuen werden. Entgegen unserem ursprünglichen Plan einer Auswahl aus Ihren Gedichten hat sich der Verlag nun entschlossen, Ihr vollständiges Manuskript herauszubringen.17

Dieser Brief machte Celan so glücklich, daß er es gern in Kauf nahm, von Schroers „für einen Esel“ gehalten zu werden.18 Ohne Frage stand er jetzt vor dem entscheidenden Wendepunkt seiner Karriere. Dennoch ließ er seinen Verlag zehn Tage lang auf Antwort warten. Am 21. August 1952 schickte er dafür gleich zwei Briefe nach Stuttgart, einen an den Lektor und einen an den Verlagsleiter Helmut Dingeldey. Kochs Zusage sei für ihn, schrieb er Dingeldey, eine der wichtigsten Nachrichten seit Jahren gewesen. Sie habe „die Befreiung von tausend Ungewißheiten“ gebracht, ,,und damit die Zuversicht, von der beinah alles Weitere abhängt“.19 Die an Koch gerichteten Zeilen fielen nicht weniger euphorisch aus:

Lieber und sehr verehrter Herr Doktor, die Freude beim Lesen Ihres Briefes war eine von jenen, die sich nur schwer durch Worte mitteilen – ich wäre am liebsten gleich zu Ihnen hingeeilt, um Ihnen zu danken! Schreiben Sie es also bitte nicht dem zögernden Gedanken, sondern dem immer wieder hinter ihm zurückbleibenden Wort zu, daß Ihre Zeilen so lange ohne Antwort geblieben sind.20

Von nun an ging es Zug um Zug, denn bis Jahresende sollten sich die 66 Manuskriptseiten Text in ein leinengebundenes Bändchen verwandelt haben. Am 3. und am 8. September wurde der Verlagsvertrag unterzeichnet, und schon am 17. Dezember wurde ein Teil der Auflage als Weihnachtsgabe an Freunde des Hauses verschickt, unter anderen an Thomas Mann, Ernst Jünger und Hermann Hesse.
Letzterer bedankte sich mit einigen lobenden Worten, die sogleich für die Buchhandelswerbung verwendet werden konnten:

Die Gedichte von Paul Celan haben mir in der Tat sofort starken Eindruck gemacht, das ist ein schönes Talent. Die Art, wie dieser Dichter Neues wagt, ohne den Zusammenhang mit der guten Überlieferung zu verlieren oder gar bewußt abzubrechen, ist mir sehr sympathisch.21

Hesse war nicht der einzige wesentlich ältere Kollege, der den Debütanten wohlwollend begrüßte. Hans Erich Nossack, der Celan 1952 „sehr flüchtig“ auf dem zu Ehren der Gruppe 47 in Hamburg gegebenen Empfang kennengelernt hatte, empfahl Mohn und Gedächtnis häufiger weiter, so auch an Wilhelm Lehmann:

Ich fasse diese Gedichte keineswegs alle, das ist ja auch unnötig, aber ich empfinde die sehr echte und moderne Musik, die in ihnen ist.22

Der DVA-Autor Kurt Heynicke bedankte sich für die Weihnachtsgabe mit einer ausführlichen Beschreibung seines ersten Lektüreeindrucks:

Celans Bilder […] gehen auf eine merkwürdige Art ein, sie schweben, verweben und erlauben, dass man etwas dabei empfindet. Wer so liedhafte Verse hervorbringt wie „So bist du denn geworden“ und „Deiner Mutter Seele schwebt voraus“[,] der dichtet nicht mit dem Hirn, sondern der hat, was zum lyrischen Schaffen am Ende doch unerläßlich ist: Seele. In diesem Sinne ist Celan ein echter Poet.23

Besonders diese Fürsprache hätte Celan, wenn sie ihm zugetragen worden wäre, wahrscheinlich eher erschreckt, stammte sie doch von einem Autor, dessen Hand er, um ein Wort Celans zu variieren, nicht ohne Gewissensbisse hätte drücken können. Heynicke, der im Umkreis der expressionistischen Zeitschrift Der Sturm bekannt wurde, später im Nationalsozialismus aber propagandistische Thingspiele und Unterhaltungsromane verfaßte, betonte nicht von ungefähr ausschließlich das Vitale und vermeintlich Konventionelle mancher Gedichte aus Mohn und Gedächtnis und ignorierte die politischen Bezugspunkte dieser Lyrik vollkommen. Auch die so behutsame wie nachdrückliche Um- und Neudeutung traditioneller Motive wie Auge, Apfel, Herz, Milch, Sand und Rose blendete er aus. Ähnlich taten es Ernst Jünger und Ina Seidel.24
Solche Stimmen machen deutlich, wie unterschiedlich die Reaktionen waren, die Celans Gedichte anfangs hervorriefen – vom Unverständnis der meisten Mitglieder der Gruppe 47 über die entschlossene Zustimmung von Schroers, Koch, Kasack und Lenz bis hin zum verhaltenen Lob aus nationalkonservativen Kreisen. Vielleicht läßt sich auch mit dieser Vielfalt erklären, warum Mohn und Gedächtnis zu einer der erfolgreichsten Lyrikveröffentlichungen der fünfziger Jahre wurde: Bald war die erste Auflage vergriffen, und im Laufe der folgenden Jahrzehnte wurde immer deutlicher, daß es sich bei dem Buch um eines der wichtigsten der Nachkriegsliteratur handelte. Nicht nur „Todesfuge“, sondern auch „Corona“, „Der Sand aus den Urnen“ oder der Dreizeiler „Landschaft“, um nur drei Titel herauszugreifen, setzten Maßstäbe und gehören in jede Sammlung der größten Lyrik des vergangenen Jahrhunderts. Aus verlegerischer Sicht wäre es ratsam gewesen, wenn die DVA die wachsende Anerkennung ihres Autors auch dazu genutzt hätte, das eigene Renommee zu stärken; allein, es kam anders.
Nach Erscheinen der Buchhandelsausgabe von Mohn und Gedächtnis war Celan mit seinem Verlag zwar vollauf zufrieden – ,,Als ich in der ersten Januarwoche mit meiner Frau – ich habe kurz vor Weihnachten geheiratet – aus Südfrankreich zurückkehrte und das Buch vorfand, schlug meine Freude in ihrer Unbändigkeit einen seltsamen Weg ein: sie führte mich um dieses Buch herum, das ich nicht aufzuschlagen wagte, so unwirklich-schön lag es da“25 –, doch dieses Einverständnis war von allzu kurzer Dauer. Im Mai 1953 wurde Koch und Dingeldey gekündigt. Auch Schroers beendete seine Zusammenarbeit mit der DVA, sowohl als Außenlektor als auch als Autor. „Ich habe keinerlei Fühlung mehr mit Stuttgart“, bedauerte er Celan gegenüber am 31. Mai.

Hoffentlich wirkt sich die Umstellung (aufs Restaurative, Verkäufliche) nicht auch ungünstig auf Sie aus.26

Wie sollte sie sich nicht ungünstig auswirken? Ein knappes halbes Jahr nach seinem Debüt hatten alle für Celan wichtigen Bezugspersonen den Verlag verlassen, ein Zustand, der ihn verunsichern und bedrücken mußte. Trotzdem bot er der DVA 1954 auch seinen nächsten Gedichtband an. Allerdings geriet er schon während der Drucklegung mit der neuen Verlagsleitung in einen Streit über marginale Details seines Vertrags. Von Schwelle zu Schwelle konnte im Juni 1955 noch bei der DVA „in der gleichen Ausstattung wie Mohn und Gedächtnis (schwarzer Leineneinband)“ erscheinen, das hatte sich Celan ausdrücklich gewünscht.27 Drei Jahre später suchte er sich einen anderen Publikationsort.
Sein erstes Buch blieb so erfolgreich, daß es von der DVA regelmäßig nachgedruckt wurde, bis heute. Anfang der sechziger Jahre dachte Celan sogar darüber nach, als Autor in den Stuttgarter Verlag zurückzukehren, unter dessen Dach sich inzwischen mit Nelly Sachs, Christoph Meckel, Johannes Bobrowski und Walter Helmut Fritz eine ganze Reihe signifikanter Lyriker versammelte. Dann aber fand er in Siegfried Unseld einen angemessenen neuen Verleger, der sein Werk zum Teil der vielbeschworenen „Suhrkamp-Kultur“ machte.
In den deutschen Südwesten allerdings führten Celans Wege wieder und wieder. 1954 und 1955 las er in Esslingen, und diese beiden Auftritte hatten bereits eine vollkommen andere Resonanz als die früheren, intimeren in Niendorf und Stuttgart. Hermann Lenz schilderte das kaum verschlüsselt in seinem autobiographischen Roman Ein Fremdling:

Im Rathaus saßen sie im großen Saal mit der Holzdecke und der Wandvertäfelung, beides über vierhundert Jahre alt. […] Licht kam herein, es war ein Regenglänzen. Die feierliche Stimme des Dichters im schwarzen Anzug war merkwürdig und eindringlich, und manchmal klang sie wie eine von vielen Toten und gab dem Leben recht. Die Widersprüche und die Gegensätze standen beieinander und verschränkten sich unvermischt, eine schneidende Härte.28

Das Publikum und die Presse zeigten sich tief berührt, gerade von jenen Gedichten, die die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden mit zuvor nicht erreichter Eindringlichkeit zur Sprache brachten. Am meisten überraschte das vielleicht Celan selbst. Seine zweite Esslinger Lesung sei ein großer Erfolg gewesen, berichtete er seiner Frau am 1. Februar 1955 aus Stuttgart:

viele Leute, die mir aufmerksam zuhörten, am Ende ein wenig verzaubert. Im Publikum eine gewisse Anzahl junger Dichter, darunter einer, Johannes Poethen […], der sich erboten hat, mir in Tübingen, das hier ganz in der Nähe liegt, das Hölderlin-Archiv zu zeigen: ich werde übermorgen für einen halben Tag hinfahren.29

Meist nutzte Celan seine Lesereisen nach Stuttgart auch für Besuche bei Hermann Lenz in der Birkenwaldstraße. Zuletzt kam er zur Feier von Hölderlins 200. Geburtstag an den Neckar: Am 21. März 1970 trug Celan im Silchersaal der Stuttgarter Liederhalle unveröffentlichte Gedichte aus dem Zyklus Lichtzwang vor. Damals befand er sich auf dem Höhepunkt seines Ruhms. Das änderte aber nichts daran, daß ihn diese Lesung vor den versammelten Hölderlin-Forschem fast so verunsicherte wie jene in Niendorf achtzehn Jahre zuvor. Einern Freund teilte er mit:

bei der Lesung stand tatsächlich jemand auf, in der Mitte des Saals, stand da und – filmte. […] Die Lesung wurde totgeschwiegen oder als ,unverständlich‘ abgetan.30
Am 22. März besuchte Celan den Hölderlinturm, über den er 1961 das Gedicht „Tübingen, Jänner“ geschrieben hatte. Vier Tage später trat er ein letztes Mal in Freiburg auf. Vermutlich in der Nacht vom 19. auf den 20. April stürzte er sich in die Seine, ganz in der Nähe seiner Pariser Wohnung.

(Die im Nachwort zitierten Briefpassagen und Materialien, die die Publikationsgeschichte des Bandes Mohn und Gedächtnis beleuchten, finden sich im Archiv der DVA sowie im Nachlaß Paul Celans, die im Deutschen Literaturarchiv Marbach aufbewahrt werden. Mein besonderer Dank gilt Herrn Eric Celan für die Erlaubnis, aus dem Material publizieren zu dürfen. Ferner danke ich Agnes Handwerk für die Erlaubnis, das von ihr 1970 in Stuttgart geschossene Foto zu veröffentlichen, und der Gemeinde Merzhausen für die Erlaubnis, aus dem unveröffentlichten Brief von Kurt Heynicke zu zitieren.)

Jan Bürger, Nachwort

Editorische Notiz

Von der ersten Ausgabe des Bandes Mohn und Gedächtnis haben sich weder in Paul Celans Nachlaß noch im Archiv der Deutschen Verlags-Anstalt, die beide im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar aufbewahrt werden, eine Druckvorlage oder Korrekturfahnen erhalten. Als Textgrundlage mußte daher für den hier vorliegenden Band die vom Dichter autorisierte Ausgabe dienen, die erstmals 1952 in der DVA erschien. Darin wurden jene Fehler berichtigt, die Celan in seiner Korrespondenz mit dem Verlag nach dem Erscheinen von Mohn und Gedächtnis selbst korrigierte. Zudem wurden die Gedichttexte mit den Typoskripten verglichen, die sich im Celan-Nachlaß erhalten haben. Diese von Celan-Forscher Joachim Seng erstellte Fassung, die die DVA im Jahr 2000 publizierte, wurde nun noch einmal abgeglichen mit der von der Bonner Arbeitsstelle besorgten historisch-kritischen Werkausgabe (2./3. Band), die 2003 von Andreas Lohr unter Mitarbeit von Holger Gehle in Verbindung mit Rolf Bücher im Suhrkamp Verlag herausgegeben wurde.

 

1952

erschien der schmale, in schwarzes Leinen gebundene Gedichtband Mohn und Gedächtnis bei der DVA. Der Autor, eigentlich als Paul Antschel 1920 in Czernowitz/Bukowina geboren, war damals der literarischen Öffentlichkeit unbekannt. Heute zählen diese 56 Gedichte, darunter „Todesfuge“, sein berühmtestes, zu den bedeutendsten des 20. Jahrhunderts; auch weil sie zu den frühesten Zeugnissen einer dichterischen Auseinandersetzung mit der Shoa in der Bundesrepublik gehören. Diese Thematik wie Celans disziplinierte und dabei magisch assoziative Sprache ermöglicht es uns heute noch, Mohn und Gedächtnis wie eine Neuentdeckung zu lesen. Nun, zum 60. Jahrestag, liegt dieser Band in einer der Erstausgabe nachempfundenen, bibliophilen Ausstattung wieder vor.

Deutsche Verlags-Anstalt, Ankündigung

 

Erinnerung an einen grossen Gedichtband

Wenn es so etwas wie missverstandene oder misszuverstehende Literatur geben sollte, so treffen – wie man oft erleben kann – solche Missverständnisse auf die Lyrik zu. Gedichte, ihre Verbreitung und ihre Wirkungen, ja, ihr Dasein, ihr blosses Vorhandensein kommen immer wieder ins Gerede. Jedenfalls ist dies bei uns so und unter sogenannten Freunden der Literatur, unter Literaturexperten, Kritikern und kritischen Chronisten. Sie gönnen der Lyrik allzu leicht – so scheint es – einen mitleidigen und flüchtigen Blick. Sie sind nicht selten und keineswegs immer stillschweigend darüber im Einverständnis, dass es sich bei der Wirkung von Büchern, in denen Gedichte stehen, um Nebensachen der Literatur handeln müsse, um eine besondere Art von Geheimniskrämerei, von literarischer Geheimbündelei und dass es bestenfalls eines bestimmten Kodes bedürfe, um Gebilde zu entziffern oder auch nur ernstzunehmen, die sich zunächst einmal dem Leser, dem Interessenten, dem Buchkäufer zu entziehen scheinen.
Solche Beobachter der literarischen Szene, speziell des Büchermarktes, mögen sie in ihren Ansichten und in ihren Temperamentsäusserungen im einzelnen voneinander abweichen, haben auf den ersten Blick keineswegs Unrecht. Es trifft zu, dass Gedichte, im einzelnen und wo immer sie auftauchen, wenn sie überhaupt noch auftauchen und gedruckt werden: in Zeitungen, Zeitschriften, Anthologien oder gar in Buchform ein besonderes Leben fristen, das sich von anderen Erscheinungsformen der Literatur deutlich unterscheidet. Es ist ein Leben im Widerspruch, ein – wie es scheint – schnell widerrufbares Dasein, das sie mitbekommen haben, und das die einen als Auszeichnung, als das Besondere empfinden, die anderen als nicht der Rede oder höchstens der spöttischen Rede wert. Es ist – könnte man sagen – die auffällige Unauffälligkeit des Gedichttextes, der das Genre so unversehens und so gründlich problematisch macht, fatal macht und offen für rasch zu Tage tretende Missverständnisse der angedeuteten Art. Das Ansehen eines Gedichtes – im wörtlichen Verstände genommen – birgt bereits die Schwierigkeit in sich. Die umbrochene Zeile, die auffällige Textur und der entsprechende Textablauf können als besonderes oder sonderbares „Angebot“ verstanden werden, optisch zunächst, aber sehr bald auch wesensmässig. Das Aeussere des Anblicks von Gedichten verführt zu bestimmten Schlüssen. Noch das einfachste, bescheidenste Gedicht ist – so gesehen – ein überraschender Anblick. Es scheint sich – in seiner Kürze – abzusondern. Es scheint sich auf diesen knappen Sprachraum zurückzuziehen, den es einnimmt. Der Eindruck von Selbstgenügsamkeit, der aufkommt, wirkt aufreizend. Verglichen mit anderen literarischen Aeusserungen erscheint ein Gedicht als Gebilde, das auf eine bestimmte, spröde, geheimnisreiche, hermetische Weise ausschliesslich mit sich selber zu tun hat und auch lediglich mit sich selber zu tun haben will.
Ein derartiger Verdacht bringt den Beobachter dazu, die Ansammlung von Gedichten in einem Gedichtband als monströs, ärgerlich zu empfinden. Man ist rasch dabei, solch ein Ensemble als Zumutung zu verstehen oder – sagen wir es gleich – misszuverstehen. Denn zu den vielen berechtigten, dann wiederum als haltlos erkannten Missverständnissen, denen das Buch mit Gedichten ausgesetzt wird, gehört diese in ihm versammelte Fülle von Einzelgebilden, die – ein jedes für sich genommen – schon hinreichend zur eingehenden Beschäftigung, zur Faszination oder zur Ablehnung sein sollten. Ein Gedichtband, und der bedeutendste schliesst das nicht aus, wirkt zunächst einmal als Widerspruch seiner selbst. Das Einzelwesen Gedicht – Text um Text – scheint zu verbieten, dass man es in einen Zusammenhang, in einen Buchzusammenhang bringt, es sei denn, es wäre von vornherein in einen bestimmten Zusammenhang – in einen Zyklus – gebracht, der aber hier einmal ausgeschlossen sein soll.
Als die sogenannte „konkrete“ Lyrik, die experimentelle Lyrik in den fünfziger Jahren des Jahrhunderts bei uns aufkam, hat einer ihrer Wortführer vom „Einzeller“ Gedicht gesprochen und hat damit den merkwürdigen Individualcharakter der lyrischen Textur auf die Spitze getrieben. Er hat freilich nur etwas übersteigert, was als Befund vorhanden und jederzeit erkennbar war. Das Gedicht lebt für sich. Und ein Ensemble von Gedichten ist demnach für denjenigen nicht gleich einsehbar, der sich diesem Einzelwesen und seiner Wirkung widmen möchte. Gleichwohl hat es in unserer Literatur Gedichtbücher gegeben, und der einzelne Lyrikband wird so wenig aussterben wie das Gedicht als in sich gekehrtes Genre, dessen Kommunikationsfähigkeit mehr oder minder begrenzt ist, dessen Mitteilsamkeit und Mitteilbarkeit so gern als kalkuliert angesehen wird, um damit etwas in Verruf zu bringen, das sich solchen wie anderen Voreingenommenheiten entzieht.
Ich behaupte, dass das Lesen von Gedichten ein anderer Vorgang ist als das Lesen von Prosa. Es fordert anderes. Es fordert heraus: Konzentration, wie bekannt, aber auch ein ganz bestimmtes sensorisches Gedächtnis, ein Gesammeltsein des sinnenhaften Vermögens, der sinnenhaften wie freilich auch der intelligiblen Präsenz des jeweiligen Lesers und Konsumenten. Das hat vor keiner Spielart des Gedichts Halt gemacht. Auch das Gebrauchs- und Verbrauchsgedicht, sozusagen das Wegwerf- und Einweggedicht in diesen Jahren, hat noch nicht aufgegeben, was bei ganz anders gearteten Gedichttypen vorhanden war: diese bestimmte Herausforderung zur Präsenz, zur Fähigkeit, das in einer Handvoll Worten Angebotene „umzusetzen“. Ein Gedicht und damit selbstverständlich erst recht ein Band mit Gedichten wird anders konsumiert als dies in anderen literarischen Bereichen der Fall ist.
Der Prozess ist rapider und er ist zugleich tückischer, problematischer, gefährlicher. Die Rapidität ist jedenfalls etwas, mit der der Leser auf das merkwürdig geringe Stoff„quantum“ reagiert, das zugleich bestimmte Qualität suggeriert und auch tatsächlich bei minimalem verbalem „Aufwand“ erreicht. Der Prozess von Auseinandersetzung, auf den man sich lesend einlässt, ist erheblich, oft unmerklich, ebenso oft aufdringlich oder ärgerlich deutlich. Man lässt sich auf etwas ein, das – als einzelnes Gedicht – in sich differenziert und durchaus gegensätzlich ist und entsprechend erkannt und „behandelt“, lesend bewältigt werden muss. „worte sind schatten / schatten sind worte“, heisst es bei Eugen Gomringer. Man könnte formulieren, dass die Wirkungen von Gedichten, im einzelnen und als Band genommen, etwas den Wirkungen von Schatten Aehnliches haben können. Wenigstens gilt dies für bestimmte Sensibilitätsbereiche des Lyrischen. Nicht jedes Gedicht kommt sensibel einher, wenn Wohl auch nahezu jedes Gedicht durch einen Schub von Sensibilität zustande kam, sich freilich zu tarnen oder zu verändern versteht, dank dem Wesen dessen, der es schrieb. Noch das brutalisierte und das plakative Gedicht hat diese Sensibilität seines Verfassers. Rüdheit ist gelegentlich im Gedicht ein Akt besonderer Empfindlichkeit und Verletzlichkeit, wie Weichheit oder Zärtlichkeit zuweilen nur schlecht verstecktes Selbstbewusstsein zum Ausdruck bringen.
Bei derart komplizierten Voraussetzungen und Befunden wundert die besondere Art der Wirkung, die schattenhafte Wirkung, darum nicht. Es ist die Wirkung, die Uebereinkunft von erheblichem Grade erforderlich macht, jenen sensiblen Nachvollzug, der in vergleichbarem Masse bei der Lektüre anderer Literatur nicht notwendig zu sein scheint. Nicht lediglich Aufforderung oder Herausforderung sind latent, sondern eine bestimmte Disposition ist notwendig, die die genannte Uebereinkunft ermöglicht. Der Lyrikleser sieht gewissermassen anders aus als der Konsument anderer Bücher. Es muss ihm möglich sein, etwas mitzubringen, das überhaupt die Realisation solcher Lektüre ermöglicht. Er muss bereits – möchte ich sagen – vor der Lektüre seines Gedichts, seines Gedichtbandes, präpariert sein. Mit solcher Feststellung soll nichts mystifiziert werden, im Gegenteil, es soll damit erklärt, wenn schon nicht geklärt werden, was dazugehört, um ins Lesen von Gedichten überhaupt zu kommen. Man gerät nicht an Gedichte wie man an die Tageszeitung oder an irgendeine Information gerät, auch an eine Erzählung, eine Kurzgeschichte.
Es ist auch nicht gleichgültig, wann, unter welchen Umständen man zum Lesen bestimmter Lyrik kommt. Etwas muss vorbereitet sein. Die Wirkung bestimmter bedeutender Gedichtbände ist ohne derartiges Vorbereitetsein, ohne einen bestimmten Zeitpunkt schwer zu denken. Dies kann an Beispielen gezeigt werden. Paul Celans Gedichtband Mohn und Gedächtnis erschien im Jahre 1952. Um seine Wirkung und die Nachhaltigkeit der Wirkung zu ermöglichen, musste eine Leserschaft vorhanden sein, der die Gedichte Celans „zuzumuten“ war, das heisst, dass sie disponiert, präpariert gewesen sein musste, vorbereitet auf eine ganz bestimmte Sensibilitätshöhe wie auf eine entsprechende Artikulations-Intensität. Beides gehört unbedingt zusammen. Als Celan in der damaligen literarischen Oeffentlichkeit zum Vorschein kam und sich in ihr durchsetzte, war man über seine Sprechweise zugleich überrascht und hatte auf sie gewartet. Einiges musste sich vorher verschliessen, musste sich abgebaut haben: die restaurative, die traditionsgebundene lyrische Stimmlage, in gewisser Hinsicht auch das sich kanonisierende deutsche Natur- und Landschaftsgedicht. Es müssten sozusagen Spurenelemente dessen ins Bewusstsein, in die sensible Bereitschaft aufgenommen worden sein, die auf den französischen, überhaupt auf den westeuropäischen Surrealismus verwiesen, wenn auch in einem Augenblick, in dem dieser längst ins Altern gekommen, aber im deutschen Sprachbereich nicht genügend wahrgenommen worden war. Der Surrealismus, zu später Zeit, war über Oesterreich dann zu uns gekommen. Man weiss, dass Celans überhaupt erster, so gut wie unbekannt gebliebener Versband Der Sand aus den Urnen in Oesterreich erschienen und danach als erster Teil von Mohn und Gedächtnis nochmals aufgetaucht war.
Die Aufmerksamkeit, die aufmerksame Bereitschaft des damaligen Lyriklesers musste demnach mit einem Buch wie dem Paul Celans rechnen. Mohn und Gedächtnis erfüllte vor zweiundzwanzig Jahren und für Jahre die Vorstellung von Veränderung der Struktur, der Thematik, des Wesens im Gedicht. Das Buch erfüllte es durch das, was neu, kühn oder unerhört an ihm war, durch seine unerhörte Qualität in jedem Fall. Was an Celans Gedichten vollends erkennbar war, war das, was bereits zuvor von den Wirkungen von Schatten angedeutet wurde. Denn Paul Celans Gedichte, wie sie in Mohn und Gedächtnis zu finden waren, konnte man – in ihrer geringen Dingfestigkeit, ihrer Gegenstandsflüchtigkeit, in ihrer zentrifugalen literarischen Kraft als Emanationen einer Schattenhaftigkeit ansehen. Die Wirkungen von Schatten konnte man in der Wirkung von Mohn und Gedächtnis fortan buchstäblich nehmen.
Anderes kam hinzu. Literarische Neugier, die immer dazugehört und beim neuen Lyrikband insbesondere dazugehört, tat das ihre: Das Warten auf Ueberraschung, ein für damalige Voraussetzungen auch dazugehöriger verbaler Exotismus, eine gewisse Suggestion des Celanschen Sprechduktus, der in einem Raffinement Ausdruck suchte und Ausdruck fand, in der literarischen Fugen-Führung, wie sie in der berühmten „Todesfuge“ aus Mohn und Gedächtnis angewendet worden war. Es sind aber nicht eigentlich solche, besonders bekannt gewordenen und gewiss folgenreichen Gedichte, die für die Wirkung des Ganzen sprachen. Es ist die allgemeine Sensibilitätslage, die in Mohn und Gedächtnis evident geworden war, wie sie in einem beliebigen Text des Buches fixiert wurde, die seinerzeit – aus der Disponierung der Lyrikleserschaft heraus – ihre Wirkung erzielte und den Band zu einer Wendemarke nicht lediglich im Sensibilitätsverhältnis des Lesers zum einzelnen Gedicht machte.
Tatsache ist, dass durch die Steigerung von Sensibilität, die mit Dingflüchtigkeit, mit Schattenhaftigkeit einherging, der Anfang einer neuen, intensiven Beschäftigung mit dem Gedicht während eines für das deutsche Gedicht überaus ergiebigen Jahrzehnts gemacht wurde. Die geisterhafte Form des „Gefühlsraums“ im Gedicht Paul Celans – das Gedicht als Schattenriss gewissermassen – übte eine starke Anziehungskraft auf unterschiedliche Lesergruppen aus, zu einer Zeit, als die vielen Interpretationen Celanscher Gedichte noch auf sich warten liessen. Es war die Zeit der unmittelbaren Aufnahme ihrer Wirksamkeit, die sich in den folgenden Bänden gewiss fortsetzte, aber mit Mohn und Gedächtnis im Jahre 1952 sogleich da war. Die Intensität dieses neuen „Innenraums“ im deutschen Gedicht, wie er durch Celan ermöglicht worden war, erreichte in fast allen Einzelgedichten von Mohn und Gedächtnis die volle Wirkungshöhe. Auf diese Weise wurde der Band auch zu einem Dokument, in dem das einzelne Gedicht nicht mehr für sich genommen zu werden brauchte, vielmehr in jenem Zusammenhalt mit den anderen Texten stand, wie sie der Surrealismus zuvor in seiner „poésie ininterrompue“ angestrebt hatte, freilich auf eine wesentlich automatischere und monotonere Art. Heute ist leichter als damals zu erkennen, dass die Wirkung der Celanschen Schattengebilde aus Mohn und Gedächtnis durch ein derartiges Ineinander-über-Gehn von Gedicht zu Gedicht zustande kam. Es war das fremdartig Nahe des Gefühls, das sich in der Celanschen Bild-Welt zeigte wie in einem sogleich in die literarische Praxis umgesetzten poetischen Manifest. Die Celansche „Fremde“, die von weither kam, aus der Welt der Chassidim ebenso wie aus dem westeuropäischen Surrealismus, war besonders deutlicher Ausdruck des Zuwachses an literarischer Sensitivität:

Ein schöner Kahn ist der Sarg, geschnitzt im Gehölz der Gefühle.
Auch ich fuhr blutabwärts mit ihm, als ich jünger war als dein Aug.
Nun bist du jung wie ein toter Vogel im Märzschnee,
nun kommt er zu dir und singt sein französisches Lied.
Ihr seid leicht: ihr schlaft meinen Frühling zu Ende.
Ich bin leichter:
ich singe vor Fremden.

Man hat in solchen Zeilen zugleich Stichworte, Reizwörter für die Wirksamkeit der Eigenheiten im Celanschen Gedicht. Das Befremdliche, gleichsam Benommene der Celanschen Spiritualität, ihre Tendenz zur Auflösung hatte auf viele Leser die Wirkung eines Sogs. Die Nachahmer, die dieser Lyriker in einer breiten Streuung des poetischen Dilettantismus überall fand, sprechen für solch Sog-Wirkung. Das celanisierte Gedicht jener Jahre, wie es zum erstenmal in Mohn und Gedächtnis zum Vorschein kam, war die Durchdringung des Gedichtablaufs mit jener schattenhaften, mirakelhaften, zeichenhaften Art des Sprechens. Von der Gegenständlichkeit war mehr und mehr abgesehen, zu schweigen von jeder Handfestigkeit, jeder Konturenfestigkeit. Dennoch kam verfeinerter Sinn zustande, aber eben dieser befremdende Sinn, wie man ihn in so suggestiven und auch wieder vagen Zeilen des soeben zitierten Gedichttextes antrifft:

Ich bin leichter:
ich singe vor Fremden.

Das überaus Einsame, Isolierte, gleichwohl geheim mit dem Leser verständigte Gedicht Celans, bei aller Undurchlässigkeit, bei aller Hermetik, hat Celan gelegentlich theoretisch zu erklären unternommen. Unwillkürlich denkt man schon bei den Gedichten aus Mohn und Gedächtnis an Aeusserungen aus späterer Zeit:

Das Gedicht ist einsam. Es ist einsam und unterwegs, wer es schreibt, bleibt ihm mitgegeben.

Celan hat das Fremde, Befremdliche gesehen, das die Leser so faszinierte, wie er die Dunkelheit sah, wenn er von einer „aus einer Ferne und Fremde stammenden Dunkelheit“ sprach. Man denkt in solchem Zusammenhang auch an Adornos 1963 in Hinblick auf Hölderlin ausgesprochene Formulierung von der „Fremde als Gehalt, von der Sprachform ausgedrückt.“ Eine Fremde, die vom Leser wie eine Botschaft aufgenommen wurde, wie er sie in den schattenhaften, nahezu körperlosen Gedichten des frühen Bandes nachlesen konnte. Am eindringlichsten bis heute in einem Gedicht, das wie ein Programm-Gedicht erscheint. Es ist das bekannte „Chanson einer Dame im Schatten“:

Wenn der Schweigsame kommt und die Tulpen köpft:
Wer gewinnt?
aaaaaaaaaaaWer verliert?
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaWer tritt an das Fenster?
Wer nennt ihren Namen zuerst?

Es ist einer, der trägt mein Haar.
Er trägts wie man Tote trägt auf den Händen.
Er trägts wie der Himmel mein Haar trug im Jahr, da ich liebte.
Er trägt es aus Eitelkeit so.

Der gewinnt.
aaaaaaDer verliert nicht.
aaaaaaaaaaaaDer tritt nicht ans Fenster.
Der nennt ihren Namen nicht.

Es ist einer, der hat meine Augen.
Er hat sie, seit Tore sich schliessen.
Er trägt sie am Finger wie Ringe.
Er trägt sie wie Scherben von Lust und Saphir:
er war schon mein Bruder im Herbst.
Er zählt schon die Tage und Nächte.

Der gewinnt.
aaaaaaDer verliert nicht.
aaaaaaaaaaaaaaaaDer tritt nicht ans Fenster.
Der nennt ihren Namen zuletzt.

Es ist einer, der hat, was ich sagte.
Er trägts unterm Arm wie ein Bündel.
Er trägts wie die Uhr ihre schlechteste Stunde.
Er trägt es von Schwelle zu Schwelle, er wirft es nicht fort.

Der gewinnt nicht.
aaaaaaaaDer verliert.
aaaaaaaaaaaaaaaaaDer tritt an das Fenster.
Der nennt ihren Namen zuerst.
Der wird mit den Tulpen geköpft.

Es ist eines der Modellgedichte der fünfziger Jahre geworden, von denen spezifische Lyrik-Wirkung, das heisst eine unauffällige, indirekte, sehr verästelte Wirkung ausging, eine Wirkung, die dazu beitrug, Lyriklesen, Gedicht-Konsum zu verändern. Es schärfte – wie der ganze Band – die Hellhörigkeit, die Fähigkeit, geisterhafte Wirkung abzuschätzen, überhaupt erst recht zu erkennen. Es waren nicht die planen, landläufigen, mehr oder minder literarisch handfesten Wirkungen, die bis dahin in den ersten Nachkriegsjahren Versbände bei uns hervorriefen.
Der Gedichtband Celans schärfte des weiteren den Blick, zu beobachten, wie weit Lyrik sich in Richtung auf die ihr gesteckte verbale Grenze zubewegen kann, ohne sich selbst ad absurdum zu führen, ohne zu verstummen, zu schweigen. Mohn und Gedächtnis insgesamt, wie dieses hochempfindliche verbale Ballett, ein Liebes- und ein Schatten-Gedicht von der ersten bis zur letzten Zeile, erweiterte den Raum sensibler Aufnahmefähigkeit beim Leser deutscher Lyrik zum erstenmal entscheidend seit dem Erscheinen der späten Gedichte Rilkes und ihrer Sensibilitätshöhe. Etwas war hinzugewonnen, was seither für einen bestimmten Personenkreis unter den Literaturlesern Geltung bekam und behielt: die Aufnahmebereitschaft für Dichtung, wie sie sich bei Celan, aber auch bei anderen Autoren seiner Generation ablesen liess, im genauen Wortsinne. In Mohn und Gedächtnis war eine Empfindlichkeitsleistung besonderen Ranges erzielt worden. Der Leser war durch Paul Celans Gedichtband zu einer Ansprüche stellenden Lektüre hingeführt worden, wie sie ein deutscher Gedichtband seit der Mitte der zwanziger Jahre nicht mehr erreicht hatte. Seit den Tagen der Duineser Elegien, mehr noch der Sonette an Orpheus und der Späten Gedichte Rainer Maria Rilkes hatten Gedichte bei uns – in einem Buch versammelt – nicht ähnlich vermocht, Aufmerksamkeit zu schärfen. Dabei kam bei Celans Leserschaft durchaus nicht das zustande, was bei Rilke zuvor, noch mehr freilich bei Stefan George, der Fall gewesen war: es kam zu keiner literarischen Gemeindebildung. Es war vielmehr der durch Gedichte in seinen literarischen Ansprüchen gesteigerte Einzelne, den man als Lesertyp der Lyrik Celans wie überhaupt der neuen Lyrik der fünfziger Jahre erkennen konnte.
Die alte Aufgabe des qualifizierten Gedichts war hier voll erfüllt worden: den Leser, in seinem sensiblen wie in seinem intelligiblen Vermögen, auf die Probe zu stellen, herauszufordern, wie anfangs gesagt. Die Wirkungen von Schatten, die sich im Geisterraum der Celanschen Lyrik gleichsam ballten, waren ebenso komplizierter wie folgerichtiger Natur. Die Konsequenz, mit der der Lyrikleser an einem, Buch wie Mohn und Gedächtnis seine Abwendung von bis dahin geltenden Kriterien der Lyriklektüre bekundete, hatte zuweilen etwas Rigoroses. Es schien, als wären Voraussetzungen nicht mehr geltend und abgetan, die, bis dahin beim Lyriklesen, beim Lyrikbuch gegolten hatten: das Eingehen auf schöne Worte, schöne Gefühle, schöne Gegenstände, schöne Stofflichkeit, auf das lyrisch Erhabene. Demgegenüber hatten Celans Gedichte jene Schonungslosigkeit, jenen Rigorismus, der auf den Leser überging. Sein Leseverhalten hatten diese am Rande ihrer selbst sich behauptenden lyrischen Gebilde verändert. Er hatte erkennen müssen, dass hier – wie überhaupt bei bedeutender Lyrik – eine verbale Spannung erzeugt wurde, die immer nahe daran war, sich zu paralysieren, sich aufzulösen in einem seit Celan und anlässlich Celans so oft und bald zu oft beredten Schweigen, einem Aufhören der Worte.
Paul Celans verbaler Rigorismus, sein verbales Grenzgängertum, war bis ins einzelne zu verfolgen, etwa bis zu seinem Zeitgefühl, das zugleich absolutes Gefühl überhaupt wurde: „Wir schwenken das Weisshaar der Zeit“, wie es im Gedicht „Spät und Tief“ heisst, hat etwas von diesem Absoluten, das man am Anfang des Gedichts „Corona“ und schliesslich an seinem Ende exemplarisch beobachten kann:

Aus der Hand frisst der Herbst mir sein Blatt: wir sind Freunde.
Wir schälen die Zeit aus den Nüssen und lehren sie gehen:
die Zeit kehrt zurück in die Schale.

Unter Anspielung auf die letzte Zeile könnte man sagen, dass Celans Band damals seine Leser lehrte, zurück auf die verbale Substanz von Lyrik zu gehen und andere Vorstellungen, vergleichsweise dekorativere von Versen, aufzugeben. Die Aufforderung wurde jedenfalls verstanden, mag sie dem Beobachter des Vorgangs auch, noch so sehr als eine schliesslich indirekte Aufforderung erscheinen, indirekt insofern, als sie sich des „Schlüssels“ der Celanschen Gedichtsprache bediente. Gewiss musste man auch bei Paul Celan die Eignung mitbringen, zu „entschlüsseln“, was für andere, für ihn selber, doch eher offenkundig war. Die Wirkungen von Schatten, wie sie dem Leser aus den Gedichten des Lyrikers Paul Celan entgegenkamen – freilich ohne jegliches „Entgegenkommen“ im Sinne von Verständigungsbereitschaft – müssten indirekte Wirkungen zeitigen. Dies ist geschehen. Was sich ereignete, war ein zunächst fast unmerklicher Klima- und Verhaltenswechsel. Das seiner dekorativen Erscheinung entkleidete Gedicht ist bei Celan zu einem ausserordentlich ernst genommenen Gebilde geworden.
Hellhörigkeit und Hellsichtigkeit bewirken diese Gedichte. Sie haben dazu in ihrer Bildlichkeit, ihrer Metaphorik immer wieder aufgefordert. Sie haben sich so gegeben, wie sie schliesslich ihre Leser haben wollten: fähig zu einer Entschlossenheit, einer Intensität des Bescheidwissens und – könnte man hinzufügen – des Bescheidfühlens, wie sie etwa aus den Schlusszeilen des „Corona“-Gedichtes uns entgegentritt:

Wir stehen umschlungen im Fenster, sie sehen uns zu von der Strasse
es ist Zeit, dass man weiss!
Es ist Zeit, dass der Stein sich zu blühen bequemt,
dass der Unrast ein Herz schlägt.
Es ist Zeit, dass es Zeit wird.
Es ist Zeit.

Celans absolut genommenes Gedicht erforderte den entsprechenden Leser und fand ihn. Dass es solche Leser suchte, ist in den theoretischen Aeusserungen zu beobachten. In seiner Büchnerpreis-Rede findet man einen Satz, der sich über die Wege äussert, die man mit Gedichten gehen könne. Es heisst dort:

Es sind Begegnungen, Wege einer Stimme zu einem wahrnehmenden Du, kreatürliche Wege, Daseinsentwürfe vielleicht, ein Sichvorausschicken zu sich selbst, auf der Suche nach sich selbst.

Karl Krolow, Die Tat, 4.1.1975

Geburtstag eines Gedichtbandes

– Nicht nur Geburts- und Todestage von Schriftstellern werden von Verlagen und Feuilletons als Jubiläen begangen. In seltenen Fällen feiern sie auch Büchergeburtstage – so in diesem Jahr den 60. des Gedichtbands, mit dem Paul Celan im deutschsprachigen Raum bekannt wurde: Mohn und Gedächtnis. –

Die Deutsche Verlags-Anstalt in Stuttgart, Paul Celans erster Verlag in Deutschland, begeht das Jubiläum mit einem schönen bibliophilen Buch, dessen Gestaltung an die Erstausgabe von 1952 erinnert – mit dem schwarzen Leineneinband und dem Titel in stilisierter Schreibschrift. Fotos und ein materialreiches, kluges Nachwort zeichnen die Editions- und Wirkungsgeschichte von Mohn und Gedächtnis nach.
Für dieses Nachwort hat Jan Bürger, im Deutschen Literaturarchiv Marbach mit dem Nachlass Paul Celans befasst, auch aus disparaten und wenig bekannten Quellen geschöpft. Sie vergegenwärtigen noch einmal, was Celan-Forschern, aber möglicherweise nicht seinen Lesern bekannt war: Wie sehr der Nationalsozialismus die Dichter und Autoren deutscher Sprache einander entfremdet hatte. Wie tief und unüberbrückbar der Graben zwischen ihnen geworden war.
Hier der in Rumänien geborene, in Paris lebende Jude Celan, Überlebender von Ghetto und Konzentrationslager, dessen Eltern während der deutschen Besatzung 1942 deportiert und ermordet wurden – dort seine Altersgenossen, die meisten von ihnen als ehemalige Kriegsteilnehmer durch Mitwissen, Mitlaufen, womöglich sogar Mittun belastet.
Hier der Dichter aus dem Czernowitz der Zwischenkriegszeit, für den die heimatliche Bukowina „eine Gegend, in der Menschen und Bücher lebten“, war, wie Paul Celan einmal sagte. Ein Dichter vom äußersten östlichen Rand des deutschen Sprachraums, aufgewachsen in einer Polyphonie von Sprachen und einer Vielfalt jüdisch geprägter Kulturen. Der mehrfach Entwurzelte und aus seiner Heimat Vertriebene, der auf der Suche nach einem neuen Zuhause ganz Europa durchquerte, um sich schließlich für Frankreich zu entscheiden. Ein deutscher Dichter im Exil, der schließlich auf ein seltsam geschichtsvergessenes Nachkriegsdeutschland traf.
Dort vor allem die Autoren der Gruppe 47, die sich als Gestalter eines Neubeginns der deutschen Literatur verstanden und ihrem Kollegen aus dem Osten Europas sehr reserviert, wenn nicht gar feindselig begegneten. Was sie als Befremden ob der oratorisch-getragenen, östlichen Vortragsweise Celans äußerten, könnte wohl auch das moralische Missempfinden einem Dichter gegenüber gewesen sein, der als Überlebender zu ihnen sprach. Wie anders sollte man die verräterische Äußerung eines ungenannten Mitglieds der Gruppe 47 deuten, die der bestürzte Celan seinem Freund Hermann Lenz referierte:

Da hat einer zu mir gesagt: Die Gedichte, die Sie vorgelesen haben, waren mir sehr unsympathisch. Und dann haben Sie sie auch noch im Tonfall von Goebbels vorgetragen.

Paul Celan war der erste Dichter deutscher Sprache, der die Tatsache und die Erfahrung des Holocaust in gültige poetische Werke goss. In diesem Sinne brach der Band Mohn und Gedächtnis vor sechzig Jahren das lastende Schweigen deutscher Schuld und Verstrickung und bekräftigte zugleich Tradition und Erneuerungsfähigkeit deutscher Dichtung.
Celans Formbewusstsein, vor allem aber seine Musikalität nahm selbst Mitglieder der distanzierten Gruppe 47 für den Dichter ein. Zum Beispiel Hans Erich Nossack, der in einem Brief bekannte, „keineswegs alle“ Gedichte in Mohn und Gedächtnis zu verstehen, jedoch die „sehr echte und moderne Musik“ zu empfinden, die in ihnen sei.

Die Ewigkeit
Rinde des Nachtbaums, rostgeborene Messer
flüstern dir zu die Namen, die Zeit und die Herzen.
Ein Wort, das schlief, als wir’s hörten,
schlüpft unters Laub:
beredt wird der Herbst sein,
beredter die Hand, die ihn aufliest,
frisch wie der Mohn des Vergessens der Mund, der sie küsst.

Celans synästhetische Wahrnehmung, seine Umwidmung klassischer Begriffe deutscher Dichtung wie Haut und Herz, Haar und Hirn, Blume und Milch, der hohe Ton und der extreme Kompressionsgrad, vor allem aber, dass hier ein Dichter „ich, „du“ und „wir“ sagt – all das lässt seine Gedichte unverändert frisch, ja geradezu zeitgenössisch erscheinen.
Neben den Zyklen „Der Sand aus den Urnen“, „Gegenlicht“ und „Halme der Nacht“ enthält das schmale, schwarze Buch die „Todesfuge“, das berühmteste Gedicht der Nachkriegszeit und in Celans Schaffen dasjenige, das die deutlichste Sprache für die Vernichtung der europäischen Juden durch nationalsozialistische „Meister aus Deutschland“ findet. Etliche ihrer zwingenden Zeilen haben sich aus der „Todesfuge“ gelöst und sind in unseren Sprachgebrauch eingegangen. Wiederholung und Variation, die rasende, atemlose Fügung ohne Punkt und Komma, das Aufsprengen der Form bei gleichzeitiger höchster Geschlossenheit verleihen dem Werk die Wucht der Klage und Anklage.

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt ihm Haus dein goldenes Haar Margarete

er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus
Deutschland

dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith

„Ein Lied in der Wüste“ lautet das programmatische erste Gedicht dieses zur 60jährigen Wiederkehr seines ersten Erscheinens neu aufgelegten Bands. In der Wüste, die der Nationalsozialismus aus seiner Heimat gemacht hatte, blieb dem Dichter nur eines: „Erreichbar, nah und unverloren blieb inmitten der Verluste dies eine: die Sprache“, sagte Celan 1958, als er den Bremer Literaturpreis erhielt.
Obwohl sein Werk zwei Jahre später mit dem Büchnerpreis geehrt wurde, konnte ihn die literarische Anerkennung nicht über die Verluste hinwegtrösten. Er litt unter dem Trauma des Überlebenden, der sich vorwarf, seine Eltern nicht vor dem Verderben gerettet zu haben. Wahnvorstellungen brachten ihn mehrfach in psychiatrische Behandlung. Auf seinen persönlichen Beziehungen lag ein Schatten. Sein Verhältnis zu Deutschland, wo seine gerettete Sprache zu Hause war, wo man ihn las und ehrte, blieb schwierig. Es muss ihn tief getroffen haben, dass sich antisemitische Töne in die öffentliche Diskussion um angebliche Plagiatsvorwürfe mischten, die von der Witwe des Dichters Yvan Goll gegen ihn erhoben wurden. Eine Lesung in Freiburg am 21. März 1970 erlebte Paul Celan als Fiasko. Einen Monat später stürzte er sich in die Seine und setzte seinem Leben ein Ende.

AUF HOHER SEE

Paris, das Schifflein, liegt im Glas vor Anker:
so halt ich mit dir Tafel, trink dir zu.
Ich trink so lang, bis dir mein Herz erdunkelt,
so lange, bis Paris auf seiner Träne schwimmt,
so lange, bis es Kurs nimmt auf den fernen Schleier,
der uns die Welt verhüllt, wo jedes Du ein Ast ist,
an dem ich hänge als ein Blatt, das schweigt und schwebt.

Brigitte van Kann, Deutschlandfunk, 16.8.2012

Was Paul Celan in Aufruhr versetzte

Ich fühle mich sehr allein, ich bin sehr allein – mit mir und meinen Gedichten (was ich für ein und dieselbe Sache halte)
Paul Celan, Brief vom 17. März 1961 an Th.W. Adorno, zitiert in Paul Celan und Gisèle Celan-Lestrange: Correspondance, Bd. 2

Die Dichter sehen die Ungerechtigkeit niemals dort, wo sie nicht existiert, dagegen sehr oft dort, wo nicht dichterische Augen überhaupt keine erkennen. So hat die berühmte dichterische Reizbarkeit keinen Bezug zum ,Temperament‘ im gewöhnlichen Sinn verstanden, sondern zu einer Klarsicht, die sich mehr als gewöhnlich auf das Falsche und die Ungerechtigkeit bezieht.
Edgar Allan Poe: „Marginalia CXXXIX“, zitiert nach Charles Baudelaire: „Neue Notizen über Edgar Poe“; O. C, Band II.

I
Einer der schmerzlichsten Augenblicke im Leben von Paul Celan war, als er erleben musste, wie ihn Claire Goll in der Art und Weise, die wir alle kennen, diffamierte. Aber das Schlimmste an seiner Heimsuchung war nicht im August 1953 der Beginn dieser Angriffe, die dennoch unerwartet und unvorhersehbar waren, sondern das Jahr 1960, als die Verleumderin auf schmähliche Weise aufs Neue zuschlug.
Warum war Paul von dem zweiten Angriff noch mehr als vom ersten verletzt? Geschah das, weil er wegen seiner nun größeren Bekanntheit Gegenstand einer öffentlichen Debatte wurde? Ja, es war wohl diese Gerüchtemacherei, die seinen Kummer vermehrte. Aber keineswegs auf Grund der Tatsachen, die man vermuten könnte, jene, die weniger bedeutende Dichter verletzt hätten.
Wir werden vor allem sehen, dass diese neue Kampagne der Diffamierung von Paul Celan weniger als eine Ursache des Leidens erlebt werden konnte, als ganz im Gegenteil als Beweis der Bewunderung und des Vertrauens, die er weitgehend in den deutschsprachigen Ländern genoss. Nicht nur, dass sich die besten Geister bereit fanden, um die Nichtigkeit der gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen und ihren absichtlich verlogenen Inhalt zu beweisen, nicht nur, dass bestimmte Kritiker, die sich, vielleicht freiwillig, hatten täuschen lassen, dazu gezwungen waren, öffentlich zu widerrufen, sondern die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung übernahm selbst unverzüglich die Verteidigung des verleumdeten Schriftstellers und entschloss sich, ihm den Büchner-Preis zu verleihen, einer der denkbar höchsten Auszeichnungen im gegenwärtigen Deutschland. Die Ankläger hatten sich unter Hohngelächter zerstreut. Claire Goll hatte nur ihre außergewöhnliche Niedertracht bewiesen.
Am Ende dieser Heimsuchung hätte Paul Celan sich beruhigt fühlen müssen, er hätte vergessen können, was nur eine Gelegenheit für die Wahrheit war, ans Licht zu treten.
Und dennoch wissen wir, dass er nicht vergaß, und dass sein Kummer und seine Unruhe im Verlauf der Zeit nur immer größer wurden. Im Jahr 1961 ist er damit beschäftigt, Gegenschläge zu ersinnen, die er als nutzlos hätte ansehen müssen. Er denkt daran, Paris zu verlassen, im Herbst will er einen Psychiater aufsuchen. 1962 vergrößert sich seine Qual so weit, dass sie ihm Briefe diktiert, die er nicht abschickt, die wir aber heute kennen, Briefe an Menschen, die er respektiert und von denen er sich „eine oder zwei Stunden“ des Gesprächs über das ihn beherrschende Thema erhofft – wie er Marthe Robert sagt. Abgesehen von Marthe Robert waren die Adressaten Jean-Paul Sartre, von dem er sich erträumte, dass er von der Angelegenheit spreche – einer neuen Affäre Dreyfus –, sagte er, und zwar in den Temps modernes, und René Char, von dem er sich eine besondere Solidarität auf hohem Niveau erhoffte.
Und im Dezember 1962 verwandelt sich die Obsession in Wahnsinn. Paul hat nun Jahre psychischer Verwirrungen vor sich, mit Perioden von Krankenhausaufenthalten, und immer wird die Affäre Goll dabei eine zentrale Rolle spielen.
Im Juni 1966 zum Beispiel bricht er mit dem S. Fischer Verlag, weil der Verleger ihn angeblich nicht gegen die Attacken von Claire Goll unterstützt habe. Und dann ereignete sich noch eine Offenbarung dieser nicht endenden fixen Idee, eine Begebenheit, die sicher geringfügig, aber dennoch aufschlussreich ist, und deren Zeuge ich war: Celans Besuch bei Boris de Schlœzer, der ganz das Gegenteil einer Ursache von Aufregung und Kummer hätte sein sollen. Ich habe an diesen Abend schon einmal erinnert, aber ich komme hier darauf zurück, weil ich viel Sinn darin finde. Boris war der großzügigste, gastfreundlichste Mensch der Welt. Er war dazu geschaffen, instinktiv und mit Tiefe sowohl die Qualität eines Dichters zu erfassen als auch die Tatsache, wie infam die Angriffe waren, die dieser über sich hatte ergehen lassen müssen. Das hatte ich auch Paul gesagt, mit dem ich an diesem Abend zu Boris kam, weil ich wünschte, dass er ihn kennen lerne und sogar sein Freund würde. Und in der Tat ging alles während dieser schönen Stunden vonstatten, wie ich es erhoffte: die herzliche Gelöstheit des einen und bei dem anderen ein Gesicht, das sich in diesem schüchternen Lächeln aufhellte, das ahnen lieg, welche Fähigkeit des Vertrauens die harten Jahre gequält hatten, ohne es jemals zu zerstören.
Alles war gut, aber sofort danach, auf dem Bürgersteig der Rue de l’Assomption, nachts, die Tränen, der Körper von Schluchzen geschüttelt, und die ganze Angelegenheit von neuem gegenwärtig, Anklagen, Beschuldigungen, in einem Erstaunen und einer Verzweiflung, die so intensiv waren wie am ersten Tag. Die vertrauensvolle Aufnahme hatte die offen gebliebene Wunde nur umso schmerzhafter werden lassen.

II
Warum gelang es Paul Celan niemals, über die Erinnerung an die Verleumdung hinwegzukommen? Sicherlich wusste er um die Verbindung, die sie unterschwellig erklärt, die die Diffamierungen mit einem Antisemitismus verband, von dem viele heimtückische Offenbarungen, und in Paris sogar in seinem Viertel, ihn sehr und ganz natürlicherweise beunruhigten. Er zeigte mir Flugblätter, die damals in der Stadt verteilt wurden, wie ich sie mir nicht vorstellen konnte, vielleicht weil ich nicht wie er in den so genannten Vierteln der Reichen wohnte. Das, was seltsame Passanten ihm in die Hand drückten, lief Gefahr, ihn aus Frankreich zu verjagen, wenn das nicht bedeutet hätte, ihn zugrundegehen zu lassen. Er stellte sich Marthe Roben und Jean-Paul Sartre in seinen Briefentwürfen als „einen Dichter deutscher Sprache, der Jude ist“, vor.
Mehrmals hatte er festgestellt, dass dieser Antisemitismus eine Aufnahme seiner Dichtung begleitet hat, die ebenso irrtümlich wie einschränkend war. Doch sie war insgesamt erklärlich durch uneingestandene Interessen. Kritiker, wenn dies denn das passende Wort ist, fanden in seiner Dichtung gern zu viel Kunst und sogar Ästhetizismus, und offensichtlich, weil sie so den Leser auf den literarischen Aspekt dieser sicherlich vielschichtigen Gedichte hin abzulenken hofften zu ungunsten ihres wesentlichen Beitrags zu dem, was Leiden, Gedächtnis und Zeugnis war. Sie verabscheuten die Klarsicht, die Paul Celan bewies, und zwar vor allem durch seine deutschen Worte, die in Frage gestellt werden, zerstückelt, aber ebenso wohl auch bewahrt. Sie waren der Beweis des Glaubens an das Wort, das der Nazismus verfolgt hatte. Die Anschuldigung Claire Golls war gleichsam eine Waffe: auf der Ebene einer Feindschaft, die, wie die Kritiker wohl wussten, aller Mittel beraubt war angesichts dieser Gedichte. Sie wollte nichts als schaden.
Paul konnte sich in Gegenwart von Claire Goll insgesamt zu recht als Gegenstand eines Angriffs fühlen, der das gewöhnliche Ausmaß literarischer Diskussionen überschreitet. Obwohl ein derartiges Vorhaben gar nicht im Geist der Anklägerin vorgesehen war, die nur daran interessiert war, einer Person zu schaden, die sie vom ersten Tag in Paris an möglicherweise als allzu anziehend empfunden hatte, konnte Celan auch dieses Mal noch, selbst mezza voce, darin nur das Unternehmen seiner Auslöschung erkennen. Wenn demnach irgend ein Schrecken aus dieser Tatsache entstehen konnte, dann, weil er hier von der ersten Zeile an, vor allen anderen Juden, und in ihrem Namen, eine Verantwortung hatte, von der er nicht wusste, wie er sie auf sich nehmen sollte, da seine Feinde sich der Texte selbst entledigen konnten, in denen sich sein anklagendes Wort erhob. Musste er nicht der „jüdische Krieger“ sein, fragt er sich 1965. Das sind keineswegs leere Worte.
Aber der innerste Grund für seine Unruhe, seinen Kummer bestand nicht wirklich in der Feststellung dieser Manöver und im Antisemitismus, dessen Folge sie manchmal oder oft waren.
Der Grund, scheinbar paradox, liegt in dem, was auf den ersten Blick dazu geschaffen schien, dass Paul die Angelegenheit nicht ernst hätte nehmen sollen, mit anderen Worten, in der Oberflächlichkeit der Anschuldigungen selbst, die Claire Goll gegen ihn vorbrachte. Es ist bekannt, dass sie in einem offenen Brief vom August 1953 behauptet hatte, dass in Mohn und Gedächtnis, seinem kürzlich erschienenen Buch, Paul CeIan Gedichte Ivan Golls von 1951 plagiiert habe; und dass sie zur Unterstützung ihrer Behauptungen verschiedene Passagen beider Autoren einander gegenübergestellt hatte. Ein betrügerisches Manöver, da, wenn es eine Entlehnung gegeben hatte, diese eher von Goll stammen musste, dem Paul seine eigenen Gedichte vorlas, als er ihn im Krankenhaus besuchte, in dem der alte Mann langsam dahinstarb, aber auch anfing, unter dem Einfluss seines neuen Freundes wieder auf Deutsch zu schreiben. Claire GoIl hatte, um Celan zu schaden, die Chronologie einfach umgedreht.
Und Celans Worte, die sich vielleicht identisch in den Gedichten beider Autoren befanden, beschränkten sich jedenfalls unter vielen anderen Aspekten auf einige Bilder oder Symbole in sehr verschiedenen Texten. Aber einer Ansicht nach geschah es genau, weil es sich nur um Details handelte, dass die Wirkungen dieser Behauptungen, die sie von ihrem Kontext isolierten, für Celan verheerend waren. Es lag zwar ein Grund dafür vor, aber damals gaben nur wenige Menschen deutlich an, dass sie ihn erkannten. Das versetzte Celan nur noch mehr in Aufruhr. Diese Gerüchte von bewussten Entlehnungen, Plagiaten griffen das Werk eines authentischen Dichters an, der sich ganz entscheidend in einer spezifisch poetischen Erfahrung engagiert hatte, unter einem Blickwinkel, in dem das Innerste und Grundlegendste dieser Erfahrung nur grob deformiert werden oder unbemerkt bleiben konnte, da die Dichtung als solche überhaupt nichts mit solchen Berechnungen zu tun hat.
Ich will das genauer ausdrücken: In der Dichtung stellt sich die Frage des Plagiats nicht, dieser Begriff hat darin keinerlei Sinn. Denn Dichtung besteht nicht aus einer Bedeutung, die man auf angenehme, wirksame Weise mitzuteilen versuchen würde, auf die Gefahr hin für einen Autor, dass er bei jemand anderem diese und jene Metapher oder ein Bild entlehnt, das zum Gelingen beitragen kann. Und es ist noch weniger ein Einbauen der Bilder oder anderer Arten von Evokation im Herzen eines verbalen Gegenstandes, dessen Bedeutungen aus dem Stoff gemacht wären, ohne dass seine Verankerung in dem Bewusstsein des Ich oder im Unbewussten verbrieft wäre.
Dichtung heißt festzustellen, dass vieles von dem, was Bedeutung im gewöhnlichen Wortsinn ist, durch seine begriffliche Formulierung gleichsam in einer Falle gefangen ist, die das Vergessen der gelebten Zeit und das des absoluten Charakters der zufälligen Situationen entsprechend dem Risiko, das jede Person hat, zu leben, mit sich bringt. Und von Anbeginn versucht sie also, diese Art von Bedeutung zu überspringen, und öffnet sich, um dies zu tun, den Formeln, die aus den Tiefen der Person aufsteigen: das heißt, die Schrift gleichsam wie einen Schub aus dem Inneren, der ebenso beständig wie unwiderstehlich ist, zu erleben, und der Wendung, die sie im Gedicht nimmt, etwas unwiderruflich Einmaliges zu verleihen, umso mehr, als sie in ihrem Sosein nur umso reicher an Universalem sein wird. Würde man jemanden anderen als sich selbst, einen Dichter – einen wahren Dichter in seinem Akt der Dichtung – nehmen, könnte es dann nicht geschehen, dass seine Entlehnung sich auf der Stelle in ein Signifikantes seiner selbst verwandelt. Wer würde es wagen, in dem Falle der „Entlehnungen“ von Shakespeare oder Baudelaire von Plagiat zu sprechen?

III
In der Dichtung ist kein Plagiat möglich. Und aus dieser offensichtlichen Tatsache sind die Reaktionen von Paul Celan zuerst 1953, aber vor allem 1960 und danach zu erklären, als er ein beinahe berühmter, sogar schon verehrter Dichter geworden war. Ein Zeuge auch, von dem man zu recht hoffen konnte, dass er gehört und als Beispiel dienen würde.
Das hatte Folgen bei der Lektüre des Werkes, und sogar sehr schwerwiegende und gefährliche. Man möge in der Tat Sinn darin finden, in Bezug auf seine Gedichte von Plagiat zu sprechen – von überlegtem Plagiat – und es werden nicht nur einige Aspekte von denen sein, die in Frage gestellt wurden – sogar ihre dichterische Authentizität sollte geleugnet werden durch die Verdächtigung, dass ihr Urheber nur ein Wortbastler sei, der bei den anderen entlehnt, um sich zu bereichern, ohne dass er irgend etwas von seinem eigenen Wesen ins Spiel bringt.
Es sei denn, dass man sogar nicht einmal ahnt, was Dichtung ist, und es für natürlich hält, dass die Verfasser von Gedichten auf diese Weise Gewinn daraus schlügen. Jene zweite Art, Celan zu lesen, war womöglich die am meisten verbreitete. Aber ein Werk der Dichtung als rhetorisch anzusehen, bedeutet, dass man es dessen beraubt, was seine Besonderheit und möglicherweise Größe ausmacht. In beiden Fällen lief die Beschuldigung des Plagiats nicht einfach nur darauf hinaus, Paul Celan in Misskredit zu bringen, sie hatte, gewollt oder nicht, bewusst oder unbewusst, die Wirkung, ihn vor seinen Lesern eines Bezugs auf sich selbst zu berauben, der doch sein ganzes eigenes Leben ausmachte.
Und das ist eine Gefahr, die Paul zumindest im ersten Augenblick als von geringer Bedeutung hätte einschätzen können, denn er wusste wohl, dass er als Dichter anerkannt war, und zwar im vollen Sinn des Wortes, zumindest von einigen von denen, die in beiden Augenblicken der Verleumdung für ihn Partei ergriffen. Und sich selbst gegenüber brauchte Paul offensichtlich nicht an der Beschaffenheit und dem Anspruch seiner Erfahrung in Bezug auf die Wörter zu zweifeln; er führte einen Kampf buchstäblich von Mann gegen Mann, mit den großen und kleinen Vokabeln der deutschen Sprache, eine Konfrontation, in der es offensichtlich keinen Platz für die kleinen Sorgen und Profite gab… In der Tat hatte dieser große Dichter bis auf die Zweifel, die zum dichterischen Schöpfungsprozess gehören, Zweifel, die manchmal zerstörerisch sind auf der Ebene, auf der die Gedichte entstehen, niemals besondere Ursache, an seinem Recht, im Namen der Dichtung zu sprechen, zu zweifeln, an seiner friedlichen Gleichwertigkeit mit den Größten: eine Tatsache, deren Zeuge ich unter anderen bin. Nur wenige Geister haben mir wie der seine den Eindruck der Festigkeit in den grundlegenden Gewissheiten vermittelt. Selbst in den Augenblicken, wo er beinahe demütig Jean-Paul Sartre oder Marthe Robert um ein Treffen bat, hätte sein Blick mit Sicherheit sogar dem von Hölderlin begegnen können.
Also, warum sich wegen einiger Kritiken, seien sie bösartig, seien sie unbedacht, beunruhigen? War die Wahrheit nicht offenkundig oder sollte sie es nicht eines nahen Tages in der gebräuchlichen Weise in Sachen Dichtung sein?

IV
Aber denken wir noch weiter über das nach, was geschehen ist. Und versuchen wir zu verstehen, dass das, was Paul Celan hätte trösten sollen, in einem weiten Ausmaß dazu geeignet war, zu seiner Verwirrung beizutragen. Was war die häufigste Reaktion bei denen, die die „Affäre“ verfolgten? Ich gehöre nicht zu denen, die genau über die Umstände der Ereignisse informiert waren. Aber ich glaube zu verstehen, auf die Gefahr hin, dass ich mich irre, dass viel von der Debatte sich auf die Plagiatfrage konzentrierte, und dass, wenn die meisten Kritiker und Leser ohne zu zögern in dieser Angelegenheit Paul Celan unterstützten, sie damit entschieden, dass er keineswegs ein Plagiat verfasst habe, nein, dass er keine Worte und Bilder von Ivan Goll entliehen habe. Leider stellten sie dabei nicht die Triftigkeit dieser Kategorie des Denkens – der Entlehnung, des Plagiats – in dem Nachdenken über die Dichtung in Frage. Dagegen hätten sie sagen sollen, dass es nicht dieses Kriterium war, das sie hätte beschäftigen sollen.
Und das zeigte, dass viele der Verteidiger von Celan selbst nicht wussten, oder eigentlich nur ungenügend, was Dichtung ist; und zwar bis zu dem Punkt, dass die Anerkennung, die sie ihr gewährten, ihm nicht erlaubte, sich anerkannt zu fühlen, sondern ihm im Gegenteil offenbarte, wie wenig substantiell im Blickwinkel dessen, was wichtig ist, die Komplimente waren, die er hie und da seit nun zahlreichen Jahren empfangen hatte. Welches Paradox! Die Worte, die ihn hätten verteidigen sollen, offenbarten Paul Celan, dass selbst unter seinen Parteigängern diejenigen zahlreich waren, sehr zahlreich sogar, die nicht verstanden, was für ihn und jeden wahren Dichter instinktiv offensichtlich war. Mit anderen Worten, sie konnten zum größten Teil nicht wahrnehmen, was er selbst in seiner Arbeit als Dichter, in seinem Denken über die Dichtung, in seinem Verständnis der Welt und der Geschichte darstellte. Eine Feststellung, die ihn von dem Ausmaß seiner Einsamkeit überzeugte, ebenso wie von der der Dichtung im Allgemeinen; und von der Nichtigkeit der Hoffnung, die er auf diese zu setzen versucht war.
Darüber konnte er sich allerdings, und vor allem 1960, beunruhigen, und umso mehr, als seine gewachsene allgemeine Bekanntheit ihn vermehrt Lesern gegenüberstellte, die sein Bestes wollten, aber gleichwohl in der einen oder anderen Weise ahnen liegen, dass sie zu dem, was er war, keinen Zugang hatten. Das erklärt einerseits seine Briefe an Sartre, an Marthe Robert, die ein so reales und tiefes Verständnis des Poetischen zeigte, und vor allem die schnell enttäuschte Hoffnung, die er auf die vermutete Freundschaft von René Char setzte. War dieser nicht ein wahrhafter Dichter? Seinerseits fähig, Paul in dem zu erkennen, was er war und in diesen Augenblicken, in denen es an wahren Worten fehlte, zu sagen, auf welche Weise und warum er genau das war, nämlich ein Dichter.
Ja, schon die Tatsache, dass Paul es vorgezogen hatte, in Frankreich zu leben, machte es nicht einfach, dass er außer von wenigen anerkannt wurde. Und sein Leben, das er bis zu seinem tragischen Ende in einer Gesellschaft verbrachte, die die Sprache seiner Gedichte nicht kannte, verdient eine Überlegung, die wahrscheinlich noch nicht angestellt wurde. Celans Wahl fällt zuerst durch eine seltsame Verzichtleistung auf. Paul lebte in Paris, aber ziemlich oft auch auf dem Land, dem Ort der Begegnung mit den Dingen der Natur, die in den französischen Worten und Namen, die er aufmerksam betrachtete, auftauchten. Er sprach mehrere Male mit mir darüber, auch dass sie sein Vertrautsein mit der Sprache nährten. Er sprach sehr gut das Französisch der intellektuellen Schicht, hätte allerdings sicherlich nicht in Betracht ziehen können, in unserer Sprache zu schreiben, da die Dichtung es nicht erlaubt, mit der Muttersprache zu brechen, aber er hätte sich an einige Essays wagen, sich zu Unterhaltungen mit einigen Kritikern hergeben, an Diskussionen teilnehmen können, in denen er seine Bemühungen um die Dichtung und seine Weise, sie zu leben, verdeutlicht hätte. Besaß er nicht ein Wissen von der erst kürzlich abgelaufenen Geschichte, der Wirkung dieses Dramas auf das Wort, das er hätte beitragen können, und zwar ebenso gut, wenn nicht besser als viele andere, denen es nicht wie ihm in direkter Weise zugefallen war? Und er hatte trotz allem Freunde in Frankreich; zum Beispiel nahm er am Komitee der Redaktion des Ephemere teil, in dem die Freundschaft, auch wenn sie manchmal stürmisch war, eine ganz entscheidende Rolle spielte. Paul hielt sich dennoch davon zurück, an den französischen Debatten teilzunehmen, er wollte sogar nicht wirklich, und lange Zeit überhaupt nicht, dass seine Gedichte übersetzt würden. Sicherlich, die Schwierigkeiten dieser Gedichte sind bedeutend unter dem Gesichtspunkt der Übersetzung, und er war wohl prädestiniert, sich das klar zu machen. Es bleibt die Tatsache, dass in Frankreich sein Werk weitgehend unverständlich blieb.
Paul Celan blieb auf diese Weise in Paris, in Frankreich sein ganzes Leben lang Dichter nur vom Hörensagen. Er wusste, dass er Dichter sei, konnte aber nur mit sehr wenigen Menschen als Dichter leben. Er war sich dessen bewusst, dass es schwierig für ihn sei, sich Gehör zu verschaffen, selbst bei denen, die es am meisten wünschten – die Trauer, die er als Jude verspürte zu leben – auszudrücken. Es waren ebenfalls Augenblicke, in denen er schwieg, mit einem Lächeln auch denen gegenüber, mit denen er sprach, da sie ihm trotzdem nahe waren durch ihr Gespür für Dichtung. Aber was wussten sie eigentlich, selbst diejenigen, von dem, was er wirklich war? Sie kannten nicht die Orte seiner Kindheit. Hätten sie seine Gedichte gelesen, sie hätten nicht ihre metonymischen Reichtümer entziffern können. Wer weiß, ob er nicht manchmal fürchten musste, dass sie sich nicht von den Gerüchten, die aus Deutschland kamen, verwirren liegen.
Die wenigen Freunde waren wie er Randerscheinungen unter dem Aspekt, der ihm wichtig war, nämlich dem des intellektuellen Verständnisses, der Aufnahme von Dichtung. Lebten sie nicht in einer Gesellschaft, deren Interesse sich in diesen Jahren vielmehr der strukturalistischen oder sprachanalytischen Spekulation, mehr auf das Funktionieren der Sprache als auf die Macht des Wortes richtete? Frankreich ist keineswegs das Land der Welt, in dem Dichtung am instinktivsten begriffen würde, auf jeden Fall in gewissen Augenblicken, die andauern können; und es half Paul Celan keineswegs gegen den Gedanken zu kämpfen, dass das Dichterische etwas beinahe universal Unverstandenes ist, auch selbst dort, wo man scheinbar mit Interesse davon spricht, sich darauf beruft oder sogar damit brüstet.

V
Ich verstehe, dass dieser fast von allen Seiten Verbannte dauerhafte Unruhe empfunden hat. Und ich nehme sogar an, dass, wenn er eine Ursache hatte, diese sehr verschieden war von dem, was man auf den ersten Blick hätte vermuten können, seine Erregung, die scheinbar übertriebene Form einer Verwirrung in seiner Beziehung zu anderen Menschen, manchmal seinen besten Freunden, die in den sechziger Jahren sogar zuweilen die Form von Geistesgestörtheit annahm. Zweifellos war diese maßlose Reaktion durch die leidvollen Erfahrungen der Kriegszeit und seine grausamen Erinnerungen verstärkt, aber durch einige ihrer Aspekte und ihre Heftigkeit, die auch ein Appell war, bezeichnete sie deshalb nicht weniger die Wirkung einer unmöglich auf erklärbare und beherrschbare Formen des Austauschs zu reduzierenden Sorge. Eigentlich hätte sie, wie er denken konnte, die Angelegenheit aller sein müssen.
Ich muss mich näher erklären und dafür will ich auf die Ereignisse von 1960 zurückkommen, indem ich sie aber mehr mit dem verbinde, was Paul offensichtlich im Gedächtnis hatte, nämlich der Macht der totalitären Systeme in Europa. Es war eine nur wenig zurückliegende Epoche, in der sie hätten triumphieren können, nicht zuletzt ist an das Massaker an den Juden zu denken.
Diese Ereignisse, die „Affäre Goll“, deren Bedeutung mir als sehr klar erscheint, rufe ich mit wenigen Worten in Erinnerung. Die Furcht, die Paul Celan schon damals empfand, wurzelte sicherlich darin, dass er aufhören würde, als das anerkannt zu werden, was er war, ein Dichter mit den Sorgen eines Dichters, die sich sehr unterscheiden von den Praktiken und Gedanken der gewöhnlichen Literatur. Aber das geschah auch und vor allem, weil die Dichtung, die Dichtung als solche, die Dichtung, wie sie durch die Jahrhunderte hindurch existiert hat, außer von sehr wenigen Menschen der gegenwärtigen Gesellschaft, nicht mehr wahrgenommen oder gelebt wurde.
Und war das etwa kein Grund, diesen Überlebenden einer Katastrophe, der wusste, dass diese ihn beinahe zerstört hätte, zutiefst zu beunruhigen? Denn die Schwierigkeit in der Besorgnis der Dichtung, war das nicht der Hinweis darauf, dass der Kampf, der für den Augenblick die zerstörerischen Kräfte in Schach hielt, vielleicht im Begriff war, verloren zu werden?
Was in diesem Kampf auf dem Spiel stand, ist nichts weniger als der Sinn, den man dem Leben erteilen kann, damit es wert ist, gelebt zu werden. Dieser Sinn ergibt sich nicht von selbst, er ist vielmehr ständig verhüllt durch Unternehmen, die beinahe ebenso ursprünglich sind wie er selbst in der Beziehung des sprechenden Wesens zur Welt. Was einem jeden Menschen den Sinn zugänglich macht, ist das Bewusstsein, dass man sterblich ist: sterblich, d.h. einzig. Und durch dieses Gefühl der Endlichkeit – die eine Einheit bildet mit seinen Risiken; darum wissend, dass diese das Wirkliche sind – kann man auf derselben Ebene andere Wesen treffen und sie auch für ein Absolutes halten: ein Absolutes, das zu schulmeistern nicht möglich ist. Der Sinn besteht darin, den sozialen Austausch über die Teilnahme an der Freiheit des Anderen zu begründen. Aber der Gedanke, der dieser Eingebung folgen muss, damit die Gemeinschaft sich organisiert, ist begrifflicher Natur, er hält von der empirischen Wirklichkeit nur einzelne Aspekte fest, Abstraktionen, die ihre Zeitlosigkeit dem Empfinden der Endlichkeit unterschieben. Deshalb ist der Sinn ständig in Gefahr.
Und es ist wahr, dass man kämpfen kann, aus dem Begriff ein einfaches Mittel machen, aber sobald das Begriffliche seine bezeichnenden Artikulationen, die diese Abstraktion wollen, an ihren Platz stellt, wird die so verdrängte Endlichkeit für den Geist ein Geheimnis. Sie erschreckt, man will sie vergessen, und welche Versuchung ist es dann, sich von so viel Ängsten zu befreien, indem man einige Formulierungen, die einfach genug sind, in einer in sich geschlossenen Struktur zusammenfügt, die man für das wahrhafte Reale halten wird! In diesem Schoß eines Systems, so kalt es sein mag, sucht man Zuflucht vor dem Gedanken an den Tod.
Aber man muss auch nicht mehr die Stimmen hören, die von außen zu verstehen geben, dass diese Konstruktion nur ein Traum ist, und dass die Ideologie, so wollen wir diese Perversion nennen, ihre Kritiker nur für das Böse halten kann, und es sich zur Aufgabe machen muss; sie zu zerstören, symbolisch oder sogar real. Die Ideologie zieht den Mord nach sich. Mord an Personen, Mord durch sie, zumindest dem Wunsche nach, Mord an dem, was ich soeben den Sinn genannt habe. Wie es der Nazismus im Jahrhundert von Paul Celan unerschöpflich gezeigt hat: die Ideologie, unter der er unmittelbar zu leiden hatte, und aus der er, so glaube ich wohl und werde nun innehalten, radikale Schlüsse gezogen hat.

VI
Der Mord war hier in erster Linie das Massaker an den Juden gewesen, denen die Nazis ganz zu Recht ein freieres Bewusstsein zuschrieben, fähig, jedes Vorurteil und jedes Dogma zu bekämpfen. Und die Sache der Vernunft zu unterstützen nach dem Ende des Krieges, aber in Erinnerung an den Völkermord, bedeutete also, die neuen Formen zu verstehen, die der Antisemitismus, der immer noch eine reale Gefahr war, annehmen würde. Das wusste Paul Celan sehr gut, daher ist die Interpretation, die er 1953 und später gewissen Äußerungen seiner Gegner zuteil werden ließ, zu erklären, aber auch seine Dichtung, deren Charakter bereits als Zeugnis und historisches Nachdenken offensichtlich ist. Viele seiner Gedichte sind wohl die eines „jüdischen Kriegers“, wie er sich nannte. Ein Krieger, der übrigens in diesem Zeugnis selbst für viele andere als nur für Juden kämpft.
Aber Paul Celan hat schon vom Kriegsende an nur diesen Gedanken gehabt, an dem er von neuem an sein persönliches Schicksal denken konnte. Und das, weil das Nachdenken über die Ideologie, ob diese nun die Form einer offensichtlichen Gewalt annahm oder nicht, notwendigerweise diejenigen, die verstehen, was Dichtung ist, zu der Schlussfolgerung führt, dass das dichterische Engagement in dem immer aufs Neue aufzunehmenden Kampf die wesentliche Rolle spielen kann. Dabei ist natürlich anzunehmen, dass es sich ebenso radikal seiner Besonderheit bewusst ist.
Was ist Ideologie? Die Verabsolutierung eines Netzes von Begriffen, das von jedem Kontakt mit den äußeren Realitäten abgeschottet, nur auf seine Form hin geknüpft ist. Und was ist dagegen Dichtung, die Dichtung in ihrem tiefsten Wesen, anderes als die Wahrnehmung des Wortklanges im Vers, oder die des Unmittelbaren im Schauspiel der Welt. Ihr ist die Wirkung zuzuschreiben, dass sich die Autorität der Begriffe im Diskurs relativiert, abgeschwächt wird, woraus folgt, dass etwas von der Realität, jenseits dessen, wie man behauptet, erscheinen kann, zumindest für einen Augenblick. Nun, diese Wirklichkeit, die sich so aufs Neue entblößt, ist die erlebte Zeit, ist ein Ort, ist die Endlichkeit: und es ist also mit aller Macht dieser Sinn, von dem ich sagte, dass er aus dem Gedanken der Endlichkeit resultiert. Die Dichtung ist von ihrem Ursprung im Wort her das Überquellen der begrifflichen Systeme, und mehr noch der Verabsolutierung dessen, was man daraus machen kann. Sie ist das, was das Ideologische zerstört, zumindest in ihrer Eigenschaft als Traum, ihrer kindlichen Krankheit, die nur in ihren Worten entsteht.
Ist es das, woran Paul Celan gedacht hat? Hat er verstanden, dass es in seinen Gedichten nicht nur die sehr enge persönliche Reaktion auf das Unglück des Geistes in dem historischen Augenblick war, die die Waffe sein sollte, deren Notwendigkeit er spürte? Und dass er nicht wirklich der „jüdische Krieger“, sondern vor allem Dichter sei, einfach vollkommen Dichter? Ich zweifle nicht daran, sein Leben beweist es. Die derart anerkannte und jeden Tag gelebte Dichtung, das ist das, was ihm nach Jahren der Auflösung seines Ichs unter dem Gewicht der Ereignisse erlaubte, die Synthese seines ganzen Seins zu vollziehen, die jüdische Pflicht, die sich derart mit einer Arbeit der Person an sich selbst auf allen Ebenen des Lebens vermischte, darin die einbezogen, die als die Demütigsten erscheinen können, das Interesse für die Blumen des Feldes sozusagen, oder in bestimmten Stunden die Träumerei um ihrer selbst willen: all das, was Paul vom Schoß seiner Erfahrung als Opfer und Kämpfer als das Privileg der anderen empfinden konnte. Und es ist klar, dass er versuchte, in sich diese Verbindung zusammenhangsloser Teile zu bewirken. Es ist klar, dass er wusste, dass in seiner Beziehung zum Türkenbund oder zur Glockenblume-Rapunzel, bescheidenen Blumen der Gebirge oder Wiesen, nicht nur sein Schicksal als Mensch und Dichter, sondern ein wenig das des Heils der Menschen im Allgemeinen im Spiel war.
Und diese Tugend der Dichtung war auch das, was den jüdischen Dichter denen annähern konnte, die es nicht sind, denn in poetischer Weise sind ihre tiefste Wirkung und ihr Ehrgeiz doch dieselben, und somit wirksam. Nun, die ganze Existenz von Paul Celan erscheint mir auch durch seinen Wunsch unterstützt, dieser besonderen Konsequenz der Universalität der Dichtung Realität zu verleihen und auf diese Weise zu einer einfacheren Präsenz sich selbst gegenüber unter anderen zu gelangen, im Herzen seiner Eigentümlichkeit als „Krieger“. Ich interpretiere so auf alle Fälle seine Einwanderung nach Frankreich, so seine Heirat, sein Nachdenken über die Religion und den Glauben – die man sicherlich mehr befragen müsste, sie würde sicherlich die Essenz des Dichterischen erklären – und selbst seine Arbeit über die deutsche Sprache, da er darin ihre Worte befragt hat, um sie mit dem Universalen zu versöhnen. Paul, sein Lächeln zeigte es wohl, und auch diese Art von Sorglosigkeit, von Fähigkeit zu Augenblicken einfachen Vergnügens, die ich bei ihm fand, zu Recht, glaube ich. Paul wollte mit einer offenen und vollen Beziehung zu jedem Wesen, und also auch zu sich, seine Denunzierung dieser antisemitischen Ideologien verstärken, und anderer, die ebenso unter ihrem theoretischen Äußeren nur eine Verabscheuung vertrauensvollen Lebens darstellen. Er wollte es und konnte davon träumen, dass er es könne, da ihm ja die Dichtung diese Fähigkeit verlieh, dieser Zugang zu sich selbst, der sich einen Zugang zu anderen erschafft.
Und dass die Dichtung, plötzlich auch sie in Gefahr zu sein scheint; dass sie sich bei Gelegenheiten, die leider sehr beweiskräftig sind, als Fähigkeit von wenigen offenbart, vielleicht der letzten ihrer Art; dass unter der Welle des Nichts, die durch den Nazismus auf das Jahrhundert geworfen wurde, sich eine andere Welle erhebe, deren Ursache dieses Mal so in der modernen Existenz verborgen wäre, dass sie dort nicht einmal mehr erkennbar noch wieder gutzumachen wäre; kurz, dass der Antisemitismus nichts als ein Zeichen eines umfassenderen Übels sei, der Angst vor der Endlichkeit, die in weniger sichtbarer Art und Weise als in den Konzentrationslagern, aber ebenso wirksam die Freiheit des Geistes zerstören wird; das ist wohl ein Grund, worüber tatsächlich derjenige sich beunruhigen oder sogar daran verzweifeln konnte, der im Tiefsten seiner selbst wusste, was die Poesie ist, was sie der unglücklichen Gesellschaft hätte schenken können.
Und das erklärt auch, dass sich in den Handlungen der alltäglichen Existenz und in seiner Beziehung zu nahen Wesen bei Paul Celan nach der „Affäre Goll“ sich so oft dieser Aufruhr offenbarte. Er war in dem berührt, was er am meisten liebte. War es nicht das vertrauensvolle Leben selbst, das Gefahr lief, am nächsten Tag und überall auf der Welt nicht mehr zu existieren, außer als eine Art und Weise, verfolgt zu werden, sich in der Defensive zu befinden, wie es die Juden in diesem Jahrhundert gewesen waren? Dieser große Schatz an Wahrheit, an Heil: er konnte von nun an nur noch so intensiv für sie fürchten, wie er gewünscht hatte, darin wieder einzutauchen, das heißt, in ihren ursprünglichsten Formen, wie er sie sich immer vorgestellt hatte. Und wie sollte er eine so beängstigende Beziehung leben, wenn nicht, indem er darin zerriss, was ihren Wert ausmachte und das Mögliche daran festhielt, in der Hoffnung, dass diese verheerenden Augenblicke sich verwandeln, sich in ihr Gegenteil verkehren, den Geist aus seinem schlechten Traum erwecken würden und zeigen, dass man allem Anschein zum Trotz an das Wunder glauben muss, diese letzte Quelle der Hoffnung, die die Dichtung ist.

Yves Bonnefoy, Ostragehege, Heft 68, 2012
(Aus dem Französischen von Una Pfau)

Traurigkeit, die Mut macht

Freitags bekomme ich immer das neue Micky Maus-Heft, hab ich abonniert. Aber ich lese ganz unterschiedliche Sachen. Vor allem liebe ich Joseph Conrad: Die Rettung, mein Lieblingsbuch. Seit einem Jahr aber beschäftigt mich Mohn und Gedächtnis, ein Gedichtband von Paul Celan, der zuerst 1952 veröffentlicht wurde, vor nicht allzu langer Zeit aber neu herauskam.
Meine Beschäftigung mit dem Lyriker ist Teil eines neuen Projektes von mir: Ich lese Celans Werke, verknüpfe sie mit dokumentarischem Material, und der Klarinettist Giora Feidman macht dazu Musik.
An Celan fasziniert mich, wie radikal er sich mit sich und seiner Zeit auseinandergesetzt hat. Das ist selten schöne Lyrik, vor der man in die Knie geht. In diesem Gedichtband ist auch die berühmte „Todesfuge“ über den Massenmord an den Juden enthalten. Als ich das in der Schule las, war ich 15 oder 16 und hatte ganz andere Dinge im Kopf. Heute berührt mich der Text sehr. Und ich finde es interessant, in Celans Sprachwelt einzutauchen. Seine Formulierungen und der collagenartige Bau vieler Werke zwingen zur Nachfrage, zur Dechiffrierung.
In diesen Gedichten geht selten die Sonne auf, und wenn, dann ist diese Sonne verhangen. Aber all diese Traurigkeit macht mir auch wieder Mut: weil es lebensbejahend ist, sich mit dem Dasein in all seinen Schattierungen auseinanderzusetzen. Wenn ich mich einfach unterhalten lassen möchte, kann ich ja Günther Jauch gucken.

Ben Becker, stern, 15.8.2013

Das Werk und seine Rezeption

Mohn und Gedächtnis

Als Celan im Sommer 1952 endlich in Deutschland einen Verleger für seine Gedichte gefunden hatte, entsprachen auch die 17 Gedichte aus der Czernowitzer Zeit, die der erste Zyklus von Der Sand aus den Urnen enthielt, nicht mehr seinen neuen Ansprüchen an das Gedicht, während die Zyklen zwei und drei (abgesehen von fünf Bukarester Gedichten) vollständig in den neuen Band aufgenommen wurden. Somit enthält dieser keine Gedichte mehr, die vor dem Churban entstanden sind. Unter diesem Gesichtspunkt ist Mohn und Gedächtnis mit einem gewissen Recht als erster Band Celans in die Literaturgeschichte eingegangen, denn die Katastrophe ist nicht einziges ,Thema‘ seines Werkes, wohl aber wesentliche Grundlage und als solche immer präsent. Eines der frühesten der in Mohn und Gedächtnis enthaltenen 56 Gedichte ist auch sein berühmtestes und gleichzeitig das einzig wirklich bekannte Gedicht Celans: die schon in Der Sand aus den Urnen enthaltene „Todesfuge“. Zu den aus dem Wiener Band übernommenen 27 Gedichten kommen 29 aus den ersten vier Pariser Jahren, die sich von jenen deutlich unterscheiden. Nach dem sich dort vorwiegend in daktylischen Langversen entfaltenden Bilderreichtum werden hier die Verse kürzer, die Gedichte als ganze sind auch oft knapper, die Sprache nüchterner. Der Band erschien im Dezember 1952 als Weihnachtsgabe für Freunde der Deutschen Verlags-Anstalt und im Januar 1953 für die Öffentlichkeit, und er machte den mit 32 Jahren keineswegs mehr zu den jungen Lyrikern zu zählenden Autor so berühmt, wie ein Lyriker damals nur werden konnte.
Die ersten Rezensionen aus dem Frühjahr 1953 zeigen, dass die Leser die Gedichte zwar als neuartig und ihre Bilder sowie ihren Ton als völlig ungewohnt empfanden, dass sie aber zumeist auch deren besondere Qualität erkannten (Schallück 1953, Schwedhelm 1953). Gleichzeitig enthielten bereits diese frühen Rezensionen Elemente, die in der Celan-Kritik bis über seinen Tod hinaus zu beobachten sind: Celans Gedichte wurden als schwierig, verschlüsselt, als ,dunkel‘ (Mennemeier 1953) dargestellt; dem Dichter gehe es nicht um die Wirklichkeit, es handle sich vielmehr bei diesen Gedichten um ,poésie pure‘ (Piontek 1953). Das Ungewohnte, Neuartige der Gedichte versuchten die Kritiker durch den Kontakt des in Paris lebenden Dichters mit dem dortigen Surrealismus zu erklären, der als Erklärungsmuster in kaum einer Rezension fehlt. Surrealismus spielte zwar im Pariser literarischen Leben der frühen 50er Jahre keine dominante Rolle mehr, für das jahrelang von den literarischen Entwicklungen Europas abgeschnittene deutsche Lesepublikum aber war er neu und begann gerade erst in Übersetzungen rezipiert zu werden. Celan selbst hatte schon in Bukarest und Wien Kontakt zu surrealistischen Kreisen gehabt, und die auf die Leser so neuartig wirkende Bildlichkeit in den dort entstandenen Gedichten mag bis zu einem gewissen Grad dadurch angeregt worden sein. Später hat Celan eine Zuordnung zum Surrealismus jedoch selbst als „Unsinn“ bezeichnet (H. Neumann 1958). Wie problematisch das Etikett „Surrealismus“ für Mohn und Gedächtnis ist, zeigt nicht nur die „Todesfuge“, die zumindest einige Kritiker als einziges Gedicht mit Realitätsbezug aus einer solchen Charakterisierung ausnahmen (Donath 1954). Obwohl gelegentlich Celans Schicksal als Überlebender in den Besprechungen erwähnt ist (Schwedhelm 1953), wurden keine anderen Gedichte aus dem Band im Kontext des Churban gelesen. Die von Adorno 1951 negativ beantwortete Frage nach einer Berechtigung von Gedichten nach Auschwitz stellte sich der Öffentlichkeit damals nicht. Für keinen der Kritiker schien es im Bereich des Denkbaren zu liegen, im Ungewohnten der Celan’schen Gedichte den notwendigen Versuch zu lesen, als Dichter auf die Katastrophe zu reagieren, nach der nichts – auch das Schreiben von Gedichten nicht – mehr sein konnte, wie und was es war. Vielmehr wertete der damals recht anerkannte Lyrikkritiker Hans Egon Holthusen das aus Eichmanns zynischem Begriff der „Todesmühlen von Auschwitz“ entwickelte Bild der „Mühlen des Todes“ in „Spät und Tief“ (Paul Celan: Kommentierte Gesamtausgabe in einem Band, hrsg. und kommentiert von Barbara Wiedemann, Frankfurt a.M., 2003, S. 38) ausdrücklich als trivial (Holthusen 1954).

Aus Paul Celan: Todesfuge und andere Gedichte. Text und Kommentar, hrsg. von Barbara Wiedemann, Suhrkamp Verlag, 2004

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Simon Böhm: #29 Paul Celan: Mohn und Gedächtnis
praeposition.com

Jerome Rothenberg: Celan Lesen: 1959, 1995
signaturen-magazin.de

Kim Landgraf: Zwischen Erinnerung und Vision
literaturkritik.de, Juli 2000

Andreas Donath: (Paul Celan: Mohn und Gedächtnis)
Frankfurter Hefte. Nr. 9, 1954

Petru Dumitriu: „Möglichkeiten der Lyrik“. (Dort zu Paul Celan: Mohn und Gedächtnis, Sprachgitter)
Der Tagesspiegel, 21.7.1963

Pocke, Alfred: Wiedergelesen. „Wieviele Wege“. (Paul Celan.)
Die Presse (Wien), 28./29.6.1980

Helmuth de Haas: Mohn und Gedächtnis: Über die Gedichte von Paul Celan
Die neue literarische Welt, 10.7.1953
Auch in: Über Paul Celan. Hrsg. v. D. Meinecke. – Frankfurt/M., 1973

Michael Hatry: Der Zeit ihre Bilder abgewinnen
Deutsche Volkszeitung, 16.4.1981

Heinz Piontek: Paul Celan Mohn und Gedächtnis
Welt und Wort (Tübingen). Nr. 8, 1953

Hans Egon Holthusen: Fünf junge Lyriker (II)
Merkur, Heft 74, April 1954

Poetic reorientation: Return to a sense of wonder. (Über: Mohn und Gedächtnis, Von Schwelle zu Schwelle, Sprachgitter)
The Times Literary Supplement, 23.9.1960

Adelheid Rexheuser: Sinnsuche und Zeichen-Setzung in der Lyrik des frühen Celan: Linguistische und literaturwissenschaftliche Untersuchungen zu dem Gedichtband Mohn und Gedächtnis. – Bonn 1974

Beatrice Cameron
Monatshefte, 1975

Dominik Jost
Erasmus (Wiesbaden), Nr. 28, 1976

Hans Dieter Schäfer
Germanistik, 1976

Harald Weinrich
Die Zeit, 23.7.1976

Klaus Weissenberger
The German Quarterly, 49. 1976

J.J. White
Modern Language Review, 1977

Rino Sanders: Ein neuer deutscher Lyriker
Die Zeit, 18.6.1953

Hans Dieter Schäfer: Als Paul Celan berühmt wurde
Stuttgarter Zeitung, 17.5.1975

Paul Schallück: Schwarze Milch der Frühe
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.4.1953

Wieland Schmied: Paul Celan Mohn und Gedächtnis
Wort in der Zeit (Graz). Nr. 1, 1955

Karl Schwedhelm: (Paul Celan: Mohn und Gedächtnis)
Wort und Wahrheit (Freiburg/Br., Wien), Juli 1953

Kurt Oppens: Gesang und Magie im Zeitalter des Steins. Zur Dichtung Ingeborg Bachmanns und Paul Celans
Merkur, Heft 180, Februar 1963

Irena Zivsa: Paul Celan: Mohn und Gedächtnis
Kindlers Literatur Lexikon, 1974

Mohn und Gedächtnis
wikipedia.org

 

 

Zu einer Kampagne

– Ein notwendiges Wort. –

Man kann ein unmittelbares oder ein anekdotisches Verhältnis zur Dichtung haben. Wer nur das letztere hat, kann aufleben. Es ist wieder etwas los in der Dichtung. Man flüstert es sich hinter der hohlen Hand zu: Paul Celan, der dieses Jahr mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnete deutschsprachige Lyriker, der aus Oesterreich stammt und in Paris wohnt, ist ein „Meisterplagiator“. In seinem angeblich ersten Gedichtband Mohn und Gedächtnis soll er die unter dem Titel Traumkraut gesammelten Gedichte des verstorbenen Yvan Goll schamlos geplündert haben. Man hat ihm das schon 1956 auf einem sowjetischen Schriftstellerkongreß vorgeworfen. Seither taucht das Gerücht, von Yvan Golls Witwe zielbewußt genährt, immer wieder auf. Ein junger Literaturkritiker, der sich als Scharfrichter einen Namen gemacht hatte und ein neues Opfer brauchte, war auf dem Sprung, eine Kampagne gegen Celan zu entfesseln; sein jäher Unfalltod hinderte ihn daran. Aber andere haben inzwischen die trüb flackernde Fackel aufgenommen, so ein Rainer K. Abel in der Welt, wenn auch noch vorsichtig hinter Fragezeichen versteckt.
Es wäre eigentlich die Aufgabe von Celans deutschen „Kollegen“, sich schützend vor ihn zu stellen – viele von ihnen kennen den wahren Sachverhalt, und die Treue des Heimatlosen zur deutschen Sprache verpflichtete sie unserer Meinung nach dazu, für ihn einzustehen. Aber die Schadenfreude scheint zu überwiegen; Celan bekommt es nun zu spüren, daß er ein stolzer Einzelgänger ist, der die üblichen Cliquenbildungen meidet. Und der – notabene – Erfolg hatte. Da Paul Celan selbst einer solchen Kampagne nur die Antwort des Dichters, das Schweigen, entgegenzustellen vermag, sei drum hier kurz von einem Freund seiner Verse das Nötige gesagt.
Unzweifelhaft klingen gewisse Gedichte von Celans Mohn und Gedächtnis deutlich an Gedichte Yvan Golls im Traumkraut an. Was die Witwe Golls jedoch verschweigt, ist, daß diese Gedichte ihres Mannes bei seinem Tod nur französisch vorlagen. Sie bat damals den Yvan Goll befreundeten Celan um eine Nachdichtung dieser Gedichte in deutscher Sprache, und Celan hat das auch getan. Aber es kam zu Unstimmigkeiten zwischen dem „Uebersetzer“ und der Witwe, und die letztere hat, hierauf die recht freie Nachdichtung Celans unwesentlich verändert drucken lassen, ohne die Autorschaft Celans zu erwähnen. Das erlaubt ihr nun, diesen als Plünderer des Werkes ihres verstorbenen Gatten hinzustellen!
Sollte es nötig sein, so werden wir das „Dossier Celan-Goll“ ausbreiten. Dazu würde auch der wirklich erste Gedichtband Paul Celans, ein lange vor dem Traumkraut in Oesterreich gedrucktes und verschollenes Büchlein, gehören, das an der Eigenständigkeit seiner Dichtersprache keine Zweifel läßt. Es wäre jedoch schon um der Erinnerung an Yvan Goll willen wünschenswert, wenn es bei diesen knappen Bemerkungen bleiben könnte. Goll war ein echter Dichter, der es nicht nötig hat, posthum auf Kosten eines andern Dichters erhöht zu werden; würde er noch leben, so würde er als erster seinen jungen Freund Celan gegen eine solche Verleumdungskampagne in Schutz nehmen.

Armin Mohler, Die Tat, 17.12.1960

Zur Celan-Forschung

Alles ist weniger, als
es ist,
alles ist mehr.

Paul Celan

Bei seiner 1958 anläßlich der Verleihung des Bremer Literaturpreises gehaltenen Rede für Paul Celan schreibt Erhart Kästner anläßlich seiner ersten Lektüre des Gedichts „Die Hand voller Stunden“:

Im herkömmlich-üblichen Sinn war bei diesem Gedicht, und so auch bei fast allen andern des schwarzen, schmalen Gedichtbands, kaum eine Zeile voll zu verstehen. Dennoch war sofort klar, daß es sich bei jenem Gedicht, und so wiederum auch bei vielen anderen des Bandes, um ein wirkliches Gedicht handele.31

Damit trifft Kästner, wenn auch unbewußt, den für die gesamte bisherige Celan-Forschung wahrscheinlich grundlegenden Ansatzpunkt: nämlich die Diskrepanz zwischen einer sofort einleuchtenden ästhetischen Faszinationskraft seiner Gedichte und einer nicht weniger evidenten Schwierigkeit ihrer Deutung. Daß Celan schon zu seinen Lebzeiten eine ungewöhnliche Fülle von Interpretationen begegnete, leitet sich in erster Linie von dieser Diskrepanz her.
Bis heute ist für die Celan-Forschung kennzeichnend, daß sie eine größtenteils hermeneutische ist. Das zeigt schon die Liste der führenden Interpreten – etwa Beda Allemann, Bernhard Böschenstein, H.G. Gadamer, P.H. Neumann und P. Szondi –, die nicht zufällig auch frühere Hölderlin-, Jean Paul- oder Rilkeforscher gewesen sind. Daß Celan sehr früh als Fortsetzer der seit dem Symbolismus für die europäische Lyrik weitgehend maßgebenden hermetischen Dichtung anerkannt wurde, hat die Qualität und die Verbreitung der Auseinandersetzungen mit seinem Werk nicht wenig gefördert.
Unterwirft sich generell diese Kritik einem akzentuierten Versuch des Verstehensprozeßes, so muß andererseits betont werden, daß sich dieser, wenigstens bis zum Tod des Dichters (1970, in Paris), im Schritte mit der immanenten Entwicklung der Gedichtbände entfaltet bzw. problematisiert hat. So bietet das Wandlungsbild der Celan-Deutungen zugleich ein wenn auch verschleiertes Abbild seiner Produktion.
Von der glücklichen Entdeckung einer neuen dichterischen Stimme zeugen gleich bei der Rezeption von Mohn und Gedächtnis die Rezensionen von Helmut de Haas,32 Curt Hohoff33 und A.A. Scholl,34 die alle drei den bezaubernden Charakter eines liedhaften, magischen, bzw. alchemistischen Sprachgebrauchs hervorheben und ihn alsdann ästhetisch positiv bewerten. Auffallend wirkt, besonders bei de Haas und bei Kästner, die Wertschätzung der Realitätsauflösung in Celans Sprache zugunsten einer von den Verfassern als surrealistisch empfundenen Logik. Gleichzeitig verzichten diese Interpreten allerdings völlig darauf, die geschichtlichen Gründe dieser Auflösung oder die durch deren ständige Rekurse auf Paradoxa intendierte Wirklichkeitsauffassung zu erforschen.
Als erste literaturwissenschaftliche Arbeit über Celan und zugleich erster ernster Versuch, sich mit dessen Dunkelheit auseinanderzusetzen, gilt die 1959 in Köln vorgelegte Dissertation von Johann Firges: Die Gestaltungsschichten in der Lyrik Paul Celans ausgehend vom Wortmaterial. Die Basis für die Firgessche Deutung bildet, wie schon im Titel gesagt, eine statistische Untersuchung der in den zwei ersten Bänden enthaltenen Wortklassen. Dieses Wortmaterial – ein Wort, allerdings, dem Celan mehr als skeptisch gegenüber stand35 – versucht dann der Verfasser auf drei verschiedenen Ebenen zu interpretieren: die Daseins-, die Bewußtseins- (oder Gestaltungs-,) und die Seinsebenen. Unter Daseinsschicht werden die verschiedenen Gebiete, in denen sich menschliches Handeln, Empfinden oder Denken ereignen kann (S. 38), unter Gestaltungsschicht die verschiedenen Stufen des Erlebens der Daseinsschichten (S. 8) verstanden. Die letzte Schicht soll als Frage nach der ontologischen Fundierung der beiden ersten, und zwar unter ausdrücklicher Berufung auf Martin Heidegger, aufgefaßt werden.
Daß Firges das Verdienst zukommt, als erster die notwendig werkimmanente Orientierung jeder ernsten Beschäftigung mit Celans Dichtung anerkannt zu haben, ist unbestreitbar. Sein Versuch, die verschiedenen Gedichte ihren auf Wortfelder gestützten Motivkreisen nach zu verstehen, darf heute noch als durchaus zutreffend betrachtet werden. Was sein Unternehmen aber z.T. irreführend macht, sind die Kategorien, denen er die Ergebnisse seiner Wortstatistik unterwirft. Schon die Daseinsschichten besitzen viel zu wenig Relevanz, um Konkretes zu umfassen. Aber auch die Bewußtseinsschichten, die das Kernstück der Interpretation bilden, sind fragwürdig. Daß überhaupt bei dem frühen Celan von Bewußtseinsakten als solchen die Rede sein kann, läßt sich bezweifeln. Insofern als diese Gedichte die Wirklichkeit von vornherein nur als eine literarisch vermittelte erscheinen lassen, entzieht sich letztere weitgehend jedem Deskriptionsversuch, der diese sprachliche Umgestaltung, wie es hier geschieht, außer acht läßt. Firges’ Dissertation erscheint im gleichen Jahr wie Celans dritter Band Sprachgitter. Zur selben Periode gehören auch die ersten Übersetzungen aus dem Russischen (Block, Mandelstam) sowie die zwei großen Leistungen des „Trunkenen Schiffs“ und Valérys „Junge Parze“. Anläßlich der Entgegennahme des Georg-Büchner-Preises am 22. Oktober 1960 erscheint daneben sein wichtigster ,theorischer‘ Text, „Der Meridian“.
Daß damit der Celan-Forschung ein neuer Impuls gegeben wird, versteht sich von selbst. Zwei der wichtigeren damaligen Beiträge, die noch vor „Der Meridian“ erscheinen, sind Martin Anderles „Strukturlinien in der Lyrik Paul Celans“36 und Peter Jokostras „Zeit und Unzeit in der Dichtung Paul Celans“.37 Maßgebend – und vielleicht auch irreführend – für Anderles Ausgangspunkt ist der implizite Begriff einer Menschen- oder Dichtertotalität, anhand derer die Celansche Lyrik als eine notwendige, zugleich aber sich selbst überholende Reduktion analysiert wird. Entdeckt Anderle mit Recht eine sich immer stärker ausdrückende Geometrisierung der Landschafts- bzw. der Sprachelemente (wie sie z.B. in einem Gedicht wie „Heimkehr“ aufzufinden ist), in der diese Reduktion zum Ausdruck kommt, so bleibt seine Analyse von einem dem Existentialismus entstammenden Subjektivitätskonzept geprägt, mit dessen Hilfe weder der ontologische Bruch zwischen Mensch und Welt noch der Zeichencharakter der in dieser Dichtung auftretenden Bilder erfaßt werden kann. Anders Jokostra, der, fern jeder Ontologie, die Spannkraft von Celans Lyrik in einer dem Chassidismus entwachsenen Verwandlungsfähigkeit sieht, die auch die Bilder Chagalls bezeichnete. Kraft ihrer Zuversicht sieht Jokostra die besonders im zweiten Gedichtband erkannte heillose Selbstentfremdung im Sprachgitter zu einer erneuten Welterfahrung der Hoffnung und des Glaubens, verwandelt, in der die Vokabel der Zeit, der Menschenzeit, den makabren Begriff der Unzeit verdrängt, aufgehoben und in dem Appell an den Menschen überwunden hat (S. 173). Jokostras Demonstration trifft einen wichtigen Punkt, indem sie zeigt, daß Celans Gedichte erst in der Dynamik ihrer Fortsetzung, in ihrem Unterwegssein, ihren Bewertungs- und Verständnisgrund finden. Dabei übersieht die Untersuchung aber, wie sich die von ihr als hoffnungsvoll hervorgehobene Realität von Band zu Band  s p r a c h l i c h  verändert hat.38 Daß am Ende der „Engführung“ die berühmten Verse „Nichts, / nichts ist verloren“ stehen, darf nicht, wie es Jokostra tut, schlechthin als optimistische Weltbejahung verstanden werden. Nicht nur ist es methodisch falsch, solche Verse aus ihrem höchst unsicheren Kontext zu lösen und sie alsdann zu verabsolutieren, sondern ihr Bejahungswert muß so lange unentschieden bleiben, bis man den Geltungsrahmen der poetischen Diktion überhaupt ins Augen gefaßt hat, was hier völlig ausbleibt.
Stellte Firges’ Untersuchung eine Synthese der ersten Stufe dieser Lyrik dar, so bildet Peter Paul Schwarz’ „Totengedächtnis und dialogische Polarität in der Lyrik Paul Celans“39 zweifellos den damals ernsthaftesten und weitgehend gelungensten Versuch dar, deren ersten beide Phasen zu überblicken. Verglichen mit der Firgesschen unterscheidet sich Schwarz’ Interpretationsmethode dadurch, daß sie erstens ihren Ausgangspunkt weniger in einer Wort-, als in einer Satzsemantik findet, und zweitens, daß sich diese explizit als historisch bedingt versteht. Nach Schwarz ist grundlegend für die Analyse die seit dem ersten Band auffallend stark ausgeprägte dialogische Struktur der Gedichte Celans: ihre immer wieder aufgenommene Anrede eines Du, wobei gleich anerkannt wird, daß mit diesem Du ein totes gemeint ist. Ausgehend vom Steinmotiv stellt Schwarz am Anfang seines Buchs fest:

Die im Bilde des Steins chiffrierte Schicksalserfahrung (Celans) ist auf den Tod als Grunderlebnis zurückbezogen (…) Sie (die Dichtung) versteht sich als Totengedächtnis, das sich die Leiden der Unschuldigen (…) wachhalten will. (S. 10)

Damit wäre zweierlei getroffen: die novalesische Prägung (d.h. hier die aufgrund der Todeserfahrung entwickelte mystische Position des Dialogs) wenigstens der zwei ersten Bände – beispielsweise im Motiv der Nacht zu erkennen – sowie die besonderen Formen, die diese Polarität dadurch erhält, nämlich das Paradoxon, die Antithese und die Metapher, drei Figuren, die nach Schwarz gemeinsam auf den Versuch, die Einheit aus Widersprüchlichem zu gewinnen, zurückzuführen seien. Da Schwarz aber diese rhetorischen Figuren nicht, wie etwa Firges, in ihrem angeblichen ,ontologischen‘ Wert, sondern in ihrer mit jedem Gedicht erneuten dynamischen Funktionalität betrachtet, gelingt es ihm diese aufgedeckte Struktur gleichzeitig evolutiv zu erschließen. So kann die Analyse der sich im Motivkreis des Auges aktualisierenden Ich-Du Polarität ebensogut die jeweiligen Kennzeichen der ersten Bände wie den wichtigen Wandel zur Sprachgitter-Stufe erfassen, in der die Kommunikation zwischen dichterischem Ich und dem Du des Toten als unmöglich erkannt wird, was zur wichtigen Konsequenz führt: In dem Maße, wie die transzendentale Annäherung als vergeblich erkannt wird, gewinnt die Realität an Gewicht. Nicht, daß es sich um eine heilgebliebene Realität handelte, die um ihrer selbst willen dargestellt würde; vielmehr projiziert jetzt der von der leeren Transzendenz gezeichnete Dichter sein Scheitern in sie hinein und formt sie zu absoluten Metaphern der transzendentalen Vergeblichkeit (S. 40). Obwohl man einer solchen Behauptung generell zustimmen kann, bleibe jedoch dabei die Frage offen, ob Schwarzes Behandlung des von ihm hervorgehobenen Wirklichkeitsgewinns in „Sprachgitter“ dieser Realität gerecht wird. Daß die Gedichte dieses Bandes einen ersten Schritt in die Richtung einer sich in ihrem hic et nunc, ja in ihrem punktuellen Charakter eröffnenden Wirklichkeit darstellen, wird hier nicht gesehen. Auch neigt die Analyse vielleicht zu sehr dazu, die transzendentale Vergeblichkeit gegenüber diesem Wirklichkeitsgewinn überzubewerten. Dagegen zeigt das letzte Kapitel, das der Niemandsrose gewidmet ist, mit größerer Sicherheit, wie sich die intersubjektive Polarität erweitert, um die Dimension des Kollektiven einzubeziehen (z.B. in „Radix, Matrix“ oder in „Psalm“) und wie der Weltzerfall in einem zumindest intentionierten Weltgewinn umschlägt, wobei sich die Sprache selbst als Welt realisiert (S. 60). Mit der kurzen Formel Sprachgewinn als Wirklichkeitsgewinn trifft Schwarz den Kern nicht nur des vierten Bandes, sondern auch der späteren Bände.
Einem Gedicht der Niemandsrose gilt auch Bernhard Böschensteins erster Versuch über Celan „Paul Celan (,Tübingen, Jänner‘)“,40 der kurz nach Beda Allemanns Rezension desselben Bandes erscheint.41 Was dem Zufall angehört, mag dennoch sinnvoll erscheinen: diese beiden Hölderlin-Spezialisten haben sich seit jener Zeit, durchaus komplementär, als zwei der genauesten Celan-Deuter erwiesen.
Böschensteins Methode (die sich dann später u.a. in der zwei Gedichten des Bandes Lichtzwang gewidmeten Analyse „Lesestationen im Spätwort“42 und in dem Vergleich mit Anette von Droste-Hülshoff „Drostische Landschaft in Paul Celans Dichtung“43 abermals bestätigen wird) gründet in der exakten Lektüre eines zuerst für sich selbst betrachteten Gedichts, das sowohl nach seinem Sinn als nach der Sprachkonzeption, die diesen Sinn trägt, befragt wird. Dabei spielt die Wahl des Gedichts eine wichtige Rolle, indem sie bei diesem Interpreten oft auf einen Text fällt, dessen Bezug auf einen früheren Dichter, Hölderin in diesem Fall,44 mehr oder weniger explizit ist. Damit gelingt es Böschenstein einerseits einen festen Ansatzpunkt für die Einzeldeutung zu bekommen, andererseits aber die Modernität des Celanschen Textes anhand des von ihm selber entworfenen Bezugs erschließen zu können. So wird „Tübingen Jänners“ Blindheitsmotiv mit Hilfe des Hölderlinschen „Blinden Sängers“ so differenziert erläutert, daß dessen neues negatives Gewicht ans Licht kommt. So kann andererseits der aufgrund dieser Blindheit folgende Sprachgebrauch als die moderne, auf das Paradoxon gründende, und damit der zeitgenössischen Wirklichkeit entsprechende Sprechweise vom Gedicht aus entfaltet werden. Ein ähnliches Verfahren steuert im zweiten Artikel die Doppelanalyse von „Treckschutenzeit“ und von „Sperrtonnensprache“, deren gemeinsame, ihre Modernitätsposition selbstreflektierende Thematik so zusammengefaßt wird:

Es geht ihm (dem Gedicht) deshalb jedesmal um die Einführung eines fragilen Sinn-Netzes, das thematisch und strukturell seine Hinfälligkeit mitartikuliert, dergestalt, daß das Gedicht aus solcher Vernichtung seine Identität gewinnt: Identität angesichts der durchgängigen ,Ungültigsprechung‘ der Zeichen, aus denen es sich fügt. (S. 292)

Daß diese paradoxe Struktur jedesmal dank dem Vergleich mit Hölderlin, bzw. Homer, m.a.W. dank der im Text selbst stattfindenden Auseinandersetzung mit der vorangehenden literarischen Tradition erschlossen wird, trägt außerdem der für Celan notwendig grundlegenden Reflexivität des Gedichts auf eine solche Weise Rechnung, daß sie jeden willkürlichen Bezug auf eine, den Gedichten fremde, theoretische Instanz vermeiden kann.
Eben diesem Reflexivitätsproblem widmet seit seinem ersten Interpretationsversuch Beda Allemann seine genaueste Aufmerksamkeit. Für ihn wie für Böschenstein gilt es vor allem, der Art und Weise der Sinn- und Sprachsetzung der Gedichte Celans näher zu kommen. Kreiste schon seine Rezension der Niemandsrose um die anhand des Steinmotivs dargestellte Dialektik des Sprachgewinns und des Sprachverlustes, so präzisiert sich seit dem zweiten Essay, „Zu Paul Celans neuem Gedichtband Atemwende“,45 die Art des Fragens nach der Beziehung zwischen der Reflexivitäts- und der Wirklichkeitsfrage. Eines der Hauptverdienste Allemanns besteht sicher darin, daß er das Grundparadoxon zu formulieren gewußt hat; das zwischen der von Celan geübten Sprachreflexivität und der wiederholten Behauptung, die dadurch erzielte Wirklichkeit sei eine erst durch das Gedicht freigelegte, besteht. Besondere Aufmerksamkeit schenkt der Verfasser dem unüblichen Charakteristikum Celans, der engen Verflechtung und gegenseitigen Durchdringung der Wort- und Dingsphäre. Daß eine solche Verflechtung schon der im Von Schwelle zu Schwelle entfalteten Poetik innewohnt, zeigt der Interpret in seiner den Ausgewählten Gedichten beigefügten Analyse des Gedichts „Sprich auch du“,46 wo mit großer Sicherheit nachgewiesen wird, wie die besondere Entschiedenheit des Celanschen Sprechens erst durch die Unentschiedenheit zwischen Ja und Nein gewonnen wird. Ferner hat Allemann die spezifische Schwierigkeit besonders prägnant formuliert, die jedem Deuter dieser Dichtung begegnet, weil diese selber eine bestimmte Art von poetischer – ja fast poetologischer – Sprachreflexion enthält. Seine Analyse des Gedichts „Fahlstimmig“ in „Das Gedicht und seine Wirklichkeit“47 darf wohl in dieser Hinsicht, zusammen mit Peter Szondis Versuch über „Du liegst im großen Gelausche“, als der bisher gelungenste theoretische Versuch gelten, die hermeneutischen Schwierigkeiten, die bei der Lektüre Celans auftauchen, auf abstrakte Weise zusammenzufassen. Mit den letzten Zeilen seines Aufsatzes hat Allemann eine Interpretationsanweisung aufgestellt, die sinnvollerweise den Horizont jeder Celan-Deutung bilden sollte:

Es kann nicht Aufgabe der kritischen Untersuchung sein, eine Wirklichkeit nachträglich benennen und definieren zu wollen, die der Dichtung, die auf sie zuhielt, niemals Gegenstand einer poetischen Beschreibung, sondern das Ziel einer Suche war. Kritisch beschreibbar sind die Bedingungen dieser Suche. (S. 274)

Eben diesem methodischen Vorsatz widerspricht der 1966 erschienene Versuch Alfred Kelletats über das Gedicht „Sprachgitter“, „Accessus zu Celans „Sprachgitter““.48 Ausgangspunkt für diese Analyse ist wiederum die Traditionsbezogenheit dieses Gedichts oder genauer seine Einreihung in eine mit der Antike beginnende Tradition der ,poesia ermetica‘, die den Interpreten dann dazu veranlaßt, an jeder Textstelle eine Fülle von Parallelstellen heranzuziehen. So wird, neben der detaillierten und hilfreichen Auslegung des Titelwortes, besonders dem Augenmotiv (unter Berufung auf Goethes Farbenlehre) und dem Gitterkomplex (unter Berufung auf Gottfried Benns Text „Das lyrische Ich“)49 Aufmerksamkeit geschenkt – was allerdings eher zu einer Demonstration dessen führt, was das Gedicht  n i c h t  ist, als zu dessen wirklicher Erläuterung. Kelletats materialreicher Aufsatz mißglückt eben, weil er, die paradoxe Verfahrensweise von Celans Lyrik verkennend, das Gedicht mit Hilfe der Tradition verstehen möchte, statt das neue Licht zu erblicken, das durch das Spezifische am Gedicht und besonders an seiner Sprechweise über die Tradition geworfen wird. In den Worten Allemanns: er verwechselt eine gesuchte und gewonnene Wirklichkeit mit einer beschriebenen.
Eine Parallelstellenmethode – aber werkimmanent! – liegt auch dem bis jetzt vielleicht inspiriertesten Buch über Celan zugrunde: Peter Horst Neumanns Zur Lyrik Paul Celans.50 Das war schon Firges’ Verfahren. Hier liegt aber der wichtige Unterschied darin, daß, statt die Wörter als Belege für eine schon bestehende, ja ontologische Realität aufzufassen, Neumann sie – und dies zeigt sich schon im ersten Kapitel bei seiner Analyse der Neologismen – als wirklichkeitsstiftend versteht. Der genauen Wortstatistik verdankt sich also viel weniger eine Welt- oder Bewußtseinsbeschreibung als eine auf die Dynamik der Wortfunktion beruhende Hermeneutik, die sich – und darin liegt das Neue – vielmehr an die Ebene der Signifikanten als an die der Signifikate hält. Mit detektivähnlicher Strenge verfolgt so Neumann Wortfelder, deren Bedeutung erst durch die jeweilige Kontextanalyse erschlossen wird – so etwa, im 2. Kapitel, den Motivkreis der Mandel-, wobei er zugleich das Dauerwie das Wandlungsbild der Wortgestaltung bloßlegt. Seine Findigkeit nutzt der Interpret vor allem, um zwei Hauptlinien der Celanschen Dichtung herauszuarbeiten: ihre Reflexivität sowie ihre mystische Paradoxie. Unter Reflexivität versteht Neumann nicht nur das Nachsinnen eines Gedichts über sich selbst. Ihn interessiert dabei noch die besondere Art einer Sprachmimesis, die, vor allem bei ihren Spaltungseffekten, die zerrissene Realität widerspiegelt, die das Gedicht im Verlauf seiner Entwicklung entwirft (so z.B. in dem Gedicht „Keine Sandkunst mehr“). Mystische Paradoxi bezeichnet dagegen die mit vollem Recht hervorgehobene Diskrepanz zwischen der sich mit jedem Gedichtband stärker bezeugenden Sprachreduktion und der nicht weniger abdingbaren Tendenz der Gedichte, durch diese Reduktion hindurch, ihren unerhörten Anspruch den absoluten bzw. utopischen Ort der Dichtung zu erreichen. In Neumanns Worten:

Erfahren wird in ihr (der Dichtung) das Nichts und das Absolute, beide aber immer  z u g l e i c h, das heißt: in der  A b s u r d i t ä t  i h r e r  G l e i c h z e i t i g k e i t . Und diese Absurdität schließt zugleich auch die Absurdität alles Ästhetischen und also auch die der Dichtung ein. (S. 41)

Gerade weil er diese Gleichzeitigkeit (die außerdem bei ihm zu einem Wertkriterium der Celanschen Lyrik überhaupt wird – wie es das 3. Kapitel über „Esoterik und politisches Engagement“ bezeugt) nie aus dem Auge verliert und weil er ihr, als einer Grundstruktur, die Ergebnisse seiner Parallelstellenmethode unterzuordnen weiß, gelingt es Neumann, eine der detailliertesten, zugleich aber tiefsinnigsten Interpretationen Celans zu liefern.
Daß Neumann einen solchen Akzent auf die wirklichkeitssuchende, ja auf die wirklichkeitsstiftende Seite der Sprache Celans setzen konnte, hängt zweifellos mit der neuen Poetik zusammen,51 die sich mit Atemwende (1967) zu entfalten begann und auf die schon Allemann aufmerksam gemacht hatte. Daß sich mit diesem Band eine neue Forschungsrichtung notwendig eröffnete, zeigt sich in verschiedenen Arbeiten, die drei Jahre später – also nach Fadensonnen (1968) und gleichzeitig mit des Dichters Tod – erscheinen.
Eben das Problem der Wirklichkeit greift in einem wichtigen Aufsatz Gerhard Neumann auf: „Die ,absolute‘ Metapher. Ein Abgrenzungsversuch am Beispiel Stephane Mallarmés und Paul Celans“.52 Absolute nennt der Verfasser solche Metaphern, die von ihrem Eigentlichkeitsgrund gelöst, m.a.W. auf kein Reales zurückzuführen sind, wie sie in der Moderne seit Mallarmé auftauchen. Dabei dient der Vergleich mit dem französischen Dichter dazu, das Spezifische Celans zu präzisieren. Während bei Mallarmé die Pointe des Gedichts darin bestünde, das wirklich Gemeinte zu tilgen, läge Celans Poetik die Erfahrung zugrunde, daß jenes Wirkliche sich der unmittelbaren sprachlichen Bewältigung verschließt:

die Sprache vermag sich der Wirklichkeit nicht zu bemächtigen; der Widerstand, den das Wirkliche ihr entgegensetzt, bringt sie zum Verstummen. Aber gerade in ihrem Verstummen legt die Sprache Zeugnis ab von dem Widerstand des Wirklichen; sie „setzt es frei“. (S. 209)

Demzufolge erscheinen Celans Metaphern als uneigentlicher Ausdruck einer sprachlich nicht zu benennenden Wirklichkeit, sie deuten auf etwas, indem sie es – paradoxerweise – verfehlen. (S. 210)
Daß Celans Lyrik den Ort ihres Fortschritts nur mit wechselndem Schlüssel (so heißt die zweite Einteilung von Von Schwelle zu Schwelle) aufschließt, hat wohl Peter Mayer in seinem verdienstvollen, aber einseitigen Buch Paul Celan als jüdischer Dichter53 übersehen. Verwechselt wird hier (neben treffenden Bemerkungen besonders zum Motiv der Verhältnisse zwischen der Sprache und des Dichters Mutter), was man, um den Gedichten gerecht zu werden, besser unterscheidet: Celans historische und persönliche Situation als Jude – was in der Tat seine bestimmende Dichterposition ausmacht – und das von Mayer als literarisch-traditionell aufgefaßte Judentum (oder Jude-Sein) als Gegenstand seiner Gedichte.54 Sicher hat Celan selber auf die von Martin Buber verdeutschen chassidischen Geschichten als auf eine seiner ,Quellen‘ verwiesen. Daß man aber diese Quellen von den anderen isolieren könne, daß das Unterwegssein seiner Lyrik einen zu dieser ursprünglichen ,Gegend‘ immer wieder zurückkehrenden Kreis bilde, wie es Mayer haben möchte, ferner, daß sich diese Tradition mit der philosophisch-jüdischen Linie Hermann Cohen – Franz Rosenzweig – Walter Benjamin – Martin Buber bewußt vermähle, um den letzten Grund der Celanschen Lyrik auszubilden, ist eine Mutmaßung, der ein nicht voreingenommener Betrachter nicht so leicht zustimmen würde. Es mag kein Zufall sein, daß der gerade in dieser Linie stehende französische Philosoph und Talmudist Emmanuel Levinas Celans Judentum ganz anders versteht,55 nämlich als eine sich in der Sprache niederschlagende extreme Möglichkeit – oder Unmöglichkeit – der Menschheit schlechthin (comme une possibilité – ou une impossibilité – extrême de l’liumanité tout court)“.56
Kurz nach Mayers Versuch erscheinen zwei Dissertationen aus der Schule Beda Allemanns: Silvio Viettas Sprache und Sprachreflexion in der Modernen Lyrik57 und Dietlind Meineckes Wort und Name bei Paul Celan.58 Dietlind Meinecke verdankt man zugleich den für jede Auseinandersetzung mit Celan unentbehrlichen Sammelband Über Paul Celan, dessen 30 Aufsätze und reichhaltige Bibliographien das nächstliegende Instrument jedes Celan-Forschers bilden.
Obwohl sie nur ein Kapitel seines Buches bildet (deren Analysen außerdem der Reihe Novalis – Loerke – Heißenbüttel gelten), trifft Viettas Interpretation einen entscheidenden und bis dahin nur unsystematisch ausgelegten Punkt von Celans Lyrik: ihre Reflexivität. Zu Recht zeigt der Verfasser, wie sich diese im Laufe der Bände immer mehr behauptet und, darüber hinaus, wie und worin sie sich geändert hat. Viettas Konzeption einer grundsätzlich sprach d y n a m i s c h e n  Entwicklung Celans wird man umso leichter unterschreiben können, als, wie er es zeigt, diese Dynamik gleichzeitig zum allmählichen Gegenstand der Gedichte wird (man vergleiche solche Gedichte wie „Anabasis“, „Hüttenfenster“, „Wortaufschüttung“). Dagegen wird man vielleicht einwenden können, daß der hier so klar ausgelegte Reflexivitätsprozeß doch etwas zu klar sei, m.a.W., daß die vom Verfasser hervorgehobene universale Absorptionsbewegung der Sprache nicht genügend Rechenschaft ablegt von den in dieser Dichtung doch spezifischen Gegenständen, die absorbiert werden.
Ein sehr viel ambitiöseres Ziel hat sich Meineckes Buch gesetzt: über die von ihr hervorgehobene Sprachlichkeit des Celanschen Gedichts zu reflektieren. Den Ausgangspunkt der Interpretin bildet der Unterschied zwischen den zwei im Werk selber öfters wiederkehrenden Begriffen Wort und Name, deren Dialektik dazu dient, den besonderen Sprachkosmos bzw. die besondere Art von Reflexivität der fünf ersten Bände zu bestimmen. Das Buch bietet weniger Einzelinterpretationen, als vielmehr einen Versuch, Celans Sprachontologie näherzukommen, seiner in so vielen Gedichten sich widerspiegelnden Wortname-Poetik gerecht zu werden. Bemerkenswert dabei wirkt die Strenge, mit der Meinecke dem seit dem Anfang sich immer wieder bestätigenden Gestus Celans begegnet, die Wirklichkeit durch das Gedicht hindurch zu stiften sowie ständig auf seine eigenen poetischen Voraussetzungen zu verweisen. Fragwürdig dagegen scheint die Methode, insofern sie fast jede Stufe der inneren, biographischen Entwicklung sowie deren historische Situation zugunsten einer rein synchronischen Analyse außer acht läßt. Sicher ist es wichtig, die dichterischen Bedingungen, die die Celansche Aussageweise ermöglichen und leiten (bzw. sie, in den Worten der Verfasserin, widerruflich machen), zu erforschen. Es bliebe aber dann zu sehen, daß diese Bedingungen nur den ersten Schritt bilden, auf dessen Grundlage sich das jeweilige Gedicht erst verwirklichen wird bzw. zu erschließen ist.
Methodisch viel selbstkritischer fallen dagegen Peter Szondis drei wichtigen „Celan-Studien“ aus: „Poetry of constancy-Poetik der Beständigkeit“ (über Celans Übersetzung von Shakespeares 105. Sonett), „Durch die Enge geführt. Versuch über die Verständlichkeit des modernen Gedichts“ (über die „Engführung“) und „Eden“ (über „Du liegst im großen Gelausche“). In den beiden ersten Essays geht es Szondi darum, zu zeigen, wie der von ihm im Sinne Jacques Derridas verstandene Celansche  T e x t  seinen jeweiligen Gegenstand nicht mehr sosehr thematisiert oder sogar widerspiegelt, sondern ihn in seiner Sprache real macht (z.B. S. 44 im ersten Aufsatz: Nicht mehr läßt Celan den Dichter von seinema r g u m e n t(…) sprechen, sondern sein Vers ist so gefügt, wie es dieses Thema und diese Absicht verlangen).
Die sehr genauen phonetischen, lexikalischen und grammatischen Ebenen der Lektüre sollen daher im Dienste einer Art Textverständnis stehen, die den Hauptakzent auf die wirklichkeitsschaffende Funktion der Schrift (der  é c r i t u r e) zuungunsten jedes biographischen oder historischen Bezugs legt. Dagegen zeigt die dritte, freilich unabgeschlossene Studie, wie dieser Bezug einem Gedicht doch zugrundeliegen kann, indem Szondi alle Details mitteilt, die die Entstehung des am 12./13. Dezember 1967 in Berlin geschriebenen „Du liegst im großen Gelausche“ gesteuert haben. Eine zweite, nicht mehr verfaßte Stufe hätte zeigen sollen, wie das Gedicht ohne die Kenntnis dieser Details doch die Elemente seines Verständnisses mit sich bringt.
Szondis Strenge, hermeneutische Schlüsse aus der Phänomenologie der Lektüre zu ziehen, ist groß. Indessen verdankt sich der Akzent, der auf der Selbstverwirklichung des Textes liegt, der Tatsache, daß von vornherein der Versuch zur Entschlüsselung der außersprachlichen Ebene der Gedichte aufgegeben worden ist, was zwar eine methodisch sehr reine, poetisch aber etwas unbefriedigende Analyse erlaubt (dies vielleicht am auffälligsten bei der von Derrida (zu) stark beeinflußten Untersuchung der „Engführung“).
Nicht zufällig schließt sich Hans-Georg Gadamers „Kommentar zu Celans Atemkristall – „Wer bin Ich und wer bist Du?“ an Szondis letztgenannte Interpretation „Eden“ an (s. besonders S. 123ff.), denn für den Verfasser geht es vor allem darum, das Problem einer Hermeneutik, wie sie Szondi anhand dieses Gedichts aufgestellt hatte, zu entwickeln. Gadamer hat seinen Ausgangspunkt so formuliert (vielleicht im kritischen Gegensatz zu Szondi):

Für den Celan-Leser bleibt eine der dringendsten Aufgaben noch weitgehend unerfüllt. Wessen er bedarf, ist nicht eine kritische Beurteilung, die feststellt, daß man nicht versteht, sondern dort einzusetzen, wo man zum Verständnis vorzudringen vermag, und dann zu sagen, wie man versteht. (S. 110)

Eben dieser Aufgabe hat sich Gadamer angesichts des Zyklus von „Atemwende“, „Atemkristall“, gestellt. Gedicht für Gedicht bemüht sich seine Interpretation solchen Ansätzen zu folgen, indem sie den von ihr gesuchten Sinn über die Grundpolarität der ihrerseits als Rätsel aufgefaßten Ich-Du-Identität festzulegen trachtet. Aufschlußreich an diesem Versuch ist, daß er die Schritte seines Verstehensvorgangs konkret mitteilt. Auch wenn man sich im Einzelnen mit Gadamer nicht immer einverstanden erklärt, so bleibt jedoch sein Text ein redliches Modell einer kritischen Auseinandersetzung mit den Schwierigkeiten dieser Dichtung. Nicht sosehr gegen dem Interpretationsvorgang also als gegen den sprachtheoretischen Voraussetzungen, die die Interpretation steuern, ließen sich einige Bedenken gegen die Methode erheben. Gadamers Auffassung einer trotz aller Brüchigkeit durchgehaltenen heilen Sprache bleibt Celans Unternehmen fremd. Auch wird manchmal die Zeichenstruktur des Sprachgebrauchs verkannt: der Saussureschen Dreiteilung des Zeichens zwischen  s i g n i f i a n t,  s i g n i f i é  und  r é f é r e n t, die vielleicht dazu hätte dienen können, der von dieser Lyrik geleisteten Überwindung der phänomenologischen Zeichenpraxis Rechnung zu tragen, wird eine zweiteilige Auffassung vorgezogen, die oft übersieht, wie sich bei Celan Wirklichkeit differenziert, oder genauer, wie zwischen dem sprachlich Bezeichneten, der als Wort erkannten Realität und der Sache selbst zu differenzieren sei.

Konzentrierte sich Gadamer auf die 21 Gedichte von „Atemkristall“, so betrifft dagegen Klaus Voswinckels Paul Celan. Verweigerte Poetisierung der Welt59 das gesamte Werk. Voswinckels Buch ist zweigliedrig. Der ersten synchronisch geführten und sich als Toposforschung gebenden Bildbereich-Analyse folgt ein diachronisches Entwicklungsbild, das von Sand aus den Urnen bis zu Schneepart reicht. Beide Teile aber stehen unter dem gemeinsamen Thema der nach dem Verfasser im Gegensatz zu Novalis zentral gesetzten Verweigerung Celans, die Welt auf romantische Weise zu poetisieren. Celans Bezug auf Novalis hatte schon Schwarz gezeigt, der freilich mehr die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Dichtern betonte. Voswinckel dagegen geht es eher um ihre Divergenz, zumal sich diese auf Parallelmotive gründet (etwa „Unterreich, poetische Landschaft, Nacht“). Zu Recht wird damit vom Verfasser ein Traditionsbezug dieser Lyrik erkannt, der zugleich auch zum Indiz ihres historischen Standpunktes wird, sowie ihr besonderes Insistieren auf dem mineralischen Element, das oft eine Metapher der Spracharbeit ist. Interessantes zur Verständnisstruktur der letzten Gedichtbände weiß auch Voswinckel heranzubringen (S. 207ff.).
Einwände wird man indessen vielleicht vor allem der Methode gegenüber erheben. Voswinckels Vorgehen leidet oft unter der Tatsache, daß er kaum je ein ganzes Gedicht für sich selbst interpretiert. Zitate werden fast systematisch durch interne (d.h. an deren Gedichten Celans angehörige) oder externe Parallelstellen erläutert, so daß das einmalige Gedichtgefüge selten zu seinem Recht kommt. Auch überbetont vielleicht der Verfasser die politische Relevanz der Gedichte (so wird S. 73 der flutende Mob der Gegengeschöpfe aus dem Gedicht „Wortaufschüttung“ zu eindeutig auf politische Reden bezogen), wenngleich dieses Problem tatsächlich mitgedacht werden muß.
Es kann sicher nicht Aufgabe einer bibliographischen Rezension sein, die Zukunft einer Forschung, wenn auch nur skizzenweise, näher bestimmen zu wollen. Angesichts der Fülle der bisherigen Deutungen sowie der immer wiederkehrenden Schwierigkeiten der Interpretation, die dabei auftauchen, läßt sich aber ein Wunsch formulieren: nämlich, daß die für die konkrete Entstehungsgeschichte der Gedichte und vielleicht auch für ihre Erläuterung unentbehrliche kritische Ausgabe Celans so schnell wie möglich zur Verfügung stehen möge.

John E. Jackson, Paul Celan, Text-Kritik, Heft 53/54, Januar 1977

Rede für Paul Celan

– Laudatio zum Bremer Literaturpreis 1958, gehalten am 26.1.1958. –

[…] Es gibt unter den Gedichten Paul Celans einige, die im Verzicht auf Verständlichkeit, auf gewohnte Logik weitergehen als alles, was bisher in Deutschland gewagt worden ist. So das Gedicht, das ich (auch dieser Augenblick ist mir gut in Erinnerung geblieben) als zweites las: vom Kirschbaum und dem Knirschen von eisernen Schuhen, das offenbar rein lautverbindlich daraus folgt, dem demantenen Sporn, dem Schild und der Halbzeile: „Aus Helmen schäumt dir der Sommer […]“ – einem halb panisch-bukolischen, halb heraldischen, ritterspornig-eisenhutigen Gartenstück von großer Genauigkeit und unvergeßlicher Wahrheit; die Existenz dieses unbeschuhten Sommerphantoms, dieser Lufterscheinung ist ganz gewiß. Dabei ist alles vielleicht bloß aus Anklängen, aus Bilderketten und wörtlichen Wahlverwandtschaften gemacht, eine Sache der Worte unter sich sozusagen, eine Angelegenheit, die sie unter sich ausmachen sollen.
Indessen, ich glaube, man sollte sich mit der Annahme eines so in sich gekehrten, in sich versunkenen Wortspiels nicht zu schnell begnügen. Rätselworte, Schlüsselworte: man wird sich wohl hüten, sie aufzulösen, weil sie dann sofort ihr Geheimnis verlören. Man wird sich aber auch hüten müssen, sie nicht aufzulösen und sie bloß so, ohne Rechenschaft, am Ohr vorbei- und vorübertriefen zu lassen. Ich glaube, das tut man nur allzu willig in den modernen Galerien, Ausstellungen und literarischen Stuben, wo es sich eingeführt hat, so zu tun, als ob man natürlich verstünde –: im Vertrauen darauf, daß es den anderen ebenso geht, eine stille gegenseitige Abmachung. Aber so ist das ja gar nicht, so will die Kunst unserer Tage sich doch gar nicht verstehen, das würde schlecht passen zu ihrem intellektuellen Charakter, zu ihrem oft festgestellten Laboratoriums- und Alchemistencharakter, zu ihrer Neigung zur Feinmechanik, zur Präzision; schlecht passen auch zu ihrem Arbeitscharakter in diesem Jahrhundert des Arbeiters, zu der ganz und gar anderen Beziehung des Dichters zur Muse – wenn er mit dieser schwer mitgenommenen mythischen Figur überhaupt noch zu rechnen gewillt ist, aber sofern er Dichter ist, muß er.
Ich denke also, das kann der Sinn der schweren Verschlüsselung und Verrätselung nicht sein, die doch so bezeichnend ist für die Kunst unserer Tage und auf die zu verzichten, sich kaum einer ringsum entschließt. Es kann nicht ihr Sinn sein, daß man sich vor verschlossenen Toren vergnügt. Ich meine, wo Verschlüsselung ist, ist auch Aufschluß: das Wort sagt es, und das Wort kann nicht lügen, das tun höchstens wir mit dem Wort, indem wir abfallen. Wo Verschlüsselung ist, da ist Aufschluß, wo Rätsel ist, da ist Rat, das Wort sagt es. Ich bin durchaus so gelehrt und ich glaube mit vielen, daß das Wort wissender ist als ich, der es im Mund führt; es ist dies der Glaube Mallarmés und Valérys und nach ihnen der gesamten Moderne: ein Theologicum ohne Zweifel, vielleicht ein Kryptotheologicum, also doch eins.
Also, wo Rätsel ist, da ist Rat, wo Verschlüsselung, da ist Aufschluß: es wäre denn Afferei und Geschwätz, was als Rätsel auftritt und was als Schlüssel sich gibt. Rebus: so wird seit alters eine gewissen Form des Rätsels genannt, rebus, durch Dinge, durch Bilder. Das Wort, wörtlich genommen, gibt Rat. Im Süddeutschen, also mundartlich, wird auch heut noch das Wort „Rätsel“ schlechthin für „Gedicht“ oder „Traum, Traumgesicht, Traumbild“ verwandt: eben das, was ins Leben als Fragendes tritt, zwingt, nachzusinnen, nicht losläßt, woraus aber, wenn man nachsinnt und nur genug nachsinnt, schon Rat wächst. Rätsel: was Rat gibt, woraus alsdann Rettendes wächst. So ist Wort eben Rätsel, Wort und Gedicht.
Bloß in der ganz entzauberten Sprache der neuen Wissenschaft, da ist Ratlosigkeit. Da ist natürlich kein Rat. Da ist das Wort bloß Vokabel. Also, wo Verschlüsselung ist, da ist Aufschluß, wo Rätsel, da Rat. Wäre man sich dessen nicht so sicher im Falle dieser Gedichte, so würde man weit geringer über sie denken, als wir es in der Tat tun. Dann könnte man wenig mehr hinter ihnen erblicken als eben, wie so oft, ein Studio, ein Atelier; dann würde ihr Verfasser nichts weiter sein als eben ein weiteres jener nicht gerade seltenen neuen Talente mit einer neuen, einer sogenannten persönlichen Note, einer eigenen Vokabelsammlung, die eine Zeitlang ein bißchen neu ist, einer Marottensammlung, einer Spezialität, einer neuen Montage, oder etwa einer besonderen Botanik oder einer besonderen Grammatik oder, was immer forthilft, einer besonderen Exotik oder, unstreitig am besten, einer besonderen Dämonik –: glaubten wir, in Paul Celan bloß einen Meister solcher Kunstgriffe gefunden zu haben, wir liebten seine Gedichte nicht so, wie wir sie in der Tat lieben. Denn so war es doch, als vor fünf oder sechs Jahren in Literaturzeitschriften und Jahrbüchern einige dieser Gedichte auftraten, dann in die beiden schwarzen Bändchen gesammelt, die jetzt zu denen gehören, die man als ein Erkennungszeichen betrachtet, wenn man sie in einem fremden Bücherschrank oder auf dem Tisch einer Wohnung bemerkt, die man zum ersten Male betritt, als ein freundliches Einverständnis mit dem Besitzer und eine Gewähr –: so war es doch, daß gleich viele den Zauber dieser Stimme, dieser Verse wahrnahmen. Und eben nicht bloß den Zauber; Zauber ist Netz, Zauber ist, womit Verse und Bilder einfangen; so kommt es, daß wir, gefangen, ein Bild, einen Vers forttragen und erst nach Jahren und Jahren verstehn: jeder kennt das aus Jugendtagen, aus früher Begegnung mit Dichtung. Indessen, Zauber ist doppelwertig, Magie kann auch leer, Faszination kann auch trügerisch sein; Kunst hat in jedem Fall Zauber, aber was den Zauber hat, braucht nicht in jedem Fall Kunst sein. Ich glaube indessen, für viele Freunde von Celan zu sprechen, wenn ich sage: diese Gedichte wurden von Anfang an deshalb geliebt und bewundert, weil größer als ihr Zauber, der groß ist, die Kraft ist, die in ihnen und über ihnen gespürt wird: Liebeskraft, Leidenskraft, also Lebenskraft, das ists.
In den genauen Bildern, die sich beim Lesen und Hören dieser Gedichte einstellen (ich bemerke übrigens, daß für mich das zweite, spätere Bändchen die vollendeteren, ausgeglühteren, einfacheren Gedichte enthält), teilt sich dem Leser etwas von jener Zuversicht mit, die sich einstellt, wenn man einen einsamen Künstler ausharren, bestehen und unbeirrt fortschreiten sieht. Lyrik ist Lebenskampf, alle Kunst ist nichts anderes, natürlich. Gedicht, das ist Kampf um eine Wirklichkeit, um die Gewinnung von Wirklichkeit: jedes Bild eine Breite gewonnener Heimat, jedes Gedicht eine Hufe zurückgewonnenen Lands, jeder Satz, der diesen Namen verdient, eine erschlossene, wiedererschlossene Fremde. Wirklichkeit, in der wirklich und eigentlich gelebt werden kann, wird einzig auf solche Weise erstritten; ist sie von einzelnen wahr und wirklich gemacht, so leben die Hunderttausend davon, auch solche, denen im Schlaf nicht einfällt, man könne von so etwas leben. Aber doch, es fällt ihnen schon ein. Auch den härter Verpackten begann es zu dämmern, daß das, was so Realität im Sinne der neueren Wissenschaften genannt wird, das Sinnloseste, Verzweifeltste und gespenstisch Unwirklichste auf der weiten Welt ist. Und dann finde ich auch (neben vielem, das ich jetzt nicht alles sagen und rühmen kann, denn meine Rede- und Lobezeit ist bemessen), finde ich auch, daß diese Gedichte Schicksal tragen und haben. Ich meine jetzt nicht, daß sie Biographie haben, von der ich nichts weiß, die wohl dasein kann, aber ich kann es nicht wissen, sie ist in jedem Falle weit weg, außer Ruf-, außer Hörweite. Ich meine also nicht einen Lebensstoff, den ich nicht kenne, aber ich spüre, daß so etwas da ist, ich spüre eine Last, ein Gewicht, einen Mut, eine Trauer, spüre Überwindung und Drängen und Treiben. Es kann gut sein, daß ich dieses und jenes Gedicht falsch verstehe, in der Weise, wie ich es zu hören, zu lesen, mir auszulegen versuche; kann sein, daß ich es ziemlich anders verstehe als es gemeint ist, und so wird es auch Anderen gehen. Aber das macht nichts, das ist nicht so wichtig im Vergleich zu dem Umstand, daß diese Gedichte bedrängen, daß sie überfallen, daß sie zu einer wie immer gearteten Vorstellung zwingen. Wer schreibt, kann nicht wissen, welche Bilder er in Seelen erzeugt; aber Bilder, wie immer geartete Bilder muß er, muß er erzwingen. Welche es sind, und daß es wohl immer andere sind, das kann er bloß ahnen, darüber hat er nicht Macht. Das muß er schon dem Geschriebenen überlassen.
So ist es überhaupt, und mir scheint, im Fall dieser Verse besonders. Offenbar haben sich einige dieser Gedichte von ihrem Dichter gelöst, sind abgeschwebt, ziehen eigene Bahn, arbeiten, erleben auf eigene Faust, und einige sind ganz weggelaufen und haben sich trotzig selbständig gemacht. Weiß der Himmel, was alles so ein zartes und zähes, energisch-widerständiges Geschöpf dann erlebt. Wem es wohl so erscheint? Was es dem zuspricht? Weiß es der Himmel. Nicht selten wird das ziemlich verschieden von dem sein, was man ihm auftrug, mindestens eine zweite Kontur, eine Mehrlinigkeit, eine Schwingung. Da muß sich manchmal der eigene Erzeuger sehr wundern. Doch dann muß er sich sagen: Verständnis ist Mißverständnis, immer und immer, wie Umwege Wege. So läßt er sie machen. Sagen sie auch ein bißchen was anderes als er ihnen gesagt hat, das macht nichts. Das ist eingerechnet; dafür sind sie ja Rätsel und Schlüssel. Dafür sind sie ja Boten. Irdische? Himmlische? wie immer: ein bißchen Freiheit muß man Boten bei ihrer Ausrichtung auch lassen.

Erhard Kästner, aus Wolfgang Emmerich (Hrsg.): „Bewundert viel und viel gescholten…“. Der Bremer Literaturpreis 1954–1998. Reden der Preisträger und andere Text, edition die horen, 1999

Denken und Danken

Hochverehrter Herr Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen, meine hochverehrten Herren Senatoren, hochverehrter, lieber Rudolf Alexander Schröder, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Denken und Danken sind in unserer Sprache Worte ein und desselben Ursprungs. Wer ihrem Sinn folgt, begibt sich in den Bedeutungsbereich von: „gedenken“, „eingedenk sein“, „Andenken“, „Andacht“. Erlauben Sie mir, Ihnen von hier aus zu danken. Die Landschaft, aus der ich – auf welchen Umwegen! aber gibt es das denn: Umwege? –, die Landschaft, aus der ich zu Ihnen komme, dürfte den meisten von Ihnen unbekannt sein. Es ist die Landschaft, in der ein nicht unbeträchtlicher Teil jener chassidischen Geschichten zu Hause war, die Martin Buber uns allen auf deutsch wiedererzählt hat. Es war, wenn ich diese topographische Skizze noch um einiges ergänzen darf, das mir, von sehr weit her, jetzt vor Augen tritt, – es war eine Gegend, in der Menschen und Bücher lebten. Dort, in dieser nun der Geschichtslosigkeit anheimgefallenen ehemaligen Provinz der Habsburgermonarchie, kam zum erstenmal der Name Rudolf Alexander Schröder auf mich zu: beim Lesen von Rudolf Borchardts „Ode mit dem Granatapfel“. Und dort gewann Bremen auch so Umriß für mich: in der Gestalt der Veröffentlichungen der Bremer Presse.
Aber Bremen, nähergebracht durch Bücher und die Namen derer, die Bücher schrieben und Bücher herausgaben, behielt den Klang des Unerreichbaren.
Das Erreichbare, fern genug, das zu Erreichende hieß Wien. Sie wissen, wie es dann durch Jahre auch um diese Erreichbarkeit bestellt war. Erreichbar, nah und unverloren blieb inmitten der Verluste dies eine: die Sprache.
Sie, die Sprache, blieb unverloren, ja, trotz allem. Aber sie mußte nun hindurchgehen durch ihre eigenen Antwortlosigkeiten, hindurchgehen durch furchtbares Verstummen, hindurchgehen durch die tausend Finsternisse todbringender Rede. Sie ging hindurch und gab keine Worte her für das, was geschah; aber sie ging durch dieses Geschehen. Ging hindurch und durfte wieder zutagetreten, „angereichert“ von all dem.
In dieser Sprache habe ich, in jenen Jahren und in den Jahren nachher, Gedichte zu schreiben versucht: um zu sprechen, um mich zu orientieren, um zu erkunden, wo ich mich befand und wohin es mit mir wollte, um mir Wirklichkeit zu entwerfen.
Es war, Sie sehen es, Ereignis, Bewegung, Unterwegssein, es war der Versuch, Richtung zu gewinnen. Und wenn ich es nach seinem Sinn befrage, so glaube ich, mir sagen zu müssen, daß in dieser Frage auch die Frage nach dem Uhrzeigersinn mitspricht.
Denn das Gedicht ist nicht zeitlos. Gewiß, es erhebt einen Unendlichkeitsanspruch, es sucht, durch die Zeit hindurchzugreifen – durch sie hindurch, nicht über sie hinweg. Das Gedicht kann, da es ja eine Erscheinungsform der Sprache und damit seinem Wesen nach dialogisch ist, eine Flaschenpost sein, aufgegeben in dem – gewiß nicht immer hoffnungsstarken – Glauben, sie könnte irgend wo und irgendwann an Land gespült werden, an Herzland vielleicht. Gedichte sind auch in dieser Weise unterwegs: sie halten auf etwas zu.
Worauf? Auf etwas Offenstehendes, Besetzbares, auf ein ansprechbares Du vielleicht; auf eine ansprechbare Wirklichkeit.
Um solche Wirklichkeiten geht es, so denke ich, dem Gedicht.
Und ich glaube auch, daß Gedankengänge wie diese nicht nur meine eigenen Bemühungen begleiten, sondern auch diejenigen anderer Lyriker der jüngeren Generation. Es sind die Bemühungen dessen, der, überflogen von Sternen, die Menschenwerk sind, der zeitlos auch in diesem bisher ungeahnten Sinne und damit auf das unheimlichste im Freien, mit seinem Dasein zur Sprache geht, wirklichkeitswund und Wirklichkeit suchend.

Paul Celan, aus Wolfgang Emmerich (Hrsg.): „Bewundert viel und viel gescholten…“. Der Bremer Literaturpreis 1954–1998. Reden der Preisträger und andere Text, edition die horen, 1999

Über die Anfänge des Dichters

Im Mai 1947 gab ich in Bukarest die internationale Kunst- und Literaturzeitschrift Agora heraus, eine Zeitschrift für Lyrik und essayistische Prosa, in der Paul Celan seine ersten Gedichte in deutscher Sprache veröffentlichte: „Das Gastmahl“, „Das Geheimnis der Farne“, „Ein wasserfarbenes Wild“. Die drei Gedichte wurden später unverändert in seine ersten Gedichtbände aufgenommen. „Das Gastmahl“ ist in dem Band Der Sand aus den Urnen (Wien 1948) enthalten, die anderen beiden Gedichte finden sich in dem Band Mohn und Gedächtnis.
Nach den traumatischen Erlebnissen im Ghetto und im Lager, nach dem Verlust der Eltern, die den Nazis zum Opfer gefallen sind, kam Paul Celan in den letzten Kriegstagen nach Bukarest. Er besaß Talent und hatte seine Ideale. Er konnte hassen und lieben, und er glaubte an den Kommunismus, ohne aber militant zu sein. 1945 hatte er die Sowjetunion besucht. Celan wusste ganz genau, was ihm widerstrebte und was er hasste, konnte aber nicht sagen, was er liebte und wie weit er in seiner Liebe zu gehen bereit war. Seine Liebe galt eher etwas Schleierhaft-Undefinierbarem.
Ein nebelhafter Schleier legte sich despotisch auf seine Gefühls- und Gedankenwelt, verwirrte ihn und zermürbte seinen Geist.
Bald kam Paul Antschel – die phonetische Umstellung seines Namens nahm er erst bei der Veröffentlichung seiner ersten Gedichte vor – zu der Überzeugung, dass er einer ständigen Verfolgung ausgesetzt sei, die sich sowohl gegen ihn als Individuum richte als auch gegen die Gemeinschaft, der er als Jude angehörte… Er schrieb seine Gedichte in deutscher Sprache, in der Sprache, die er außer dem Rumänischen hervorragend beherrschte. Jedoch vor die Frage gestellt, ob er unter Deutschen leben wolle, erschien ihm das nicht möglich. Aber auch in Rumänien, dem Land, in dem er geboren wurde, konnte er nicht leben. In Israel war er von dem Empfang, den man ihm bereitet hatte, tief bewegt. Doch auch dort könne er, wie er mir 1969 anvertraute, unter keinen Umständen leben. Er ließ sich also in Frankreich nieder, in dem Land, das Geist und Kunst immer gastlich aufgenommen hat.
Seine Ungeborgenheit war im Metaphysischen angesiedelt. Er litt nicht nur an seinen Erfahrungen, nicht nur an der Gesellschaft, er litt an der Zeit, an dem Raum, an der Welt, an den Menschen…
Wir waren beide, ohne voneinander zu wissen, auf der gleichen Sylvesterfeier zu Gast bei einer gemeinsamen Bekannten, die später zu einer berühmten Professorin wurde. Wir befanden uns in einer Bohemiens-Gesellschaft unter Künstlern, Malern, Komponisten, Tänzerinnen, Schriftstellern. Man hatte es versäumt, uns bekannt zu machen, in der Annahme, dass wir uns schon kannten.
Ich erinnere mich, wie an jenem Abend ein junger Mann mit olivfarbenem Gesicht und mandelförmigen Augen uns mit seltsam traurigem Eifer Gedichte von Alexander Block vortrug, wie er uns mit seinem Pathos und seiner Melancholie zugleich faszinierte und befremdete. Da ich gerade einige Gedichte von Jessenin für die Agora übersetzt hatte, trug ich auch eines davon vor. Andere rezitierten Gedichte von Éluard, Aragon, Breton und Desnos. Man weiß ja, dass französische und russische Dichtung in Rumänien stets besonders geschätzt wurde. Am frühen Morgen nahmen wir voneinander Abschied und fanden uns kurz darauf in den Seiten der Agora wieder. Das Heft enthielt Texte in fünf Sprachen (rumänisch, französisch, deutsch, italienisch und russisch), Übersetzungen und Originale. Da waren zum ersten Mal im Nachkriegsrumänien einige der wichtigsten europäischen Dichter der letzten Jahrzehnte versammelt: Rilke, Morgenstern, Breton, Montale, Carl Sandburg, Henri Michaux, Umberto Saba, Salvatore Quasimodo, Robert Desnos, Benjamin Fondane. Natürlich waren auch die großen rumänischen Dichter der Zwischenkriegszeit vertreten, Tudor Arghezi, Ion Barbu und Lucian Blaga sowie Alexandru Philippide, der beste rumänische Übersetzer von Novalis, Rilke und Baudelaire. Und nicht zuletzt kamen darin auch die jungen und jüngsten rumänischen Autoren zu Wort.
In der Agora wurden die ersten drei Gedichte Celans publiziert. Ich hatte sie zusammen mit anderen Gedichten durch Alfred Margul-Sperber bekommen und die Auswahl getroffen. Von Despina Levent und Lia Fingerhut hatte ich die gleichen Gedichte in einer sehr schön gelungenen rumänischen Fassung erhalten, zog aber dennoch die Originalfassungen vor, weil ich der Zeitschrift einen vielsprachig-internationalen Charakter geben wollte. Die Mitarbeiter sollten sich darin zu Hause fühlen, ganz gleich, in welcher Sprache sie schrieben. Für diese erste Nummer der Agora, die leider die einzige bleiben sollte, hatte ich genügend Material in rumänischer Sprache, und da ich weniger fremdsprachige Texte hatte, kamen mir Celans Gedichte gerade zur rechten Zeit.
Damals habe nicht nur ich, sondern hat auch er eine Wahl getroffen, eine endgültige. Seitdem schrieb Celan nicht mehr rumänisch oder doch nur sehr selten noch. Für seine Dichtung war das ein Gewinn, weil sie so die größere Chance hatte, bekannt zu werden. Die rumänische Literatur aber hat damals einen Lyriker verloren. Ob ich auch Schuld daran trug? Mag sein. Im Dezember 1947 verließ Celan Rumänien, hätte er rumänisch veröffentlicht und sich vom Erfolg verführen lassen, so hätte er vielleicht schrittweise verzichtet, weiterhin in deutscher Sprache zu schreiben. Vielleicht hätte die Literaturgeschichte dann einen der interessantesten deutschen Lyriker der Nachkriegszeit nie kennengelernt. Das stiefmütterliche Schicksal, in einer Sprache zu schreiben, die keine Weltsprache ist, hätte auch in seinem Fall gewirkt und ihn zur Anonymität verdammt, wie so viele seiner rumänischen Dichterkollegen, die in ihrem Wert manchmal nicht weniger bedeutend sind als Paul Celan.
Selbst subtile Analysen und Kommentare seines Werkes können dem Risiko nicht entgehen, einzelne Nuancen zu verfehlen, an der Oberfläche der Texte zu bleiben oder sogar falsche Interpretationen zu bieten, solange die ausländische Kritik die Theorien und Beziehungssysteme der rumänischen Lyrik der Zwischenkriegszeit nicht kennt. Leider kennt man sie nicht. Celan entstammt dieser Lyrik, die viele Gemeinsamkeiten mit seiner eigenen aufweist. Er ging bei einigen dieser Dichter, die in seinen lyrischen Horizont passten, in die Lehre, obwohl er sich später von ihnen getrennt und sich in einer anderen Literaturszene behauptet hat. Er verhält sich wie sie auf der ihnen gemeinsamen geistigen Bahn, der er ursprünglich entstammte. Gleich einem sehr sensiblen Resonanzkörper hat er die intimsten Schwingungen der rumänischen Lyrik wahrgenommen, und in seinem Werk sind charakteristische Mittel und Strukturen dieser Dichtung ausfindig zu machen. Hinzu kommen noch seine komplexen Bindungen an die russische, englische, deutsche, französische und italienische Lyrik, die er in den unterschiedlichsten Substraten erforscht hat, was der kritischen Sonde bisher entgangen ist. Daraus kann man schließen, dass tiefgehende Exegesen der Celanschen Lyrik erst in Zukunft zu erwarten sind.

Ion Caraion, in Zeitschrift für Kulturaustausch 3, 32. Jg., 1982
Aus dem Rumänischen übersetzt von Klaus Hensel

 

Anselm Kiefer – Für Paul Celan

 

Hans Mayer: Erinnerung an Paul Celan, Merkur, Heft 272, Dezember 1970

 

MITWISSERSCHAFT
In Erinnerung an Paul Celan (1920–1970)

In den Gärten brennen
Die letzten Birnen und Gott entkleidet
Reihum die Bäume. Der Tod, sagt Tolstoi,

Ist zu Ende. Und wir kehren zurück,
Nach Hause, in unsere fremde Erde, basteln
Geschenke an die Aufmerksamen. Der jüngste Tag

Bleibt eine fixe Idee, eine kalte
Schulter des Abends. Stille schlägt uns
Ins Gesicht vor dem Abgrund der Wörter,

Mit denen ich eben noch sprach.

Horst Samson

 

HINTER MIR
Nachruf auf Paul Celan

Das Leben zerfließt zur Träne,
Mein versiegeltes Buch. Mutter, ich höre,
Höre noch den Weg nach Transnistrien,
Befehle, Elende treten sich

Wund, wie Vieh, vorwärts, ruf ich nachts,
Nicht fallen – ich höre es, schreibe es

Nicht in den Wind, im Winde flattert
Die Fahne Schmerz und unterm Schnee
Sickert dein Blut aus
Dem dünnen Körper in die Erde, ich ersticke

An dem Gedanken – die Zeit. Die Zeit, sagt Kleist,
Ist entartet. Der Tod lebt

In zerfransten Kleidern, in geschundener
Haut, geht schnellen Fußes
Hinter dir, hinter mir, dem Juden, her,
Der Tod, der Tod – jawoll, der Tod!

Horst Samson

 

 

Paul Celan: Dichter ist, wer menschlich spricht. Ein Film von Ulrich H. Kasten und Hans-Dieter Schütt mit Eric Celan und Bertrand Badiou.

 

Gerhart Baumann hielt seinen Vortrag Paul Celan: Um-Wege zu sich und die offene Frage des Gedichts auf der Tagung Vom Sinn moderner Lyrik am 23. Januar 1971 im Haus der Katholischen Akademie in Freiburg.

 

 

Niemand zeugt für den Zeugen. 100 Jahre Paul Celan. Literarische Soirée am 30.9.2020 im Haus am Dom Limburg.

 

„wir wissen ja nicht, was gilt“ – Paul Celan zum 100. Geburtstag

 

Ein Abend zu Paul Celan am 18.5.2020 im Literaturhaus Berlin mit Hans-Peter Kunisch und Thomas Sparr. Es moderiert Eveline Goodman-Thau.

 

Paul Celan, Czernowitz & die „Todesfuge“. Helmut Böttiger berichtet.

 

Erreichbar, nah und unverloren. Reisen zu Paul Celan. Teil 1. Gespräch mit Helmut Böttiger.

 

Todesfuge – Biographie eines Gedichts. Alexander Suckel im Gespräch mit Thomas Sparr am 17.4.2020 im Literaturhaus Halle.

 

„Ästhetik und politische Dimension der Dichtung Paul Celans“. Mit Helmut Böttiger, Thomas Sparr und Monika Rinck; Moderation: Dieter Stolz am 23.11.2020 im Literaturforum im Brecht Haus.

 

Paul Celan in Europa – Videogespräch am 22.9.2020 im Rahmen der trilateralen Forschungskonferenzen 2020–2023 in der Villa Vigoni.

 

Paul Celan übersetzen – Gabriel Horatiu Decuble im Gespräch mit Ton Naaijkens und Alexandru Bulucz, Moderation Ernest Wichner am 6.11.2021 im Literaturhaus Halle im Rahmen der Tagung „Was setzt über, wenn Gedichte übersetzt werden“.

 

Clément Fradin, Julia Maas und Michael Woll stellen Paul Celans Bibliothek im Deutschen Literaturarchiv Marbach vor.

 

„Die Todesfuge. Zur Biographie eines Gedichts im Archiv“ – Thomas Sparr im Gespräch mit Jan Bürger, Kai Uwe Peter und Michael Woll

 

Michael Woll stellt Paul Celans Nachlass im Deutschen Literaturarchiv Marbach vor. Im Mittelpunkt stehen dabei die Hölderlin-Bezüge in Celans Texten.

Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Kehraus mit Celan

Zwischen „Grabschändern“ und „Linksnibelungen“. Wolfgang Emmerich im Gespräch mit Michael Braun über Paul Celans Verhältnis zu Deutschland und seinen deutschen Kritikern.

Carolin Callies, Ann Cotten, Daniela Danz, Aris Fioretos, Norbert Hummelt und Rainer René Mueller kommentieren Paul Celans Gedicht „Was es an Sternen bedarf“.

 

 

Paul Celan liest Gedichte in Jerusalem am 9.10.1969

Zum 50. Todestag des Autors:

Daniel Jurjew / Klaus Reichert: Paul Celan: Ich sehe seine Hellsichtigkeit, bei anderem denke ich einfach: er übertreibt
Frankfurter Rundschau, 19.4.2020

Gregor Dotzauer: Das Eigene und das Andere
Der Tagesspiegel, 19.4.2020

Susanne Ayoub: Es ist Zeit, dass es Zeit ist
Der Standart, 19.4.2020

Sandro Zanetti: Akute Dichtung: Celans Zumutungen
Geschichte der Gegenwart, 19.4.2020

Friederike Invernizzi: Sprechen zwischen Wunde und Narbe
Forschung & Lehre, 19.4.2020

Frank Trende: Die bewegende Geschichte der Todesfuge
shz.de, 19.4.2020

Dunja Welke: Paul Celan – Ein zerrissener Dichter
RBB, 18.4.2020

Stefan Lüddemann: Paul Celan, Dichter des Holocaust, starb vor 50 Jahren
Neue Osnabrücker Zeitung, 19.4.2020

Shmuel Thomas Huppert: Erinnerungen an Paul Celan
SR 2, 26.2.2020

Christoph Bartmann: Ein Riss, der nicht zu heilen war
Süddeutsche Zeitung, 20.4.2020

Christine Richard: Ein Leben, immer nahe am Untergang
Tages-Anzeiger, 20.4.2020

Anton Thuswaldner: „Die Welt ist gegen mich losgezogen“
Salzburger Nachrichten, 19.4.2020

Klaus Reichert im Gespräch mit Niels Beintker: Erinnerungen an Begegnungen und Gespräche mit Paul Celan
BR24, 20.4.2020

Rüdiger Görner: Asche atmen: Zu Paul Celan
Die Presse, 23.4.2020

Marko Martin: Paul Celan und die „Linksnibelungen“
Welt, 27.4.2020

Evelyne Polt-Heinzl: Paul Celan Ein Migrant in Wien
Die Furche, 8.4.2020

 

 

Zum 100. Geburtstag des Autors:

Andreas Wirthensohn: Todesklage für die Überlebenden
Wiener Zeitung, 21.11.2020

Klaus Demus: „Eine sehr große Freundschaft“
literaturoutdoors.com, 22.11.2020

Claus Löser: Fünf Filme für Paul Celan
Berliner Zeitung, 21.11.2020

Krisha Kops: Paul Celan: Dichter, Überlebender, Heimatloser
Deutsche Welle, 22.11.2020

Ulf Heise: Lyrik als Flaschenpost
Freie Presse, 22.11.2020

Susanne Ayoub: Paul Celan: Verlust der Heimat, Trauer um die Eltern
Der Standart, 22.11.2020

Wolf Scheller: Was nicht gesagt, nur angedeutet werden kann
Der Standart, 23.11.2020

Andreas Montag: Dichter Paul Celan – Der Schleier des Herbstes
Mitteldeutsche Zeitung, 23.11.2020

Andreas Müller: Paul Celan – zum 100. Geburtstag
Wiesbadener Kurier, 23.11.2020

Stefan Kister: Unter die Deutschen gefallen
Stuttgarter Zeitung, 22.11.2020

Paul Jandl: Vielleicht war Paul Celan einmal ganz er selbst. Da spielte er die Dürrenmatts beim Tischtennis in Grund und Boden
Neue Zürcher Zeitung, 23.11.2020

Sabine Glaubitz: Er schrieb das Unsagbare auf: Nachkriegsdichter Paul Celan wäre heute 100 Jahre alt geworden
stern, 23.11.2020

Volker Weidermann: Ein Grab in den Lüften
Der Spiegel, 20.11.2020

Jochen Hieber: Im Höhenrausch mit Ingeborg Bachmann
Der Spiegel, 23.11.2020

Stefan Brams: Interview mit Thomas Sparr – Paul Celan stiftet zur Erinnerung an
Neue Westfälische, 23.11.2020

Helmut Böttiger: Die graue Sprache
Süddeutsche Zeitung, 22.11.2020

Helmut Böttiger: Auf der Suche nach einer graueren Sprache
Jüdische Allgemeine, 21.11.2020

Albrecht Dümling: Die Todesfuge in Tönen
Deutschlandfunk Kultur, 20.11.2020

Nikolaus Halmer im Gespräch mit Barbara Wiedemann: Paul Celan: „Es sind noch Lieder zu singen jenseits der Menschen“
Die Furche, 11.11.2020

Harald Seubert: Lieder jenseits der Menschen und kodierte Zeit: Paul Celan (1920–1970). Zum Gedenken
youtube.com, 15.6.2020

Celebrating Paul Celan: An Evening with Pierre Joris and Paul Auster
youtube.com, 21.11.2020

Stadtführung „Auf den Spuren von Paul Celan“
youtube.com, 10.9.2020

Paul-Celan-Literaturtage 2020. Videopräsentation vom Paul Celan Literaturzentrum Czernowitz

Ausstellung Paul Celan 100 – Unter den Wörtern

Online-Begleitprogramm zur Ausstellung Paul Celan – Meine Gedichte sind meine Vita

 

 

West-östliche Konstellationen. Internationale Tagung als hybride Veranstaltung im Lyrik Kabinett, München, sowie online.
Tagungskonzeption und -organisation: Prof. Markus May und PD Dr. Erik Schilling (Institut für deutsche Philologie der LMU München)
8.–9.10.2020

Eröffnung

 

Ambivalente Topographien. Rilkes Dritte Duineser Elegie und Celans „Walliser Elegie“

 

„West-östliche“ Lesarten im Jahrhundert nach Celan

 

Das Schweigen über Brücken. Orte Celans bei Robert Schindel

 

Abendvortrag: Todesfuge. Biographie eines Gedichts

 

„Wortaufschüttung“. Materialität als Indexikalität bei Paul Celan

 

Betreten. Zum Anfang von Engführung

 

Celans Draußen. Über reale und sprachliche Räume in seiner Dichtung

 

„Stimmen vom Galgenbaum“. Celans west-östliches Rotwelsch

 

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Kalliope + Georg-Büchner-Preis 1 & 2
Porträtgalerie: Keystone-SDA
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Nachrufe auf Paul Celan: Neue Literatur ✝︎ NZN



Paul Celans Todesfuge interpretiert von Diamanda Galas im Teatro Albeniz, Madrid, 15.10.2008.

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