– Zu Ester Naomi Perquins Gedicht „Ach, Junge“ aus Stefan Wieczorek und Christoph Wenzel (Hrsg.): Polderpoesie. –
ESTER NAOMI PERQUIN
Ach, Junge
Sprich doch mal normal und leg die Axt weg, die Menschen
hängen zwar an den merkwürdigsten Dingen, aber aus ihren Augen
kannst du doch wohl allerhand ablesen
immer dieses Drinnen-sein, warum bloß, wenn du auch nach draußen kannst
um dort jemandem zu gefallen, sprich doch mal normal
du brauchst doch eigentlich gar nicht mehr als einen Graben
oder einen Baum und weißt du, was wir früher konnten
mit nur einem Ast, ein Ast war Allmacht Junge
ganze Tage saßen wir auf Steinen oder unter Dachpfannen
wo es von gerade geschlüpften Vögeln wimmelte und wir
fliegen lernten und was willst du
mit Kanonen solchen Kalibers
die fallen doch jedem auf, kippen dein Floß bloß zur Seite
und schau deine Schultern an so mager bist du,
für die Kugeln brauchst du Muckis.
Ach, merkst du denn nicht, Junge, dass es alles vorbei ist,
deine Stimmbänder sind fertig, der Sommer
beinah durch, dein Wachstum schon lange am Ende –
scheint mir nach dem Genuss einer jüngst publizierten, umfangreichen Anthologie mit 21 Autoren, woraus dieses Gedicht genommen ist, sprachlich hin- und herzuwippen: zwischen der Kunst des Torfstechers und den Fähigkeiten der königlichen Hofjuweliere. Beide sind Experten auf ihrem Terrain. Ein besonders kostbares Beispiel für diese unverkrampfte Variabilität des poetischen Sprechens ist die 1980 in Utrecht geborene Dichterin Ester Naomi Perquin, die gegenwärtig auch das Amt der Dichterin des „Vaderlands“ in den Niederlanden ausübt. In ihrem Werk finden sich zahlreiche Gedichte im hohen Ton, verspielt und bildreich, doch hier in „Ach jongen“ herrscht die Umgangssprache vor, ein Parlando, das bei weniger begabten Dichterinnen leicht danebengehen kann. Warum funktioniert gerade in diesem Gedicht, welches sich das Thema etwa der männlichen Gewalt und Plumpheit gibt, ein Stil, dessen virtutes dicendi zugegebenermaßen wenig glänzen, so vorzüglich? Weil die Revolte gegen den „jongen“ hier nicht verbohrt oder belehrend daherkommt, sondern mit einem – nicht einmal leicht genervten, nur – müden Wimpernschlag und einem Gähnen inszeniert wird: „Sprich doch mal normal und leg die Axt weg“.
Ester Naomi Perquin, die während ihres Studiums im Knast jobbte, verwendet Bathos statt Pathos. Dadurch gewinnt allerdings das lyrische Subjekt hier eine entrückte Majestät gegenüber dem halbstarken Objekt in dieser zärtlichen Besingung eines Hooligans, eines Terroristen, eines Kleinganoven. Und um die axtschwingende Kraft vollends als lächerliches Aufbäumen oder als einen einfallslosen Akt des Terrors zu demaskieren, scheut dieses Poem auch nicht die sonst wohl nur in der Gerichtsrede zu findende Conclusio mit finalem schlagendem Argument. Die Stimmbänder sind ausgebildet, das Wachstum vollendet, sodass Perquins Poem in einer fast – vielleicht bei Martin Opitz zu lesenden oder bei Harmen van Steenwyck zu sehenden – barocken Unwiderrufbarkeit kulminiert „het af is allemaal“.
Paul-Henri Campbell, Volltext, Heft 2, 2018
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