– Zu Martín Gambarottas Gedicht „Die ideenlose Intelligenz…“ aus Martín Gambarotta: Pseudo. –
MARTÍN GAMBAROTTA
Die ideenlose Intelligenz
des Blitzes ist seine Geschwindigkeit.
Mit bloßem Auge kann man
einen Blitz ist flüssige Zeit.
All das ist widerlegbar.
Ja, es stimmt:
Der Blitz kommt von hinten
als Lichtschock
an einem schwarzen Tag
der Blitz definiert so
die Zeichen der Zukunft.
aus dem buchlangen Poem Seudo (dt. „Pseudo“), das bereits im Jahr 2000 bei proyecto LUX in Bahía Blanca erschien, führt zu den produktiven Widersprüchen im Werk des argentinischen Dichters Martín Gambarotta (geb. 1968). Während der Dichter aufgrund der Militärdiktatur in Argentinien (1976–83) seine Jugend in London verbringt, verhandeln seine ersten beiden Gedichtbände Punctum (1996) und Seudo durchaus narrativ die neokonservativen 90er-Jahre unter dem korrupten Regime von Carlos Menem. Auf der einen Seite greifen seine Texte also politische Realien auf (oft mit ironischer Einspielung von den etwas angestaubten Kulissen und Figuren des Kalten Krieges) und andererseits – wie hier – begegnet man Gedichten, die ganz dem Geist des Vortizismus und dem Imagismus verpflichtet zu sein scheinen. Man beachte dazu etwa die Emphase auf „velocidad“ (dt. „Geschwindigkeit“) sowie die totale Verachtung für farbige oder starke Verben (stattdessen „ist“). Dem raschen Eindruck steht hier eine eher ideengeplagte, komplexe Theorie der Geschichte zur Seite: Diese entfaltet sich sodann in den umliegenden Gedichten als eine Dialektik von „Blitz“ und „Donner“: „Der Blitz ist ein einziger / hat keine Spezies. Jeder Blitz / ist Blitz / von demselben Blitz. / Verästelung der selben Lichtquelle“ gefolgt vom Text „Man versteht jetzt / dass der Donner / auf den Blitz folgt. / In beiden Gesten liegt / die Himmelssprache“ und dann schließlich: „Der Donner, könnte man sagen / spricht durch sich selbst. / Der Blitz spricht nicht. / Er schreibt“. Der Hl. Hieronymus hätte nicht schöner sagen können, was hier durchs postmoderne Kaleidoskop marxistischer Poetik in den Blick genommen wird: Geschichts- und Sprachphilosophie mit einer glitzernden Grundierung aus Theologie. In Interviews wird Gambarotta nicht müde, die oft in Debatten um postkoloniale Literaturen zitierte Vorstellung von Dichtern an der Peripherie (der globalen Zentren) zu beschwören, die ursprünglich von Borges popularisiert wurde, wonach dort an den Peripherien Bewegungen und Gedanken reinterpretiert und weniger orthodoxen Formulierungen zugeführt werden können.
Paul-Henri Campbell, Volltext, Heft 3, 2017
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