Paul-Henri Campbell: Zu Mila Haugovás Gedicht „Amalgam (e)“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Mila Haugovás Gedicht „Amalgam (e)“ aus Mila Haugová: Zwischen zwei Leeren

 

 

 

 

MILA HAUGOVÁ

Amalgam (e)

Körper ist wo aufgezeichnet wird
eine tiefe geologische Engstelle
das Blut ein rotes Fossil
aus tiefem unbewussten Verlangen

gedoppelt im Gewebe (diskreter
Zellen) wo reine Körperlichkeit
möglich ist:

die Liebe hüllt es ein reinigt
eine Seele auf Siegeskurs
es verfließen Sichtbares und Sehende
(der Flugplatz war in Ivanka an der Donau)
Über dem Horizont ein roter Zeppelin

(18. Juli 2016)

 

Mila Haugová präsentiert ihrer Leserschaft

hier ein Amalgam aus unterschiedlichen Quellen des Metaphorischen. Schon die erste Strophe schiebt skriptural den Körper als Verzeichnis in den Vordergrund, überlagert dieses Bild mit geologischen und geogeschichtlichen Schichten, um in der vierten Zeile in einer tiefenpsychologischen Sprache des Verlangens anzukommen. Die 1942 in Budapest geborene Dichterin blickt auf ein bewegtes Leben zurück, das auch auf mehrjährige Stationen in Kanada schaut und in dem sie neben der Agrarwissenschaft offenbar auch wusste, das Feld der Literatur zu bestellen, da sie eine Dekade lang (1986–1996) die Zeitschrift Romboid edierte und zahlreiche Übersetzungen (etwa von Friederike Mayröcker) ins Slowakische besorgte. Nun liegt in der sensiblen Verssprache von Anja Utler eine weitere Übertragung von Mila Haugová mit dem Titel Zwischen zwei Leeren vor. Darin finden sich fünf Amalgame, die die Autorin alphabetisch reiht und deren Titel auch das poetische Verfahren bezeichnen, womit Mila Haugová ihre hochempfindliche Antenne in das Signalgewitter ihres Lebens hängt: Den Körper modelliert die Autorin hier zu Ausdruck, Speicher und Sehnsuchtsgestalt, das Gedicht zur skripturalen Legierung ihrer Lebenschiffren. Mehr noch: „verfließen Sichtbares und Sehende“ will heißen Angeschautes und Schauendes, Objekt und Perspektive laufen ineinander, verwischen sich nicht, sondern verschmelzen im Poem. Wie ein kalter Blitz ist hier, was in der Topografie der Erinnerung gewiss scheint: Da war ein „Flugplatz“, da war „Ivanka an der Donau“, darüber wohl fast wie in einem Traum fernab „ein roter Zeppelin.“ In einer Zeit, da das menschliche Bewusstsein ohnehin permanent in Emotion und Ungefährem zu schwimmen scheint, empfinde ich diese Gedichte als stille Exerzitien, die jenes einüben, was einzuholen wäre – bei jedem von uns.

Paul-Henri Campbell, Volltext, Heft 4, 2021

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