– Zu Svend Johansens Gedicht „Zufall“ aus Peter Urban-Halle und Henning Vangsgaard (Hrsg.): Licht überm Land. –
SVEND JOHANSEN
Zufall
Indem ich nicht suche
Werde ich finden
Indem ich nicht plane
Wird ein Plan entstehen
Alles andre ist ein Würfelwurf
Nur der Zufall kann den Würfelwurf
Aufheben
Der dänische Dichter Svend Johansen (1922–1998) jedenfalls, hier in der Übersetzung von Peter Urban-Halle, schlägt einen antithetischen Ton an, den man auch im Umfeld der Bergpredigt (z.B. Mt. 7:8) oder bei dem Propheten Jeremia (Jer 29:13) finden könnte. In der dänischen Fassung des Evangeliums wohl: Den, der søger, finder. Der kleine, feine Unterschied bei Svend Johansen, diesem Dichter der Koinzidenz, jedoch besteht einerseits in der negierenden Providenz („nicht suche / werde ich finden“) und andererseits in dem stimmhaften Ich, der ersten Person des lyrischen Ichs. Und noch etwas. Dies: Die unselige Gewissheit, mit der dieses Gedicht sich dem Zufall hingibt oder anheimgibt oder ausliefert oder schenkt. Man weiß es nicht, denn „alles andre ist ein Würfelwurf“.
Svend Johansen lehrte nach dem Studium in Paris zunächst an der Sorbonne Dänisch, um dann1955 an der Universität Kopenhagen französische Literatur zu unterrichten. Einige Jahre lang (1958–1964) wird Johansen Theaterkritiken verfassen und mit dem Gedichtband Forløb debütieren. Sein Übersetzer Peter Urban-Halle schreibt: „Johansen hatte eine glänzende Universitätskarriere, seine Abhandlung über den Symbolismus wurde 1945 ins Französische übersetzt und 1972 neu aufgelegt [… Er] war verehrt und geliebt von seinen Studenten – doch eines Tages verließ er seine Vorlesung, ging nach Hause und blieb dort und schrieb Gedichte.“ In diesem Sinne scheinen die Anspielungen auf Stéphane Mallarmé zwanzigseitiges, die Moderne im Würfelwurf gebärendes Gedicht „Un Coup De Dés Jamais N’abolira Le Hasard“ (1898) fast brachial. Aber auch hier schmuggelt Svend Johansen eine sonderbare Umkehr hinein: aufgehoben wird der Würfelwurf im aktiven Umarmen des Zufalls, abgeschworen wird einer Kausalität des Tun-Könnens und Tun-Müssens, des Tun-Sollens. In sieben Zeilen zelebriert dieser Dichter mehr als ein Wortspiel des Zufalls, vielmehr eine fast pragmatistische Haltung zu den Dingen: Nimm die Würfel, wie sie fallen. Dieses Gedicht ist nur ein funkelndes Fundstück aus der alle Epochen umfassenden Anthologie der dänischen Lyrik Licht überm Land, die Neuübersetzungen mit klassischen Übertragungen kombiniert und in einer beglückenden Auswahl präsentiert.
Paul-Henri Campbell, Volltext, Heft 3, 2021
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