– Zu Tomasz Różyckis Gedicht „Ende der Zeiten“ aus Tomasz Różycki: Der Kerl, der sich die Welt gekauft hat. –
TOMASZ RÓŻYCKI
Ende der Zeiten
Ach, ich sage euch, so viele Zeichen, so viele Wunder,
in jedem Augenblick: Nebel morgens, Nebel abends,
die ganze Stadt in einer einzigen Pfütze. Die rostige
Pforte drückt ein Muster in die Hand, im Dämmerlicht
kämmen Krähen das graue Gras. Für alle Fälle sende ich
keine Briefe, rauche Zigaretten nicht auf, zähle die Striche
im Spiegel, verberge die Hände hinterm Rücken. Draußen bremst
ein Zug, um dem Regen zu begegnen. Ich habe den Ausweis
verloren und stelle keine Forderungen. Was kann das alles
bedeuten, sagt es mir, ich habe versucht, mit ihm darüber
zu sprechen, nachts kostet es weniger, aber besetzt,
besetzt. Morgens öffne ich die Tür, ich öffne die Zeitung,
die Augen, kein einziges Wort. Oh, ich sage euch, wie viele
Zeichen, wie viele leere Stellen.
fühlt sich offenbar nicht dem Erzähler der Johannesoffenbarung nah, denn er verfasst „für alle Fälle […] keine Briefe.“ Und doch findet sich in diesen 3 mal 4 Zeilen alles, was es zu einer Apokalypse bedarf, an deren Ende die Türen offen, die Zeitungen leer sind. Einige signifikante Verschiebungen sind jedoch festzuhalten: das Symbol der Hand, das im biblischen Text gestisch und deiktisch relevant ist, ist hier „hinterm Rücken,“ wo sich in der Offenbarung Erzähler und „Menschensohn“ gegenüberstehen, zählt das Ich hier „die Striche im Spiegel.“
Der lakonische Eingang des Gedichts erzeugt eine Atmosphäre der erschöpften Zeichen und einen Überdruss an Wundern. So scheint hier der Übersetzer von Mallarmé und bereits 2004 selbst ins Deutsche übersetzte Poet eine Offenbarung gegen die Offenbarung vorzulegen, eine Offenbarung der „leere[n] Stellen.“
Paul-Henri Campbell, Volltext, Heft 2, 2019
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