Per Højholt: Der Kopf des Poeten

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Per Højholt: Der Kopf des Poeten

Højholt-Der Kopf des Poeten

INSCHRIFT

Der Abend ist ein Würfel, weh den Eingeschriebenen
Ein Würfel von dem eine Seite stets verbor ist
für den Eingeschr hier Hintergrund genannt
Ein Hintergr der vor allem von Nesseln erfüllt ist
Mit der Sonne stiehlt sich ein Schatten hervor
hier Mücke genannt verbor für den Eingeschr
In den Eichen aus Mücken eine vibrierende riesige
Oberfl. Durch Nesseln eine Schnecke auf Wandersch
Sonnenunterg hier Vogelflug genannt
findet im Kieferngestrüpp statt verbor für den Hintergr
Durch Nssln eine Schnck. Im Grunde kein
Nchts. Der Abend hier Abend genannt ist ein Würfel
hier Gedicht genannt, wir die Eingeschr

 

 

 

Per Højholt

Dieser äußerst schwierig zu übersetzende Autor ist einer der populärsten Dänemarks. Wohl keiner hat so konsequent die Zerstörung der herkömmlichen Sprache betrieben, um zur autonomen Sprache der Poesie vorzudringen, und dennoch die „normalen“ Leser für sich gewonnen. „Dichten“, sagt er, „ist sinnliches Vergnügen, Erkenntnis und Lachen“.

Poesie und Theorie der Poesie gehören bei Højholt auf natürliche Weise zusammen. Deshalb ist dieser Band so konzipiert, daß die Gedichte der drei großen Schaffensperioden Højholts jeweils im unteren Drittel der Seite von einem wichtigen Essay begleitet werden.
Eine CD mit historischen Aufnahmen von Højholts oft showähnlichen Rezitationen (unterlegt mit der deutschen Übersetzung) rundet das Porträt ab.

Straelener Manuskripte Verlag, Verlagskatalog, 1998

 

Kopfnahrung

Einfach lesen kann man diese Gedichtsammlung nicht. Das Auge springt von rechts, von der deutschen Übersetzung, nach links, zum dänischen Original, um dem Ohr Material für einen Klangeindruck zu liefern. Unten am Seitenfuss schlängelt sich Prosa dahin, keine Interlinearversion, sondern ein Essay: Kopfnahrung. Das allerdings ist diese Lyrik selbst auch. Spätestens seit Baudelaire begleitet die Poetik die Poesie, ist das Dichten nicht mehr ohne das Darüber-Denken vorstellbar. Mallarmé, der diese Entwicklung an ein Ende trieb, an ein Cap Finisterre der Literatur, ist der Anreger und Bezugspunkt des dänischen Dichters Per Højholt, Jahrgang 1928 und bei uns bis jetzt nahezu unbekannt. Eine schöne Ausgabe der Straelener Manuskripte verschafft einen Zugang zu seiner schwierigen Lyrik (dem Ohr wird mit einer beiliegenden CD geholfen, auf der Højholt selbst liest). Zentraler Begriff bei Mallarmé (und Højholt) ist das Nichts, dem sich der Vers anzunähern versucht, indem er die Bedeutung, die er produziert, zugleich wieder zerstört. Mit „Wirklichkeit“ wollen diese Gedichte nichts zu tun haben, sie konstituieren ihre eigene Welt, die mit dem letzten Punkt wieder untergeht. „Texte produzieren keine Bedeutung, sondern Produktivität, Bedeutungsfähigkeit“, sagt Højholt; dazu brauchen sie den Leser, der seine Erwartungen vom Text konterkariert sieht, ihn mit seiner Deutung konfrontiert, diese am Text zerschellen sieht, and so on.

ebl., Neue Zürcher Zeitung, 15.4.2000

Auf den Bühnen des Verschwindens

– Das Gedicht dient nicht mehr. –

Er fliegt nicht mehr. Er steigt nicht mehr zur Sonne auf, um im Scheitelpunkt des Flugs seine in Zeit und Geschichte eingekerkerte Existenz zu transzendieren: Das Drama ist gestrichen, übriggeblieben ist sein Kopf. Als Leergut der Ausstattung dümpelt er am Rand des Naturtheaters, dessen Zentrum er einst war. Der ikarische Mythos, Inbegriff der künstlerischen Häresie, hat ausgedient.
Der Kopf des Poeten überschreibt der Däne Per Højholt seinen respektlosen Nachruf auf die mythische Aura des Künstlers. Vor dem Hintergrund seines Werks ist das Gedicht umfassender zu verstehen: als Bruch mit den klassizistischen Traditionen der Moderne und als Antwort auf eine ihrer Primärszenen, wo in einer profanen Kontrafaktur der neutestamentarischen Jordanszene Stephen Dedalus noch einmal seinem „Lufttempel“ entgegengeschickt wird, in Joyce’ Porträt des Dichters als junger Mann.
Die kleine Kunstgeschichte Højholts hat die Form eines Triptychons. Wie er die Dreiteiligkeit des traditionellen Altarbildschemas für seinen Bildersturz nutzt, wie er die Austreibung aus dem mimetischen Paradies und die Einsetzung des neuen, nicht mehr unter Bäumen, sondern unter Wörtern schlafenden Adam dem Auf- und Abgesang überläßt, das ist ein erstes Beispiel für die stupende Formintelligenz des Autors.
Ins Zentrum rückt er die ikarische Meereslandschaft, wie Pieter Breughel sie malte: aller Naturgesetzlichkeit spottend. Die erste Natur, heißt das, steht der Sprache nicht mehr zur Verfügung. Vorbei sind die Zeiten, als die Worte Lerchensang und Frühlingshauch ersetzten und in materiallöslichen Reinigungstechniken zum geistigen Prinzip sublimierten. Die „Findlinge“, die Højholts Zunge allenfalls noch erreicht, sind Wörter.
Das Ikarus-Gedicht ist das programmatische Zentrum einer Werkauswahl, mit der die Herausgeber und Übersetzer Peter Urban-Halle und Henning Vangsgaard einen Überblick über die drei großen Schaffensperioden des Autors geben. Der inzwischen 71jährige Højholt, der 1963 mit dem Gedichtband Der Kopf des Poeten den Durchbruch schaffte und zwei Jahre später seinen Dienst als Bibliothekar quittierte, ist neben lnger Christensen und dem jungen Søren Ulrik Thomsen der bekannteste Lvriker seiner Heimat. Seine Gedichte entwickeln die exklusivsten Traditionslinien der Moderne fort, die von Mallarmé begründeten – kein Baum, kein Strauch, der in vertrauter Weise das Buchstabengebiet überwuchert und die nackten Tatsachen von Logik und Grammatik verdeckt. Doch das Gedicht wird keineswegs gerodet. Sein Inventar wird nur wahrheitsgemäß ins Atelier verpflanzt. Højholts Gedichte sind lebendige Schauspiele der Produktion. Er selbst hat sie mißverständlich als „Masken des Nichts“ bezeichnet. Das ist seine Formel für den symbolistischen Bruch mit dem repräsentativen System und den Schritt in die pure Sprachlichkeit.
Der betreffende Essay aus dem Jahre 1972, Mallarmé-Kontroverse, erweist sich neben den theoretischen Arbeiten aus späterer Zeit als Durchgangsstation innerhalb eines work in progress, das sich dynamisch und immer wieder auch in Form von Revisionen fortentwickelt. Die Unruhe des Theoretikers Højholt ist eine Bedingung seiner besonderen Form des Arbeitens und Grund für seine Sonderstellung, auch innerhalb der eigenen Kunstfraktion.
Der Konkreten Kunst etwa gehört er nur insofern zu, als seine Gedichte selbstreflexiv sind, eine vollkommene Einheit von Wahrnehmen und Wissen, Poesie und Poetik. Aber wie er das selbstaufklärerische Moment des Gedichts mimisch, gestisch, szenisch belebt, wie er dem Denken, Zweifel, der Blasphemie, die er als Orte seines Gedichts bezeichnet, eine Schaubühne und lieber noch eine Zirkusarena oder die Brettl’n des Lachtheaters verschafft, das hat nicht seinesgleichen innerhalb der Experimentkunst. Der Konkreten Poesie öffnet er Wege aus den Fesseln der reinen Lehre in eine Praxis, die dem Versgebilde jenseits der Sprachebene eigene Bedeutungsmöglichkeiten öffnet. Das Gedicht dient nicht mehr. Statt über etwas eine Aussage zu machen, ist es selbst etwas, eine „Show“, deren Einheit transitorisch, deren Raum eine Funktion der Zeit ist, eine Bühne des Verschwindens.
Mit dem Wechsel des Standbeins macht er sich verlassene Sprachräume der Dichtung neu zugänglich, etwa das Arsenal substituierender Redefiguren, deren Abschaffung die Moderne auf den Weg brachte. Über die Metapher denkt er nach, als habe es Orthodoxien auf dem Felde nie gegeben. Die Redefigur, die eine Wirklichkeit nicht hat und eben darum imstande war, Sichtgrenzen zu durchbrechen, gewinnt unter den Bedingungen seiner Praxis eine Wirklichkeit aus Sprache. Das Gedicht & Lorca huldigt ohne jeden Vorbehalt der glühenden Metaphernsprache des Spaniers. Aber mit dem bestimmenden Begriff im Schlußvers macht die Bildwelt des Gedichts den bei Højholt typischen Schritt auf die Performancebühne des Textes.
Oktobers Tür zur Unzeit heißt ein tageliedförmiger Texthaufen. Er ist das Produkt einer morgendlichen Kollision von Außenwelt und Innerlichkeit. Dem sintflutartigen Oktoberregen draußen vor der Tür setzt der Erwachende in schwellender „Venusmanier“ die lustvolle Mitgift seiner Morgenträume entgegen: einen Maulwurfhaufen aus Versen. Das Gedicht ist überwältigend schön und komisch – und es ist selbstbewußt, über seine erotischen Ursprünge gründlich aufgeklärt.
Zu den Bedingungen solch eruptiver Präsenz im Gedicht gehören Højholts Darstellungen von Abwesenheit. Die überschüssige Person überschreibt er seine kabarettistische Nummer als Naturdichter. Das Gedicht besteht aus dem maulenden Kommentar des Naturbetrachters, der drauf und dran ist, angesichts der Schönheit eines lachenden Frühlingstags wieder seelenvoll romantisch zu glotzen bis Schwäne die Harmonie stören. Nun ist das Bild überfüllt. Der Verstand regt sich kritisch und gewinnt die Oberhand zurück: „Unter diesen Umständen bin ich als Mangel am besten!“ Das Porträt des Dichters als älterer Bahnhof ist ein demontierendes Spiel mit der beseelten Natur und Mondsüchtigkeit des romantischen Naturgedichts. In einer gedichtförmigen Gardinenpredigt, deren Titel Spleen eine Hommage an Baudelaire ist, macht er seine Leserschaft unter dem Namen Egon zur Figur des Gedichts. Egon ist auf der Suche nach Sinn waagerecht durch die Verse unterwegs und offenbar mit dem Mond auf du und du. Jedenfalls klärt Højholt ihn auf, daß sein kahler Onkel nicht am Himmel hängt, sondern Abteilungsleiter der Stadtwerke ist.
Die Geschichte der Literatur könnte beschrieben werden als fortschreitende Entwicklung ihres Negationsvermögens. Was im Bereich der modernen Lyrik auf diese Weise entstand, ein immer kompletterer und stets unfertiger Atlas künstlicher Sprachen, erhält mit den Gedichten des Dänen Per Højholt einen neuen Kontinent. Er erschließt der Lyrik die Reichtümer der Abstraktion. Welche Schlüsselgewalt Begriffen zukommt, demonstriert er in Die deutliche Amsel. Das Wort „Natur“ im Schlußvers genügt, um die menschliche Lebenswelt mit der Amsel in der Latschenkiefer vor dem Fenster zu verkapseln und als flüchtige Zwischenstation des Vogels in die Kulisse des kleinen naturphilosophischen Kollegs zu rücken. Die Wörterwelt Højholts behandelt Natur respektvoll, als Verschlußsache. Das Schöne ist in seinem Fall niemals das Naturschöne.
Schön ist sein Witz, seine Ironie, Lakonie, die bildnerische Kraft seines Scharfsinns, die Hirnsinnlichkeit seiner Gedichte. Die beiden Übersetzer und Herausgeber haben sie vorzüglich ins Deutsche gebracht. In einer schönen zweisprachigen Ausgabe ist uns nun ein großer Unbekannter der Verskunst zugänglich.

Sibylle Cramer, Frankfurter Rundschau, 31.7.1999

Ein Eulenspiegel in sehr heller Luft

– Die notwendigsten Kopfarbeiten des Poeten: 50 Jahre nach seiner ersten Veröffentlichung wird Per Højholt für Deutschland entdeckt. –

Vor fünfzig Jahren veröffentlichte der dänische Schriftsteller Per Højholt seinen ersten Lyrikband. In Deutschland wird er jetzt erst bekannt: Peter Urban-Halle und Henning Vangsgaard legen aus seinen Gedichten und Essays eine Auswahl vor. „Der Kopf des Poeten” lautet ihr Titel – nach einem Buch, das Højholt 1963 herausbrachte, das seine „ersten guten Gedichte“ enthält, wie er urteilt. Wohl deshalb haben die Herausgeber auf frühere Publikationen nicht zurückgegriffen, sich auf die Produktion aus den drei Jahrzehnten bis 1995 beschränkt.
Das Titelgedicht beginnt mit der Zeile: „Weit auf dem Meer dümpelt der Kopf des Poeten.“ Der Poet ist der göttliche Sänger Orpheus: dem reißen im altgriechischen Mythos thrakische Frauen den Kopf ab, nageln ihn an seine Leier und werfen ihn ins Meer, über das er, weithin tönend, zur Insel Lesbos treibt. Was die Thrakerinnen mit Orpheus tun, das tut Højholt mit bestimmten Vorstellungen vom Dichter, vom Dichten, vom Gedicht. Er zerlegt sie, um Grundlagen für sein eigenes Schreiben zu klären. Diese Klärung hat er über Jahre in mehreren Essays weitergetrieben. Vier davon sind in den Auswahlband aufgenommen worden. Sie erscheinen unterm Strich, unter den zweisprachig wiedergegebenen Gedichten, lassen sich als fortlaufende Fußnote lesen.
Zweierlei will Højholt neu bestimmen: die Funktion des Autors und die Funktion des Textes – beides mit Auswirkungen auf die Rolle des Lesers. Dabei hilft ihm die Auseinandersetzung mit dem französischen Lyriker Stéphane Mallarmé (1842-1898), wie Hugo Friedrich ihn interpretiert hat. Auf dessen Buch Die Struktur der modernen Lyrik (1956) bezieht Højholt sich mehrmals ausdrücklich und führt damit seinerseits jenes „Zusammentreffen von Dichtung und ranggleicher (…) Reflexion über Dichtung“ herbei, das Friedrich zufolge „ein wesentliches Symptom der Moderne ist“.
„Beschreibt nicht das Objekt selbst, sondern die Wirkung, die es hervorbringt“, hatte Mallarmé gefordert.
Die „Wirkung des Objekts in der Sprache“ ist der Text. An ihm – und nur an ihm – kann die Wirkung abgelesen werden. Der Autor hat am Zustandekommen des Textes zwar mitgewirkt, aber als Individuum ist er im Schaffensprozess weggefallen – für Højholt „Mallarmés zweite Entdeckung“. Von jetzt an ist der Leser gefordert, denn der Text wird, so Højholt, „danach streben, ein Ding an sich zu werden, selbstgültig, konkret, etwas, das weiterhin den Einsatz des Autors als Voraussetzung hat, aber kein ausschließliches Ergebnis dessen ist: Leser und Text ziehen sich gegenseitig in eine Bedeutungsproduktion.“
Auch in seinen Essays bleibt Per Højholt Dichter: ein Eulenspiegel mit seinem Leser und sich selbst. Er leistet notwendige Kopfarbeit, doch der Kopf des Poeten Højholt ist nicht kopflastig. „Meine wichtigste sprachliche Inspiration ist die Alltagssprache“, hat Højholt schon 1966 erklärt. Je genauer er die Funktion von Autor, Text und Leser bestimmt, desto größer wird die Leichtigkeit seiner Texte – und ihre Deutlichkeit, wie das Gedicht „Die deutliche Amsel“ zeigt:

Eine Amsel kam geflogen
aus dem Nebelinnern
hier sitzt sie nun
und singt auf einer nassen Latschenkiefer
gleich fliegt sie zurück
zur Natur.

Poesie und Poetik in einem: die Amsel singt, aber nur für die Dauer ihres Singens und nur als Wort ist sie im Text anwesend. Das Gedicht stammt aus dem Band Praksis, 1 (1977), dem bis 1996 elf weitere, fortnummerierte Bände gefolgt sind. Sie enthalten sowohl Gedichte als auch Prosatexte; Praksis, 7 (1988) beispielsweise acht Prosatexte, von denen Tomas Edberg, seine letzten Jahre und deren Beschreibung 1991 in Nr. 162 der Zeitschrift die horen, zu lesen war. Und in Gesprächen mit dem Filmemacher Lars Johannson erzählt Per Højholt von zwei Romanprojekten, an denen er seit 1978 wechselweise arbeitet: Auriculum, ein Roman in sechs Büchern, der anhand eines Querschnitts durch das Jahr 1915 eine Bestandsaufnahme unseres Jahrhunderts bieten soll, und Hans Henrik Mattesen, eine Monographie, ein Roman über ein Original, das auf dem Lande lebt wie Højholt selber, der am 22. Juli 1928 in der Hafenstadt Esbjerg geboren ist und jetzt in Jütland wohnt, 10 Kilometer südwestlich von Silkeborg.
Gedichtetes und Durchdachtes treten bei diesem Autor in ein anziehendes Wechselspiel. Was sich aufbieten lässt, um deutschsprachige Leser daran teilhaben zu lassen, vereinigt der Auswahlband in den Straelener Manuskripten auf vorbildliche Weise: Textauswahl und Nachwort aus genauer Kenntnis des Gesamtwerks, zweisprachige Wiedergabe der Gedichte und eine zweisprachige CD, auf der 25 Gedichte zu hören sind, gut die Hälfte aller ausgewählten. Die Übersetzung folgt dem Wortlaut des Originals so dicht wie möglich. Da Højholt nicht reimt, entstehen für die Übersetzer keine Zwänge zu Verlegenheitslösungen, und zu verwässernder Vielsilbigkeit lässt die Präzision seiner Texte keine Versuchung aufkommen. Die Luft um Per Højhoits Poesie ist hell und tragfähig.

Hanns Grössel, Der Tagesspiegel, 26.9.1999

Die Person in Betrieb

– Nordisch sprödes Zwitschern: Das Werk des Lyrikers Per Højholt. –

Es ist nicht ganz einfach, ein Buch zu lesen, bei dem jede einzelne Doppelseite sich dreigeteilt dem Auge präsentiert: links ein Gedicht in der Originalsprache, rechts in der deutschen Übertragung, und unten ein Essay, der, selbst wenn er sich dafür zu einer Art fortlaufender Fußnote hinabducken muß, darauf beharrt, bei den Gedichten unmittelbar zugegen zu sein, als wollte er dem Leser zurufen: Wage es ja nicht, dich dieser Lyrik zu nähern, ohne auch ihrer poetologischen Grundlagen zur Kenntnis zu nehmen!
Diese entstammen bei dem dänischen Lyriker Per Højholt, 1928 geboren und seit den späten vierziger Jahren tätig, der klassischen Moderne. Sein Gewährsmann ist Mallarmé mit dem Satz: „Nachdem ich das Nichts gefunden hatte, fand ich die Schönheit.“ Er versteht sich als Artist, und als Begriff für seine Produktion, den er nun wieder Roland Barthes entlehnt, wählt er „Show“, als deren elementare Forderungen er nennt: „Künstlichkeit, Leichtigkeit, Leere.“
Nun hatte der Zirkus, die Sphäre der nachprüfbaren, reellen Leistung, die sich dennoch in scheinbar müheloser Anmut und als generöse Verausgabung vollzieht, die Künstler der frühen Moderne, als sie gegen den gravitätischen Pfusch des neunzehnten Jahrhunderts aufbegehrten, zurecht tief beeindruckt. Aber sie hatten sich natürlich getäuscht, wenn sie glaubten, es dem Zirkus nachtun zu können: Denn es ging ihnen und ihren haltbaren und wiederholt zu rezipierenden Erzeugnissen die großmütige und verwegene Augenblicklichkeit ab, die Bereitschaft, sich für die geglückte Sekunde das Genick zu brechen – nur dann hat die Leere, die Højholt beschwört, Überzeugungskraft.
Ansonsten erzeugt sie genau jene Figur, die er mit großem Nachdruck einführt: den „Angestellten seiner Fertigkeiten“, auch „Angestellter des Nichts“ genannt – eine Gestalt so unerquicklich wie ihr Gegentypus, der Dichter als vorbildliche Persönlichkeit und „Genie“. Die Show, die sich völlig der leeren Performance überläßt, büßt den Charme ein und nähert sich der Ödnis des Leistungssports und seiner stumpfsinnigen Rekordtreiberei. Es spricht sehr für Højholt, daß er das schließlich, unüberstürzt (er schreibt seit fünfzig Jahren, und der Band bietet einen Querschnitt seines Werks), doch merkt.

Wenn ich heute zu dieser Poetik Abstand bekunden muß – jedenfalls was mich betrifft –, dann weil ich glaube, daß hinter ihren an und für sich überzeugenden Postulaten die Gefahr einer Klassik lauert, einer ruhigen, wohlbedachten, hohen Poesie, die höher und höher wird, Milieu und Tradition bildet… Auf diese Weise wird Qualität zu einer Frage von Findigkeit und Tricks. So zu schreiben ist nämlich unglaublich schwierig… Kurz gesagt: Man macht seine Erfahrungen.

Zum Glück! Denn sie erstatten den Gedichten einen Inhalt zurück, ohne den sie eitel und verwaist in der Gegend herumstehen; und sie werden kaum besser durch die ausgeklügelte Selbst-Interpretation, die Højholt zweien von ihnen angedeihen läßt – zwei relativ schwachen Gedichten, denn Lyriker scheinen nun einmal dazu verdammt, sich nur an ihren schlechteren Produkten selbst begreifen zu können, während gleich daneben der Quell ihrer Liebenswürdigkeit unbehelligt sprudelt.
Liebenswürdigkeit wächst den Gedichten Højholts im Verlauf des Bandes und der Jahrzehnte in dem Maß zu, wie sie sich entspannen und zugleich mit Erfahrung füllen, von der sie erst nichts wissen wollten; der dritte und letzte Teil trägt (nach „Der Kopf des Poeten“ und „Show“) den Titel „Praxis“. Leichtigkeit ist nämlich keineswegs gleichzusetzen mit Leere. Sie kann sich etwa des sehr bedeutenden Erschreckens annehmen, daß den verletzlichen menschlichen Körper befällt, wenn er der metallenen Unverletzlichkeit der von ihm geschaffenen und benutzten Utensilien ringsherum inne wird:

− der gleiche Schreck wenn man Natur ist:
daß ich nackt zwischen glänzenden harten Elektrogeräten
in der erleuchteten Einbauküche stand: das wohltemperierte Innere ward
tropisch: rosa Flamingos wateten in meinem Blut
und ich jammerte: wer verflucht hat sich meines
privaten Eigentums bemächtigt?

Wie ängstlich, wie zärtlich und überraschend sind diese rosa Flamingos! Und wie entsetzlich wird zugleich die Flüssigkeit, durch die sie waten, das nur ganz notdürftig mit Haut überdeckte Blut, wie bricht es aus dieser anschaulichen und leicht komischen Situation des älteren nackten Mannes in seiner modernen Küche unvermittelt hervor!
Nur so, ahnt man, läßt sich von schweren Dingen sprechen: indem man sie leicht, wie im Vorübergehen antippt, also im kurzen Gedicht – während die Grübelei und das Pathos der Schwere schon erlegen sind, sobald sie die Stimme erheben, darum zur Auseinandersetzung mit ihr nicht taugen.
Das letzte Gedicht des Bandes heißt „& Hölderlin“, ein Dichter, der in mancher Hinsicht als Antipode des späteren Højholt gelten kann; und es ist bezeichnend für ihn, daß er an Hölderlin die Frage richtet:

zur Freude welch anderen Ohrs also fern deines eigenen
rangst du der Qual formulierte Schreie ab?

Højholt erreicht Befreiung dadurch, daß er die eigene Person nur als den ihm zufällig nächstliegenden Fall ergreift und betrachtet, als „Person“ eben; sie taucht in der Überschrift zahlreicher Gedichte auf: „Die Person in Betrieb“, „Der Person liebe Not“, „Die Person angeekelt von ihrer Praxis“, „Die Person reicht aus“.
In diesem letztgenannten Gedicht heißt es, mit einer Geste schwatzhafter Vertraulichkeit, die dem Leser den abstrusen Sonderfall des fremden Ich zugleich naherückt und aufhebt:

… zum Beispiel war mir heute vergönnt, vorm
Supermarkt eine große Kröte zu sehen und mich gleichzeitig damit zu
versöhnen, sie bestimmt nicht noch einmal zu sehen.

Die Begegnung eines Dichters und einer Kröte, das ist in der Tat ein unverhofftes Ereignis – aber nicht von der Art surrealistischer Kontaminationen (deren Anstrengung ihren Anspruch des Automatischen immer schon Lügen gestraft hat): Sondern so, daß die Kontingenz, die so bedeutungsvolle Einmaligkeit das unverwechselbare Spezifische darstellt (auch wenn das Individuum, dem sie widerfährt, selbst am allerwenigsten dafür kann) und damit das einzig offene Tor zum Glück. Der Lyrik fällt damit gerade nicht die Aufgabe der Konzentration zu – das hält Højholt für hochfahrende Naivität.
Das Gedicht „Star & Abschied“ beginnt mit den Zeilen:

Und der Star an diesem Vormittag jener Ulme
am Bahnhof vergoldet, höre ihn! Höre ihn!

Es steht Højholts Lyrik wohl zu Gesicht, daß sie vom fixierten Schriftbild hinaustritt in das transitorische Reich des Ohrs. Dem Buch beigegeben ist eine CD, auf der der Autor und sein deutscher Übersetzer die Gedichte in beiden Sprachen vorlesen. Und so unprätentiös sie das tun, es erschließt dem Werk eine zusätzliche Dimension: die eines Humors, der sich, weil seine Heiterkeit von einer nordischen Kühle ist, dem bloß Lesenden längst entzieht – und auf einmal begreift man die ungezwungene Vergnügtheit oder den anmutigen Nonsens von Abschnitten, die auf Anhieb dunkel schienen, etwa die Lebensabrisse der „Vier Eier“ und der „Sechs B-Eier“.
Die CD beschert dem binnendeutschen Leser und Hörer, der im Zweifelsfall vom Dänischen nur den Gesang des Kochs aus der Muppet-Show kennt, „Smørebrød, Smørebrød, råmtåmtåmtåm”, noch ein Vergnügen, von dem der Autor nun allerdings wenig wissen kann: den Klang der reinen Sprache, den Genuß ihres spröden Zwitscherns, dem ungeübten Hörer nur lautliches Material und doch, wie die feinfühlige Übersetzung von Peter Urban-Halle und Henning Vangsgaard beweist, jeder Nuance fähig. Und man beginnt die tiefe Weisheit in der babylonischen Verwirrung der Sprachen zu bewundern, die es auch dem ausgepichtesten alten Poeten einmal erlaubt, in fremden Ohren zu erschallen wie die Singvögel, die Højholt wiederholt auftreten läßt, wenn sie unbeirrbar und winzig ihr Lied schmettern, „ein Herz umspannt von der Rippe / plötzlich im Schneegestöber oder Verfall.“

Burkhard Müller, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.2.1999

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + Instagram + IMDB

 

Eine Videointerpretation des Gedichtes Turbo von Per Højholt im Jahre 2001.

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