– Zu Daniela Danz’ Gedicht „Masada“ aus Daniela Danz: Pontus. –
DANIELA DANZ
Masada
Wenn du dann stehst wo es still ist dass du
es merkst, wenn das Denken aufhört und
das Hören anfängt wenn das Hören aufhört
und das Sehen anfängt wenn ein Vogel
fliegt wenn du als schwarzer Vogel gleitest
und schreist wenn du zu sprechen ansetzt
in der klaren Luft und von nichts sprechen
kannst als dem Licht so als wäre es das erste
Licht wenn du einen Schatten auf den Fels
wirfst und sagst mein Schatten bleibt
und der Fels vergeht wenn für jetzt wahr ist
dass es gut ist den ganzen Einsatz zu wagen
kannst du die Wüste mit Namen nennen
Ich war noch nie in Masada. Von dem Hochplateau am Ende des Toten Meeres mit Blick in die Judäische Wüste habe ich keine eigenen Vorstellungsbilder. Dennoch vermittelt mir das Gedicht von Daniela Danz aus ihrem Buch Pontus einen Eindruck davon. Es beschreibt ein rauschhaftes Erleben, wie es dieser Ort ermöglicht. Atemlos fließen die 13 Verszeilen dahin, ohne Satzzeichen. Rhythmisiert werden sie durch den immer gleichen Satzanfang mit „wenn“, wobei es einerseits die zeitliche Abfolge und zugleich die Bedingung für die jeweils nächst höhere Stufe der Ekstase anzeigt. Zunächst versiegt das Denken, dieser ewige Wortstrom im Kopf, und die Sinne – das Hören, das Sehen – werden geschärft. Dann verschmilzt die Wahrnehmung mit dem Wahrgenommenen, einem Vogel. Nun selbst durch die klare Luft über der urtümlichen Landschaft schwebend setzt ein neues Sprechen ein – ein Sprechen, das sich langsam der Schöpfungssprache Gottes annähert. Denn nach der jüdischen Vorstellung hat Gott die Welt in ihre Existenz gesprochen:
Er sagte, es werde Licht.
So ist denn auch vom ersten Licht die Rede, vom Schatten, dem sprachlich befohlen wird, dauerhaft zu sein, und schließlich, in der letzten Verszeile davon, jenen höchsten Zustand zu erreichen, in dem es möglich ist, den Namen der Wüste zu nennen. Zuvor jedoch findet sich ein letzter, etwas rätselhafter „wenn“-Satz, der vom ganzen Einsatz handelt. Darin nun zeigt sich die enorme Vielschichtigkeit des Gedichts. Einerseits erinnert er an jene jüdischen Widerstandsgruppen, die im Krieg gegen die Römer in den Jahren 73/74 n.Chr. alles riskierten und bis heute Masada zu einem Erinnerungsort machen. Zugleich verweist der Satz auch auf den Einsatz des lyrischen Sprechens. Somit ist dieses Gedicht bei allen geschichtlichen und räumlichen Bezügen zu Israel immer auch ein Gedicht über das Wagnis der Lyrik.
Peter Hermann Braun, aus Jens Kirsten und Christoph Schmitz-Scholemann (Hrsg.): Thüringer Anthologie. Weimarer Verlagsgesellschaft, 2018
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