Peter Horst Neumann: Zu Alfred Margul-Sperbers Gedicht „Auf den Namen eines Vernichtungslagers“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Alfred Margul-Sperbers Gedicht „Auf den Namen eines Vernichtungslagers“ aus dem Band Alfred Margul-Sperber: Geheimnis und Verzicht. –

 

 

 

 

ALFRED MARGUL-SPERBER

Auf den Namen eines Vernichtungslagers

Daß es bei Weimar liegt, vergaß ich lang.
Ich weiß nur: man hat Menschen dort verbrannt.
Für mich hat dieser Ort besondern Klang,
Denn meine Heimat heißt: das Buchenland.

Entrücktes Leben, unvergeßner Tag:
Der Buchenwald – ich weiß es noch genau,
Wie ich als Bub in seiner Lichtung lag,
Und eine weiße Wolke schwamm im Blau…

O Schmach der Zeit, die meinen Traum zerstört!
Erinnern, so verhext in ihrem Bann,
Daß, wenn mein Ohr jetzt diesen Namen hört,
Ich nicht mehr an die Kindheit denken kann,

Weil sich ein Alpdruck in mein Träumen schleicht,
Ein Schreckgedanke, jeden Sinnes bar:
Ob jene weiße Wolke dort vielleicht
Nicht auch der Rauch verbrannter Menschen war?

 

Das Schöne war des Schrecklichen Anfang

Unter den häufig gebrauchten Dichtungsmotiven gibt es einige, die uns besonders „deutsch“ erscheinen. Zu ihnen gehören das Bild des Waldes und die weiße Wolke, dieses poetische Zeichen für die verfängliche Gleichzeitigkeit von Erinnerung und Vergessen. An Wolkengedichten ist unsere Lyrik verräterisch reich. Ich stelle mir eine Sammlung vor: viel deutsche Innerlichkeit, Romantik, Pfadfinder-Reime und Hitlerjugend-Gesänge neben Hermann Hesses „Wie eine weiße Wolke“ und Brechts „Erinnerung an die Marie A.“ (Sie war sehr weiß und ungeheuer oben / und als ich aufsah, war sie nimmer da.“), Und an den Schluß einer solchen Anthologie wünschte ich dieses unbekannte Gedicht. Mir ist es das deutscheste aller Wald- und Wolkengedichte. Es spricht von der Vergiftung schöner Erinnerung durch unvergeßbare Greuel.
Ein Ostjude, der den Vernichtungslagern entging, hat es geschrieben. Als seine Heimat, die Bukowina, sowjetisch wurde und sich die Mehrzahl der überlebenden Juden nach Israel oder nach Westen wandte, blieb er in der Volksrepublik Rumänien. Zur „Schmach, der Zeit“, von der seine Verse sprechen, gehört auch die Unbekanntheit ihres Verfassers in Deutschland. (Man verwechsele ihn nicht mit Manes Sperber.) Dabei ist Alfred Margul-Sperber (1898–1967) ein Lyriker mit großem Ausdrucksregister. Als Publizist und Übersetzer, vor allem aber als Inspirator vieler Talente war er jahrzehntelang die Leitfigur einer wohl heute noch lebensfähigen deutschsprachigen Literatur im Südosten des alten Habsburgerreiches. Er war auch der Mentor und Freund von Rose Ausländer und Paul Antschel, der sich auf seinen Rat hin Celan nannte.
Celans „Todesfuge“ und Margul-Sperbers Buchenwald-Gedicht sind am selben Ort, zur gleichen Zeit und aus gleicher Erfahrung entstanden. Nur eine Gemeinsamkeit ihrer Sprachform findet sich nicht. Der Ältere hält sich an klassische Muster. Hat er dem Schrecklichen nicht ein „zu schönes“ Gefäß gegeben? Mag sein. Doch diese klassische Formung gewinnt ihr unbestreitbares Recht aus dem Schmerz, den sie uns bereitet. Das Gedicht stellt sich in eine verlorene Tradition deutscher Dichtersprache, um deren Untergang desto eindringlicher zu bezeugen. Das Weimar des deutschen Dichterkultes und das Weimar der gescheiterten ersten Republik – sie sind geistig und topographisch der Vorort jenes Vernichtungslagers. So spricht das Gedicht in der Sprache Weimars von Buchenwald.
In der Lichtung eines bukowinischen Buchenwaldes hatte ein Knabe erstmals begriffen, was Heimat ist. Er war zugleich über deren Enge hinaus, indem er einer weißen Wolke nachsah. Dann wurde das heimathaltige Wort zum Namen des Lagers, über dem eine andere Wolke aufstieg – „der Rauch verbrannter Menschen“. Nun haben in jeweils einem und demselben Wort – Buchenwald, Weimar und weiße Wolke – das Edelste und das Schrecklichste ihre gemeinsame Epiphanie. „Das Schöne“ war „nur des Schrecklichen Anfang“. (Rilke)
Wir sagen, daß Dichtung entstehe, wenn die Sprache die Kraft gewinnt, mehr als nur ein Ding und ein Geschehen mit einem Wort zu benennen. Hier indes verdankt sich der Doppelsinn deutscher Worte keiner Einbildungskraft und keiner „Willkür des Dichters“ (ein Schiller-Wort aus Weimar ), sondern allein unserer deutschen Geschichte: „ein Schreckgedanke, jeden Sinnes bar“.
(Ich würde dieses Gedicht gern aus einer in der Bundesrepublik erschienenen Auswahl der Lyrik von Alfred Margul-Sperber zitiert haben; doch es gibt keine.)

Peter Horst Neumannaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Siebter Band, Insel Verlag, 1983

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