WIEPERSDORF
Wie du nun gehst im späten Regen,
der Mond und Himmel kälter flößt
und auf den laubverschwemmten Wegen
den Riß in die Gespinste stößt,
flammt über Tor und Efeumauer,
die Gräber wärmend, noch ein Blitz.
Und flatternd schreit im hellen Schauer
das düstre Volk am Krähensitz.
Dann ist es still. Der Teich der Unken,
das schuppiggrüne Algenglimmen
tönt klagend nur und dünn und hohl,
metallner Hall in Nacht versunken.
Wo gingt ihr hin? – Geliebte Stimmen,
unsterbliche, wo seid ihr wohl?
Als Johannes Bobrowski 1965 gefragt wurde, ob er Vorbilder unter den Lebenden habe, antwortete er:
Peter Huchel natürlich. Da habe ich es her, Menschen in der Landschaft zu sehen.
Und zuvor hatte er geschrieben:
Da haben wir zwei alten ,Naturmagier‘ beieinander gesessen … und unsere Kümmernisse beredet …
„Naturmagie“, „Menschen in der Landschaft“. Huchel begegnen diese Konzepte schon früh: 1925, als der Kunsthistoriker Fritz Roh den Begriff des „magischen Realismus“ in die ästhetische Debatte einführte, bezieht auch Huchel zum erstenmal das Magische auf sich:
Ich kam von vielen Dingen her,
mit magischer Gebärde,
Tod sprach in mir und Wiederkehr
in Wald und Tier und Erde
Um Wiederkehr, um Landschaft, um das Magische, speziell um den Menschen in der Landschaft geht es auch in der im Dezember 1932 im Rundfunk gelesenen „Selbstanzeige“ zu seinem wegen der Machtergreifung Hitlers wenig später zurückgezogenen ersten Gedichtband Der Knabenteich:
[… ] es ist die Landschaft des Kindes, es ist die Landschaft der Mark, aus der diese Verse ihr Leben ziehen. [Es] muß in ihnen wieder die Kindheit sichtbar werden, ein Stück Natur, ein Stück Leben. […] Niemals wird die Landschaft fotografisch gesehen, niemals wird sie naiv […] besungen […] und meist erscheint sie nur, wenn der Mensch in ihr auftaucht. Oft trägt dann der Mensch die Züge der Natur, und die Natur nimmt die Gestalt des Menschen an.
Die Qualität des Magischen aber erhält sie aus dem Blickwinkel, aus dem Huchel sie betrachtet:
Und da, wo die Landschaft gesehen wird, erscheint sie oft unter einem anderen Licht, gleichsam als sähe man sie durch ein farbiges Glas hindurch. So hielt man als Kind eine bunte oder blakige Glasscherbe gegen den Horizont – und kam, wann immer, tiefer hinter den Tag, anders hinter seine Erscheinungen.
Wie stark Huchel in der märkischen Landschaft verwurzelt war, zeigt der Satz des Augustinus, den Huchel in Interviews und Vorträgen zu zitieren liebte: „… im großen Hof meines Gedächtnisses. Daselbst sind mir Himmel, Erde und Meer gegenwärtig“, wobei er hinzufügte: „Für mich [war] der große Hof meines Gedächtnisses das alte Gehöft in Langerwisch.“ – Und es stimmt: Huchel und die Mark Brandenburg, genauer: Huchel und die Zauche, jene Wald-, Wasser- und Wiesenlandschaft südlich von Schwielow- und Templiner See: das Kind auf dem Hof seines Großvaters in Alt-Langerwisch, der Jungverheiratete eine halbe Wegstunde südlich davon in Michendorf, der reife Mann eine halbe Wegstunde nördlich davon in Wilhelmshorst – vom dritten bis zum 68. Lebensjahr in einem Radius von zwei Kilometern vom Alt-Langerwischer Dorfkrug, das hinterläßt eine tiefe Prägung:
Kindheit o blühende Zauch,
wo wir im nußweißen Tag,
klein im Holunderrauch
waren den Hummeln nach.
Eine Idylle ist diese Landschaft jedoch nicht. Das Magische, das „Anders-hinter-die Erscheinungen-kommen“, von dem er in der Selbstanzeige spricht, seine Großstadterfahrung in Berlin, Paris und Wien, seine Welterfahrung, bewahren ihn vor der Oberflächlichkeit eines nur fotografischen Abbildens, und damit vor aller Provinzialität. Der klare Blick auf die sozialen Probleme des Land- wie des Stadtlebens schon in der Weimarer Republik schützt ihn vor einem Rückzug ins Private, vor jener Innerlichkeit und Selbstbezogenheit, die manche neoromatisch anmutenden Strömungen von den zwanziger bis in die fünfziger Jahre hinein begleiten:
Die Idylle war durchlöchert; ich sah die grausame Seite der Natur, fressen und Gefressenwerden, die Welt der Knechte, Mägde, Holzfäller, polnischer Schnitter und Zigeuner, das Deputat, den kargen Brotkorb der Büdner und Kossäten. Die Landschaft des Kindes war nicht mehr allein ein geographischer, sie war auch ein sozialer Begriff.
Sehr deutlich ist das soziale Anliegen in „Die Hirtenstrophe“ und in „Bartok“. Politisches wird sichtbar hinter den „Erscheinungen“, wenn in „Späte Zeit“ und „Zwölf Nächte“ das Dämonische der Herbstbilder transparent wird auf das Unheil des Dritten Reiches. In der DDR brachte Huchel dieses Sprechen „Unter der Wurzel der Distel“ zu höchster Perfektion. So stehen die Winterbilder in den Gedichten an seine Freunde Hans Mayer („Winterpsalm“) und Ernst Bloch („Widmung“), beide kritische marxistische Gelehrte, für die politische Eiszeit unter Walter Ulbricht. Beide Gedichte fragen nach den noch verbliebenen Möglichkeiten einer Kommunikation, nach der Luft zum Atmen bei zugeschnürter Kehle.
1962 wurde Huchel gezwungen, die Leitung der führenden Literaturzeitschrift der DDR, Sinn und Form, abzugeben. Von April 1963 bis April 1971 lebte er isoliert, überwacht und bespitzelt in seinem Haus in Wilhelmshorst. Über seinem Dach schlug in der Tat „Die Ordnung der Gewitter“, der west-östlichen, zusammen. Gedichte durfte er in der DDR nicht veröffentlichen. Sie wurden von den wenigen Besuchern in den Westen geschmuggelt. Auf dieses Schmuggelgut, „Gepäck, / das leichter war als der Nachtwind“, bezieht sich „Die Reise“, gewidmet der Lyrikerin Marie Luise Kaschnitz. Das Gedicht endet auch im Textbild an den Grenzpfählen, am Stacheldraht „eiserner Disteln“.
Huchel bemühte sich um eine Ausreise, – gleichzeitig hatte er Angst davor, seine Heimat, seine geliebte Landschaft zu verlassen. Sein Zwiespalt wird sichtbar in „Exil“: „Sei getreu, sagt der Stein“, – und wenn er schließlich im April 1971 doch in den Westen ging, so hat er den Verlust nie verwunden:
Es ist bitter, in meinem Alter emigrieren zu müssen. Dort bei Wilhelmshorst stand das Bauerngut meines Großvaters, wo ich meine Kindheit verbrachte. Ich habe die Landschaft verlassen und viele Freunde, die ich hier nicht mehr finden werde.
Die Landschaft seiner Zuflucht, der Schwarzwald, verdichtete sich für ihn, in Klang und Sinn des Ortsnamens ,Todtmoos‘, zur Gegenchiffre eines Alterns im Unbehaustsein. – Nach der Wende, als Zeichen, daß er in seinem Innersten „getreu“ und in der Mark geblieben war, legte man einen Stein, einen Findling, in den Garten seines Hauses am Hubertusweg. So lautet auch der Titel seines persönlichsten Gedichtes, das in der ersten Strophe vom Spitzel spricht, aber auch vom Tauwetter, von der Gewißheit, daß Dunkel und Kälte vergehen:
Märzmitternacht, sagte der Gärtner,
wir kamen vom Bahnhof
und sahen das Schlußlicht des späten Zuges
im Nebel erlöschen. Einer ging hinter uns,
wir sprachen vom Wetter.
Der Wind wirft Regen
aufs Eis der Teiche,
langsam dreht sich das Jahr ins Licht.
Axel Vieregg, Nachwort
die Landschaft der Mark, aus der die Verse Huchels ihr Leben beziehen. Huchel und die Mark Brandenburg, genauer: Huchel und die Zauche, jene Wald-, Wasser- und Wiesenlandschaft südlich von Schwielow- und Templiner See: sie hat Huchel tief geprägt. Eine reine Idylle ist diese Landschaft jedoch nicht – so spröde und bezaubernd wie sie ist auch das Werk Huchels, dessen 100. Geburtstag dieses Buch gewidmet ist.
In wunderbarer Einfühlsamkeit ist Sabine Breithor mit ihren Bildern der Sprache Huchels gefolgt; in sorgsamer Auswahl durch den Huchel-Kenner Axel Vieregg ist ein nachdenklicher und reizvoller Zusammenklang der Huchelschen Gedichte mit der märkischen Natur im Wechsel der Jahreszeiten entstanden.
Märkischer Verlag, Wilhelmshorst, Klappentext, 2003
Am 3. April 2003 jährte sich Peter Huchels 100ter Geburtstag. Artig gedachten die Feuilletons des großartigen Dichters. Ganz anders, als zu jener Zeit, als er eigentlich gegen seinen Willen und dennoch nach langem Kampf mit den Behörden die DDR verlassen konnte. Reiner Kunze dichtete damals: Er ging
die zeitungen meldeten
keinen verlust
Das eigentliche Geschenk zum Geburtstag wurde aber mit dem vorliegenden Bildband Langsam dreht sich das Jahr ins Licht vorgelegt. Der Untertitel „Jahreszeitliche Gedichte aus der Mark Brandenburg“ verrät etwas von der Konzeption dieses wunderschön aufbereiteten und liebevoll gestalteten Bandes. Schließlich filterte Huchel aus der Landschaft der Mark Brandenburg, der Zauche, jener Wald-, Wasser- und Wiesenlandschaft südlich von Potsdam seine poetischen Bilder – und die Fotografin Sabine Breithor betrachtete diese Landschaft mit ihrer Kamera. Die Wirkungen der geheimnisvollen Rätsel, die sich im Wechselspiel zwischen den Fotos und Texten ausbreiten, kann man aber weder erklären noch beschreiben. Peter Huchel, erklärtermaßen kein Gegner von Gedichtinterpretationen, war sich deren Grenzen jedoch sehr bewußt. In einem Gespräch mit Frank Geerk erklärte Huchel im Jahr 1973 in diesem Zusammenhang mit Blick auf die DDR und deren kulturpolitische Doktrin vom „sozialistischen Realismus“:
Vor wenigen Jahren lebte ich noch in einem Land, wo man nicht davon ablassen wollte, den metallenen Glanz eines Herbstgedichts mit einem Büchsenöffner aufzureißen, um den vermutlichen Inhalt zu entdecken. Genausogut könnte man versuchen, mit einer Sense die Abendröte aufzuschneiden, um dahinter den Himmel zu entdecken.
Es geht vielmehr darum, die sinnliche Wahrnehmung zu schärfen, scheinbar vertrautes in neuen Zusammenhängen kennenzulernen. Ein gutes Gedicht steht für sich selbst ein und bedarf keiner Kommentierung. Offensichtlich hatten die Zusammensteller des vorliegenden Buches diesen Rat beherzigt, denn es gibt ungewöhnliche Einblicke frei. Die zarte Vermischung eines zarten Nebels im Hintergrund mit den struppigen Bürsten entlaubter Bäume, die gleißenden Wasserspiegel unter bleiernen Himmeln – Sabine Breithots Fotos sind dem Mysterium der von Peter Huchel gemurmelten Formeln dicht auf der Spur, wenn der im Gedicht „Blick aus dem Winterfenster“ meditiert:
Kopfweiden, schneeumtanzt,
Besen, die den Nebel fegen.
Holz und Unglück
wachsen über Nacht.
Mein Meßgerät
die Fieberkurve.
Huchel deutet hier nicht zufällig dunkle Assoziationen an. Die späten 60er Jahre hatte der ehemalige Chef der angesehensten DDR-Kulturzeitschrift Sinn und Form in seinem Haus in Wilhelmshorst bei Potsdam in einer Art innerer Emigration verbracht. Nur wenige DDR-Schriftsteller hatten den Mut aufgebracht, den isolierten Lyriker zu besuchen. Neben Reiner Kunze gehörten Wolf Biermann, Günter Kunert, Sarah Kirsch, Rolf Schneider und Uwe Grüning zu den Aufrechten, die wiederum vieles von Peter Huchel gelernt hatten.
Für den vorliegenden Band verfasste der Huchel-Biograph Hub Nijssen einen tabellarischen Lebenslauf, der Huchels wichtigste Stationen und Begebenheiten auflistet und Roger Melis steuerte aus erster Hand einige Fotoportraits bei. Und Axel Vieregg, weist in seinem Nachwort auf den Dichter Johannes Bobrowski hin, der seinerzeit Huchel als sein Vorbild angegeben hatte:
Da haben wir zwei alten ,Narurmagier‘ beieinander gesessen… und unsere Kümmernisse beredet…
Das Stichwort ,Natur‘ hatte nicht nur in der DDR, sondern auch im Westen immer wieder zu Irritationen einer politisierten Kunstauffassung geführt. Dabei spiegelt sich in Huchels Lyrik gerade in aller Naturverbundenheit auch deren gnadenlose Seite wieder. Von einer Idylle kann keine Rede sein, wenn Huchel eine Katze besingt:
Was die Katze
hinter den Augen verbirgt,
nicht weiß es der Rauhreif,
das Salz der Hexen
Wieder war es Reiner Kunze, der anläßlich des Todes von Johannes Bobrowski auf die Tristesse der damaligen DDR hingewiesen hat:
Der nachlaß ist
gesichtet, der dichter
beruhigend tot
Tatsächlich beruhigt es die Mächtigen, wenn kritische Dichter abtreten, und sei es nur in das Exil. Doch deren Gedichte bleiben auf eine eigenartige Weise aktuell, wenn sie den Leser im Innersten anzurühren vermögen. Der vorliegende Bildband verbürgt sich eindrucksvoll dafür!
Volker Strebel, Ostragehege, Heft 37, 2005
Das Buch mit dem hochpoetischen Titel ist soeben im Märkischen Verlag Wilhelmshorst erschienen, ganz pünktlich zum heutigen 100. Geburtstag des Dichters Peter Huchel. Lyrik und Fotos vereint der kostbare Band. Die Gedichte stammen natürlich von Peter Huchel, die Bilder hat die Michendorfer Fotografin Sabine Breithor beigesteuert.
In vielen seiner Gedichte wandte sich der Dichter der Landschaft seiner Heimat zu, der Mark, genauer gesagt, der Zauche, südlich des Schwielowsees und des Templiner Sees gelegen. In Huchels Dichtung gibt es eine wunderbare Synthese von traditionellen und modernen Lyrikformen. Sie erinnern oftmals an Dichter der Romantik mit ihrer Ruhe und ihrer Schwermut, ihrer Melancholie und hin und wieder auch an ihrer Liedhaftigkeit. Nur ist bei dem Wilhelmshorster alles um einen Ton spröder, gibt es bei ihm die schlichte Treuherzigkeit nicht und der Glaube ist schon lange nicht mehr sicher. Für die ständige, gesetzmäßig, ablaufende Wandlung der Natur in den Jahreszeiten besaß der Dichter ein ausgeprägtes Bewusstsein. Das Foto-Text-Buch ist gefällt mit Beispielen. Es ist nicht die überschäumende Freude über den anbrechenden Frühling und den erfüllten Sommer, wie man ihn bei Eichendorff oder Uhland lesen kann, sondern man findet bei ihm eher die Nachdenklichkeit, eine leise Freude. Und doch ist man überrascht, wenn man solch luftigen Vers in dem Gedicht „Frühling im Stadtpark“ lesen kann:
Des Parkes Buch singt grün den Sperlingsspott,
es schwebt des Maimarkts roter Luftballon:
Hoch über Autotier und Straßentrott
zigeunert unserer Kindheit Lampion.
Und auch immer wieder kann man bei Huchel einen gelassenen und getrosten Ton lesen, so in „Friede“contra
:
Zugzeiten der Vögel.
In den stachligen
Grannen gedroschener Ähren
wohnt noch die milde Leere des Sommers.
In den Schießscharten des Wasserturms
Wuchert das Gras.
Sabine Breithor hat zu jedem Gedicht ein Schwarz-Weiß-Foto hinzugegeben. In der Kongenialität der Auswahl von Texten und Bildern (Herausgeber: Axel Vieregg) hat man den Eindruck, als ob Dichter und Fotografin gemeinsam an diesem Buch gearbeitet haben. Man muss schon sehr viel Einfühlsamkeit besitzen, um auf die Bildwelten Huchels so eingehen zu können, wie es Sabine Breithor tat. Sie hat sich bei ihren Landschaftsaufnahmen intensiv mit der Lyrik des Wilhelmshorsters beschäftigt, aber auch die Kenntnis von der märkischen Landschaft und die Liebe zu ihr, waren ausschlaggebend. Ein Innewerden und ein In-sich-Gehen lassen Bilder und Lyrik aufs Schönste zu.
Klaus Büstrin, Potsdamer Neueste Nachrichten, 3.4.2003
– Über die Stimme Peter Huchels und ihren historischen Ort. –
Leicht oberhalb der Umgangssprache hat sich die Stimme ein Seil gespannt. Darauf geht sie voran, ohne zu zögern, schiebt sich horizontal vor, ohne die einmal gewonnene Tonhöhe zu verlassen – „Gehölz, / habichtsgrau, / das Grillenlicht der Mittagsdürre, / dahinter das Haus“ –, um dann im letzten Vers der Strophe einen halben Schritt tiefer zu gehen – „gebaut auf eine Wasserader“. Aber dort, wo die Stimme am Seilende aufsetzt, ist kein fester Punkt wie an einem verlässlich abschließenden Satzende. Es ist eher ein Hinabgehen der Stimme wie in einer Litanei oder wenn eine Gemeinde dem Pfarrer respondiert; es ist klar, dass sie gleich wieder auf das gespannte Seil zurückkehren wird. Die Wasserader hat es ein wenig herabgezogen, das horizontale Sich-Voranschieben setzt sich eine Nuance tiefer fort, wieder bis zum leichten Absinken am Ende – „Wasser, / verborgen, / in sandiger Öde, du strömst in den Durst der Sprache, du zogst die Blitze an“. Eins will diese Stimme nicht: deklamieren, expressiv sein. Sorgsam vermeidet sie den plötzlichen Aufschwung, das tänzelnde Auf und Ab, die anschwellende Klimax. Sie gibt sich verhalten, zurückgenommen, vermeidet abrupte Tempowechsel, ist noch, wenn sie hörbar Nachdruck auf ein Wort legt; dem Pol des Flüsterns näher als dem des Schreiens. „Am Eingang der Erde, / sagt eine Stimme, wo Steine / und Wurzeln die Tür verriegeln, / sind die zerwühlten Knochen Hiobs / zu Sand geworden, dort steht noch / sein Napf voll Regenwasser.“ Die Stimme bewegt sich in einem eher intimen Raum, aber sie hat zugleich etwas Unnahbares, sie hat einen höheren Auftrag. Ihr Tonfall ist liturgisch. Sie zelebriert auf ihrem Seil das Gedicht. Sie hüllt es in eine Aura ein. Ihre horizontale Bewegung hat ein Ziel. Die Formel dafür ist paradox: Pathos der Monotonie.
Zum Bild, das sich die Nachwelt vom 19. Jahrhundert gemacht hat, trug entscheidend bei, dass es das erste Jahrhundert mit einer fotografischen Überlieferung war. Sie trat den schwarzen Lithografien an die Seite, nahm die Bahnhöfe und Eisen-Stahlkonstruktionen der großen Maschinenhallen in sich auf, enthielt Edgar Allan Poes New York und das Paris Nadars. Baudelaire wurde nicht nur vom Pinsel Manets ins großstädtische Publikum der „Musik in den Tuilerien“ hineingemalt, sondern auch von der Kamera porträtiert. Zahllose Unbekannte, Passanten und Passagiere erfasste und dokumentierte sie beiläufig. Die Geburt der Fonografie, der akustischen Aufzeichnungsmedien, fällt noch ins 19. Jahrhundert, aber das 20. Jahrhundert war das erste, das der fotografischen die akustische Überlieferung hinzufügte. Dem Bildarchiv das Schallarchiv, dem visuellen das audiovisuelle Dokument. Innerhalb dieser akustischen Überlieferung spielen die Stimme der Dichter eine prominente Rolle, sie gehörten zu den ersten, die aufgezeichnet wurden. Gäbe es in den Autorenlexika neben dem Werkverzeichnis zugleich ein Verzeichnis der von dem jeweiligen Schriftsteller existierenden Tondokumente, so würde daran deutlich, wie im 20. Jahrhundert dieses Aufgezeichnetwerden von Generation zu Generation die Dichterstimmen immer nachhaltiger erfasste. Ein versprengtes, von der Brandung der Nebengeräusche umspültes „Manche freilich…“, aufgenommen im Jahr 1907, repräsentiert in den Schallarchiven die Stimme Hugo von Hofmannsthals, der 1929 starb, als die große Zeit der Aufzeichnungen mit dem doppelten Siegeszug von Radio und Schallplatte gerade begann. Schon bei Hermann Hesse, Thomas Mann oder auch Alfred Döblin, die den Zweiten Weltkrieg überlebten, tritt dem Schreiben das Sprechen eigener Texte ins akustische Medium hinein als eigenständiges Element der Autorentätigkeit an die Seite. Aber das Schallarchiv dieser Autorengeneration, der letzten, die noch im 19. Jahrhundert erwachsen wurde, ist sehr überschaubar. Die Verbesserung der Aufzeichnungs- und Wiedergabetechniken seit der Einführung des elektrischen Aufnahmesystems im Jahr 1926, der Aufstieg der akustischen Medien in Politik und allgemeiner Kultur, prägte die Generation der um 1900 Geborenen, darunter Bertolt Brecht, Hermann Kesten, Erich Kästner, Klaus Mann, bereits in einer früheren Lebensphase. Für sie ist der Rundfunk schon auf den ersten Etappen der literarischen Karriere ökonomischer Auftraggeber und ästhetische Herausforderung zugleich.
Peter Huchel, geboren 1903, gehört wie der etwas jüngere, 1907 geborene Günter Eich zu den Autoren, die seit den frühen dreißiger Jahren den Rundfunk belieferten und die ihm, als sie nach 1933 in Deutschland blieben, zu nicht geringen Teilen die Existenzsicherung während der Zeit des Nationalsozialismus verdankten. Ende 1945 wurde Huchel mit dem Aufbau einer Hörspielabteilung im Berliner Haus des Rundfunks beauftragt. Die große Bedeutung des Hörspiels im Deutschland der Nachkriegszeit repräsentierte Günter Eich. Huchel hat im Schallarchiv der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts jedoch eine andere, nicht minder herausgehobene Funktion. Seine Stimme ist die reinste Repräsentantin des Pathos der Monotonie, das den Ton der deutschen Dichterlesung in der unmittelbaren Nachkriegszeit und den fünfziger Jahren nachhaltig prägte. Sie ist verwandt mit der Stimme Günter Eichs, dessen Lesung eigener Gedichte bei der Tagung der Gruppe 47 in Inzigkofen im Jahr 1950 in einer Aufzeichnung erhalten ist, aber Huchels Timbre ist dunkler, so wie sie voller ist als das spröde Organ Gottfried Benns, wie sie sich in geringeren Amplituden bewegt als die Stimme Ingeborg Bachmanns. Huchels Stimme stabilisiert auf dem Seil, das sie sich gespannt hat, ihr voranschreiten mit spürbaren Gewichten. Dieses Element der Schwere, das sie den Versen beimischt, unterscheidet sie von den Experimenten mit dem leichten Ton, der in den fünfziger Jahren Jazz und Lyrik zusammenführte und in der schlanken, federnden Stimme Hans Magnus Enzensbergers seinen stärksten Anwalt fand. Ihre Antipodin ist die Stimme von Klaus Kinski, der in den späten fünfziger Jahren mit Versen von Paul Zech, die sich auf François Villon beriefen, das expressionistische Anschwellen, die Extremspannung von Schrei und Flüstern, noch einmal aufleben ließ.
Günter Eichs Gedicht „Inventur“, im Frühjahr 1945 im Camp 16 für deutsche Kriegsgefangene entstanden und 1947 erstmals publiziert, ist im Nachhinein zum Inbegriff der deutschen „Kahlschlag-Poesie“ der Nachkriegszeit geworden:
Dies ist meine Mütze
dies ist mein Mantel,
hier mein Rasierzeug
im Beutel aus Leinen.
Wie Stuck war hier aller Adjektiv-Schmuck der Wörter abgeschlagen, der Ausdruck schien in der Aufzählung zu verschwinden, der Vers in der Liste, die Poesie betrieb Mimikry mit der Prosa. Günter Eich war Mitglied der Gruppe 47, Peter Huchel ihr Gast. Man könnte meinen, die Neigung zum monotonen Gedichtvortrag, die in der Gruppe 47 dominierte, sei die vortragstechnische Entsprechung zum „Kahlschlag“-Gestus der Lyrik selbst. Als Paul Celan bei der Tagung der Gruppe 1952 in Niendorf als Gast seine Gedichte „Ein Lied in der Wüste“, „In Ägypten“, „Zähle die Mandeln“ und die noch unbekannte „Todesfuge“ vortrug, mit einer gehetzten und zugleich inbrünstigen Stimme, die sich hob und senkte, die flehte und beschwor, war das Befremden bei einigen der Zuhörer groß. Hans Werner Richter fühlte sich an den „Singsang“ der Synagoge erinnert, ein anderer meinte, Celan habe „im Tonfall von Goebbels vorgetragen“. Schon in Goethes „Regeln für Schauspieler“ werden die Monotonie und das Singen als die prekären Pole bei der Rezitation von Gedichten vorgestellt. Leicht ließe sich auf dieser Traditionslinie die Opposition Singen/Pathos/ Celan versus Monotonie/Nüchternheit/ Gruppe 47 etablieren. Und in der Tat ging die Diskreditierung des rhetorischen Pathos durch den Nationalsozialismus und zumal durch die Stimmen von Goebbels und Hitler in die gewollte Dämpfung alles Expressiven ein, die über die Gruppe 47 hinaus die Konventionen des Gedichtvortrags in Deutschland nach 1945 bestimmte. Die Stimme Peter Huchels ist aber gerade deshalb die reinste Repräsentantin des Tons der deutschen Nachkriegslyrik, weil sie diese Opposition durchkreuzt: Weil sie Misstrauen gegenüber den gewissermaßen ,offiziellen‛ Pathosverdikten der Gruppe 47 weckt, weil sie den Dämpfungs- und Nüchternheitsgeboten zwar folgt, aber in der zur Sprechkunst verfeinerten Monotonie dem Gedicht das Pathos im scheinbaren Verzicht auf Rhetorik zurückgewinnt. Und sie behielt dieses Pathos der Monotonie bei, auch als Huchel in der DDR die ersten Jahre von Sinn und Form prägte und über den Weggang aus der DDR hinaus bis in die siebziger Jahre, aus denen die meisten Aufzeichnungen seiner Stimme stammen. Der Kunst einen Freiraum innerhalb und notfalls gegen die Geschichte zu verschaffen, das war der Sinn der Konsequenz, mit der Huchels Stimme dem Pathos der Lyrik auf seine Weise die Treue hielt. In dieser Stimme ist nicht nur das Echo von 1945 eingegangen, sondern zugleich der Versuch, den Garten des Theophrast mit einer schützenden Hecke zu umgeben.
In der im Briefwechsel mit Schiller entstandenen Abhandlung „Über epische und dramatische Dichtkunst“ hat Goethe die körperlose Stimme als das Ideal der Rezitation von Gedichten umschrieben:
Der Rhapsode sollte als ein höheres Wesen in seinem Gedicht nicht selbst erscheinen; er läse hinter einem Vorhange am allerbesten, so daß man von aller Persönlichkeit abstrahierte und nur die Stimme der Musen im allgemeinen zu hören glaubte.
Diese Sätze wollen vor dem Hintergrund der Abgrenzung von Deklamation und Rezitation, Schauspielkunst und Vortragskunst gelesen sein. Ihr wichtigstes Anliegen ist die Abstraktion vom Individuellen im Gedichtvortrag zu Gunsten des Allgemeinen der Kunst. Der Entzug der Sichtbarkeit ist bei Goethe Mittel zu diesem Zweck, wie später bei Wagner das Verschwinden des Orchesters im Graben. Nach dem zwanzigsten Jahrhundert aber können wir die Zeilen über die Stimme hinter dem Vorhang nicht mehr lesen, ohne an die akustischen Medien zu denken, die die Trennung der Stimme vom Körper des Sprechers oder Sängers mit eigenständiger Dynamik und außerkünstlerischer, technischer Logik ermöglicht und vorangetrieben haben und zur räumlichen Entgrenzung des Publikums geführt haben. Diese Entgrenzung war das große Faszinosum der politischen wie ästhetischen Projekte des Rundfunks als Kommunikationsmedium um 1930. Der diachrone Effekt der Trennung von Stimme und Körper war die zeitliche Entgrenzung des Publikums, die Verlängerung der physischen Anwesenheit der Stimme oder zumindest ihrer Spur über den Tod des Sprechers oder Sängers hinaus. Ihr zentrales Medium waren die Apparaturen der akustischen Speicherung, Schallplatte und Tonband. Schon früh war beim Eintritt in diese zunächst noch von einfachen Walzen und primitiven Wiedergabevorrichtungen bestimmte Welt der akustischen Speicherung die Adressierung der Dichterstimme an eine künftige Welt, die Nachwelt, das wichtigste Motiv. Ernst von Wildenbruch, dem als wohl erstem prominenten deutschen Dichter noch im 19. Jahrhundert die Ehre der Stimmaufzeichnung zuteil wurde, sprach in dem Gedicht, das er zu diesem Anlass eigens gefertigt hatte, von sich selbst als dem künftigen Toten, dessen Stimme im Fonografen überlebt.
Die Abstraktion, die Goethe um der Kunst willen bei seinem Vorhang-Arrangement im Auge hat, haben die akustischen Medien pragmatisch als standardisiertes technisches Verfahren realisiert und zwar radikaler als es ein Vorhang je vermöchte. Aber nicht die episodische Abstraktion vom Individuellen der Stimmen war dabei der Kern, sondern die nachhaltige Abstraktion vom Normalzustand der Einheit von Stimme und Körper. Es entstand ein neuer Raum, der Raum der isolierten Stimme. Man würde sie unterschätzen, sähe man in ihr nur eine Schwundstufe der anthropologisch gegebenen, mit dem Körper verbundenen Stimme. Nicht nur im Telefon ist sie im 20. Jahrhundert zu einer kulturellen Großmacht geworden. In den Tonstudios der Rundfunkanstalten entwuchs sie der Festlegung auf den Status der Nachträglichkeit, der Aufzeichnung einer leibhaftigen Lesung vor leibhaftigem Publikum. Sie wurde zu einer Stimme sui generis, beschied sich nicht mit dem Status des Echos, avancierte zur eigenständigen literarischen Instanz.
Es gibt in den Archiven der Fernsehanstalten zahlreiche Bild-Ton-Aufzeichnungen von Autoren. Eine Aufzeichnung Peter Huchels, der sein oben zitiertes Gedicht „Gehölz“ liest, gehört dazu. Albrecht Schöne hat an ihr in seinem Buch Literatur im audiovisuellen Medium (1974) seine These demonstriert, dass die Aura des dichterischen Wortes in den Apparaturen der technischen Aufzeichnungs- und Reproduktionsmedien nicht verschwinden muss, und dabei die Rolle der Physiognomie Huchels als entscheidendes Element der Überwindung der nivellierenden, versachlichenden Effekte des Aufzeichnungsmediums hervorgehoben. Es sind aber, obwohl etwa zum Nachlass von Günter Grass ein audiovisuelles Monument aller seiner dokumentierten Auftritte gehören wird, nicht etwa Dichter-Videos zum kulturellen Leitmedium geworden, sondern Hör-Kassetten und CDs. Die von allen situativen Einbettungen unbelastete, isolierte Stimme des Autors oder Rezitators hat sich als dominante Stimme durchgesetzt. Ihr Instrument ist nicht das Mikrofon vor der Menge, sondern das Studiomikrofon, das die Stimme in schalldichten Räumen selbst zu einem Instrument macht. Die Stimme Peter Huchels ist eine Kronzeugin für diesen Prozess. Ihr Pathos der Monotonie hat einen doppelten Ursprung: zum einen die historische Entwertung des deklamatorischen Pathos in der Nachkriegszeit, zum anderen die technische Modellierung der Dichterstimmen im Tonstudio.
Die Stimme Peter Huchels sagt „Brandenburg“ und fügt fast seufzend nahezu ohne Pause das Motto des Gedichts an:
„Ach, wie die Nachtviole lieblich duftet!“ Kleist, Prinz von Homburg.
Dann spannt sie das Seil der Monotonie:
Hinter erloschenen Teeröfen
ging ich im Brandgeruch der Kiefernheide…
Das „Ach“ hat im Deutschen eine große lyrische Tradition. Es ist aber zugleich, seit Goethes „Habe nun, ach…“ und vor allem seit Kleist und dem Schluss-„Ach!“ der Alkmene im Amphitryon, eines der prominentesten Worte der deutschen dramatischen Literatur. Huchels Stimme holt das große Bühnen-Ach in sein „Brandenburg“-Gedicht hinein, versetzt einen Kleist-Vers aus dem Theater ins Tonstudio. Die Aufnahme im Landesstudio Freiburg des Südwestfunks entstand im August 1977, der Band Die neunte Stunde, in den die elf bis dahin unveröffentlichten Gedichte eingingen, die Huchel las, erschien zwei Jahre später, 1979.
Welchen Kleist-Ton mochte Huchel, der das Theater der Weimarer Republik und des „Dritten Reichs“ noch gekannt hat, im Ohr gehabt haben? Mit welchen Rezitatoren-Stimmen ist er bekannt geworden? Als er zum Schriftsteller wurde, in den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren, überlagerten sich die literarischen Funkstunden und die Auftritte der Rezitatoren, deren Kunst sich im 19. Jahrhundert als eigenständige Disziplin aus dem Theater ausgegliedert hatte. Die Pflege der klassischen deutschen Literatur war eine ihrer angestammten Aufgaben gewesen, beim Übergang ins 20. Jahrhundert nahmen sie mehr und mehr Gegenwartsliteratur in ihr Repertoire auf. Ob Emil Milan oder Ludwig Wüllner vor bürgerlichem Publikum auftraten oder Rudolf Blümner in den Clubs des Expressionismus, der Raum, aus dem diese Stimmen kamen, war die Bühne. Das hat sie bis ins Innerste geprägt. Emil Palleskes 1924 wieder aufgelegter Leitfaden Die Kunst des Vortrags, erstmals 1878 erschienen, enthielt noch eigene Kapitel über die Stärkung der Lunge und den Erwerb des „Bühnen-R“. Karl Kraus trieb in seiner Darbietung der Sonette Shakespeares die Stimme in schwindelnde Höhen von Ton und Lautstärke, das anschwellende Crescendo, das Singen, Wimmern, Jammern, Klagen und Flüstern gehörte auch dort zur Sprechkunst der Rezitatoren, wo sie sich, wie seit der Goethezeit üblich, von ,Pathos‛ und ,Schwulst‛ nachhaltig distanzierten. Die Dokumente der Schallarchive, die uns manches Virtuosenstück aus dieser Tradition, etwa von Josef Kainz, übermitteln, sind Aufzeichnungen von Stimmen, die an dieses Aufgezeichnetwerden noch nicht adaptiert waren. Sie kamen aus großen Räumen und Sälen, fanden sich aber, einmal in die Schallplatte eingegangen, im bürgerlichen Interieur wieder. Vielleicht darf man sich die Modellierung, die die Dichterstimme im Zuge der Herausbildung der Tonstudios und ihrer intimen Aufzeichnungstechniken erfuhr, als eine Art kammermusikalische Dämpfung und Ablösung sowohl von den dramatischen Sprechnormen der Bühne wie den akustischen Bedingungen großer Vortragssäle vorstellen. Peter Huchels Stimme ist eine der wirkungsmächtigsten Agentinnen dieser Neu- und Wiedergeburt der Dichterstimme aus dem Geist des Tonstudios. In den Aufzeichnungen der siebziger Jahre hat sie das Pathos der Monotonie kodifiziert und bleibt darin lebendig, auch wenn die Bühnenstimme seit den achtziger und vor allem neunziger Jahren im Rahmen der zur Performance modernisierten Lesung auf überraschende Weise wiederkehrt.
Lothar Müller, aus TEXT+KRITIK: Peter Huchel – Heft 157
WINTERREISE (RADISTSCHEW)
Dem Gedächtnis Peter Huchels
Vorm Tor der Wagen abfahrtbereit.
Über die Grenze geht unsere Fahrt
Dumpf über die Brücke. Die Beine breit
In Eisen der Wächter. Hart
Klingt seine Stimme. Jetzt ist es soweit:
Die Pferde zerstampfen den Schnee.
Die Dörfer liegen an Hügel geduckt.
Grau steigt Rauch aus den Essen.
Auf weißem Papier, wie mit Schwärze gedruckt,
Hocken die Krähen: Vergessen
Soll werden, was wir vergeblich gesucht,
Nichts trennen das Ufer vom See.
Dem Abend entgegen sahn wir im Dunst
Des Tages die Türme der Stadt.
Der Himmel, gerötet von Feuersbrunst,
Frißt sich am Grauhimmel satt.
Grau zog es entlang die Chaussee.
Heinz Czechowski
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaIm Gedenken an Peter Huchel
Einmal werden wir Zeugen sein, wenn nichts mehr zu wenden ist
Wenn kein Schwur mehr hält und kein Bündnis mehr gilt
Wir werden in alten Mythen kramen und sehen, dass Versprechen
Und Unheil seit tausenden Jahren in einer Stimme sprechen
Dunkel geblieben sind die weißen Beeren des Maulbeerbaums
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaDes Pyramus und der Thisbe
Noch immer gegenwärtig die Geister des unbegründbaren Schicksals
Doch wir werden die Schiffe mit dem Glück der vergeblichen Hoffnung
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaBeladen
Tamburine und Posaunen werden den Chor des Aufbruchs anstimmen
Und einer der Fahrenden wird den Sextanten des Vergessens lesen
Wir werden den Tagen der Dünungen folgen und die Himmelsrichtungen
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaVerlieren
Ufer und Horizonte der Gewissheit werden ins Unsichtbare ziehen
Doch einmal werden wir Zeugen sein, wenn nichts mehr zu wenden ist
Und die Jahreszeit des Scheiterns wird in allen Jahreszeiten sein
Heiner Bastian
Peter Huchel | Stephan Hermlin Zeitzeugen des Jahrhunderts. Literarischer Salonabend im Haus Dacheröden, Erfurt mit Lutz Götze (Manuskript) und Franziska Bronnen (Lesung).
Peter Hamm: Vermächtnis des Schweigens. Der Lyriker Peter Huchel, Merkur, Heft 195, Mai 1964
Franz Schonauer: Peter Huchel – Porträt eines Lyrikers
DU, Heft 11, November 1964
Peter Hamm: „Sei getreu, sagt der Stein“. Zum 70. Geburtstag Peter Huchels
Süddeutsche Zeitung, 3.4.1973
Karl Krolow: Ein Mann, der Gesichte hat. Peter Huchel zum 70
Hannoversche Allgemeine Zeitung, 3.4.1973
Olof Lagercrantz: Ein deutscher Dichter. Peter Huchel zum siebzigsten Geburtstag
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3.4.1973
Helmut Mader: Mottos zu einem Leben. Peter Huchel wird siebzig Jahre alt
Stuttgarter Zeitung, 3.4.1973
Ellen Kayser: Peter Huchel wird am 3. April 70 Jahre alt
Die Tat, 31.3.1973
hvg: Vom Unkraut eines Dichters
Freiburger Nachrichten, 31.3.1973
Franz Kalterbräu: Peter Huchel ist tot
Frankfurter Rundschau, 7.5.1981
Karl Krolow: Apokalyptische Landschaft
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.5.1981
Albert von Schirnding: In der Mitte der Dinge die Trauer
Süddeutsche Zeitung, 8.5.1981
Bruno Bolliger: Unbekümmert geht der Fremde davon
Neue Zürcher Zeitung, 9./10.5.1981
Stephan Hermlin: Aber wir sind doch Brüder…
Die Zeit, 15.5.1981
Wolfgang Kopplin: Nachruf. Der große Peter Huchel
Bayernkurier, 16.5.1981
Hans Dieter Schmidt: „Der Fremde geht davon…“. Erinnerungen an den Dichter Peter Huchel
Rhein-Neckar-Zeitung, 16./17.5.1981
Klaus Sauer: Eine deutsche Passion
Deutschland Archiv, Heft 6, 1981
Stefan Welzk: „Überdrüssig der Götter und ihrer Feuer“
Frankfurter Hefte, Heft 8, 1981
Axel Vieregg: Nachruf auf Peter Huchel
Neue Deutsche Hefte, Heft 3, 1981
Hans Mayer: Schneenarben. Schriftzeichen.
Die Zeit, 6.4.1984
Thea Samain: Testament an den Balken genagelt
Neue Zeit, 30.4.1991
Alexander Kluy: Der große Hof des Gedächtnisses
Berliner Zeitung, 29.3.2003
Sebastian Kiefer: Der Naturmagier als sozialistischer Funktionär
Neue Rundschau, Heft 1, 2003
Lutz Seiler: Im Kieferngewölbe
Sinn und Form, Heft 2, 2003
Klaus Bellin: „Aufs tote Gleis rangiert“
Neues Deutschland, 3.4.2003
Helmut Böttiger: Kindheitsträume und Diktaturdrangsal
Stuttgarter Zeitung, 3.4.2003
Christian Egger: Auf den Feldern der Kindheit
Mitteldeutsche Zeitung, 3.4.2003
Uwe Pörksen: Der Widerstand gegen die Lüge
Badische Zeitung, 3.4.2003
Steffen Richter: Mit dem Pflug in den Acker geschrieben
Frankfurter Rundschau, 3.4.2003
Michael Braun: „Unter der blanken Hacke des Monds werde ich sterben“
Basler Zeitung, 4.4.2003
Christian Bergmann: ZAUBER EINER WORTKUNST – bewundert und verfemt
Ostragehege, Heft 28, 2002
Peter Hamm: „In der Mitte der Dinge die Trauer“
Manuskript
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