Peter Maiwald: Guter Dinge

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Peter Maiwald: Guter Dinge

Maiwald-Guter Dinge

BESUCH

Da ist ein Berg bei Majdanek
getürmt aus lauter Schuhen.
Bei Nacht hat sich der Berg bewegt,
weil nicht die Toten ruhen.

Und ist gekommen an mein Haus
und kam zu meiner Türe,
die trat mir ein ein Kinderschuh
und zeigte mir die Schnüre.

Die Bergmannsstiefel binden grob.
Der Frauenschuh mit Knoten.
Das Kind, das einen Turnschuh hob.
Ich tat euch nichts, ihr Toten.

Und Nacht um Nacht wird mir mein Seil
mit Schuh um Schuh noch länger.
Ich schreie: Hab doch keinen Teil.
Die Kehle immer enger.

 

 

 

Grimmige Idyllen 

– Über Peter Maiwald. –

Worauf kann man sich denn überhaupt noch verlassen? Der neue Schuh hält dem ersten Regen nicht stand, der neue Politiker lügt schon im Sonnenschein. Der Wein und das Brot sind gut, aber sie lagern, sagt man, allerlei ab in unseren Knochen. Schön ist der Apfel ohne Wurm, doch ob der Wurm nicht seine Gründe hatte wegzubleiben? Und dann die Freunde und die paar Menschen, die man liebt – wenn neuerdings sogar der blaue Himmel ein Loch hat, wie soll da irgend etwas anderes ganz bleiben? Alles sieht immer schöner aus und ist immer verdächtiger, und was einem so richtig in die Augen lacht, von dem denkt man auf Anhieb längst nicht mehr: In dich möchte ich beißen, sondern: Du wirst mir einen schönen Grenzwert übersteigen.
Es ist eine Not, und Peter Maiwald ist einer ihrer Dichter. Er tritt nicht als Richter auf. Er gibt sich nicht als die reine Seele unter lauter Schuldigen. Er leidet unter dem universalen Knochenfraß, den die Zivilisation sich selbst beschert, aber ganz aufgeben will er nicht. Der Stachel, der ihm im Fleisch sitzt, ist die Hoffnung, daß doch noch irgendwo etwas intakt sei. Wie Hamlet in seinem Staate Dänemark eine faule Stelle witterte, so möchte er, umgekehrt, im infizierten Ganzen ein paar gesunde Flecke ausmachen. Mindestens hat er sich entschlossen, mit deren Möglichkeit zu rechnen. Nicht daß er besonders fündig geworden wäre. Viel Trost ist bei ihm nicht zu holen. Aber was ihn kennzeichnet und seinen Versen den Charakter gibt, ist die unverdrossene Ausrichtung auf das, was einfach und gut und verläßlich wäre, wenn man es nur hätte. Er hat die Leidenschaft zum Unverwüstlichen.
Das zeigt sich an dem, wovon er schreibt, zeigt sich daran, wie er schreibt. Die eindeutigen Dinge inspirieren ihn, und ihn reizen jene poetischen Formen, die sich nicht weiter reduzieren lassen. Deshalb schreibt er sich immer wieder in die Nähe zu zwei lyrischen Gestalten, die scheinbar gar nichts miteinander zu tun haben, zum Kinderreim und zum Sonett. Jedes seiner Gedichte scheint auf dem Weg zu einer dieser beiden Formen, obwohl doch die eine als das Allersimpelste gilt und die andere als die hochgezüchtete Poesie schlechthin.
In Wahrheit dürfte allerdings der Kinderreim noch schwieriger sein als das Sonett. Sonetteschreiben kann man lernen, so weit mindestens; daß die Ergebnisse noch nach etwas aussehen, auch wenn sie innerlich hohl sind. Ein Gedicht nach dem formalen Muster der Kinderverse und volkstümlichen Sprüche aber ist immer gleich auf den ersten Blick schon gut oder läppisch.
Dazu kommt, daß der Kinderreim seinem Wesen nach nur mit den einfachsten Dingen umgeht. Er kann davon nicht absehen, auch wo er sich längst nicht mehr an Kinder richtet, sondern vom Leben und Lieben und Sterben spricht. Zwar sind auch das einfachste Dinge, gewöhnliche Angelegenheiten, wenn man sie aus größerem Gesichtswinkel betrachtet (und wenn es nicht zufällig um das eigene Leben und Lieben und Sterben geht), aber so geradehin und unverziert von ihnen zu reden ist schwer. Maiwald versucht es: 

Wir machen Karneval. 

Wir haben uns verkleidet.
Ich steck in deiner Haut.
Du steckst in meiner Haut.
Wir spüren wer wen leidet. 

Wir haben uns mal leid.
Wir können uns gut leiden.
Ich steck in deiner Haut.
Du steckst in meiner Haut.
Wir haben was von beiden. 

Das wird zwar auf keinem Schulhof gesungen, aber ohne die Strophen, die dort zu hören sind, wäre es nicht entstanden. Ein schwieriges Gedicht ist es nicht, aber es ist intelligent und gefühlssicher, und so ein Gedicht zu machen ist schwieriger als ein schwieriges Gedicht. Die alte Gebärde des Austauschs, die so viele Liebesgedichte und Liebesszenen bestimmt – nicht nur im Wechseln von Dingen und Namen, sondern bis in die grammatikalische Struktur der Rede hinein, der Wiederholungen übers Kreuz: ich und du und du und ich; Tristan Isold, Isold Tristan… –, diese Gebärde des Austauschs macht auch hier die Mitte des Gedichts aus. Sie verbindet sich zusätzlich mit dem Bewußtsein vom Spielcharakter, den alle Liebe hat, immer auch hat. So frei nach selbstgesetzten Regeln gespielt ist kein anderer Ernst, und so ernst ist kein anderes Spiel. Das meint die Metapher von der Haut des andern, in der jedes steckt, in die sich jedes verkleidet hat, um mit dem Partner zusammen den kleinen Karneval zu treiben. Die Haut weist auf den Ernst und daß es um Leib und Leben geht. Der Karneval zeigt das Spiel.
Dennoch ist das zentrale Motiv nicht aus der unmittelbaren Körpererfahrung bezogen, sondern aus der Umgangssprache. Es ist abgeleitet von der Redewendung: Ich möchte nicht in seiner Haut stecken. Das gibt dem Ganzen einen ominösen Unterton. Denn die positive Variante – Ich möchte in seiner Haut stecken – kennt der Volksmund ja nicht. Wann immer im Alltag die Floskel fällt, geht es irgend jemand übel, und so witzig das Gedicht dieses Signal von Verhängnis und Schlamassel in sein Gegenteil wendet, es bleibt an dem Wortspiel doch etwas von der zwielichtigen Herkunft hängen.
Maiwald liebt solche literarischen Kunstgriffe. Er sucht die Sprachklischees und bläst ihnen durch eine kleine Verschiebung Leben ein: „Möchte der Vogel sein / von dem die Leute sagen / daß du ihn hast“ – „Ich bin nichts mehr: die rechte Hand / Der Chef hat meinen Kopf“ – „Wie man sich bettet / so wird man / Wie mann sich kettet / so irrt man“. Er spürt in den umgangssprachlichen Wendungen einen verläßlichen Sinn, der durch die Gewohnheit nur verdeckt ist. Wer ihn hervorzuholen versteht, im Gedicht zum Beispiel, hat der Sprache ein winziges Stück Unverwüstlichkeit zurückgewonnen.
Ob man es nun eher in der Tradition der volkstümlichen Strophen oder der anspruchsvolleren Spruchdichtung sieht, ein Gedicht wie das folgende zeigt in jedem Fall das Bestreben, sogleich auf den Kern der Sache zu kommen. Gut ist selbst das Schlimme, wenn es nur eindeutig dasteht, wenn man nur weiß, woran man ist. 

Gutes vom Feind:
Er ist geblieben.
Gutes vom Freund:
Ich hatte sieben. 

Gutes von dir:
Du bist gegangen.
Gutes von mir: 

Hab mich nicht aufgehangen. 

Der Karneval zu zweit ist da offenkundig vorbei. Tatsächlich stehen den vielen Liebesgedichten bei Maiwald ebenso viele gegenüber, in denen Schluß gemacht wird oder wo von einem gemachten Schluß mit jener grimmigen Deutlichkeit geredet wird, die den Schmerz und die Wut nicht verschweigt, aber an der erreichten Unzweideutigkeit der Lage doch auch ihr Vergnügen hat. Zu diesen gehört das Stück „Guter Dinge“: 

Die Dinge, die mir Marie gab
schwor ich: sind gut bis an mein Grab.
Die Tasse und die Hose und
der Ring zu meinem Schlüsselbund. 

Die Tasse, die mir früh schon brach.
Die Hose hielt den Frost nur schwach.
Den Ring zu meinem Schlüsselbund
gab ich dem Nachbarn für den Hund. 

Auch hier beobachtet man das blitzschnelle Spiel mit umgangssprachlichen Floskeln: „Guter Dinge“ – ein Ausdruck für Zufriedenheit – wird vom Gedicht wörtlich genommen und auf konkrete Gegenstände bezogen. Dadurch schillert der Ausdruck hinüber in jenen andern, nach welchem „aller guten Dinge drei“ sind. Sobald sich aber diese Gegenstände als wenig einwandfrei erwiesen haben, nähert sich die Überschrift wieder der ersten Bedeutung und bezeichnet das zaghafte Vergnügen nach dem Scheitern einer Liebe.
Noch viel bezeichnender aber für Maiwalds Gedichtemachen ist die Art und Weise, wie er hier ausschließlich mit Angelegenheiten von letzter Eindeutigkeit arbeitet. Eine Liebesgeschichte wird mit drei handfesten Dingen erzählt, wird zur Geschichte nur dieser drei Dinge. Alles andere mag zweifelhaft sein: Treue, Leidenschaft, Verrat, Schuld, Verzweiflung – lauter große Worte für schwierige Zusammenhänge von Gefühl und Sittlichkeit. Dies aber, Tasse, Hose, Schlüsselring, gilt ohne Vorbehalt. Was mit ihnen geschieht und als was sie sich erweisen, darüber kann man nicht rechten. „Inventur“ wird da veranstaltet, nicht anders als in dem berühmten Gedicht Günter Eichs aus der allerersten Nachkriegszeit. So wie dort – „Dies ist meine Mütze, dies ist mein Mantel, hier mein Rasierzeug…“ – geht es auch hier darum, auf Kosten der schwimmenden Ideen und Gefühle zum ganz Verläßlichen vorzustoßen. Das ist dann wohl arm und karg, aber in seiner Unverwüstlichkeit eben auch begeisternd. Man wird, ist man nur einmal soweit, wieder guter Dinge.
Bis hin zum Gebrauch einzelner Wörter kann man diese Bewegung verfolgen. Es gibt Nomina, die tauchen immer wieder auf. Hartnäckig schleichen sie sich in die Verse ein, oder sie werden zur Keimzelle für Zeilen und Strophen und ganze Gedichte. Diese Wörter sind „Haut“ und „Tisch“ und „Bett“ und „Grab“ – abgedroschene Vokabeln, könnte man denken, wären es nicht Vokabeln, die schlechthin nicht abzudreschen sind. Das Listige an Maiwalds Gebrauch dieser Wörter besteht denn auch darin, daß er immer wieder wie nebenher auf diese ihre blanke Unzerstörbarkeit verweist und so im Bereich der Sprache selbst seine Leidenschaft zu den kleinen, derben Unverwüstlichkeiten bezeugt: 

Bevor der Tod das Fell mir über beide Ohren zieht,
will ich noch alles sehen, schmecken, greifen, was mir blüht.
Dem Tod vermach ich, wenns nach mir geht, meine Knochen.
Mein Fell ist meins. Ich bin zu gerne drin gekrochen.
Ich habe viel zu gerne andre Häute gerne, 

als daß ich mich vor meiner Zeit daraus entferne… 

Ist er also, alles in allem, ein Idylliker der letzten Reduktionsstufe? Ein wenig schon. Aber diese Seite seines Schreibens wird eingeschränkt – und damit wohl auch erst legitimiert – durch die vielen Gedichte, die vom schlechten Leben handeln, von der allgemeinen Verwüstlichkeit und von den Leuten, die nie zu ihren ganz eigenen Tagen und Nächten kommen. Da ist die Sekretärin, die „Rechte Hand“ des Chefs, die es so sehr ist, daß sie sich tatsächlich als verstümmelt und verkümmert erfährt. Und da sind vor allem die „Konkurrenten“, denen ein Gedicht ausdrücklich und manches andere der Tendenz nach gilt. Eingespannt in das unablässige Rennen und Überholenwollen und Gewinnenmüssen, kommen sie immer voran und nie zu sich selbst. Sie verkörpern das Unglück, das am weitesten verbreitet und am besten versteckt ist.
Einzelne Gedichte machen sich über sie einfach lustig, so „Die Angestellten“. Das ergibt dann eher schwache Texte, ungenau gedacht und voreilig im Urteil, eine Art mühsamer Nachahmungen mittelmäßiger Kästner-Gedichte: 

Das Leben ist ein Sparstrumpf und die Angst vor Maschen
Prost: Cognacbrüder mit den Aktenkoffertaschen.

Sobald aber, wie im Gedicht „Funktionär“, das falsche Leben benannt wird, das heute jedem droht und an dem so oder anders jeder Anteil hat, gewinnen die Zeilen wieder Kontur. Da trifft die Diagnose auch den, der sie stellt. Klug und schön redet der Text „Rondo“ von solcher Gefahr. Sie erscheint als schlimmes Entweder-Oder. Wer mitrennt und reüssiert, verliert den Blick für die Wahrheit der guten Dinge; wer sich auf diese einstellt, muß auf das Gewinnen verzichten. Er wird zum Verlierer in den Augen der andern, aber er holt sich etwas, das der Zeit widersteht. Es ist schon fast Weisheit, wie die kurzen Zeilen zu sagen vermögen, daß das blinde Gewinnenwollen sich der Vergänglichkeit, über die es triumphieren möchte, erst recht ausliefert: 

Die Stunden verrinnen.
Die Tage vergehen.
Ich übe gewinnen
und mag mich nicht sehen. 

Ich übe sehen
und mag nicht gewinnen.
Die Tage vergehen.
Die Stunden verrinnen. 

Peter von Matt, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.5.1987

 

Peter Maiwald, der Kommunismus

und die Düsseldorfer Debatte1

1. Literatur und Parteilichkeit
Peter Maiwald ging auf sein 40. Lebensjahr zu und arbeitete schon mehr als anderthalb Jahrzehnte als freier Schriftsteller, publizierte Lyrikbände und schrieb Drehbücher für das Fernsehen, bevor das bürgerliche Feuilleton auf ihn aufmerksam wurde. Dass er diese ganze Zeit unter dem Radar dieser Öffentlichkeit agierte, lag zweifellos daran, dass Maiwald zugleich parteilich organisierter Kommunist war und seine Kunst mit diesem Klassenstandpunkt verband. Jetzt aber druckte Marcel Reich-Ranicki, Literatur-Chef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die damals jährlich mehr als 1.000 Buchbesprechungen veröffentlichte, Maiwald-Gedichte wiederholt ab, pries seine 1984 erschienene neue Gedichtsammlung Balladen von Samstag auf Sonntag als „Ereignis“, erhob ihn „in die erste Reihe der deutschen Lyriker dieser Jahre“, lud ihn als Autor zu seinen Frankfurter Anthologien ein,2 trieb damit Maiwalds Auflagenzahlen in die Höhe und trug so zu seinem einstweiligen Ruhm bei.3
Noch im selben Jahr wurde Maiwald in Folge seiner Beteiligung an der Gründung der Düsseldorfer Debatte: Zeitschrift für Politik. Kunst. Wissenschaft aus der Deutschen Kommunistischen Partei ausgeschlossen. Die Debatte war im September 1984 aus einem Kreis unzufriedener DKP-Mitglieder heraus gegründet worden. Ihre Gründer – Thomas Neumann, Michael Ben und Peter Maiwald – waren allesamt Parteimitglieder und die Düsseldorfer Debatte war eine Vorhut für den Richtungsstreit innerhalb der Partei, der nach dem Hamburger Parteitag von 1986 mit der Entstehung beziehungsweise offenen Auftreten des „Erneuerer“-Flügels virulent wurde. Von den Protagonisten der „Erneuerer“ würden nach dem Zusammenbruch der DDR und der Auflösung der Sowjetunion später viele in der (SED-)PDS („Partei des demokratischen Sozialismus“) und schließlich der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG), aus deren Fusion dann 2005/2007 die LINKE entstand, eine neue Heimat finden. Besonders bekannt sind hier sicherlich der jüngst verstorbene Heinz Hillebrand, langjähriger Leiter der Bildungspolitik-Abteilung im Karl-Liebknecht-Haus, dem Hauptquartier der LINKEN am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin, der frühere Kölner DKP-Vorsitzende und heutige einflussreiche Gewerkschaftsforscher Steffen Lehndorff, der Globalisierungskritiker Peter Wahl, die Linkspartei-Politikerin Bettina Jürgensen, der Autor Werner Rügemer und der frühere DIE LINKE-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke.
Das zeitliche Zusammenfallen von schriftstellerischer Anerkennung und politischer Exkommunikation werfen die Frage nach einem möglichen Zusammenhang auf. Ihm soll in diesem Text nachgegangen werden. Dabei wird auf das veröffentlichte Werk von Maiwald zurückgegriffen und auf Zeitzeugeninterviews mit rund zwei Dutzend Weggefährten Maiwalds in dieser Zeit.
Von Anfang an zurückzuweisen ist indes der bürgerliche Impuls, die ästhetische Qualität von Maiwald von seinen kommunistischen Überzeugungen zu trennen – nach dem Motto: Als Lyriker ernst zu nehmen war er erst nach Ablösung von der Ideologie und Parteilichkeit. Tatsache ist, dass Maiwald aufgrund seiner Beteiligung an der Gründung der Düsseldorfer Debatte aus der DKP ausgeschlossen wurde, sich aber nicht vom Kommunismus lossagte. Hinzu kommt, dass die von Reich-Ranicki rezipierten und euphorisch besprochenen Lyrikbände Gedichte versammelte, die allesamt vor Maiwalds Parteiausschluss entstanden waren, viele davon etliche Jahre zuvor.
Die Trennung von literarischem Werk und politischer Parteilichkeit ist jedoch so üblich wie falsch. Ein Schlüsseltext für die „Erneuerer“-Fraktion innerhalb der DKP war Peter Weiss’ Ästhetik des Widerstands, dessen dritter und letzter Band im Mai 1981 erschienen war. Michael Ben, mit dem zusammen Peter Maiwald 1984 die Düsseldorfer Debatte ins Leben rief, hatte 1982 in seinem Nachruf auf Peter Weiss in Bezug auf die Ästhetik des Widerstands geschrieben, sie „verweigert sich Dogmatikern der Halbheit, den Kämpfern reiner Politik und mehr noch Literaturbetrieblern, die sich mit den Maßstäben für liberalen Zwergenwuchs anschleichen, um dem Kommunisten und Künstler abwechselnd das eine oder andere wegzustutzen.“4
Dies gilt auch für Maiwald selbst. Denn auch in seinen Nachrufen findet man diese Wegstutzung, wenn etwa im Nachruf von Michael Braun im Tagesspiegel davon die Rede ist, Maiwald habe sich vom „Vollstrecker einer parteikommunistischen Rationalität“ zum „Virtuosen einer derb-vitalistischen Liebespoesie“ entwickelt, den Braun dann auch gegen den immer wieder gegen Maiwald vorgebrachten Vorwurf der „ästhetischen Regression“ aufgrund seines lyrischen Traditionalismus verteidigte.5 Auch Stephan von Kolson war sich in seinem Nachruf in der Westdeutschen Zeitung nicht ganz sicher, ob er Maiwald gegen den Tendenzliteraturverdacht in Schutz nehmen oder diesen Vorwurfwiederholen müsse, als er schrieb:

Schnell war er als politisch engagierter Arbeiterdichter abgestempelt. Schon einer der ersten Lyrikbände des DKP-Mitglieds erschien unter dem Titel Geschichten vom Arbeiter B.6

Tatsache ist, wie gesagt, dass die Gedichte, mit denen Reich-Ranicki Maiwald in den Pantheon der großen deutschen Lyriker erhob alle noch zu Zeiten der Parteimitgliedschaft geschrieben worden waren, dass die Düsseldorfer Debatte das Ziel einer „besseren DKP“ verfolgte und Maiwald sogar selbst dafür kämpfte, in der Partei bleiben zu können.

 

2. Peter Maiwald und das Schreiben für, aus und über die Arbeiter:innenklasse
Peter Maiwald wurde 1946 im schwäbischen Grötzingen geboren, einer zum damaligen Zeitpunkt 1.239 Einwohner zählenden Gemeinde im Aichtal im Landkreis Esslingen. Maiwald war Arbeiterkind. Seine Mutter war Hilfsarbeiterin, sein Vater, Franz Maiwald, stieg zum Angestellten auf. Peter Maiwald schaffte das Abitur und profitierte von der – durch fordistische Wirtschaft, Sputnik-Schock und Mauerbau ausgelösten – Notwendigkeit der Ausweitung der Hochschulbildung auf größere Teile der Volksmassen. Damit einher ging ein Modernisierungsdruck, der auch im linken liberalen Bürgertum für eine Bereitwilligkeit zugunsten einer Hochschulreform führte, die die alte hierarchische Ordinarienuniversität wenigstens teilweise durch Ausbau der verfassten Studierendenschaft, paritätische Besetzungen usw. demokratisierte.
Maiwald ging 1965 nach München, um dort Soziologie und Theaterwissenschaft zu studieren, brach das Studium aber – nicht untypisch für Arbeiterkinder, die in eine fremde Welt mit unverständlichen Regeln gelangen – nach acht Semestern ab und versuchte dann ab 1969, sich als freier Schriftsteller in München durchzuschlagen. 1970 zog er dann nach Neuss, fünfzehn Jahre später dann nach Düsseldorf, wo er bis zu seinem Tod lebte.
Von Anfang an verstand sich Maiwald als politischer Schriftsteller. Politisch zu sein war für ihn eine Selbstverständlichkeit, weil man als gesellschaftlich lebender und überlebender Mensch von den öffentlichen Dingen abhänge. In seinem ersten Gedichtband Geschichten vom Arbeiter B., der 1975 im Münchner Raith-Verlag erschien und Geschichten und Gedichte aus der Zeit zwischen 1969 und 1975 enthält, heißt es im Gedicht „Die Frage“:

Einer: Sind Sie
politisch interessiert?
B.: Essen Sie?
7

Ins Rheinland kam Maiwald bereits als parteilich organisierter Kommunist. 1968 war in Frankfurt am Main die Deutsche Kommunistische Partei gegründet worden. Noch im Gründungsjahr war der 21- oder 22jährige in die Partei eingetreten. Der Düsseldorfer Jazzmusiker, Liedermacher und Graphiker Dieter Süverkrüp, ein enger Weggefährte und ebenfalls bis zum Zusammenbruch des Staatssozialismus Mitglied in der Düsseldorfer DKP, warf in seinem Lied „Gerade hatten sie frisch tapeziert“ die Frage auf: „Warum wird so einer Kommunist?“.
Das Gedicht von Süverkrüp wurde als Anlass für einen 1976 in Neuss erschienenen Band genommen. Er erschien in der Kleinen Arbeiterbibliothek (in Anlehnung an eine alte Tradition der Arbeiter:innenbewegung in Deutschland). Peter Maiwald gab auf die Frage eine Antwort in Gestalt einer Kurzgeschichte über eine Arbeiterin, die er Lore Schneider nennt und die mit 18 Jahren der Gewerkschaft beitritt. Maiwald schreibt:

Die Schneider wird sich eine neue Arbeitsstelle suchen, sie ist Arbeiten gewöhnt. Man sieht ihr die Jahre in der Kartonagenfabrik nicht an und auch nicht die Zeit bei Siemens am Band. Dazwischen liegt die Entscheidung, die ihr Leben verändert hat. In der Ka1tonagenfabrik tritt sie der Gewerkschaft bei. Die hat für die Achtzehnjährige offene Anne und viele Aufgaben. Ehe sie sich versieht, ist sie Jugendsprecherin und hat dann diese Funktion und dann noch jene. So vorgeschoben erlebt sie den Kampf, der um die Verteilung der Güter geht. Sie hat Mühe, sich zurechtzufinden. Aber die am klarsten sagen, nach welchen Gesetzen das abläuft, wem das nützt und wie es zu ändern ist, das sind die Kommunisten, und so tritt sie deren Jugendorganisation bei und hat bald die Verantwortung für den Bezirk. 1952 wird die Freie Deutsche Jugend verboten, bald darauf die Partei. Das drängt die junge Kommunistin in die Illegalität, sie wird verhaftet, eingesperrt, angeklagt und verurteilt. In dieser Zeit verfliegen ihre Morgenträume vom Sozialismus. Sie lernt schnell, daß das ein langer Kainpf sein wird und daß es darauf ankommt, gut gerüstet zu sein. So nutzt sie die Zeit, die ihr die Illegalität läßt, zum Besuch von Abendkursen, lernt das kaufmännische Rechnen und alles, was mit der Lohnbuchhaltung zusammenhängt (…).8

Lore Schneider ist die Arbeiterin mit dem langen Atem, die in einem Wort von Maiwalds DKP-Genossen Franz Josef Degenhardt „revolutionäre Geduld und Zähigkeit“ beweist und ein Verständnis vom „richtigen Zeitpunkt“ hat. Sie ist realistisch dargestellt und dennoch eine Vorzeigekommunistin, wie es sie in der Lyrik der Zeit häufiger vorkommt. Lore Schneider entspricht letztlich den Figuren Natascha Speckenbach und Rudi Schulte im lyrischen Werk von Degenhardt.
Für Maiwald war die Organisation in der Deutschen Kommunistischen Partei gleichbedeutend mit dem Eintreten für die Interessen der Klasse, aus der er selbst kam. Und in Bezug auf die Adressaten seiner Kunst war für ihn Parteilichkeit im Sinne Georg Lukács kein Schimpfwort. 1973, fünf Jahre nach seinem Parteieintritt, gefragt, für wen er schreibe, antwortete Maiwald:

Ich schreibe für Arbeiter.9

Dies tat er im Bewusstsein, dass der bürgerliche Kunstbetrieb nicht für Arbeiterinnen und Arbeiter, nicht für seine Mutter und seinen Vater, gedacht war. 1979 dichtet Maiwald in Die Leute von der Annostraße (er selbst wohnte in der Annostraße 29 in einem Neusser Arbeiterviertel):

Mein Vater ist ein Arbeiter,
Und alles macht mein Vater,
Das Publikum weiß nichts davon
im Städtischen Theater
.
10

Damit grenzte sich Maiwald vom bürgerlichen Literaturbetrieb ab, den er als elitär wahrnahm. In „Schreibhaltung“ heißt es:

Ein Autor sagte stolz:
Ich schreibe nur für wenige.
Ich weiß, sagte der Arbeiter B.,
für die Verleger
.
11

Dabei warf Maiwald den Schriftstellerinnen und Schriftstellern vor, dass sie, weil sie vornehmlich aus bürgerlichen Haushalten stammen, die Realität der Klassengesellschaft ausblendeten, nicht welthaltig, nicht realistisch schreiben würden, zur Unsichtbarkeit der Bevölkerungsmehrheit der arbeitenden Klasse beitrügen. In „Über die Vergänglichkeit“ (1975) heißt es:

Den Dichtern,
die mit vielen großen
tiefen Worten
über die Vergänglichkeit
und das Altwerden schreiben,
rate ich, sagte B.,
sich frühmorgens die Akkordlerinnen
anzusehen
und sich gut deren Gesichter
einzuprägen,
um sie abends wiederzuerkennen
12

Indes sah Maiwald, anders als heute, in Klasse nicht bloß eine (weitere) Form von Diskriminierung und eine Identität, sondern ein soziales Verhältnis von Ausbeutern und Ausgebeuteten, von Herrschenden und Beherrschten, kurz: ein Herrschaftsverhältnis mit Oben und Unten. Dies wird in seinem Gedicht „Die Frage“ deutlich, das in seinem ersten, noch sehr stark Brecht-inspirierten Gedichtband Geschichten vom Arbeiter B. von 1975 veröffentlicht ist. Darin heißt es:

Das Sprichwort sagt:
Jeder ist seines Glückes Schmied.
Wem aber
gehört der Amboß?
13

Dabei war für Maiwald die Frage des Klassengegensatzes zwischen Kapital und (Lohn-)Arbeit jedoch keine der schlichten Verteilung, keine Frage von Reichtum und Armut, sondern ein unüberbrückbarer Gegensatz zwischen der Eigentumslosigkeit der einen Klasse und der darauf fußenden Fähigkeit der anderen Klasse, sich die Früchte der Arbeit der Eigentumslosen als Mehrwert (Profit) anzueignen. Deutlich wird das in zwei kurzen, unmittelbar aufeinanderfolgenden Gedichten von Maiwald aus seinen Geschichten vom Arbeiter B.: „Lohnabhängig“ und „Kapitalismus“:

LOHNABHÄNGIG
Einer sagt es so:
Du backst die Brote
für die Brötchengeber.

KAPITALISMUS
Das ist erklärte B.,
wenn die Menschen
nicht mehr
an den Früchten
ihrer Arbeit
erkannt werden.14

Vor diesem Hintergrund erschien Maiwald die gewerkschaftliche Organisation und kollektive Zurückhaltung der Mehrwert produzierenden Arbeitskraft durch den Streik als die entscheidende Waffe, die Interessen der lohnabhängigen Mehrheit gegen die Eigentümerklasse durchzusetzen. In „Der Standpunkt“ (1975) dichtet Maiwald:

Nachdem der Herr
im Hause
zum wiederholten Male
seinen Standpunkt
vertreten hatte
(der hieß: Die Unternehmerwirtschaft
ist unantastbar)
forderte B. die Kollegen auf,
die Unternehmerwirtschaft
wie befohlen
nicht anzutasten
und der Betrieb
stand still
.15

Der Streik war dabei für Maiwald, ganz im Marx’schen Geiste, eine bewusstseinsverändernde, Klassenbewusstsein hervorbringende Erfahrung. Im Gedicht „Der Streiker“ heißt es:

Sysiphos
aus Halle IV
seinen Stein
erkennend
als Geschoß.16

Maiwald war dabei von der marxistischen Grundhaltung überzeugt, dass nur die Interessen der Lohnarbeiterinnen und Lohnarbeiter an einer existenzsichernden Arbeit, an Arbeitsplatzsicherheit, Arbeitsschutz, bezahlbarem Wohnraum und Gemeingütern wie Bildung, Gesundheit und Mobilität sich gesamtgesellschaftlich universalisieren ließen, weshalb für Arbeiterinnen und Arbeiter zu schreiben bedeute, für die Menschheit zu schreiben. Maiwald schreibt dazu: „man schreibt, wenn man für den Arbeiter schreibt, nicht nur für den Arbeiter“, sondern, wie sich im Sinne der materialistischen Geschichtsauffassung ergänzen ließe, für die Menschheit und den gesellschaftlichen Fortschritt. „Nur der Standpunkt der Arbeiter“ versetze „einen Schriftsteller in unseren Tagen in die Lage eines Blickpunktes, von dem aus eine reale menschenfreundlichere Zukunft für alle zu sehen“ sei.17
Am Ende des Tages träumte Maiwald von einer Gesellschaft, in der die Marx’sche Vision einer kommunistischen Gesellschaft, in der das Prinzip „Jedem nach seinen Bedürfnissen, jeder nach seinen Fähigkeiten“ verwirklicht sei. Ein Beispiel hierfür ist der 1990 erstveröffentlichte, stark an Brecht und seinen „Me-ti“ sowie die „Flüchtlingsgespräche“ erinnernde Kurzprosatext über „In der Stadt P.“, geschrieben 1984, der die Absurdität des Kapitalismus durch Verfremdungseffekt aufzeigt:

In der Stadt P., so hörten wir, soll es Menschen geben, die, kaum glaublich, aber wahr, nur aus Papier bestehen. Wenn dort ein Mensch geboren wird, glauben sie es nicht, bevor ein Amt eine Urkunde ausgestellt hat, daß es sich so verhält. So kann in der Stadt P. von Anfang an keiner behaupten, daß er ein Mensch ist, jedenfalls nicht ohne Papier.
Wenn sie in der Stadt P. Hunger haben oder Durst, genügt es nicht, daß sie sagen, ich habe Hunger oder Durst. Darauf gibt ihnen keiner was, weder Getränke noch Brot. Auch wenn sie frieren, ist das in der Stadt P. noch lange kein Grund für einen Mantel, wie auch wunde Füße kein Grund für neues Schuhwerk sind. Für alle Bedürfnisse haben sie in der Stadt P. Papiere, und allein der Wert und die Menge dieser Papiere bestimmen die Sättigung der Bewohner. Nur sie sagen den Händlern, mein Besitzer hat Hunger oder Durst, oder er friert, oder er braucht neues Schuhzeug. Ein Mensch kann derlei in der Stadt P. so oft und so ernsthaft behaupten, wie er will, ohne diese Papiere wird ihm das nichts nützen.
In der Stadt P. kann kein Mensch erwachsen werden, ohne daß ein Papier sagt, daß sein Inhaber erwachsen sei, wie in P. auch niemand arm sein kann ohne ein Papier des Fürsorgeamtes. Ohne Papier läßt sich in P. keine Arbeit finden, und ohne Papiere kann man in P. auch keine Arbeit verlieren. Selbst der Glaube an Gott steht in der Stadt P. auf dem Papier, wie auch die Ungläubigkeit dort ohne Papier nicht existieren kann. Die Liebenden brauchen Papiere für ihre Liebe, sonst ist sie nicht amtlich, und die Hausbewohner brauchen es auf dem Papier, daß sie zu Recht ein Dach deckt. Es erscheint folgerichtig, daß man in P. auch nicht tot sein kann ohne Papier, und selbst das letzte Hemd ist aus demselben Material, das das Leben der Leute in P. ein Leben lang ausmacht
.18

Für Maiwald stand dabei fest, dass die Verwirklichung wirklicher Gleichheitsträume die Frage des Privateigentums an den Produktionsmitteln zu stellen habe. Ihm gegenüber zeigte er sich respektlos. Ein Beispiel hierfür ist das „Mauerlied“, das 1989 entstanden sein soll:

Es war einmal ein Kind,
das war wie Kinder sind:
es mußte alles wissen,
weil das die Kinder müssen.

Das war ein Eigentum,
das hatte Mauern drum:
so konnte kein Kind wissen,
was Kinder wissen müssen.

Da war das Kind sehr schlau
und sprach: Wenn ich mich trau
und kletter auf die Mauer,
dann werd ich etwas schlauer
und werde alles wissen,
was Kinder wissen müssen.

Gesagt, getan, geschehn:
Das Kind konnt alles sehn.
So ist das Eigentum:
es hält die Kinder dumm.
Durch Mauern kann doch kein Kind wissen
was Kinder wissen müssen.

Sie macht Schluß mit der Welt
die Unwissen erhält
und reißt die Mauern ein:
ein Kind wird schlauer sein.
Das Wissen macht uns gierig
und dumm zu sein wär schwierig
.
19

Sein Vertrauen in die Veränderbarkeit der Welt schöpfte Maiwald dabei aus den Widersprüchen des Kapitalismus allgemein und dem Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit selbst, so wie Brecht einst argumentiert hatte:

Die Widersprüche sind unsere Hoffnung.

1975 dichtete Maiwald in „Prüfung eines Berichts“:

Dem Arbeiter B.
wurde berichtet:
in dem Land X
sei die Lage
hoffnungslos.
B. Fragte:
Leben dort
Keine Arbeiter?
20

Schon seit seiner Münchner Zeit betätigte sich Maiwald als Literaturrezensent für die Deutsche Volkszeitung, die als bündnispolitisches Organ aus dem Umfeld der Deutschen Kommunistischen Partei letztlich mit einer pluralistischen Breite, aber auch mitfinanziert aus der DDR, die deutschlandpolitischen Ziele des anderen deutschen Staats nach völkerrechtlicher Anerkennung, Abrüstung und Entspannung im Kalten Krieg massenwirksam verbreiten sollte. Stellvertretender Chefredakteur der DVZ wurde der später durch ein Berufsverbot um seine Münsteraner Professur gebrachte Soziologe Thomas Neumann, der dann ab 1973 als Referent für Hochschulpolitik beim Parteivorstand der DKP in Düsseldorf tätig war und der intellektuelle Stichwortgeber hinter der von ihm mit  gegründeten Düsseldorfer Debatte werden würde.
Dass Maiwald von München aus nach Neuss und später Düsseldorf ging, dürfte nicht ganz zufälliger Natur gewesen sein. Düsseldorf spielte in der westdeutschen Kommunismusgeschichte eine zentrale Rolle. Die Parteizentrale war hier und saß in der Prinz-Georg-Straße 79.21 Die Redaktion der Parteizeitung Unsere Zeit lag in Düsseldorf, ebenso die Deutsche Volkszeitung. Die ersten UZ-Pressefeste, die nach dem Vorbild der großen Volksfeste der L’Humanite, Zeitung der einflussreichen Kommunistischen Partei Frankreichs, gestaltet wurden, fanden hier statt, auf den Düsseldorfer Rheinwiesen am linken Rheinufer. Zudem hatte Düsseldorf auch einen großen, über 1.000 Mitglieder zählenden DKP-Kreisverband unter dem Vorsitz von Hans Blumenthal, in der neben Maiwald auch Dieter Süverkrüp und andere zeitweilig aktiv waren. Im benachbarten Neuss wiederum wurde die Kleine Arbeiterbibliothek herausgegeben, im nahen Köln saß der Pahl-Rugenstein Verlag, der größte Verlag, innerhalb eines weit  verzweigten parteieigenen Verlagsimperiums, zu dem auch der Dortmunder Pläne Verlag gehörte. Und schließlich hatten Stadt und Region auch eine traditionskommunistische Symbolbedeutung: Düsseldorf als die Stadt des Marx  Freundes Heinrich Heine, das Rhein-Ruhr-Gebiet als die Herzkammer der Arbeiterbewegung im Westen, wo die Rote Ruhrarmee den ersten Putschversuch der Konterrevolution durch ihr engagiertes Handeln  zunichte gemacht hatte usw.
Im Rheinland angekommen schrieb Maiwald nun in Zusammenarbeit mit anderen Autorinnen und Autoren Agit-Prop-Straßentheaterszenen für DKP-Wahlkämpfe und alsbald auch politische Revuen, die zum klassenpolitischen Handeln aufforderten und Wege der Veränderung und Überwindung des Kapitalismus aufzeigen sollten. Eine dieser Politrevuen war das gemeinsam mit Therese Angeloff (1911–1985) geschriebene Stück Hanna und Paul – der Sozialismus kommt selten allein, das 1977 bei einer Mai-Veranstaltung der DKP in Düsseldorf von der Theatertruppe Dampfmaschine uraufgeführt wurde. Bei diesen Politrevuen arbeitete Maiwald eng mit dem Komponisten Nicolau A. Huber, einem Schüler von Karlheinz Stockhausen und Luigi Nono zusammen, der zur Dampfmaschine gehörte. Die Lieder nach Texten von Maiwald und Angeloff sind auf einer 1979 im DKP-eignen Pläne-Verlag erschienenen Schallplatte dokumentiert; Hanna und Paul erschien ebenfalls in einem Parteiverlag.22
Maiwald schrieb Texte für Kabarettbühnen wie das Düsseldorfer Kom(m)ödchen oder das Stuttgarter Renitenz-Theater und ferner auch Liedtexte für politische Bands aus dem DKP-Umfeld, wie Die Conrads, die dann damit in West und Ost auftraten, u.a. auf dem Ostberliner Festival des politischen Liedes 1972 und wie das marxistische Kölner Rockmusiktheater Floh de Cologne, für dessen in Zusammenarbeit mit der IG Metall entstandene Rockoper Koslowsky er mehrere Liedtexte beisteuerte.23 Zugleich wurden auch Maiwalds Texte immer wieder vertont, so zum Beispiel auch von Peter Paul & Barmbek.24 Und mit Fasia Jansen und Süverkrüp arbeitete er auch selbst an der Vertonung von Gedichten aus seinem Kindergedichtebuch Die Leute von der Annostraße zusammen.
Hinzu kamen Lyrikbände, Drehbücher, Hörspiele, Reportagen und Rezensionen.25 Eines seiner bekanntesten Gedichte ist die „Ballade von der Hester Jonas“ nach dem historischen Fall der „Hexe von Neuss“, die am Weihnachtsabend 1635 – also mitten im Dreißigjährigen Krieg – nach Folter zum Tode verurteilt und in Neuss mit dem Schwert enthauptet wurde. 1979 wurde das Lied von der Dortmunder Folkrockband Cochise auf ihrem Debütalbum Rauchzeichen vertont und überregional bekannt gemacht.26 Und auch vielen Linken, denen Peter Maiwald heute nichts mehr sagt, sind seine Worte trotzdem sehr vertraut im Ohr, etwa dann, wenn sie „Brot und Rosen“, diesen marxistisch-feministischen Klassenhauer schmettern, denn dieses historische Lied aus der US-amerikanischen Arbeiter:innenbewegung und dem großen Textilarbeiterinnen-Streik von Lawrence, Massachusetts (1912), wurde 1978 von Maiwald eingedeutscht.
Später kam Maiwald dann auch zum Fernsehen, als Drehbuchautor für Hans Dieter Hüschs zwischen Mai 1976 und Dezember 1978 in zwei Staffeln ausgestrahlten Sonntagvormittagsserie Goldener Sonntag über die Alltagsnöte einer Arbeiterfamilie, Arbeitslosigkeit, eine deutsch-türkische Liebesbeziehung und auch Rassismus. Das Drehbuch verfasste Maiwald zusammen mit Gerd Wollschon (1944–2012), bis 1976 Texter und in den Worten von Vridolin Enxing „der eigentliche Initiator“ von Floh de Cologne, der hiernach dann mit seinem gepriesenen Solokabarett für Staatsfeinde (1979) auf Tour gehen würde. Selbst als Darsteller war Maiwald unterwegs, nämlich in der neunteiligen Familienserie, abermals von Hanns Dieter Hüsch zusammen mit Werner Schretzmeier initiiert: Die kleine Heimat: Bundesdeutsches Familientheater (1979–1980). Hier trat er in einer Folge neben Konstantin Wecker, Wolfgang Dauner und Albert Mangelsdorff als er selbst auf.
Während der „Arbeiter B.“ aber eindeutig als klassenbewusster Arbeiterintellektueller konzipiert war, sind Maiwalds Darstellungen jedoch keine einfachen, widerspruchsfreien „working class hero“-Darstellungen, sondern beschreiben das Leben der Klasse, den Gegensatz zwischen klassenbewussten und klassenunbewussten Arbeiterinnen und Arbeitern durchaus realistisch. Ihm hilft, dass er aus der Klasse stammt und in der Umgebung lebt, über die er schreibt.
Sein Band Die Leute aus der Annostraße (1979) beinhaltet etwa Gedichte aus dem proletarischen Alltag, die sofort Erinnerungen an Gerüche, den Geschmack von Hähnchenschenkeln und Teilchen, Geräuschfetzen von Worten und Gesprächen wecken, wie ich sie selbst aus den kleinen Wohnungen meiner in Mönchengladbach und Umgebung lebenden proletarischen Großeltern, Großonkel, Großtanten, Onkel und Cousinen kenne. Auch beschreibt Maiwald Kindheitserinnerungen wie Badewannenfantasien, Fernsehabende mit den Eltern, kindliche Schulhofschlägereien, Fußball- und Gangsterspiele, Schabernack treiben wie Äpfel und Kirschen klauen („Benni Apfelbaum“, „Der Kirschbaum und Frau Könes“) und jugendliches Herumlungern in Kaufhäusern usw. Das proletarische Leben der Kinder, das allein deshalb vor allem draußen stattfindet, weil sie in viel zu engen Wohnverhältnissen aufwachsen.
Neben die Beschreibung der proletarischen und einfachen Lebensverhältnisse treten Thematisierungen von Klassengegensätzen wie Immobilienkapitalbesitzer/Mieter-Verhältnisse und beengte Wohnverhältnisse („Der Baum“, „Gebet der Barackenkinder“, „Geschäftigkeit“), zwischen Kopf- und Handarbeit („Dicken Matthes Lied“) und Klassenfragen wie proletarische Verrohung und Entfremdung („Die Kinderfeinde“), Hausfrauenelend („Die Kinderfeinde“). Immer wieder kehrt Maiwald im Zuge der monetaristischen Wende und Entstehung von Massenarbeitslosigkeit zur Erwerbslosigkeit als einer besonderen Form des  Klassenunglücks zurück („Der Vater ist die Arbeit los“, „Gebet der Barackenkinder“, „Frau Engels Söhne“, alle in Die Leute von der Annostraße (1979]). Maiwald beschreibt Arbeits- und entsprechende Machtlosigkeit, so in „Die Freigesetzten“ (1981), ein Gedicht, in dem es heißt:

Sie stehen mittags um die Buden mit Ketchup, Wurst und Fritten
und schauen auf die Uhr, als würden wo Fabriken warten.
Sie sitzen stumm im Park und teilen sich die schlechten Karten
und geben etwas, wenn wo in der Stadt die Bettler bitten.
Im Kaufhaus lassen sie sich lange die Geräte zeigen,
die teuer sind und sagen: Dankeschön, ich komme wieder.
Sie kennen mit der Zeit die Worte aller Schlagerlieder
und schauen süchtig den Verkäuferinnen zu und schweigen.
Sie gehen langsam heim (die Kneipe noch!) um sechzehn Ecken.
Im Hausflur tun sie so, als ob sie von der Arbeit kämen.
Sie sind wie Knechte, die sich ihrer Herren heimlich schämen,
bevor sie sich zur Nacht vor ihrem Fernseher verstecken
.27

Er beschreibt die Entfremdung in den Geschlechterverhältnissen, die die Erwerbslosigkeit mit sich bringt, so in „Die Frau des Arbeitslosen“ (1977), worin es heißt:

Mein Mann ging mir verloren.
Mein Mann ging zur Fabrik.
Er ist sehr früh gegangen
und kam sehr spät zurück.
Und der zurückkam war nicht
der Mann, den ich gekannt.
Die Hand, die mich berührte,
das war nicht seine Hand.
28

Später wird Maiwald notieren:

Wortkostüm: Der Arbeitslose spielt einen Freigesetzten.29

Immer wieder schreibt Maiwald über die (Existenz-)Ängste der arbeitenden Klassen, so in „Bewerbung“, das an Karl Marx’ Darstellung des Gangs in die Produktionssphäre in Das Kapital erinnert, über den Arbeiter, der nichts zu erwarten hat, als das leibhaftige Gerben der eigenen Haut. Bei Maiwald klingt dies so:

Mir wachsen Zähne.
Mir wachsen Felle.
Ich bin auf Posten.
Ich bin zur Stelle.
Ich bin bereit.
Ich bin zu haben.
Ich kann gebären.
Ich kann begraben.
Mir nichts zuviel.
Dir nichts zuwenig.
Sei ich mein Henker,
sei du mein König
.30

Und in seinem Gedicht „Gegenwärtige Geschichte“, erschienen in seinem ersten Gedichtband Geschichten vom Arbeiter B., heißt es über die damalige Rezession und die Wiederkehr der Massenarbeitslosigkeit:

Im November 67
arbeitete ich wie verrückt,
pflegte der Arbeiter B. zu bemerken.
Ich suchte eine Stelle
.
31

Maiwalds Marxismus war indes nicht klassenreduktionistisch. Patriarchale Ausbeutungsverhältnisse, Sexismus, Partnerschaftsgewalt sind von Anfang an zentrale Themen für ihn, genauso wie Rassismus. Wie Brecht, war Maiwalds Lebensideal das der Geschlechterbeziehung auf Augenhöhe. In seinem Gedicht „Liebesgeschichte“, erschienen in seinem ersten Gedichtband Geschichten vom Arbeiter B., kommt dies zum Ausdruck:

Dir zuliebe
soll ich etwas
von mir opfern,
sagte die Frau.
Welch ein Verlust
für uns.32

Im gleich darauffolgenden Gedicht „Das Joch“ schreibt Maiwald:

B. hörte: ein Freund
habe dem anderen
die Freundin ausgespannt.
Was für Verhältnisse,
dachte er
.
33

Unglück und Ausbeutung im Hausfrauendasein wiederum spielen in Die Leute von der Annostraße eine wichtige Rolle, etwa im Gedicht „Die Kinderfeinde“. Auch sein in dieser Zeit entstandenes, aber zu Lebzeiten unveröffentlichtes Hörstück Ich bin frei, das während des Peter Maiwald-Symposiums am Düsseldorfer Heinrich-Heine-Institut vom 22. September 2022 seine Welturaufführung erlebte, ist gekennzeichnet von verdichteten Beschreibungen der Beschädigungen der Lohnarbeiterklasse durch die kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Das Stück, das drei Arbeiterfrauen, die am Band arbeiten, darstellt, hat für diese Zeit einen bemerkenswert resignativen Tonfall, weil es im Geist eines „Die Faust in der Tasche ballen“ atmet und eben nicht Faust und rote Fahne reckt. Dafür ist das – im Übrigen stark materialistisch-feministisch geprägte Hörstück aus der Mitte der 1970er Jahre – umso realistischer. Maiwald folgte dabei letztlich seinem eigenen Ratschlag, den er in einem unveröffentlichten Kurzgedicht „An einen jüngeren malenden Genossen“ von Anfang der 1970er Jahre für gute politische Kunst gegeben hatte:

Mal Männer und Frauen unter dem Schlot,
die Arbeiter mit der Garbe.
Wir bitten dich: spar mit dem Rot.
Es ist unsere teuerste Farbe
.
34

Schon in seinem ersten Gedichtband gab Maiwald als Ziel schriftstellerischen Produzierens die Gesamtdarstellung von (Wirkungs-)Zusammenhängen aus. In seinem Gedicht „Als das Haus brannte“ heißt es:

Als das Haus brannte
hatte der Erste ein Gedicht
schon geschrieben, dies warnend.
Schrieb der Zweite ein Gedicht,
das verbrannte. Half der Dritte
beim Löschen. Nahm der Vierte
dies im Gedicht auf. Ging
der fünfte an den Neubau mit.
Lobte der Sechste den Dachkranz.
Aber keiner von allen erschien B.
als Schriftsteller. Aber alle zusammen, sagte er,
das wär einer
.35

Und auch wenn Maiwald in seinen frühen Rezensionen für die Deutsche Volkszeitung literarische Werke streng inhaltistisch bewertete und sich gegen Formalismus wandte, so warnte er später doch vor zu viel missionarischem Eifer im Schreiben. So verwirft er 1993 in Wortkino: Notizen zur Poesie die Vorstellung von „reine(r) Ästhetik“ als „schwarze Schimmel“, wendet sich gegen „[d]ie Biederkeit der Worte“, die „nur eine gute Figur machen wollen“,36 und mahnte doch zugleich vor jenen Schriftsteller(n), die ihren Lesern etwas hinter die Ohren schreiben wollen und sich wundern, daß sie da kein Gehör finden.37
Und er erinnerte daran, dass die Lebensfreude im politischen Kampf nicht zu kurz kommen dürfe, wenn es in „Literaturgeschichte“ heißt:

DemmitderBrille sagte er:
Denk an die Briefe Lenins,
die ihn in der Verbannung
erreichten. Sie enthielten
die Informationen der Lage,
die Pläne für morgen,
aber auch die vergnüglichen
Aufgaben, die das Schachspiel stellt
.38

Entsprechend plädierte Maiwald für eine kommunistische Kunst, die alle Sinne erfasste. In seinem frühen Gedicht „Unzufriedenheit“ heißt es:

Am Ende eines Abends
an dem die Künstler
ihre Arbeiten gegen Ausbeutung
und Unterdrückung vorzeigten,
gestand B. seine Unzufriedenheit:
Eure Arbeiten
haben meinen Verstand
überzeugt. Was aber
sage ich meinen Sinnen?
39

Wichtig sei der politisch-ästhetische Nutzen der Literatur im Kampf. In „Lob der Literatur“ heißt es:

B. kannte kein Buch
der Bücher Pablo Nerudas,
aber er lobte sie sehr.
Das müssen vertrauenswürdige
Bücher sein, sagte er.
Ich höre, sie werden mitgenommen
in die Geheimorganisationen
gegen die Junta
wie sonst nur
gute Genossen
.40

Zur realistischen Darstellung der Arbeiterklasse gehört dabei auch das Zugeneigtsein zum Alkohol, der die Sorgen ertränkte, so etwa im 1979 entstandenen Kneipengedicht „Im Posthörnchen“, in dem es heißt:

Die Arbeitsnot ist Ferne.
Die Teurung ist Hawaii.
Die Männer träumen gerne
daß Angst ein fremdes Fremdwort sei.
41

Maiwald selbst wusste, worüber er schrieb, denn viele seiner engsten Weggefährten beschreiben ihn als alkoholkrank. Ab einer bestimmten Uhrzeit konnte man ihn nicht mehr anrufen, erinnert sich Ursel Schmitz, die nach ihrem Studium in Marburg zusammen mit Olaf Cless und Helga Mangold von Marburg aus nach Düsseldorf in eine gemeinsame Wohngemeinschaft zog, hier dann in der DKP Peter Maiwald kennenlernte und dann von 1978 bis 1981 seine Lebensgefährtin war. „Der Trinker“ (1977), „Die Kellnerin“ (1977), „Lebhafter alter Mann“ (1983), „Hellas Tochter“ (1986), „Die Gaststätte“ (1997) schildern die Welt der Kneipen, Clochards und Trinker, wie er sie aus erster Hand kannte.42 Und auch Prostitution und proletarische Delinquenz schlagen sich in Maiwalds Gedichten nieder, so zum Beispiel in „Himmelgeister Sonett“, einem Poem über den Freitod einer Prostituierten, und in „Ballade von Dreien“ (1976). Gekennzeichnet sind viele dieser Lieder von Mitleid, der sich aber oft – im Brechtschen Sinne des „Me-ti“ – in Zorn über die ungerechten Verhältnisse übersetzen.
Die Formen von proletarischer Verrohung, zu denen auch Grobheiten gegen Kinder gehören, die heute als strafwürdige Kindesmisshandlungen geahndet und von den Kindern als Prügeleien untereinander weitergegeben werden („Bericht von der großen Schlacht Ecke Annostraße/Friedensstraße“), stellen sich bei Maiwald historisch-materialistisch als Spiegel der Verrohung in den Produktionsverhältnissen des Kapitalismus dar. Besonders eindrucksvoll geschieht dies in dem Gedicht „Die Kinderfeinde“ von 1979. Die Kinderfeinde sind verschiedene Formen der Verrohung der Erwachsenen, nämlich der Abbruch der Jugendträume durch den viel zu frühen Einstieg ins Lohnarbeitsleben, die Fremdbestimmung am Arbeitsplatz durch das Kapital, das „Problem ohne Namen“ des Hausfrauendaseins, die Mühsal von Arbeitsleben und Existenzangst sowie der Krieg. Maiwald schreibt:

Die Kinder spielen Pfützensprung.
Der Lärm ist unbeschreiblich.
Die Fensteroma Niemalsjung
wird böse unausbleiblich.
Ist Niemalsjung ein Kinderfeind?
Die Frage wird verneint.

Die Fensteroma Niemalsjung
hat ihre böse Schimpfezung
von ihrem bösen Leben:
mußt jung schon Arbeit geben
dem Herrn der Giftdamptlackfabrik,
da blieb ein Gift in ihr zurück.
Ein jedes Kind ersieht daraus:
die Arbeit macht den Menschen aus.
Den Kindern drum erscheint
die Dreckarbeit als Feind
.43

Ähnliches bringt das Gedicht „Taktfrage“ zum Ausdruck, das in Maiwalds Debütlyrikband Geschichten vom Arbeiter B. (1975) zu finden ist:

Störend ist,
sagte eine Dame,
daß sich die unteren Klassen
nicht benehmen können.
Polternd und ungeschlacht
lassen sie jedes Taktgefühl
vermissen.
Kennen Sie den Arbeitstakt
eines Fließbandes hierzulande,
fragte B.
interessiert
.44

Die eindeutige Sympathie und das Verständnis für die lohnarbeitenden Klassen stehen bei Maiwald in schroffem Gegensatz zu seiner Verachtung für das neue Kleinbürgertum, die Angestellten, das lohnabhängig beschäftigte niedrige und mittlere Management, deren ökonomische Existenz ebenfalls von einer Machtasymmetrie und der Unfreiheit abhängiger Beschäftigung gekennzeichnet ist, deren Aufstiegs- und Konkurrenzorientierung sie aber nach unten herabschauen und treten lässt. So schreibt Maiwald in seinem Gedicht „Rechte Hand“:

Ich bin nichts mehr: die rechte Hand.
Der Chef hat meinen Kopf.
Und wenn ich Glück hab zieht er mich
vom Sumpf an seinem Schopf.
Und wenn ich Glück hab schenkt er
mir Lächeln eins zwei drei.
Und wenn ich Glück hab ist ein klei-
ner Finger mit dabei.

Und wenn ich Glück hab komme
ich ab und an zu Wort.
Und wenn ich Glück hab komm ich mit
dem blauen Auge fort.
Und wenn ich Glück hab wirft er
ein Lid, ein Aug auf mich.
Und wenn ich Glück hab bleibt die lin

ke meiner Hand für sich.
Und wenn ich Glück hab werd ich
ein Mensch mit Hand und Fuß.
Und wenn ich Glück hab bin ich
was in die Grube muß.
45

In einem 1986 in der Frankfurter Rundschau veröffentlichten Gedicht mit dem Titel „Alpträume“ findet sich später die Zeile: „Alptraum der Angestellten: Er geht in sich und findet seinen Chef vor.“
Und in seinem Gedicht „Das Haus“, das an Udo Jürgens „Ein ehrenwertes Haus“ erinnert, heißt es gegen duckmäuserisches Nach-oben-buckeln-nach-unten-treten, in der ersten Strophe:

Wir sind ein anständiges Haus.
Im Parterre wohnt, wer Publikum liebt.
Im Keller, wer es zu ebener Erde nicht geschafft hat.
Im ersten Stock, wer einen unter sich haben
im zweiten, wer höher hinauswill
und im dritten, wem es gelungen ist.
Unter Dach und Fach haben wir die Freiräume
wo wir abstellen, was wir für den Tag nicht brauchen
.46

Maiwalds Auffassung vom Kapitalismus als System findet sich in seinem Gedicht „Die Steinstadt“, das 1975 entstand und 1987 in seinem Gedichtband Guter Dinge prominent erschien. Darin heißt es:

Die Straßenfront der großen Geldkasernen:
So schützt vor seinen Leuten sich ein Feind.
Er läßt die Kinder Ruhe, Ordnung lernen,
und es ist seine Ruhe, die er meint.

Doch ist ein Kämpfen. Jeder gegen jeden.
Es ist kein Kampf, der um das Ganze geht.
Die Vielen schlagen sich um Stücke Eden
und wissen, daß sie sich nur schlugen, spät.

Die Männer sind dem Postenstreit ergeben.
Die Frauen jagen sich um jeden Preis.
Die Kinder wachsen auf zum Überleben.

Sie gehn mit Wunden woher keiner weiß.
Sie lesen mit Erschrecken, wer sich nicht gehalten
die Morgenzeitung aus Geschäfts- und Trauerspalten
.47

Maiwald war jedoch nicht nur im Geist ein Mensch, dem das „Wir“ näherlag als das „Ich“. Auch arbeitstechnisch lag ihm die kollektive Arbeitsweise. Dadurch setzte er sich über die Vereinzelung des Schreibenden hinweg. Dass dieser dabei jedoch niemals alleiniger Urheber seines Werkes sei, davon war Maiwald überzeugt. 1993 notiert er:

Schon daß ein Gedicht vorgibt, nur von einem Autor zu sein, ist eine unziemliche Lüge.48

Die Orientierung auf Alltagssprache im Maiwald’schen Werk, die dem Wunsch, welthaltig und realistisch zu schreiben, entsprang, war ein wesentlicher Grund für das Lob von Reich-Ranicki. Dieser pries Maiwalds Lyrik anhand seines Gedichtbandes Balladen von Samstag auf Sonntag von 1984 in folgenden Worten:

Sein Vokabular schöpft er, so scheint es, aus einer einzigen Quelle – aus der Sprache des Alltags. Auch in seiner Lyrik bewährt sich die Methode, dem Volk aufs Maul zu schauen. Er verachtet weder Slang noch Jargon, er greift gern auf saloppe Wendungen zurück, hier und da bedient er sich der idiomatisch reduzierten Ausdrucksweise jener, die man ,Aussteiger‘ zu nennen pflegt. Dies alles gibt seiner Diktion Saft und Kraft, ohne sie zu vulgarisieren und ohne ihre Genauigkeit und Prägnanz zu beeinträchtigen.49

Und weiter:

Der Misere unserer Zeit hält er unbeirrbar sein Gedicht entgegen, dem drohenden Verfall die Form und die Schönheit. Darin liegt die tiefste Aktualität, man könnte ebenso sagen: die Bedeutung der Verse Peter Maiwalds.

Dass Reich-Ranicki Maiwalds Sinn für das Schöne pries, dürfte für ihn Musik in den Ohren gewesen sei, denn darauf legte er stets Wert. Poesie sei ein „Lebensmittel“, schrieb Maiwald einmal, das sieben Hungerarten zu stillen vermöge:

Es sind dies, in willkürlicher Reihenfolge, die Altgier, welche danach lechzt zu wissen, woher wir kommen, die Neugier, welche sich die Lippen leckt zu wissen, wohin wir gehen; die Wortlust, welche das Redewasser im Mund zusammenlaufen läßt; der Trauerdurst, den Marx einen Ausdruck der Selbstverwirklichung nannte; der Lachreiz, desgleichen; der Menschenkitzel, der sich vom Thema Nummer eins speist, und der Schönheitsappetit, der beim Zusichnehmen von Schönheit kommt.50

Mit Kopfschütteln dürfte Maiwald es jedoch quittiert haben, dass man ihn zeitweilig zur neuen Innerlichkeit zählte, weil seine Gedichte, die in der Ersten Person Singular geschrieben sind, hinter dem lyrischen Ich unmissverständlich den Dichter selbst wiedererkennen lassen. Dabei hatte er die neue Innerlichkeit als rückschrittlichen Subjektivismus doch explizit abgelehnt und auch verspottet. So ätzte er in dem 1984 entstandenen und 1987 gedruckten „Landschaft mit Engeln“:

Die Dichter stehen an den Ecken schreien:
Ich bin ein Mensch und das ist mein Geschäft.
Ich bin verletzt und biete Innereien
51

 

3. Die Deutsche Kommunistische Partei und ihre historische Bedeutung
Heute, in der historischen Rückschau, mag Maiwalds Eintritt in die Deutsche Kommunistische Partei manchen als ein politisch-menschlicher Irrtum oder gar als ein Kuriosum erscheinen. Wir neigen dazu, Geschichte von ihrem Ende her zu denken und zu betrachten. Dabei ist es die Aufgabe, Geschichte von ihren Anfängen her zu begreifen und – im Sinne von Walter Benjamin und Ernst Bloch – auch ihre verschütteten Alternativen und potenziellen Zukünfte zu bergen.
Die Bedeutung der Deutschen Kommunistischen Partei muss man jedenfalls heutigen jüngeren Generationen in der Linken veranschaulichen: Die Partei wirkt, oberflächlich betrachtet, wie eine politische Totgeburt. Die DKP hat seit ihrer Gründung nirgendwo einmal die Fünfprozenthürde übersprungen, um in den Bundes- oder wenigstens in einen Landtag einzuziehen. Ihr bestes Ergebnis waren 3,1 Prozent bei den Landtagswahlen 1971 im Stadtstaat Bremen. Zumeist lag ihr Wählerzuspruch schon vor dem Zusammenbruch des Realsozialismus, als in Frankreich und Italien die aus den Partisanenbewegungen entstandenen kommunistischen Parteien noch zu den stärksten, tonangebenden politischen Formationen gehörten, deutlich unter einem Prozent. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, dass die DKP lokal in einigen Kommunen durchaus eine starke Rolle spielte: von Industriearbeiterstädten wie Bottrop über Universitätsstädte mit starker marxistischer Forschung wie Marburg bis zu Kleinstädten mit historisch starker kommunistischer Präsenz wie Mörfelden. Die Wahlergebnisse waren und sind so enttäuschend, dass 2017 die Auflösung des südbayrischen DKP  Bezirks um den Siemens-Betriebsrat Leo Mayer und den linken Aktivisten Kerem Schamberger im Streit über Sinn und Unsinn einer Bundestagswahlbeteiligung gegen die LINKE sich vollzog.
Die wahlpolitisch eklatante Schwäche der DKP darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die in der DKP organisierten Kommunistinnen und Kommunisten zeitweilig erheblichen Einfluss besaßen – in den Betrieben, in den Gewerkschaften, in der Wissenschaft und insbesondere in der Kunst. So war die DKP in den Betrieben damals sehr viel besser verankert, als es die LINKE heute ist. Allein in Hamburg gab es beispielsweise mehr als 100 Betriebsgruppen. Die Verbindung zur Klasse war ganz real. „Im ganzen Bereich Druck war die DKP stark, mit starken Positionen im Springer-Konzern“, erinnert sich der 1943 in Reichau im schwäbischen Landkreis Unterallgäu geborene ehemalige DKP  Vorsitzende in Hamburg und spätere LINKE-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke.

Die haben Streiks im Norddeutschen Rundfunk hingekriegt, wo plötzlich eine Minute lang nichts über den Sender kam, in den großen Druckereibetrieben. Das ist heute unvorstellbar. Die DKP war eine wirklich betrieblich verankerte Partei, also ja, da war was da.

Nicht anders sah es trotz der 1972 explizit gegen die DKP gerichteten Berufsverbote („Radikalenerlass“) in den Hochschulen aus. Schließlich bewegte sich jeder, der mit der DKP auf Tuchfühlung ging, am Rande des Abgrunds von Berufsverboten und politischer Kriminalisierung. Und dennoch war der Marxistische Studentenbund (MSB) mit mehreren Tausend Mitgliedern der größte Studierendenverband und zusammen mit dem aus der SPD ausgeschlossenen linken SHB bildete der MSB in vielen Studierendenparlamenten die Mehrheit und stellte vielerorts entsprechend den AstA.
Und schließlich entfaltete die DKP auch eine große Wirkung im Kulturbereich. Zum 50. Geburtstag der DKP 2018 erinnerte Norbert Seitz im Deutschlandfunk:

So chancenlos die Partei bei Wahlen auch blieb, ihr Zuspruch in der Kunst- und Kulturszene konnte sich durchaus sehen lassen. Hier entstand quasi eine prokommunistische Parallelgesellschaft mit namhaften Künstlern, Schriftstellerinnen, Filme- und Theatermachern wie Ulla Hahn oder Franz-Xaver Kroetz, Peter Maiwald oder Karin Struck, Uwe Timm oder Gisela Elsner. Sie waren Parteimitglieder, Funktionäre oder Wahlkreiskandidaten.

Hinzu kam die Liedermacher- und Folkmusikszene, die sich ebenfalls stark im DKP-Umfeld bewegte. „Die DKP war“, so die Einschätzung von Wolfgang Gehrcke, „in Bezug auf den kulturpolitischen Einfluss ganz entschieden weiter als die LINKE.“ Der DKP-Vorsitzende Mies habe sich „häufig mit Intellektuellen und Schriftstellern getroffen und debattiert“ und diese Verbindungen gepflegt. Darüber hinaus waren, in den Worten von Steffen Lehndorff, „die UZ-Pressefeste ja der echte Renner.“ In den 1970er Jahren hätte die DKP so „immer eine Rolle gespielt.“ Sie sei, so der emeritierte Marburger Politikwissenschaftler und Kommunist Georg Fülberth, „eine kleine Partei“ gewesen, die aber „große Hoffnung“ machte.

Wir wussten nichts über sie, aber sie war neu und das machte sie interessant.

Und sie habe dann „ein paar interessante Intellektuelle, Martin Walser u.a., um sich herum versammelt, und das trägt dann ein paar Jahre.“

 

4. Die Düsseldorfer Debatte und Maiwalds Ausschluss aus der DKP
Der Parteiausschluss Maiwalds hatte nun mehrere Gründe. Die Gründung der Düsseldorfer Debatte war ein Skandal und sorgte für große Unruhe im Parteivorstand. „In Düsseldorf waren sie sofort auf 180“, erinnert sich der frühere Kölner DKP-Vorsitzende und spätere Vertreter des Erneuererflügels Steffen Lehndorff, der auch Mitglied im Parteivorstand war. Nach dem PV-Mitglied Willi Gerns habe die Debatte im Widerspruch zum marxistisch-leninistischen Parteikonzept und dem demokratischen Zentralismus gestanden.
Dies hatte vor allem damit zu tun, dass Thomas Neumann federführend war. Er sei in den Augen des Parteivorstands „vom ideologischen Verrat der Schlimmste“ gewesen, „weil er Chefideologe der DKP war“, erinnert sieb Franziska Wiethold, die damalige Lebensgefährtin von Michael Ben, Mitherausgeber der Zeitschrift. „Das Unerhörte war“, so Leo Mayer, damals Betriebsrat und im Kreissekretariat der DKP in München, „dass Neumann, Ben und Maiwald eine Zeitschrift herausgeben, ohne die Parteiführung zu fragen, ob sie das dürfen. Für die Partei, wie sie aufgestellt war, war das unerhört.“
Hinzu kam, dass in der Düsseldorfer Debatte die Analyse der Weltlage und die sich daraus ergebende politische Strategie hinterfragt wurde. Die Fokussierung etwa auf die Friedensbewegung wurde skeptisch gesehen. Denn obwohl diese ohne die DKP nie ihre gewaltige Stärke entwickelt hätte, diente Letztere nicht dazu, umgekehrt auch die Partei zu stärken. Im Gegenteil, die Gründung der „Grünen“, ihre dynamischere Entwicklung verglichen mit der DKP, die Entstehung einer linksalternativen, aber nichtkommunistischen Publizistik wie die taz, die Rückläufigkeit der Klassenkämpfe infolge der neoliberalen Wende usw. offenbarten die Schwierigkeiten der Partei in der ersten Hälfte der 1980er Jahre. Hinzu kamen die Stagnationstendenzen in der Sowjetunion und der Streit um Gorbatschow. Denn die DKP folgte letztlich der SED in ihrer skeptischen Haltung gegenüber Gorbatschows Reformen, während insbesondere Neumann Hoffnungen auf einen demokratisierten Sozialismus in der Sowjetunion mit ihnen verband. Neumanns Aufmacher „Ein ruhiges Land“ aus der ersten Nummer der Debatte, in dem diese Kritikpunkte zur Sprache kamen, „lief“, so Hermann Kopp, „eigentlich quer zur Politik der Parteiführung, die die Sache mit dem ,Krefelder Appell‘ mittrug (…) und sehr stark auf Bündnisarbeit orientierte.“ Neumann wollte dagegen „betonen, dass der Aufschwung der Friedensbewegung nicht gleich einer Linksentwicklung der Bundesrepublik und Aufschwung der Linken sei.“
Dabei war allein schon der Name der Zeitschrift eine Provokation, die, so Wolfgang Gehrcke, „viele Leute auf die Palme gebracht“ hat.

Debatte war schon schlimm, aber Düsseldorf ließ es erschienen, dass es offiziell sei. Mies war gekränkt, dass Neumann, sein Referent dort mitmischte. Sein persönlicher Referent ist nicht zu ihm gekommen: „Lieber Herbert, wir haben die Idee und wir machen…“, sondern die haben das durchgezogen. Das hat eine Stimmungslage geschaffen, die das sehr schwer gemacht hat. […] Das war ja der Zeitpunkt, wo die Konflikte in der DKP noch nichtöffentlich geführt wurden. Aber es brodelte überall. Und die Befürchtung war, dass die DD ein Organ in dieser Richtung würde.

Tatsächlich war das eine Zeit heftiger Konflikte, auch etwa über den „Eurokommunismus“, zu dem ebenso die Auseinandersetzungen mit der Zeitschrift Argument und mit dem, was der Berliner Philosophieprofessor Wolfgang Fritz Haug „pluralen Marxismus“ nannte, gehörten. Es sei der Eurokommunismus-Streit gewesen, so Klaus Pickshaus, der damals beim Institut für Marxistische Studien und Forschung (IMSF) in Frankfurt arbeitete, „auf die ich zurückführe, dass die Parteiführung in der Frage der Düsseldorfer Debatte so hart reagierte, obwohl sie kein eurokommunistisches Blatt war.“ „Wir wollten“, erinnert sich Georg Fülberth, der wie viele andere (Roman Ritter, Uwe Timm, Peter Furth, Arnhelm Neusüß, Frank Deppe, Wolfgang Lefevre) bei einem persönlichen Besuch von Neumann und Ben zur Mitarbeit überzeugt wurde, „das Monopol haben und als dann der Eurokommunismus kam, wurden wir noch nervöser. Der Knall war: Der Thomas war aus dem Apparat und der gründet eine Zeitschrift. Und da sagt man dann: Entweder machst Du das unter unserem Dach oder… Das war der Knall: Das einer aus dem Apparat eine eigene Gründung macht“. Am 19. September 1984 stellte die Partei im Namen von Herbert Mies schließlich einen Parteiausschlussantrag. Am 29. September wurde er, nach Angaben von Michael Ben in einem Schreiben vom 10. Oktober 1984 an den DKP-Parteivorstand und die Bezirksschiedskommission Rheinland-Westfalen (Ackerstraße 3, Düsseldorf), durch den „Vorsitzende(n) der Schiedskommission Gen. Rössig in Begleitung des Gen. Lehman“ in der Redaktion der Debatte überbracht. Zugleich versuchte die Parteiführung die parteinahen Intellektuellen von einer Mitarbeit an der Zeitschrift abzubringen. Die Angst, die Intellektuellen könnten ihr von der Fahne gehen, führte dabei, so die Erinnerung von Fülberth, zu peinlichen Szenen.
Federführend bei der Vorbereitung des Ausschlussverfahrens waren Gerd Deumlich und Kurt Steinhaus. Deumlich, der eigentlich mit Neumann befreundet gewesen war und den Fülberth als einen „klugen, empathischen, wachen Mann“ beschreibt, soll von der Parteiführung „ganz doll der Kopf gewaschen worden“ sein, wie Neumann später Fülberth erzählte. Neumann trat jedoch selbst aus der Partei aus. Er habe, so erinnert sich Michael Ben (eigentlich Michael von Bentivegni), der DKP „die Peinlichkeit ersparen“ wollen. Dagegen hätten er und Peter gemeint:

Nö, schmeißt uns ruhig raus.

Indes empfand Maiwald, der in das operative Geschäft der Zeitschrift kaum involviert war und auch bei der persönlichen Autoren-Rekrutierung keine Rolle gespielt hatte, die Angelegenheit als ein schreckliches Missverständnis. Dies mag damit zu tun haben, dass Deumlich Neumann womöglich grünes Licht gegeben hatte. Jedenfalls stehen Aussagen gegen Aussagen darüber, wie unabgesprochen die Zeitschriftengründung mit der Parteiführung stattfand. Maiwald suchte, seinen Parteiausschluss rückgängig zu machen. Am 18. Oktober 1984 schrieb er in einem Einschreiben per Eilboten an den Parteivorstanden der DKP zu Händen Gerd Deumlich:

Lieber Genosse Deumlich,
ich mag mich nicht verteidigen, wenn ein Satz genügt, alle Sätze, die ich während 16 Jahren schrieb, außer Kraft zu setzen. Abgesehen, daß jener eine Satz der unverständigen Böswilligkeit Deiner Interpretation unterlag, und abgesehen davon, daß dasselbe bereits in der UZ vom 15.7.1976 zu lesen stand, ohne Deine Interpretationsversuche in Versuchung zu führen. Ich sehe aber ein, daß Du zweierlei Maß brauchst, um madig zu machen, worin kein Wurm ist. „Der Jude muß verbrannt werden.“ Dein Artikel war eine Strafarbeit, um die ich Dich nicht beneide.
Nun sind führende Genossen unserer Partei, wie Du, landauf landab mit entschiedenen Urteilen aufgetreten, die zu entscheiden erst der Schiedskommission wohl anstünde, sehr zum Entsetzen mancher Genossen, die an den Sinn und Ernst dieser Kommission glauben. Nun glaubst Du wirklich im Ernst, eine kommunistische Schiedskommission wäre dazu da, die führenden Genossen unserer Partei zu desavouieren?
Ich habe mich auf den Monat genau: 16 Jahre lang nicht an parteischädigenden Veranstaltungen beteiligt, und gedenke dies weder am 19. Oktober 1984 gegen 17 Uhr noch in Zukunft zu tun
.52

Der Parteiausschluss beschäftigte Maiwald fortan. Das spiegelt sich auch in seinen Gedichten wieder. Vielleicht hatte er Deumlich oder Kurt Steinhaus im Kopf, als er 1991 sein Gedicht „Der Genosse“ schrieb:

Dies sprach er: Ich (dies zögernd) bin doch nichts
(dies laut) und alles die Partei (dies schrie
er) aufrecht leben und sank in die Knie
schlug noch die Faust ins Auge des Gesichts
der Toten (wo man hobelt fällt ein Span:
Dies glaubt, wer selig und nicht selber fällt)
und denkt die Welt zu drehn (ihn dreht die Welt)
und briet im Topf, was dreimal kräht, den Hahn
und strich (wenn sie sich zeigten) Wände glatt
von Menetekeln (rief noch) Feindes List
bis er in Träumen nur noch träumt was ist
und hat, was fehlt und lobt, was er nicht hat.
Da brach sein Haus, sein Land in einer Nacht.
Sein Herz. Es hat ihn keiner umgebracht
.53

Sicherlich spielte Maiwald auch auf seinen Parteiausschluss an, als er in seinem Kurzprosatext „Der Zugehörige“ (1988) schrieb:

Der Zugehörige ist das Gegenteil des Einsamen. Der Zugehörige ist nie einsam. Er gehört ja dazu (…). Der Zugehörige lebt davon, daß andere nicht dazugehören. Er ist der Erfinder der geschlossenen Gesellschaften, die bekanntlich nur aus Zugehörigen bestehen (…). Der Zugehörige (…) verachtet Einzelgänger, die er allesamt Vereinsamer nennt. – Für alle Anträge zur Klärung der Zugehörigkeit hat der Zugehörige eine Behörde eingerichtet, die alles Zubehör gewissenhaft prüft und allen falschen Ansprüchen entschieden entgegentritt. Von wegen: Jeder kann mitmachen! Schließlich ist alles eine Frage der Zugehörigkeit. Selbst das Leben! My home is my castle, und willst du nicht mein Bruder sein. – Nachts träumt der Zugehörige gut von seinen Ausschlüssen. Er hat das Haus saubergehalten. Er hat für eine saubere Gesinnung gesorgt. Er hat sich nicht beschmutzt, weil er keinen Schmutz zugelassen hat. Die Stange, die der Zugehörige seiner Sache hält, ist ein Besenstiel, die Fahne ein Putzlappen.54

Schon 1986 hatte er seine Unzufriedenheit mit dem Attentismus der Partei, zu der er nicht mehr gehörte, zum Ausdruck gebracht, als er in seinem Gedicht „Funktionär“ schrieb:

Alles gesehen
alles gewußt
alles verstanden
mit ohne Lust

alles ersehnt
alles gehofft
alles erkämpft
und allzuoft

alles gesagt
alles getan
alles erlebt
und nichts fängt an
.
55

Sicherlich auch hatte Maiwald diejenigen, die ihn verdächtigten, das Geschäft des Klassenfeindes zu betreiben, vor Augen, als er ebenfalls 1990 seinen Text Der Feindselige“ veröffentlichte, in dem es heißt:

Der Feindselige braucht immer jemanden, an dem er sich reiben kann (…). Wenn er einmal keinen Feind hat, macht er sich einen. Er besitzt die Fähigkeit, Freunde zu Feinden zu machen, und selbst die friedlichsten unter ihnen bleiben es nicht, wenn sie ihn zum Nachbarn haben. Ist wider Erwarten kein Feind zur Stelle oder weit und breit, geht der Feindselige in seinen Garten und stellt Pappkameraden auf.56

 

5. Peter Maiwald, der Zusammenbruch des Staatssozialismus und die Bewahrung der sozialistischen Utopie
Die Zusammenbrüche der DDR und der Sowjetunion schmerzten Maiwald. Das bringt das Gedicht „In Nächten“ zum Ausdruck, das 1991 entstand und ein Jahr später in der Gedichtsammlung Springinsfeld im Fischer Verlag veröffentlicht wurde. Brechts im „Lied vom Klassenfeind“ ausgedrückte Hoffnung, dass er Regen, der nur von oben nach unten fließe, aufhöre, wenn die Sonne scheint, weicht der Einsicht, dass der Regen zum Dauerzustand geworden ist. Maiwald schreibt:

In Nächten noch die traurigen Genossen.
Die Zukunft grinst und spuckt mir ins Gesicht.
Siehst Vater du den Erlenkönig nicht?
Der Regen fällt nach unten unverdrossen.

In Nächten noch die himmelhohen Bäume.
Erlkönigs Töchter knüpfen meinen Strick.
Der Blick nach vorne bricht im Blick zurück.
Der Satte rülpst und wischt vom Munde die Schäume.

Vor Augen schon die neue Welt der alten.
In Ohren immer noch den Schrei nach Brot
(Das Blut ist gelb und schwarz, nicht weiß, nicht rot:
Mein Vater kann kein Kind, kein Wort mehr halten)

erreich ich jeden Tag den Tag mit Not.
In meinen Armen ein Teil Welt ist tot
.
57

Bitter bedauerte Maiwald, dass mit der „Wende“ alles Linke auf den Müllhaufen der Geschichte verbannt wurde, der Zeitgeist sich nach rechts wendete. In seinem Gedicht „Bistro“, geschrieben 1991, heißt es:

Am Tresen stehn die letzten Mohikaner.
Die Kinder, die noch Che und Sarah heißen
und rote Sterne von den Wänden reißen
wolln alles sein und jetzt, nur nicht Indianer.

und klammern sich an Longdrinks und an Sätze
die bunt in bunt sind und nicht lange dauern.
Dann gehen sie früh mit einem leichten Schauern
ins Leben: Achtung, fertig, auf die Plätze.

Ein Maler übermalt die alten Bilder
wo alle vor dem großen Wigwam saßen
und Steine rissen aus den Pflasterstraßen.
Wer jetzt noch ändert, ändert Straßenschilder.

Zur Nacht sitzt wer sich liebt allein am Feuer.
Die Wärme reicht. Schon zweie sind zu teuer
.
58

Maiwalds ebenfalls 1991 geschriebenen Gedicht „Kanaan“ behandelt das gebrochene Versprechen des Staatssozialismus. Er beschreibt einen „Arbeiter- und Bauerstaat“, der ihm rückblickend erscheint als ein Staat, in dem vorgeblich alles für die Arbeiter und Bauern, aber doch nichts durch sie selbst getan werden mochte, weshalb sie „ihren“ Staat und ihr „Volkseigentum“ auch nicht, wenigstens nichtmehrheitlich, verteidigten. Und zugleich zeigt es einen Peter Maiwald der trotz allem nicht aus seiner Haut kann.

Es war nichts wie gesagt nichts wie getan.
Es war die Hölle nah und fern ein Himmel.
Es war kein Pegasus: Ein weißer Schimmel.
Es ging nichts auf. Was aufging, fing nicht an.

Es war der Lahme unter Blinden blind.
Es war kein Morgenrot: Ein Fegefeuer.
Es war die arme Armut noch zu teuer.
Es ging die Zukunft schwanger ohne Kind.

Es war der Knecht nur des Knechtkönigs Knecht.
Es war kein Fluß wo Milch und Honig fließen.
Es war kein neues Glück in Blei zu gießen.
Es ging im Guten nur das Schlechte schlecht.
Wir, abgebrannt von den gelobten Ländern
und abgebrüht und können uns nicht ändern
.59

Schon 1975 hatte Maiwald in seinem Gedicht „Gangart“ vor sozialistischem Etatismus oder Avantgarde-Denken gewarnt, als er dichtete:

Unsereins geht es nicht gut,
erwiderte der Arbeiter B.,
solange wir nicht selbst gehen
.
60

Jetzt hätte Maiwald der durch seinen Ausschluss quasi glaubwürdig diplomierte „Renegat“ leicht in den Chor jener einstimmen können, die sich nun öffentlich von ihrer Geschichte lossagten, die den Gang nach Canossa unternahmen und sich reumütig am Nasenring durch die Manege der großen bürgerlichen Zeitungen und Fernsehinterviews ziehen ließen, so wie Peter Schneider, Peter Schütt oder oder oder. Peter Maiwald indes gefiel diese Rolle nicht. Vielleicht hatte er die Selbstdistanzierer im Kopf, als er in seinem Gedicht „Tierleben“ in der ersten Strophe schrieb:

Wenn es um die Wurst geht
kommen wir alle auf den Hund.
Wenn schon mit den Wölfen
sagen die Dichter, dann
wenigstens als Heulboje
und färben sich die Schafspelze ein.

Und er schließt sein Gedicht mit dieser Strophe:

Alle schlafenden Hunde können gefahrlos
geweckt werden. Sie stellen sich am Ende
als begossene Pudel heraus und auch sie sind
für die Katz. Also: Sei kein Frosch und
nimm deine Hasenfüße zusammen. Der Tanz
ums goldene Kalb ist eröffnet
.61

Dabei machte sich Maiwald keinerlei Illusionen, dass mit dem Untergang des Staatssozialismus eine neue Ära des globalen Kapitalismus beginnen würde. In „Mitteleuropa, verbessert“ von 1991 schreibt er:

Abschied von Sonnenstaaten
wo keine Sonne schien.
Es stehn Mercedessterne
Über der Stadt Berlin
.
62

1993 pries Maiwald dann in der ZEIT Ronald M. Schemikaus Texte aus dem Nachlass, bezeichnete den als Kommunist von West nach Ost „rübergemachten“ und im Oktober 1991 verstorbenen Autoren als „Querdenker“ (damals noch ein Adelstitel) und begann seine Rezension mit einer Spitze: Das kleine Buch passe „nun kaum m diese Zeit, in der sich alle (außer Thomas Mann) in der Meinung wiedervereinigt“ hätten, „daß der Kommunismus die Grundtorheit und das Verbrechen dieses Jahrhunderts“ gewesen sei.63 Offenbar war er davon trotz seiner Erfahrungen in der DKP nicht überzeugt, weil auch die Fragen, die der Sozialismus zu beantworten gesucht hatte, mit dem Zusammenbruch des Staatssozialismus ja noch nicht aus der Welt seien.
In diesem Sinne machte Peter Maiwald die Erfahrung starker Vereinzelung und Vereinsamung. Seine Gedichte aus der „Wendezeit“ sind von Bitterkeit und Melancholie geprägt. Auch seine unmittelbarsten Weggefährten beschreiben einen Prozess der Verbitterung, der zum Ende der 1990er Jahre dann verstärkt werden sollte durch die Schwierigkeiten, publiziert zu werden. In seinem Gedicht „Nachtstück“ (1991) reflektiert Maiwald über seine Rolle als Lyriker, der sich von der Stimmung der „friedlichen Revolution“ und der „Freiheit des Westens“ einfach nicht anstecken lassen kann und will:

Vor meinen Augen
schwarzes Papier.
Worte wie Augen
schwärzen sich mir.

Auf meiner Bühne
blutrot die Welt.
Bitter die Miene
die mich erhält.

Nicht mehr ums Ganze
nur noch am Stück.
Wortnarr, nun tanze
bleischwer zum Glück
.
64

Bei aller Verzweiflung aber verstummte Maiwald nicht und auch gab er sich nicht dem Eskapismus hin. Schon 1975 hatte er in „Das Verstummen“ geschrieben:

DermitderBrille schrieb
kaum mehr und erklärte
sein Verstummen mit dem Hinweis
auf die ungeheure Barbarei
und das ungeheure Elend,
unfaßbar für Worte.
Sollen also die,
fragte der Arbeiter B.,
das letzte Wort behalten?65

Zurück blieb aber ein Dichter mit seinen Zweifeln und rückwärtsblickenden Fragen, von denen er natürlich auch wusste, dass sie immer weniger interessierten. Peter Maiwald schreibt:

Das Jahrhundert begann damit, daß die Surrealisten zur Arbeiterbewegung fanden; wie, wenn es umgekehrt endete?

Und nach Bertolt Brecht:

Woran arbeiten Sie? Am Wie.66

Möglicherweise waren auch die Worte auf die Erfahrungen mit der Düsseldorfer Debatte gemünzt, als Maiwald notierte:

Der Irrtum: Andere Worte, und die Welt wäre anders.67

Vielleicht beschrieb er seine eigene Erfahrung und Zerrissenheit, als er 1988 über „Die gebrannten Kinder“ schrieb:

Die gebrannten Kinder fürchten das Feuer. Lieber erfrieren sie.
Die gebrannten Kinder scheuen brennende Fragen. Sie sind die kalten Antworten zufrieden.
Die gebrannten Kinder meiden heiße Eisen. Am besten alles auf Eis gelegt. Unter den Erfrorenen ist der Amputierte König.
Die gebrannten Kinder beklagen ein heißes Herz. Die Herzenswärme ist unser Unglück.
Die gebrannten Kinder sind nordischer Natur. Der Süden klingt ihnen wie Sünde.
Die gebrannten Kinder fürchten den Sommer, das Fieber, die fliegende Hitze, Heißsporne, die Farbe Rot und andere Ansteckungsgefahren.
Die gebrannten Kinder verbieten alle Märchen, in denen Knaben und Mädchen mit Schwefelhölzern vorkommen.
Die gebrannten Kinder wollen alle Feuerwehrleute werden. Das Wasser ist ihr Element.
Die gebrannten Kinder mißtrauen der Erde, der Luft, den Menschen und den Wäldern, weil sie sich so leicht entzünden.
Die gebrannten Kinder wünschen alle Andersartigen zur Hölle, zum Teufel und in den Feuerofen.68

Im selben Jahr schreibt Maiwald seinen phänomenalen Kurzprosatext „Der Enttäuschte“. Zu den vielen vom Kommunismus Enttäuschten und politisch Heimatlosen wollte er dann doch nicht gehören. Maiwald schreibt:

Jetzt kann ihm keiner mehr etwas vormachen. Einmal enttäuscht, und das tief, sieht er überall, wo er ist, die Anzeichen neuer Enttäuschungen. Bitter lacht er auf. Keine wird ihm mehr passieren.
Er, der Gebrannte, scheut das Feuer, und lieber bleibt er in der Kälte, obwohl ihm auch da die Gefahr von Erfrieren bewußt ist. So ist er ständig unterwegs. Nirgendwo kann er lange bleiben. Hinter der Freundlichkeit seiner Gastgeber wittert er den Verrat, der unausbleiblich ist, und das Dach, das ihn heute deckt, beschuldigt er insgeheim des nahen Zusammenbruchs. Bei Morgengrauen ist er schon wieder auf seiner Strecke, der er aber mißtraut.
Einige, die ihm begegnen und es wohl meinen, versuchen ihn aufzuhalten. Sie halten ihm Gutes vor und Haltbares, eine Arbeit, die gebraucht wird, einen Ort zum Bleiben, damit er zur Ruhe komme. Der Enttäuschte aber schaut sie mit großer Trauer an und schüttelt den Kopf über ihre Unwissenheit. Ihr werdet enttäuscht werden, ruft er ihnen noch zu, bevor ihn der Wind verschluckt.
Die Güte der Menschen und ihre Hilfsbereitschaft sind ihm zuwider. Er weiß nicht, wo sie beides hernehmen. Sie sind aus keinem anderen Stoff als er, aber zu selbstverliebt, als daß sie sich erführen, und er hat sich längst enttäuschend erfahren. Nichts hält am Menschen, was er verspricht, das weiß er. Die Schläge, die er erhielt, haben ihm ein Auge ausgeschlagen, aber das andere geschärft. Mit ihm sieht er die Risse im frischen Putz und den Unfall im neuen Auto. Ihn kann man nicht täuschen. Er liebt niemanden, sich selbst eingeschlossen. Bisweilen hält ihn eine Blume, ein Tier oder ein Buch für einige Zeit. Das könnte ein Glück sein, denkt er, wenn nicht die Blume welkte oder das Tier verendete. Und auch die Bücher, die er liest, halten der Wirklichkeit nicht stand. Mit der Zeit beginnt er auch sie zu hassen.
Am meisten aber haßt er die Weltverbesserer. Ihre Unermüdlichkeit und ihre Unbelehrbarkeit, daß die Welt zu ändern ist, sind ihm ein Greuel. Er scheut sie, weil sie für ihn der Anfang neuer Enttäuschungen sind. Mit seinem einen Auge sieht er ihre Fehler genau, und am Ende erscheinen sie ihm wie ein einziger Fehler. Er nennt sie Kolumbusse. Sie geben vor, Indien zu entdecken, und entdecken Amerika. Ihr Umgang mit den zerbrechlichen Teilen der Welt ist bekannt. Sie wollen immer das berühmte Ei aufstellen, zerbrechen aber nur die Schale.
In seinen Jahren kommt der Enttäuschte zu nichts. Er fängt nichts an, denn er weiß, alle Anfänge sind eitel und tragen das Ende in sich wie die Neugeborenen den Tod. Die Spanne dazwischen erscheint ihm mehr und mehr wie ein Irrtum.
Vom ständigen Wachsen, das er nötig glaubt, um der Welt nicht auf den Leim zu gehen, der sie doch nicht hält, beginnt sein einäugiger Blick zu flirren. Er verkommt zunehmend. Als er gefunden wird, in einem Graben weit ab von der Hauptstraße, ohne Leben, verhungert und verdurstet, sieht er aus, als habe er sich den Tod geholt, und nicht umgekehrt.
69

Maiwald war enttäuscht, aber er wollte nicht zu den Enttäuschten gehören. Schon gar nicht wollte er unpolitisch sein, sich dem scheinbar Privaten, Außergesellschaftlichen hingeben. Die Verachtung der kleinbürgerlichen „Ahnungslosen“ und die Kapitalismuskritik blieben ihm erhalten, über sie schreibt Maiwald 1990:

Der Ahnungslose weiß nicht wie ihm geschieht. Plötzlich verhungert ihm ein Erdteil unter seinen bloßen Händen. Mit einem Mal tritt sein Standbein ein Erdbeben los. Unvermittelt zerdrückt sein Spielbein einen Bittsteller. Der Ahnungslose ist ahnungslos. Wie konnte das nur geschehen? Ohne Erklärung sitzt er auf den Schultern von Sklaven. Ohne Not nährt sich sein Magen von den Tellern der ärmeren Länder. Rückhaltlos rutscht er auf einer Bananenschale aus und erschlägt ihren Pflücker. Der Ahnungslose versteht das nicht. Wie konnte das nur kommen? Er, der nicht einmal von einer Ahnung eine Ahnung hat! Aus heiterem Himmel vergiften sich ganze Landstriche. Überraschend steigen seine Lebensmittelaktien. Erstaunlicherweise findet er ein ausgeblutetes Volk in seiner Brieftasche. Der Ahnungslose ist befremdet. Woher mag das rühren? Ohne sein Zutun breiten sich Krankheiten aus. Ohne sein Eingreifen sterben Weltmeere, zerbrechen Gebirge. Ohne seine Beteiligung herrschen Mord und Totschlag. Und das ihm! In seiner Zeitung beginnen die Völker aufeinander einzuschlagen. In seinem Betrieb tun die Kollegen desgleichen. In seinem Haus tun es die Nachbarn auch. Der Ahnungslose schüttelt den Kopf. Was mag nur in die Leute gefahren sein? Plötzlich fehlt ihm ein Arm, dann ein Bein. Mit einem Mal läuft ihm ein Auge aus, wird seine Nase eingeschlagen. Unvermittelt spürt er eine Schußwunde, da  nach einen Stich. Ohne Erklärung wird ihm der Kopf abgeschlagen. Rückhaltlos fällt er in eine Grube. Der Ahnungslose weiß nicht wie ihm geschieht.70

In der Zeit nach 1989 sind viele von Maiwalds Gedichten – typisch für die Zeit – von der Angst einem neuen Faschismus, von der Kritik des „Asylkompromisses“, der Angst vor Geschichtsrevisionismus und dergleichen geprägt. Während aber viele Linke in den 1990er Jahren in Melancholie verfielen oder den Pro-Sozialismus von einst durch einen Blumenstrauß an Antis ersetzten (Antirassismus, Antifaschismus, Antisexismus, Antiheteronormativismus, Antiatomkraft usw.) und die Arbeiterklasse bestenfalls vergaßen oder mit eben dem Bekämpften assoziierten (Rassismus, Faschismus, Sexismus usw.), behielt Maiwald seine Solidarität mit der Arbeiterklasse aufrecht, und das zu einer Zeit als mit der „Agenda 2010“ Klassismus gerade fröhliche Urstände als das letzte salonfähige Ressentiment feierte.
Das Schicksal der Arbeiter und seine Sympathie für die Klasse ließ Maiwald nicht los, für die Linke schrieb er weiter. Ein Beispiel hierfür ist der im August 2003 im Ossietzky erschienene Text „Ein Haarschnitt: Geschichte über die ,Working Poor‘ in den USA“, in der er das Schicksal der arbeitenden Armen in den USA schildert, die trotz Erwerbsarbeit auf Suppenküchen angewiesen sind. Eines von Peter Maiwalds letzten Gedichten ist die „Ballade (vom kleinen Mann)“ (noch in einem der allerletzten Gedichtbände):

Das ist die Geschichte vom kleinen Mann
dem man allerhand antuen kann.

Erst nimmt man ihm den kleinen Zeh.
Es schreit der Mann: Es tut nicht weh!

Dann nimmt man ihm den Rest der Zehen.
Der Mann ruft: Au! Ich kann noch gehen.

Dann nimmt man ihm das linke Bein.
Das rechte meistert Stock und Stein.

Dann nimmt man ihm die eine Hand.
Schaut, was ich mit der andern fand!

Dann bringt man ihn um Kopf und Kragen.
Nun kann der Mann gar nichts mehr sagen.

Dann nimmt man ihm das Haus und Dach.
Nun liegt der Mann im Regen flach.

Da nimmt man ihn zur Polizei.
Da liegt der Mann (nicht gitterfrei).

Dann bringt die Kirche eine Suppe.
Die Wohlfahrt schenkt ihm eine Puppe.

Der kleine Mann ist ganz verstört. Die Puppe singt: Ihr Völker, hört …71

Während hier also nochmal die Erinnerung an die kommunistische Idee aufschimmert, richtete Maiwald scharfe Kritik gegen die neoliberale „Agenda 2010“ der damaligen rotgrünen Bundesregierung. Schon in den 1980er Jahren hatte er in dem Poem „Über den Mut“ gedichtet:

Manchmal ist es sehr mutig
ein Sozialdemokrat zu sein.
In der SPD zum Beispiel
72

Dass Maiwald sich der Hegemonie des Neoliberalismus entzog, die die realexistierende Linke in SPD und Grünen in den Bann zog, zeigt sein Kurzprosatext „Das Reich der Freiheit“ – ein Marx’scher Begriff –, in dem Maiwald gegen die hegemoniale neoliberale Ideologie der Deregulierung (von Arbeitsmärkten, Umweltauflagen usw.) ätzt:

Unbemerkt von der Öffentlichkeit ist in den letzten Monaten von der Regierung das Reich der Freiheit eingeführt worden. Jeder kann nun tun und lassen, was er will. Die Entlasser können entlassen, was das Profitzeug hält. Die Lebensmittelvergifter können vergiften, was das Kühlhaus hergibt. Die Energieerzeuger können nun wieder strahlen, soviel sie wollen. Die Umweltvernichter kennen keine Umwelt mehr, sondern nur noch die von ihnen gehaltenen Aktien. Die Obdachlosen können frei zwischen allen Brücken entscheiden, die ihnen gebaut wurden. Selbst das Millionenheer der Arbeitslosen ist frei von allen Schuldigen (früher: Die namhaften Kapitalisten), heute: Die anonyme Globalisierung.
Alle früheren gegängelten, eingeschränkten, bürokratisierten, sozialisierten, zivilisierten Freiheiten sind aufgehoben durch die neue, die absolute Freiheit. Jeder kann nu[n] wirklich tun und lassen, was er will. Die Unternehmer können ganze Dörfer, Städte, Gemeinden, Länder erpressen nach dem neuen Kantschen Imperativ: Wenn Du nicht willst, was ich dir tu, dann füg ich meine Arbeitsplätze dem Ausland zu. Die Volksvertreter sind so frei, statt dem Volk nur noch sich zu vertreten, am besten in meh  reren Aufsichtsräten. Derweil rennet, flüchtet sich das Volk von einem freien Schnäppchen zum nächsten freien, bis es zur nächsten Kasse kommt, an der der geile Geiz sitzt.
All dies (und noch mehr) verdankt sich einer Regierung, die nicht regiert, weil sie nicht regieren kann, was sie nicht regieren kann: die Geldflüsse, die Kapitalbewegungen, die befreite Habgier und die hemmungslose Ichsucht. Also lauten alle Regierungserklärungen: Was ist, das ist: wie es läuft, so läuft’s, watt mutt, dat mutt, und: Dazu gibt es keine Alternative! Früher hieß das Schicksal, Kismet, oder wir sind alle in Gottes unerforschlicher Hand.
Am Ende stellt sich die Regierung des Reiches der Freiheit als ziemlich unfrei heraus: Sie kann nichts gegen ihr Reich der Freiheit tun, sie kann nichts für es tun, sie kann nichts beenden, sie kann nichts damit anfangen, sie kann nur davon reden, und das möglichst schön, weil sie weiß: Das Reich der Freiheit existiert. Jenseits von Reden.73

Und in „Schöner arbeiten“, entstanden um dieselbe Zeit, schreibt Maiwald gegen die neoliberalen Verheißungen der „flexibilisierten“ Arbeit an:

Schöner arbeiten, heißt die Devise der Devisenhändler. Am besten gleich ohne Lohn und Gehalt. Das bißchen Geld zum Leben wird sich wohl für jeden Mitarbeiter, der nur etwas flexibel und auf dem Quivive des Marktes ist, finden lassen.
Schöner arbeiten, reflektieren die Zeitfenster der Zeitverkäufer. Am besten gleich sechzig Stunden die Woche, und bis daß der Tod uns scheidet. Die Renten sind eh unbezahlbar für den, der kein Geld hat und bloß arbeitet.
Schöner arbeiten, rufen die Verhökerer von Individualreisen durch die Arbeitswelt. Wozu noch Gewerkschaften?
[…]
Schöner arbeiten, predigen die Betriebsgeistlichen des Kapitals und der Aktien, denn was gibt es Schöneres als zu arbeiten? Sonntag adieu! Samstage tschüss! Feiertage sind überflüssig wie ein Kropf am Gierschlund. Ferien und Urlaub – ach du lieber Herr Genosse vom sozialistischen Gesangsverein! – sind doch von gestern
[…].74

Und in „Die Mülltrennung“, einem Gedicht über die Enttäuschungen der „neoliberalen Einheitspartei“ Grüne, SPD und CDU/CSU, deren Mülleimer voll von gebrochenen Versprechen sind, heißt es am Ende:

1: Dann nehmen Sie doch den grünen Container!
2: Da kommt man doch schon gar nicht mehr ran vor lauter gebrochenen Versprechen, die umweltverschmutzend vor dem grünen Container liegen wie bestellt und nicht abgeholt.
Pazifistische Versprechen, anti bürokratische Versprechen, antiautoritäre Versprechen, antiatomare Versprechen, grüne Versprechen, das liegt da so herum, daß Sie vor lauter gebrochenen zu entsorgenden Versprechen die Farbe grün gar nicht mehr sehen können
[…].75

Dabei hielt Maiwald auch nach 1989 an der Utopie der Befreiung fest. 1993 notiert er in Wortkino: Notizen zur Poesie:

Hinter den zerbrochenen Krügen der Utopie Kleist, der ruft: „Wir müssen die Reise um die Welt machen und sehen, ob das Paradies vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist.“76

Und auch von der Idee des Sozialismus als Gegenmodell zum Kapitalismus wollte er vier Jahre nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus in der DDR nicht ganz lassen, wenn er ebenfalls in Wortkino notiert:

Die Zeiten, wo das Fliegen zur Sonne, Brüder, noch geholfen hat, sind vorbei, triumphiert Dädalus über Ikarus und holt sich seine Stütze vom Institut für vergleichende Sozialforschung. Wohl dem, der noch einen, wenn auch kleinen System-Vergleich in der Tasche hat.77

Zehn Jahre später schrieb Maiwald nochmal und dies sehr trotzig gegen die Thesen vom „Ende der Geschichte“ und dem „Ende der Großen Erzählungen“ an. In seinem 2003 geschriebenen, unveröffentlichten Gedicht „Die Utopie“ ist die Botschaft, dass, solange es die Klassengesellschaft gibt, solange es Ausbeutung und Unterdrückung gibt, die Ausgebeuteten und Unterdrückten die Utopie am Leben erhalten werden, d.h. auch die „historische Mission“ der Arbeiterklasse bleibt vorsichtig lebendig. Maiwald schreibt:

Auf der Zunge zergangen.
Aus dem Kopf geschlagen.
In den Wind gesprochen.
Zersetzt durch den Magen.

Zu den Herzen genommen
(und auch zu den Brüsten).
Mit den Fellen geschwommen
zu anderen Küsten.

Von den Göttern verlassen.
Allein mit sich selber.
Solange es Metzger gibt.
Nachts träumen die Kälber
.
78

Ingar Solty, aus Enno Stahl (Hrsg.). „Ihn dauerte die leidende Kreatur…“. Der politische Lyriker Peter Maiwald, Edition Virgines, 2023

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + Kalliope
Porträtgalerie:  Brigitte Friedrich AutorenfotosKeystone-SDA
Nachrufe auf Peter Maiwald: Westdeutsche Zeitung ✝︎ e-periodica ✝︎
Spiegel ✝︎ FAZ ✝︎ der Freitag ✝︎ Rheinische Post

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0:00
0:00