Peter Rühmkorf: Paradiesvogelschiß (CD)

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Peter Rühmkorf: Paradiesvogelschiß CD

Rühmkorf-Paradiesvogelschiß CD

 

 

 

 

 

 

„Ich bin ein Glücksprophet“

– Peter Rühmkorf im Gespräch mit Wolfram Runkel und Christof Siemes. –

Die Zeit: Das erste Gedicht des neuen Buches, „Die Ballade von den geschenkten Blättern“, ist wie ein Selbstbildnis Ihrer Arbeitsweise: Aus einem Paradiesvogelschiss wächst ein Baum, dessen Blätter wiederum in „privater Geheimschrift“ das Material des Dichters enthalten. Eigentlich sind Sie selbst der Paradiesvogel, der aus Scheiße Gold macht.

Peter Rühmkorf: Das will ich mal ganz dahingestellt sein lassen. Als das Gedicht fertig war, sagte meine Frau: Du hast ja genau deine Methode beschrieben! Aber auf die Einfälle kommt es an. Darum habe ich immer Gottfried Benn widersprochen, der gesagt hat: Gedichte werden aus Worten gemacht. Gedichte werden aber aus Einfällen gemacht.

Die Zeit: Haben Sie Angst, dass Ihnen mal nichts einfällt?

Rühmkorf: Nein. Mich treibt eher die Angst, dass ich von Einfällen erdrückt werde. Ich habe noch so viele Fragmente, die sich nach einander sehnen, die sich zum Gedicht vergesellschaften wollen.

Die Zeit: Am Anfang des neuen Buches heißt es: „Dein Feld wird schmaler. (…) fast eine Furche nur ist dir geblieben“. Ist das die Erfahrung beim Schreiben im Alter?

Rühmkorf: Allerdings. Man kennt die Welt, man hat fast alle Themen durch, da bleibt nicht mehr viel, über das man neu schreiben könnte.

Die Zeit: Sie schreiben von Haydns „Altersübermut – vollkommene Beherrschung der Mittel“. Haben Sie selbst diesen Altersübermut erreicht?

Rühmkorf: Manchmal. In dem Moment, wo ich das geschrieben habe, hörte ich gerade Haydn und fühlte mich in der Stimmung. Ein Augenblick der Beglückung.

Die Zeit: Sie reimen immer noch. „Und es tönte ein Reim – zwirnsfadendünn aus dem Altersheim“, schreiben Sie. Pfeift der Reim auf dem letzten Loch?

Rühmkorf: Ja, und das ist auch seine Herausforderung. Unsere erste Sprache, die Muttersprache, besteht ja aus zwei sich reimenden Einsilbern, Mama, Papa, Wauwau, Pipi, Kacka. Dann sagt die Mutter: Das Kind kann schon sprechen! Aus dieser Mutter-Kind-Dyade entsteht Sprache überhaupt. Und das sind schon ganz frühe, primitive Reime.

Die Zeit: Der Reim hat angefangen als Beschwörungsformel, als Magie, wie in den Merseburger Zaubersprüchen, die Sie zitieren. Kann man ihn heute noch anders als ironisch verwenden?

Rühmkorf: Ironie ist schon immer ein Grundprinzip bei mir. Aber natürlich gibt es auch unironische Reime, bei Benn, bei Brecht, bei Trakl: „Dämmerung voll Ruh und Wein; / Traurige Guitarren rinnen / Und zur milden Lampe drinnen / Kehrst du wie im Traume ein“ – das ist wunderschön, das ist Drogenstoff, das ist nicht komisch.

Die Zeit: In einem Ihrer Capriccios sprechen Sie von der Sehnsucht nach der Rückkehr zu einer Kunst im Stand der Unschuld, wo noch alles möglich ist.

Rühmkorf: Diese Sehnsucht betrifft mehrere Ebenen, zunächst mal mich selbst – dass ich als Verseschmied noch mal ganz neu losspringen kann. Es hat ja riesige Sprünge gegeben, zwischen Barocklyrik und Klopstock zum Beispiel, das ist ja überhaupt nicht zu fassen! Klopstock konnte überhaupt nicht richtig reimen! Und dann fängt er an, „Willkommen, o silberner Mond, / Schöner, stiller Gefährt der Nacht! / Du entfliehst? Eile nicht, bleib, Gedankenfreund!“. Ein wunderschönes Gedicht, fast so, als ob es die Wolken und der Mond selbst einem vorspielen würden. Das schwebt ganz anders, ist ganz anders rhythmisiert, nicht eingekerbt, und fängt mit etwas an, das vorher gar nicht als Lyrik angesehen war.

Die Zeit: Kann es so einen Epochenbruch noch einmal geben?

Rühmkorf: Bei Brecht hat es ihn gegeben.

Die Zeit: Und bei Rühmkorf?

Rühmkorf: Auch. Ich hab ja immer Neues versucht, zum Teil im Rückgriff auf die Alten, indem ich parodistische Sachen gemacht habe, nicht als Vergackeierung der Alten, sondern um sie in ein ironisches, aber noch brauchbares Licht zu setzen. Ich reihe mich bewusst ein in die Tradition und habe für gewisse neue Töne gar kein Verständnis – weil sie mich nicht ergreifen.

Die Zeit: In einem der neuen Texte heißt es so flapsig wie lapidar: „Entschuldigen Sie, die Welt ist schön und muß gefeiert werden.“

Rühmkorf: Das brach aus mir heraus, als ich aus der Tür trat. Das hat so noch keiner gesagt. Das kann man einer vergrämten Figur, die da spazieren läuft, gleich ins Gesicht setzen. So stell ich mir das vor.

Die Zeit: In Ihrem Gedicht „Rückblick auf mein eigenes Leben“ heißt es: „rasend, / rotierend, / dem Selbstverzehr entgegen, / bis der letzte Biß und der letzte Schiß in einem Reim / zusammenfallen / und die Führung endgültig an die Kakerlaken übergeht“. Das ist aber das Gegenteil von der schönen Welt.

Rühmkorf: Ja, das ist alles ein ziemliches Durcheinander. Und soll ich Ihnen mal was sagen? Das Publikum lacht darüber.

Die Zeit: Und das gefällt Ihnen.

Rühmkorf: Ja. Das heißt: In dieser Scheiße tönt noch mal die Geige auf. Das muss man richtig hoch in den Himmel schrauben. Und dann gibt es Applaus, das kann ich voraussagen. Ich bin ja ein sehr ungläubiger Mensch, obwohl ich sehr gläubig erzogen wurde. Für mich ist das Gedicht so etwas wie eine Monstranz. Ein Glaubensartikel.

Die Zeit: Gibt es aber Erlösung jenseits des Gedichts?

Rühmkorf: Nein. Nur im Musiksaal. Das ist das große Vermögen der Kunst, die Menschen wenigstens eine Zeit lang zu erlösen. Sie aufzusaugen. Oder sich überhaupt mitzuteilen, in Gedichten zum Beispiel. Als ich noch zur Schule ging, haben wir uns in Gedichten unterhalten. Ich kenne aber auch Lebenszeiten, in denen ich Gedichte von Else Lasker-Schüler oder Benn oder weiß der Teufel wem als Droge aufnehme. Man ist nicht mehr allein, man findet sich wieder im Medium mit seiner Depression, seiner Verzweiflung. Aber das meiste ist schlecht gearbeitet. Das klebt dann wie Tabakreste auf den Lippen, die man immer wegzuspucken versucht. Weg damit. (spuckt aus)

Die Zeit: Im neuen Buch stellen Sie auch „Erwägungen für ein Grabmal“ mit einer Biogasanlage an – „Kleines Flämmchen noch nährend / über den flüchtigen Anlaß hinaus, / bis der irdische Stoff sich erschöpft“. Wie würden Sie Ihr Verhältnis zum Tod beschreiben?

Rühmkorf: Ironie ist auch so eine Art Erlösungsform, in der man Haltung bewahrt. Dass man nicht nur in Scheiße und Depressionen verfällt. Die Rolle der Literatur ist doch auch, dass sie das Unerträgliche erträglich erscheinen lässt. Wobei das in diesem Fall hart an der Grenze ist. Aber Literatur muss weit gehen.

Die Zeit: Fällt es Ihnen immer gleich leicht, auf diese ironische Art mit dem Sterben umzugehen?

Rühmkorf: Das ist tagesformabhängig. Im Großen und Ganzen halte ich die Ironie für eine Ausdrucks- und Empfindungsform, die es mir überhaupt erlaubt, auf dieser an sich fürchterlichen Welt zu existieren.

Die Zeit: Ist der Tod jetzt Ihr großes Thema?

Rühmkorf: Das ist er schon seit meiner Jugend. Aber mit zunehmendem Alter wird die Lage natürlich brenzliger. Diesen höheren Zynismus, mit dem Vanitas-Gefühl umzugehen – das ist mein Arbeitsfeld. Es hat keinen Zweck, in den Garten rauszurennen und die Fäuste zu ballen. Die Sense sirrt. Man muss wenigstens versuchen, es literarisch zu fassen. Ich wollte immer mal einen größeren Totentanz schreiben, aber dazu ist mir noch nicht die richtige Form eingefallen. Ich habe nur immer wahnsinnig gern getanzt, das ist ja auch so gesund für die Gebeine…

Die Zeit: Paradiesvögel sind auch große Tänzer. Also ist der Paradiesvogel des neuen Buches doch eine Art Selbstbeschreibung?

Rühmkorf: Das bleibt geheimnisvoll. Ganz durchschaue ich mein Unterbewusstsein auch nicht.

Die Zeit: Einen Totentanz haben Sie bislang nicht geschrieben, aber einen Grabspruch: „Schaut nicht so bedeppert in diese Grube. / Nur immer rein in die gute Stube. / Paar Schaufeln Erde und wir haben / ein Jammertal hinter uns zugegraben.“

Rühmkorf: Das war nur so ein Gedanke, der mir durch den Kopf flitzte. Je näher das Ende rückt, desto schneidiger werden die Witze.

Covertext, gekürzt aus Die Zeit, 27.3.2008

 

Noch einmal:

Lichtblicke und Gedankenblitze von Peter Rühmkorf. Das Alter mochte Peter Rühmkorf milder gestimmt haben, doch seine Zweifel waren nicht geringer geworden: „Manches wird zierlicher, manches brutaler, allseits genierlicher: Dein Feld wird schmaler. Früher die ganze Flur dir zu Belieben, fast eine Furche nur ist dir geblieben.“ Als Aufklärer und als Sinnenmensch hat Rühmkorf die melancholischen Schwankungskurven seiner Existenz in virtuosen Versen bemessen. Mit witzbewehrter Lebenslust lesen Peter Rühmkorf, Joachim Kersten und Stephan Opitz. Musik: Michael Naura, Wolfgang Schlüter und Herbert Joos.

Hoffman und Campe Verlag, Covertext, 2008

 

Und es knattern die Poengten

− Selten wird Dichtung so einladend präsentiert: Peter Rühmkorfs neuer Gedichtband Paradiesvogelschiß ist geschrieben für alle, verständlich für jeden. −

Sein neuer Gedichtband ist ein Buch des Zufalls. An sich hatte Peter Rühmkorf seine gesammelten Gedankensplitter und Splitterreime zu formal durchkomponierten Gedichten machen wollen.
Aber dann setzte ein Krebs sich in ihm fest, den er nicht besiegen kann und der ihn am Arbeiten hindert. Die ersten zwei Drittel des neuen Buchs bestehen also aus den Einfällen, die Rühmkorf im Lauf der vergangenen Jahre gesammelt hat.
Ein gutes Aperçu, gereimt oder nicht, ist etwas Vollkommenes. Der Dichter hatte mehr als Aperçus im Sinn gehabt, aber die Rezensentin vermisst nichts. Im Gegenteil, man kann stöbern in diesem Buch, viele Einzeiler, Zwei- und Vierzeiler animieren den Leser, sich das für ihn Passende auszusuchen.

Perfekte Aufmachung
Die Aufmachung der Seiten, die Rühmkorf bis ins Letzte überwacht hat, ist perfekt. Selten wird Dichtung so schön und einladend präsentiert.
Rühmkorf notiert, wie ihm mitunter zumut war:

Und wenn du morgens wieder mal dunkeltrunken
deinen Rattenbau erreichst,
gratuliere, ah, im Kühlschrank brennt noch Licht.

Das Licht, das noch brennt, ob bei der Mutter zu Haus oder bei Väterchen Stalin im Kreml – lyrischen Funzeln dieser Art sollte Rühmkorfs Kühlschranklampe ein für alle Mal heimgeleuchtet haben.
Rühmkorf, dieser große Verteidiger des Reims, hat zeit seines Lebens den Kitsch in der Poesie bekämpft, wie andere sich gegen Diktatoren auflehnen.
Gleich neben dem Kitsch steht in Rühmkorfs Schreckenskabinett die Angeberei, zumal die von Dichtern. Denen schreibt er auf:

poeta doctus
Er war ein Dichter vom Schuh bis zum Scheitel
mit Bildung gefüllt
wie ein Staubsaugerbeutel.

Rühmkorf ist selbst ein poeta doctus, aber er ist immer peinlich darauf bedacht gewesen, das herunterzuspielen.
Der Paradiesvogel, auf den Rühmkorf sich beruft, hat auch ein paar pointierte politische Kommentare ins Buch klacksen lassen. „Ab einer bestimmten Gehaltsstufe beginnt der Klassenkampf.“ Und: „Klassenkampf wird von oben geführt: ,Neiddiskussion‘.“

Nach dem Sinn des Lebens
Die meisten Verse kreisen allerdings um die Vergänglichkeit: Sie ist eine der Hauptaktricen in Paradiesvogelschiß. Die Frage nach dem Sinn des Lebens linst zwar um die Ecke; mit ihr legt Rühmkorf sich aber nicht an: „Der Wahrheit zuliebe immer weite Bögen / um die letzten Dinge gemacht.“
Die Vergänglichkeit hingegen respektiert er: „Es hat sich ausgepsaltert, / nicht nur das Herz, das Hirn, die Seele altert.“ Oder: „Eigentlich ist doch alles beklagt, / was noch nennenswert wäre“ – ein hinreißender bitterkomischer Satz.
Aus den Gedichten Peter Rühmkorfs spricht ein Mann, der zwar mitunter eigensüchtig sein kann und das dann auch genießt, der aber grundsätzlich das „wir“ hochhält, immer „für uns, für euch“ schreibt:

Nun sag doch mal jemand was
gegen die Welt,
die blüht uns doch richtig entgegen.

Seine gelegentlichen Eskapaden im Namen des „lyrischen Ich“ handeln manchmal von der Liebe, meistens aber vom Tod. In jedem Fall sind sie amüsant:

Gestorben wird doch unentwegt und allenthalben,
und diese Abschiedsfeiern sind mir ein Gealber.
Hingegen einmal noch den Zug von Schwalben
verfolgen, mit mir selbst als Oberschwalber

– in diesen Versen zeigt sich auch Rühmkorfs Vorliebe für Gottfried Benn.

Früher die ganze Flur
Dir zu Belieben,
fast eine Furche nur
ist dir geblieben.

Das ist lakonisch; die Ironie, mit der Rühmkorf die Welt betrachtet, wendet er auch auf sich selbst an. In seinem gesamten Werk findet sich keine selbstmitleidige Zeile.
36 Gedichte hat Rühmkorf zu Ende schreiben können, bevor die Krankheit ihn überrumpelte. Eines heißt „Rückblickend mein eigenes Leben…“. Da steht:

Von einer gewissen Gleichgültigkeitswarte aus
ließe sich vielleicht sogar noch
über diesen oder jenen Lichtblick verhandeln
(…) und du tust dich statt mit deinen Altersbeschwerden
ausnahmsweise mal
als großer Wohltäterätäter hervor.

Aufs Liebenswürdigste komisch
Der Dichter als Täterätäter: Rühmkorf ist aufs Liebenswürdigste komisch. In „Rückblickend mein eigenes Leben“ stehen auch diese Verse:

Wo die Erde bereits wie ein durchgedrehter Brainburger
durch die große kapitalistische Imbißbude saust,
rasend,
rotierend,
dem Selbstverzehr entgegen…

Anlässlich des 100.Geburtstags des Rowohlt-Verlags wollte Rühmkorf viele neue, lange Gedichte geschrieben haben, aber er arbeitet langsam:

Man fragte mich, was kam denn so zusamm’
im letzten Jahr?
Ach, sprach ich, nur ein Lied,
so einfach wie die Hand mit einem Kamm
durchs Haar
paar hübsche Zeilen zieht.

Das ist die erste Strophe aus dem Gedicht „Widmungsblatt für E.“, E wie Eva Rühmkorf.
Rühmkorf war unglücklich, weil er nicht dazu kam, alle seine Gedichte zu schreiben. Da fiel ihm eine Ballade in die Hände, an die er einige Zeit lang gar nicht mehr gedacht hatte, „Die Ballade von den geschenkten Blättern“.
Sie las sich auf einmal wie das Programm des Buchs, das Rühmkorf dann doch pünktlich publizieren konnte. Da scheißt ihm ein Paradiesvogel in den Garten, und der Dichter rupft das daraus keimende Gewächs ncht aus, sondern wartet ab: „Ein Stengel schoß auf, ein Blättchen daran, / das sah mich statt grün eher bleiern an.“
Da wachsen die „Einfälle“, mit denen er umgeht und auf die er immer gesetzt hat. Dichtung, sagt Rühmkorf, sei nicht nur Arbeit mit Wörtern, man sei auch angewiesen auf das, was einem einfällt, zufällt oder vom Paradiesvogel in den Garten geschissen wird.
Wer sich bislang scheute, Gedichte zu lesen: Vor diesem Buch braucht er nicht zurückzuschrecken. Rühmkorfs gesammelte Blätter vom Paradiesvogelbaum beweisen, dass Dichtung ein Genre ist, das alle angeht.
Der Baum in der Ballade empfiehlt sich dem Dichter und den Lesern:

… weil auf jedem Blatt steht ein goldener Spruch
in privater Geheimschrift geschrieben.
Und wenn du sie einsäckelst Fitz für Fitz,
selbst die schrägen und scheinbar verrenkten,
und es mangelt dir eines Tages an Witz,
dann greif nur zurück auf deinen Besitz,
und es knattern wie eh die Poengten…
Und genieß dich getrost als Beschenkten!

Franziska Augstein, Süddeutsche Zeitung, 22.4.2008

Altersleichtigkeit

− Für seinen neuen Lyrikband hat Peter Rühmkorf halbvollendete Gedichte, liegengebliebene und aufgegebe Verse noch einmal zu „Best of the rest“ verdichtet. Die Gebärde der Zerrissenheit ist einer merkwürdigen Altersleichtigkeit gewichen. Es ist ein Lesevergnügen für alle, die Spaß an augenzwinkernden Gedichten haben. −

Am Anfang des Werkes steht der Paradiesvogelschiß. In dem verbirgt sich ein guter Kern, aus dem was werden kann, ein Samen, der aufgeht im Garten. Erst ist es nur ein ärmlicher Spross, die Blättchen eher „bleiern“ als grün. Aber das wächst und wächst, über alle Hecken und Sträucher hinaus und setzt „mein Haus in den Schatten“, wie der Dichter bemerkt.
Mit der „Ballade von den geschenkten Blättern“ beginnt Peter Rühmkorfs neuer Lyrikband. Die Parabel vom Paradiesvogelschiß setzt ein ganzes Dichterleben ins Bild, das zu vielen, vielen „bleiernen Blättchen“ geführt hat. Um am Ende vielleicht noch einmal die Sonne zu sehen, wird beschlossen, dem „seltsamen Gast“ mit der Axt zu Leibe zu rücken.
Anders gesagt: man könnte diese ganzen zeitlebens aufgehäuften Papiere mit halbvollendeten Gedichten, mit liegengebliebenen und aufgegeben Versen unbesehen ins Archiv geben. Aber steht nicht „auf jedem Blatt ein goldener Spruch“, der es wert wäre, ins offizielle Werk aufgenommen zu werden? Sicher doch, und deshalb gibt es in diesem Buch zunächst einmal eine große Blütenlese, ein Best of the rest, wenn man der Auskunft der einleitenden Ballade glauben darf.
Bevor er 36 neue Gedichte präsentiert, versammelt Rühmkorf auf 80 Seiten verstreute Gedankensplitter, lyrische Aphorismen, Gelegenheitspoesie, Gedichtfragmente, manchmal auch nur denkwürdige Formulierungen, Pointen oder Reime, die zu gut sind, um preisgegeben zu werden („Dies Gedicht für Nicole Kidman / könnt ich praktisch jeder widmen“). All das Gute und sehr Gute eben, das von den weniger geglückten Seiten übrig blieb und für diesen Band wohl noch einmal geschliffen und überarbeitet wurde.
Man mag es als eine Art Nachlass zu Lebzeiten mit Werkstattgeruch lesen; spätere Rühmkorf-Philologen werden womöglich viel damit zu tun haben, die Kontexte der einzelnen Verse zu rekonstruieren, die hier ganz für sich stehen und dabei gute Figur machen.
Es ist ein Lesevergnügen für alle, die Spaß an guten und augenzwinkernden Versen haben. Nie war Rühmkorf so dicht an Robert Gernhardts komischer Sinnspruchlyrik, die oft aus der Selbstverpflichtung zum originellen Reim geboren wurde:

Wären diese Silben Salben
würden sie euch etwas sagen,
überzeugen,
überlisten,
und ihr würdet wie die Schwalben
unter meinem Giebel nisten.

Die Gebärde der Zerrissenheit, das Gefühl von Tragik ist einer merkwürdigen Altersleichtigkeit gewichen. Je mehr das organische Fundament zu wünschen übrig lässt, desto weniger ist der dichtende Mensch offenbar überhaupt noch zum Ernst aufgelegt. Es darf und soll gelacht werden – wenn einem schon nichts anderes übrigbleibt. Und Rühmkorf fühlt sich dabei durchaus zeitgemäß: „Im Augenblick wird KOMIK großgeschrieben / No Problem, weil: wir liefen nach Belieben…“ Nur gelegentlich verspürt der Pointenproduzent Unbehagen und „sinnt dem Salzgehalt verflossener Jugendtränen nach“.
Zwischen Brecht und Benn wurde Rühmkorfs Position immer wieder verortet. Jetzt ist er noch näher zu Benn gerückt, der sich als Vorbild für ironisch knisternde Altherrenpoesie einfach mehr empfiehlt. Der Benn-Sound klingt immer wieder leise durch, sowohl bei den gereimten Stücken wie in den in freien Versen gehaltenen längeren Gedichten wie „Rückblickend auf mein eigenes Leben…“ – dem vielleicht besten Text des Bandes.
Vergänglichkeitsanwehungen, Herbstgedanken und Verelendungsmotive gab es seit je in Rühmkorfs Werken. Nun wird dergleichen zur führenden Stimme:

Keine Herzattacke ohne den Beistand von deinem
Lieblingskardiologen
Und der BARMER ERSATZKASSE,
und wenn du morgens wieder mal dunkeltrunken deinen
Rattenbau erreichst,
Gratuliere, ah, im Kühlschrank brennt noch Licht.

Rühmkorf verbindet das hartnäckige Insistieren auf den irdischen Freuden mit Vanitas-Klagen, deren komisch gebrochenes Pathos von sehr weit herkommt. So wie im Barock die scheinbar individuelle Emphase oft eine Sache von gutem Handwerk und lyrischen Mustern war, so ist auch in Rühmkorfs Todes-Gedichten etwas von einer routinierten Beziehungsanbahnung zu spüren, etwa in „Grabspruch“, vier Versen von sarkastischem Übermut:

Schaut nicht so bedeppert in diese Grube.
Nur immer rein in die gute Stube.
Paar Schaufeln Erde und wir haben
ein Jammertal hinter uns zugegraben.

Und was ist aus Rühmkorf, dem erotischen Kraftlackel geworden? Aus dem Sänger der geschlechtlichen Freuden, der „Damen“ und „Weiber“ gleichermaßen gern zu Bett lud? Am Ende des Buches stehen noch einige Liebesgedichte – hier findet man in komprimierter Form jene Szenarien des unerwünschten Verlangens alter Männer, wie sie bei Philip Roth und Martin Walser zu Romanen werden:

Das sind so Schmerzen, die sich nicht mal
zu erkennen geben dürfen.
Leiden, für die es hierzuland kein Mitleid gibt.

Aber was denn auch, hat der Dichter-Erotomane doch einst reichlich Ernte eingefahren, wie er in „Dichterliebe“ bekennerstolz verrät. Auch wenn ihm heute das Nachsehen bleibt:

Es wehen so kleine Fräulchen
wegauf und wegab und dahin
und spitzen verworfene Mäulchen
nach wem? wenn schon ich es nicht bin.

Immer wieder dankbar ist man für Rühmkorfs Verbindung von Klugheit und Poesie, für seine treffend formulierte Nachdenklichkeit, für all die „Verbindungsfäden zwischen Satz und Seele“.

Wolfgang Schneider, Deutschlandfunk, 28.3.2008

Weile, Wunder, weile

− Unermüdlich im Versstollen: Peter Rühmkorf gewährt in seinem neuen Gedichtband Einblicke in die Werkstatt des Poeten und die Betriebsgeheimnisse seiner Inspiration. Noch einmal werden auf meisterliche Weise die großen Themen seines Lebens variiert. −

Eine Handschrift wie auf der Flucht, geduckt voraneilend, als müsste sich Buchstabe für Buchstabe gegen den Wind stemmen, verfolgte Verfolger allesamt, vom Dichter vorwärtsgepeitscht, ausgeschickt, den flüchtigen Einfällen hinterherzujagen: So sehen die Manuskriptblätter von Peter Rühmkorf aus. Zuerst wird getippt, mit der alten Olympia, der ab und an ein Buchstabe verrutscht, dann wird handschriftlich ergänzt, korrigiert, umgeschrieben. Wie kaum ein anderer Poet ist Rühmkorf in den Arbeitsprozess verliebt: Er will der Kundschaft, wie er seine Leser gerne nennt, immer wieder zeigen, wie viel Arbeit, welche Mühe in jedem seiner Gedichte steckt.
Deshalb sind auch in dem neuen Gedichtband Paradiesvogelschiß einige Manuskriptblätter faksimiliert, die den status nascendi vorführen, etwa auf Seite dreizehn, wo ein Gedicht, das noch keinen Titel trägt, mit den folgenden Zeilen beginnt: „Nun gut, okay, / du willst den Dichter geben – / Heißt praktisch von den eignen Seufzern leben.“ Neunzig Seiten später kommt es zu einem Déjà-vu. Aus drei Zeilen sind jetzt zwei geworden: „Also – gut, du willst den Dichter geben. / Praktisch von den eigenen Seufzern leben.“ Sie stehen am Anfang eines Gedichts, das nun den Titel „Geschlossene Anstalt“ trägt. Damit ist das Kunstwerk gemeint, dessen Autonomie gegenüber Banalitäten wie den „nächsten Wahlen“ am Ende mit markigem Wort beschworen wird: „Feierabend! / Das Gedicht ist dicht.“

Kinder einer verstreuten Empfängnis
Was geschehen muss, damit ein Gedicht dicht ist, randvoll und gut verfugt, hat Rühmkorf immer wieder zu beschreiben versucht. Es sind poetologische Umkreisungen eines höchst komplexen Vorgangs, in dessen Zentrum ein schwer bestimmbares Gebilde namens „Einfall“ steht. Einfälle sind Musenküsse und Zeitungsschnipsel, Halbsätze, Eindrücke, Wahrnehmungspartikel, schlichtweg alles, was herangeweht wird und haften bleibt, was in Spannung zu treten vermag, Assoziationen auslöst und einen Reibekontakt verspricht, kurzum: entzündliches Material jeglicher Art, das früher oder später für einen poetischen Funken gut sein könnte. Rühmkorf hortet solche potentiellen Funkenträger. In der vor vielen Jahren verfassten „Einfallskunde“ hat er den Umgang mit ihnen so beschrieben: „Unzählige Einzelkinder einer verstreuten Empfängnis werden herankommandiert und auf ihre Verwertbarkeit begutachtet und vorläufig eingewiesen oder auf die Reservebank zurückbeordert.“ Jetzt sind etliche Einzelkinder in die geschlossene Anstalt eines neuen Gedichtbandes überwiesen worden. Einige von ihnen wurden zu den blechernen, bleiernen Blättern, von denen das erste Gedicht erzählt.
„Die Ballade von den geschenkten Blättern“, im vorigen Jahr in dieser Zeitung vorabgedruckt, ist das große poetologische Eröffnungsgedicht, das beschreibt, wie aus einem in den Garten geklacksten „Paradiesvogelschiß“ ein Baum erwächst, dessen Blattfülle nach wenigen Jahren das Haus des Dichters überschattet, so dass der Hausherr zu Axt und Säge greift. Aber wie im Märchen beginnt nun der Baum zu sprechen – „gib Acht, es folgt was Illüstres“ −, wirft all seine Blätter mit einem Schlag ab und verkündet dem „ungläubigen Buchstabendruckser“, dass auf jedem Blatt ein goldener Spruch stehe, in „privater Geheimschrift“ geschrieben, ein Vorrat also an Einfällen, Funkenträgern und „Poengten“, darunter allerdings auch „die schrägen und scheinbar verrenkten“.
Was Rühmkorf hier beschreibt, ist nichts anderes als die eigene Arbeitsmethode, die eigene Vorratshaltung, das Archiv der Einfälle, dessen Ausmaß allerdings das ganze Leben zu überwuchern droht. Aber der Befreiungsschlag ist mit Axt und Säge nicht zu führen. Befreiung vom poetischen Rohmaterial ist nur möglich in der Transformation zum Gedicht, also durch Arbeit im Versbergwerk.
Vielleicht ist dieses Gedicht entstanden, als seine schwere Krankheit Peter Rühmkorf daran zweifeln ließ, ob er noch genügend Kraft für sein Handwerk habe. Jetzt aber eröffnet es den neuen Band mit einer Geste des Triumphs: „Die Ballade von den geschenkten Blättern“ ist der Fanfarenstoß, mit dem Rühmkorf den Vorhang öffnet. Denn nun folgen auf achtzig Seiten die „goldenen Sprüche“, das mal mehr, mal weniger sorgfältig bearbeitete Rohmaterial aus Rühmkorfs Sudelblättern also. Gerahmt werden die kurzen Gedichte, aphoristisch anmutenden Zweizeiler und Vierzeiler von den faksimilierten Seiten, die den Arbeitsprozess illustrieren, bevor im dritten Teil des Buches etwa drei Dutzend Gedichte den Band abschließen.
Die Themen sind überwiegend die alten: die Liebe, der Nachruhm und die „Unsterblichkeitsgrenze“, Blütenblatt und Rückenakt, die „Kikerikikritik“ und die lieben Kollegen wie „Big Benn, der große Stabreimmediziner“. Besonders schön und anrührend ist die Erinnerung an die Nachkriegslektüre, 1947, als die Frage Thomas Mann oder Alfred Döblin, Buddenbrooks oder Biberkopf aufkam, als die ganze Welt zerhaun und verbeult war, der lesende Rühmkorf die Berliner Straßenbahnen durch sein Zimmer kreischen hörte und einen Riss zwischen sich und dem Zauberer aus Lübeck spürte, „der sich bis heut nicht schließen wollte“.
Anders als in Robert Gernhardts großen „K-Gedichten“, die den Krebs ins Metrum zwangen, wird hier die Krankheit nur selten direkt angesprochen. Wie ein lästiges Zwischenstadium wird sie übersprungen, als wäre nur der Tod ein Thema für die Ewigkeit, nicht aber die Malaise auf dem Weg dorthin: „Morgens auch nicht gerade auferstanden“, das ist schon fast das ganze Krankendossier. Mehr will der Dichter sich und seiner Kundschaft nicht zumuten: „Es hat sich ausgepsaltert, / nicht nur das Herz, das Hirn, die Seele altert.“ Melancholie macht sich breit. Dass die Jugend heute so hübsch wie nie und so doof wie selten ist, der Zweifel, ob es sich lohne, „unter Stoffeln, unter Töffeln, / noch irgendwie einen Ruf zu erlöffeln“, die Überzeugung, dass heute Gedichte gebraucht würden für jene, die „nichts lesen und nichts wissen“, das sind Bitterstoffe im Spätwerk, die in dunklen Stunden zu schlechten Vorsätzen führen können: „Einfach werden – radikal. / Kompliziert, das war einmal. / Weil, … Subtilität / kaum ein Leser noch versteht.“
Aber dann geht es doch wieder weiter, wird dem Verhältnis zwischen Lyrik und bildender Kunst nachgespürt, absolut meisterhaft in „Bilderrätsel wortwörtlich“, oder noch einmal, einmal noch und immer wieder, einer Liebsten gedacht und die Liebe beschworen:

Weile Wunder weile,
nur noch eine Zeile.
Wir sind
wenn ich nicht irre,
bißchen angestoßne Geschirre,
das kommt vom Zusammensein.

Das ist von allen Blättern, die uns dieser Band schenkt, vielleicht das schönste – der liebende Dichter als irdenes Gefäß. Rühmkorf hat dieses Buch der Krankheit abgetrotzt und Freund Hein eine lange Feder gezeigt. Denn im Taubenschlag der deutschen Lyrik ist er nach wie vor der Paradiesvogel.

Hubert Spiegel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.3.2008

Gedicht, Spruch, Vers

− Rühmkorfs aktueller Lyrikband Paradiesvogelschiß mit neuesten Texten des Sprachartisten. −

Vorab eine Rüge. Einem Dichter mit einer derart munteren Produktion wie Peter Rühmkorf hinterherzurufen, er sei der „größte lebende deutsche Dichter“, wie es der Rowohlt Verlag zu Werbezwecken und die „FAZ“ zitierend auf dem Umschlagrücken machen zu müssen glaubt, ist schlicht pervers. Greifen Sie zu, solange der Satz noch stimmt, heißt das wohl. Lange kann es schließlich nicht mehr dauern. Rühmkorf gibt einer so plump mit dem Tod kokettierenden Berechnung im Buch selbst den ironischen Bescheid: „Was wollte ich denn noch gerade? / Ah, den Strick!“ Nicht der Tod ist denn auch entgegen dem Anschein Rühmkorfs lyrisches Thema, sondern dessen Negation in Gedicht, Spruch, Vers.

− begraben –
wir wollen diesen Tod, nicht wahr,
wir wollen ihn gar nicht haben.

Wer sich jemals von Gedichten Peter Rühmkorfs einnehmen ließ, war womöglich ihrer schnoddrigen Eleganz verfallen oder er bestaunte, bereits ästhetisch geschult, die moderne Anknüpfung an klassisch-romantische Traditionen. Solche Kunstfertigkeit wäre jedoch nie viel wert gewesen ohne Empfindlichkeit, ohne individuelles Wahrnehmungsvermögen, das den Gedichten zugrunde lag und sich scheinbar mühelos über die Jahrzehnte hinweg mitteilte: „Komm an die Theke, Besiegter, heut abend, / verbirg / dich nicht hinter Mumienbinden“ – (so die Eingangsverse von „Meine Stelle am Himmel“ von 1974/75).
Das Erstaunliche ist nun, dass Rühmkorfs Poesie im aktuellen Band mit dem schönen Titel Paradiesvogelschiß nur noch zum kleineren Teil in gewohnter Gestalt auftritt. Bisher war seine lyrische Stimme, bei aller Artistik und Neigung zum Bruch, die pathetisch gefärbte eines Sängers, der sich hymnischer, elegischer, balladen-, oden-: also liedhafter Formen bediente. Diese Vorliebe, die für den Wiederererkennungswert dessen verantwortlich ist, was man als Rühmkorf-Sound bezeichnen könnte, rührt schon von den finistischen Anfängen der fünfziger Jahre her. Und wo Rühmkorf nicht gerade seine gekleckste Malerei mit gereimten Bildunterschriften versah, blieb er ihr treu. Wie der zweite Teil des Buches bezeugt, ist der Barde auch nicht verschwunden. Hinzugetreten aber ist: der Sprüchemacher.
Und was sind das für Sprüche! Sie legen alles offen und das mit Absicht. Vollendet erscheinen manche, unfertig viele, auf die Fantasie des neugierig gemachten Lesers angewiesen sind alle. Manches begegnet später im Zusammenhang eines Langgedichts wieder; hier muss es zunächst für sich bestehen. In ihrem Bau folgen die Sprüche keiner festen Regel. Gerne haben sie vier oder zwei Zeilen, auch Einzeiler kommen vor. Gesetzt sind sie in Blöcken von vier, fünf oder sechs Stück auf einer Seite mit dem sichtbaren Bemühen, optisch Bewegung zu schaffen: linksbündig, eingerückt, zentriert, rechtbündig, in stetem Wechsel, ein fließendes Bild.
Keck stellen die Sprüche ihr Produziertsein aus. Gedankenstriche und Punkte markieren Orte, an denen der Dichter es (bisher?) nicht für gut befand, Worte einzusetzen. Zahlen zeigen an, wo wie viele Silben mit Bedeutung fehlen. Klammern weisen darauf hin, dass hier eine Alternative sich anböte. Und immer wieder: die Suche nach den richtigen Reimwörtern. Es ist ein Steinbruch, der sich auf den ersten 80 Seiten dem Leser darbietet, keineswegs ein unbehauener.
Besieht man die Sprüche insgesamt, ergibt sich kein transparenter Aufbau. Zunächst herrscht eher Lehrhaftes in gereimter Form vor. Es folgt eine Strecke, die dominiert wird von reimlosen, urteilskräftigen Sentenzen. „Also, ein gewisses Mindestaussehen muss man natürlich mitbringen.“ Oder: „Sie halten für individuelle Freiheit / was eigentlich nur asoziales Verhalten ist.“ Bald setzt spürbar eine Wendung zum Ich ein, die deutlich macht, aus welcher Quelle die Sprüche ihre Schönheit und Wahrheit schöpfen. Es ist die zum poetischen Ausdruck gesteigerte Selbstbeobachtung, deren Kraft der Dichter auch in überraschend naiven Worten nicht müde wird zu beschwören:

Ich möchte etwas Neues von mir lesen,
was richtig schön ist und mir Freude macht.

Und das froh machende Neue gelingt tatsächlich immer wieder. Den ergänzungsbedürftigen Einzeiler „Obwohl bis in den Eingeweidenerv entzückt“ mag man gar nicht loben, so klug und schön ist er. Das Entzücken erscheint hier als reine Physis, zuckender Nerv. Nur ein Wort, das hinzutritt, verrät, dass die Erfüllung versagt blieb: obwohl.
Der Sprüchemacher, der zwischendurch gerne mal auf sein Publikum schimpft, mutet dem Leser viel zu. Während das strophenförmige Gedicht diesem die Möglichkeit bot, in eine bestimmte Stimmung einzutauchen, oftmals durch refrainartige Wiederholungen wenn schon keine Aussage, so doch eine lyrische Moral etablierte, präsentiert sich der Spruch ohne Aura, fast nackt. Er ist prosaischer als das Langgedicht, deswegen aber noch lange nicht logisch. Sätze, Verse wie die zitierten docken beim Leser entweder unmittelbar an oder sie verpuffen, weil sie keinen Nerv getroffen haben. Ihr Kunstcharakter besteht in ihrem „So ist es“ – womit nicht die bestätigende Reaktion des Rezipienten, sondern ihr eigenes Auftreten gemeint ist.

Ich blas die Brötchentüte auf
und hau sie
peng!
zusammen.

Womöglich war ja auch Rühmkorfs liedhafte Lyrik immer schon um solche denkwürdigen Verse herumgebaut.
Die auf Empfindlichkeit basierende Poesie kann, wenn sie so nackt auftritt wie in den vorliegenden Sprüchen, schnell umkippen. Die kleine Form ist gefährlich. Rühmkorf scheint seinen schwächsten Punkt ganz gut zu kennen. Unter dem Titel „Ideologie“ heißt es:

Das arme Gedicht entgelten lassen,
was man an den politischen Ansichten des Verfassers
auszusetzen hat.

So hätte er es gern. Die misslungenen Sprüche sind in ihrem Gehalt tatsächlich überwiegend politisch – misslungen nicht in dem Sinn, dass sie Ausdruck unbotmäßiger Gesinnung wären, sondern dass sie zugunsten einer Aussage auf ihren Kunstanspruch verzichten.
Den amerikanischen Präsidenten (wahlweise: Josef Ackermann) in Spruch oder Gedicht zu schmähen, bedient, entgegen Rühmkorfs Intention, einfach nur den deutschen Common Sense: Hass auf den bösen, vermeintlich mächtigsten Mann der Welt, ohne den alles human wäre. Die Wahrheit seines Ideologiegedichts wäre vielmehr so zu fassen: Die dezidiert politischen Gedichte und Sprüche sind da bloße Meinung, wo sie keine Form haben. Wo sich ein autonomer Formanspruch kristallisiert, mag auch ein „politisches“ Thema reüssieren:


im Grunde zielt der gesamte Koran
am Leben vorbei und zum Jenseits hinan.

Der Reim enthält hier in sich den Anachronismus, der das Urteil über die Religion ausmacht. Wo hingegen die Form versagt, bleibt vom Spruch wenig mehr übrig als das Ressentiment, das ihn hervorrief:

Charlton Heston (ehem. Schauspieler, Western) –
Präsident der Waffenlobby der USA:
Man spürt allmählich, wie die Weltmacht
verwahrlost.
Wertegemeinschaft? – Nein danke.

Wo Rühmkorfs Gedichte und Sprüche der ästhetische Ausdruck individueller Regungen sind, halten sie Erfahrungen bereit, die direkt aus dem Glücksversprechen der Kunst erwachsen. Rühmkorf selbst weiß um die Angewiesenheit auf die Form, auch wenn er sie selbst hin und wieder vergessen mag:

Der Jambus hätt sich ausgequatscht?
Mitnichten, wiederhol ihn!
Und ist der Stiefel durchgelatscht,
besohl ihn!

Sven Schulte, Berliner Literaturkritik, 26.5.2008

Ein Geschenk

Schreiben ist Rettung, solange es anhält. Jeder Einfall, groß oder klein, eine Atempause vor den letzten Dingen. In Peter Rühmkorfs Dichtergarten rankt, anders kann es nicht sein, ein poetischer Lebensbaum. Seine rauschenden Blätter vertreiben das tatenlose Denken unter den Lasten von Alter und Krankheit. Das sich ängstigende Sein und die verbleibende Zeit werden einer einschüchternden Gewissheit enthoben. Wie das gelingen kann, zeigt „Die Ballade von den geschenkten Blättern“, die den neuen Band des Peter Rühmkorf im 79. Jahre eröffnet.
Eine geborene Poetenfama: „Ein Paradiesesvogel bin ich dir, / der eine Feder auf dich streut, ein Lied“, dichtete einst August Graf von Platen. Rühmkorf verblüfft da mit ganz anderem Dichterschwung. Bei ihm fällt ein Paradiesvogelschiß, der den Samenkern birgt, aus denen die Dichterbäume in den Himmel wachsen. Das muss man nur erkennen. Als unser Fahrensmann aus Oevelgönne / Altona ahnungslos Beil und Säge setzt, „Da fingen – Halt ein, unseliger Mann’, / die blechernen Blätter zu rascheln an, / gib Acht, es folgt was Illüstres!“ Und siehe, auf der „gesammelten Blätterlast“ findet sich „Fitz für Fitz“ ein unerschöpflicher Vorrat an Dichterwitz und Einfallsblitz „und es knattern wie eh die Poengten…“, dazugehörig „selbst die schrägen und scheinbar verrenkten.“
Wohl kaum wurde in eine Poetologie betörender eingeführt. Es folgen achtzig Seiten Wort- und Schallwerkstatt, umrahmt von einigen Typoskripten: zügig getippt auf der Olympia Monica mit verrutschten Versalien, temperamentvoll korrigiert mit charakterstarker Handschrift. Kein Zweifel, ein Gedicht ist kein Handstreich, sondern Arbeit. Eben noch Hochseilartist, dann wieder Sisyphos. Alles lebt von den Vorzügen der Absichtslosigkeit. Erst aus dem beweglichen Wortlaut kommt die werkumspannende Freiheit, zu der ein Dichter verurteilt ist. Aber das tagebuchähnliche Schreiben bedarf mit seiner Flut an Einzelheiten eines Gefühls für Maß, Variation und Proportion. Hier wird der Unterschied zwischen Wahrnehmung und Gedicht deutlich. Auch für Rühmkorf gilt „Haydns Altersübermut: / Vollkommene Beherrschung der Mittel –“.
Und welcher Wort- und Versspeicher, welches poetische Portefeuille tut sich da auf. Welcher Tumult, wenn Einfall und Sprache aufeinander treffen! „Kleine blitzende Momente“, vagabundierende Wörter oder Verse auf der langen Bank, die nur sich selbst bedeuten: „Liebesgelächter“ oder „Bauernrosen wie Waschfrauenhände, / zart geknüllt.“ Vieles ist noch ohne Vorsatz, die Worte haben noch einiges vor sich, bis sie eine Absicht zu erkennen geben. Früher oder später werden sie zur Pointe geführt.

Ausschreiten wieder mal mit dem Whitmanschritt
dem weitausholenden,
praktisch gar nicht zu bremsenden,
auch mit Augen, die überall hängenbleiben und sich erfreuen: „Blaugrünes Wellensittichweibchen,
(beringt) am Pfingstmontag zugeflogen“.

Im Fundus kann sich alles noch in der Schwebe zeigen:

Nun gut,
du willst den Dichter geben −
heißt praktisch, von deinen Tränen leben.
Von deinen Seufzern dich kleiden und nähren:
Ich denke, die Zeit wird nicht ewig währen.

Gut fünfzig Seiten später gibt sich das Gedicht „Geschlossene Anstalt“ entschiedener:

Also – gut, du willst den Dichter geben.
Praktisch von den eigenen Seufzern leben,
dem Gefühl, dass du nicht hergehörst:
Sitzenbleiber oder Eckensteher:
Mitempfindende, ich bitte euch, rückt näher,
ladies first –

Ungesegnet in die Zeit hinein zu handeln,
Wörter die sich noch im Mund verwandeln,
bis sich alles widerspricht −

Soweit lässt es der Dichter nicht kommen: „Feierabend! / Das Gedicht ist dicht.“
„Rückblickend mein eigenes Leben…“ nennt Rühmkorf den Teil mit drei Dutzend „dichten“ Gedichten. Sie werden zu keinen Monologen voll Untergang, nirgends ein Nachzittern des Gemüts beim Erinnern. Die Zeit vergeht, der Ursprung nicht.

Gelernt bei den Verbannten und Verdammten,
verbrannten Büchern,
die uns nach dem Krieg entflammten,
in deren Geist und dass man nie vergisst −
Frage an das gelehrige Gedicht:
Wie lange sangst du schon nicht mehr,
bedrückte Seele?
Mich dürstet nach der, der ich nicht fehle,
heißt einer Welt,
die bereits unsre Herkunft nicht vermisst.

Der Dichter lebt in der Gegenwart, steht Freunden bei, wie Günter Grass mit einem „Geburtstagsmedaillon“. Eine Krankheit wirft zwar Schatten, aber kann die Themen nicht besetzen. Der Tod schon eher, das gehört zur Dichtung. Immer schon. Aber Peter Rühmkorf begegnet Freund Hein nach wie vor sarkastisch, mehr gefasst als panisch im Wechsel mit selbstgewisser Daseinslust.

Heute morgen mich plötzlich wieder mal
auf der Straße pfeifen gehört,
einfach so Johnny Griffin
Wading in the Water‘,
doch kein schlechtes Zeichen.

Wenn Sie bittemal meinem ausgetrockneten Zeigefinger
folgen wollen, objektiv, was sehen Sie?
Na, ich will es nicht schwieriger machen,
als es ist:
DIE GRUBE –

Den Schleier der Verklärung braucht dieser Dichter nicht, jeder „Metaphernfummel“ ist längst abgelegt. Erst wenn die letzten Dinge nicht nur „unserer lieben Lust“, sondern auch dem Vers Fallen stellen, hält der Dichter kurz inne.

Und so entgeht dir vieles,
weil aus verzagten Friedhofsaugen angeschaut,
ist die Partie meist schon im vorhinein verschmissen.

Selbst das Gedicht, das sich zu skrupelvoll bedenkt,
führt auf die Stufe zu,
wo sich dem Vers der Fuß verrenkt.

Dieses Buch ist ein Meisterstück für sich. Auch wenn es Peter Rühmkorf seiner Krankheit abgerungen hat, zeigt sich alles in vollkommener Beherrschung der Mittel, ein Altersübermut bleibt des Dichters Façon. Mehr noch, ein Paradiesvogel in vollem Federkleid hat uns in ungestillter Daseinslust seltene Blätter geschenkt.

Jürgen Verdofsky, Frankfurter Rundschau, 1.4.2008

Ein Totentänzchen geschafft

− Paradiesvogelschiß heißt der letzte Gedichtband Peter Rühmkorfs. Kurz nach der Publikation ist der Achtundsiebzigjährige im Juni gestorben. Als seine lyrische Abschiedsvorstellung war das Buch wohl auch gedacht. Neben letzten Gedichten enthält es vornehmlich gereimte und ungereimte Selbstgespräche und Merkverse, Sentenzen und Aphorismen aus dem Nachlass zu Lebzeiten des Dichters von ihm selbst seiner Werkstatt entnommen. −

Möglicherweise ist es der lebensspendende Trost, als Schmerzensmann öffentlich wahrgenommen und vielleicht sogar bewundert zu werden, was in den letzten zwei Jahren drei unserer Autoren dazu gebracht hat, beim Umgang mit „dem eigenen Tod“ (Rilke) den Schutz der Selbstdiskretion zu verlassen und sich demonstrativ zu öffentlich Sterbenden zu machen und auf dem Marktplatz des Literaturbetriebs die Chronik ihres angekündigten Todes zu Ende zu führen. Früher, als sie noch mehr an die Nach- als an die Mitwelt glaubten, starben unsere Dichter diskreter (& für sich). Heute vor unseren Augen & für uns?
Robert Gernhardt hat seine Krebserkrankung sogar noch bedichtet und bis zum Gehtnichtmehr an einem opus posthumum gearbeitet, Walter Kempowski hat Interviewer empfangen und letzte Hand an letzte Werke gelegt. Und Peter Rühmkorf? Er hat aus seinem ungeordneten Nachlass von zahllosen Notizblättern noch zu seinen Lebzeiten eine erste Auswahl von Fragmenten nach eigenem Gusto zusammengestellt – zu einem Abschiedspotpourri seiner unerledigten poetischen Möglichkeiten. Und dann die Interviewer empfangen, mit denen er seine öffentliche Biografie ein letztes Mal durchnahm.
Peter Rühmkorfs Paradiesvogelschiß enthält neben der den Titel interpretierenden Ballade eine Reihe von Gedichten, die alles in allem poetisch nicht auf der Höhe oder besser nicht von der brillanten Dichte sind, zu der er einmal fähig war. Ob er da nicht sogar das eine oder andere Gedicht, das der dialektische Virtuose unter unseren lyrischen „Wortmetzen“ seinen früheren Sammlungen zurecht vorenthalten und unter Verschluss gehalten hatte, nun beim Auf- und Zusammenkehren zum Ultimo zwecks Ausfütterung des schmalen Bestands doch noch aufgenommen hat?
Fragen darf man sich das – ohne dem zurecht allseits verehrten, bewunderten und gar geliebten Autor einen Tort anzutun; aber besser ist’s wohl, sich solche Fragen zu stellen, wenn er sie nicht mehr hört. Es ist ja sowohl ein Elend wie nicht ganz unüblich bei Künstlern und anderen Menschen, dass einem im Alter (aus vielerlei Gründen) das einst so leicht und herrlich Gelungene nicht mehr so leicht von der Hand geht oder sich einstellt.
Wenn ich mich nicht täusche, war Rühmkorfs literarische Haupt- & Goldader, die lyrische Poesie-Produktion, der er bis zur Jahrtausendwende rund drei Jahrzehnte lang die schönsten, filigranhaft-robust-gewitztesten Gedichtgeschmeide abgewonnen hatte, zwar nicht versiegt, aber doch dünner geworden. „Dein Feld wird schmaler. // Früher die ganze Flur / Dir zu Belieben / fast eine Furche nur / ist dir geblieben“, lautete der selbstkritische Befund nun im Paradiesvogelschiß. Aber der Wunsch bleibt:

Nach vielen – und Girlanden
noch einen richtigen Treffer landen.
Doch täusch dich nicht, die einfachen Sachen
werden auch nicht gerade besser verstanden.

Auch die einleitende Ballade von dem Gewächs, das einem Paradiesvogelschiß in des Dichters Garten entwuchs, bis es „mein Haus in den Schatten stellte“, wirkt arg konstruiert, wenn vom Rascheln der „blechernen Blätter“ die Rede ist, die zuvor eher „bleiern“ aussahen, und dann unter „Geschepper, Geklepper, Geklimper, Geklirr“ sich der Baum, eher wie ein umgestürzter Geschirrschrank, seiner „gesammelten Blätterlast“ entledigt und den „ungläubigen Buchstabendruckser“ über das unverhoffte Geschenk belehrt:

Weil auf jedem Blatt steht ein goldener Spruch
in privater Geheimschrift geschrieben.
Und wenn du sie einsäckelst Fitz für Fitz,
selbst die schrägen und scheinbar verrenkten,
und es mangelt dir eines Tages an Witz,
dann greif nur zurück auf deinen Besitz,
und es knattern wie eh die Poengten …

Und genieß dich getrost als Beschenkten!

Derart poetisch selbst ermächtigt („Weil auf jedem Blatt steht ein goldener Spruch“), öffnet der Todkranke das Arsenal seiner poetischen Fundstücke, Einfälle, Selbstgespräche und Improvisationen, die er sich (ein Messie der Wort- & Gedankenklauber- samt Reimerei) über die Jahre hin angelegt hatte – wie der früh verehrte, ihm in vielerlei literarischer Haushälterei verwandte Prosaexperimentator Arno Schmidt seine Metaphern & „Wortkonzentrate“. Allerdings nicht systematisiert in „Zettelkästen“ wie dieser, sondern eher wie beider übergroßer Vorläufer Jean Paul, je nach momentanem Einfall „Fitz für Fitz“ bloß aufs Papier geworfen: zur möglichen späteren Verwendung.
Dieser Mittelteil von Paradiesvogelschiß ist das Schönste und Bewegendste dieser Ausgabe poetischer Werke letzter lebender Hand Peter Rühmkorfs. Zum einen zeigt sie uns, anhand zweier, die Notizen umrahmender (oder umarmender?) Faksimiles den Dichter bei der Arbeit an getippten und handschriftlich durchkreuzten Gedichtentwürfen. Dass und wie sehr, weitläufig, zäh, umständlich, ausgefeilt Poesie „gemacht“ und „ein genuines geistiges Verfassungsorgan des Dichter-Ichs“ ist und nicht priesterlich empfangen wurde, demonstriert ad oculos Peter Rühmkorf noch einmal seinen Lesern. (Er hatte ja schon die langwierige Genese von „Selbst III/ 88“, also einen ausführlichen Arbeitsnachweis seiner lyrischen Produktion, in dem über 700 DIN-A4-seitigen gleichnamigen Faksimile-Band 1989 dokumentiert.)
Zum anderen folgt dann aber auf 75 Seiten so etwas wie der Skizzen-Nachlass von Peter Rühmkorf zu Lebzeiten in Form von gereimten oder rhythmisierten Merk- & Denksprüchen, Gedichtfragmenten und -gerüsten, Aphorismen und Metaphern. Ein weites Feld voller oft nur kieselgroßer Einfallsfindlinge. Ernst und Jokus, Vanitas und Sexus, Todestraurigkeit und Lebensfreude, Betrachtungen und Sottisen zu Jugend und Alter, schillernde Reflexionen über Intimstes und Öffentliches, Sentenzen zur Poesie, Politik und Gesellschaft. Und fast immer knallen die Pointen, denn der spitze Witz war Rühmkorfs Domäne, nicht der witzelnde Humor Gernhardts – wenngleich zum Beispiel „Um das zu tun, / was jeder tut, / braucht es nicht gerade Heldenmut“ oder „Bei dem kleinen Botengang / Ward mir vor den Goten bang –“ auch auf Gernhardts Mist hätte gewachsen sein können.
Öfter kräht aber Rühmkorfs poetischer Hahn „heinesch“: „Mancher hält es für tief, / wenn irgendein Mumpitz gedacht wird – / Mir scheint ein Kuß schon als Superlativ, wenn er mir entgegengebracht wird“ oder „Sie sprach: Ich hab dich zum Heiraten gern, / (hochoben die Vöglein piepten) / doch halte ich mich lieber fern / von unpraktischen Geliebten.“ Und: „Was später kommt, wird dich womöglich erschrecken, / ein Jenseits gar in Muselmanenecken, / deshalb beschwör ich dich, statt dich dort oben / heut vorsichtshalber noch auf Erden auszutoben“ – was er ja weidlich getan hat.
Vor allem wird der Leser, den vieles hier entzückt und manches auch verwundert, falls er nicht hier und da den Kopf schüttelt, jedoch ernstlich in Betracht ziehen müssen, dass der „Späte Rühmkorf“ und nicht ein fremder Editor diese „Blütenlese“ vorgenommen hat und uns mit seinem ausgewählten Florilegium eine letzte Einsicht in seine eigenste (& letzte) Befindlichkeit übermitteln will. Das heißt: nicht nur lichtenbergianische „Sudelbuch“-Trefflichkeiten wie „Jungfrauen sparen ihre Unschuld für Unholde auf“, „Der Geschlechtstrieb ist ja nicht unbedingt liebenswürdig“, „Ein blutunterlaufener Landstrich“, „Er geht zu Leichenfeiern nur für Honorar“, „Ein verblaßter Lichtblick“, „Vollkommen durchgelegene Symbole“, „Liebesgelächter“ oder „Ich bin in keine Schule gegangen / außer durch meine Irrtümer“. Sondern auch explizit politische Statements wie: „Von einer gewissen Gehaltsstufe an / beginnt der Klassenkampf“, „Sie halten für individuelle Freiheit, / was eigentlich nur asoziales Verhalten ist“, „Der Kapitalismus frißt seine Kundschaft“ oder „Klassenkampf wird von oben geführt. ,Neiddiskussion‘“.
Beim letzthändigen Bilanzieren seiner unerledigten Hinterlassenschaften erinnert Peter Rühmkorf sein Publikum daran, dass dem Poeten, der nach der selbst gesetzten Losung „Bleib erschütterbar und widersteh“ gelebt hat, die politischen und gesellschaftlichen Weltläufe bis zuletzt (wie am Anfang seiner poetisch-kritischen Wortmeldungen in „Leslie Meiers Lyrikschlachthof“ des „Studentenkuriers“, nachmals „Konkret“) nicht gleichgültig geworden sind.
„Rückblickend mein eigenes Leben“ (mit diesem späten Gedicht eröffnet er den dritten Teil von Paradiesvogelschiß, in dem er letzte ausgeführte Gedichte sammelt) steuert auf eine illusionslose Bilanz zu:

Manches hält man natürlich nur aus, wenn man weiß,
dass man sich bereits auf der Rückfahrt befindet.

(…)

Sage beim Abschiednehmen gern einfach
,Halten Sie die Stellung‘,
was im allgemeinen begrüßt wird −
O b w o h l   S i e ?
D i e   S t e l l u n g ?
H a l t e n ?
Wo die Erde bereits wie ein durchgedrehter Brainburger
durch die große kapitalistische Imbißbude saust,
rasend,
rotierend,
dem Selbstverzehr entgegen,
bis der letzte Biß und der letzte Schiß in einem Reim
zusammenfallen
und die Führung endgültig an die Kakerlaken übergeht…

Oft ist jetzt in den Nachrufen auf Peter Rühmkorf sein selbst gefertigter „Grabspruch“ zitiert worden: „Schaut nicht so bedeppert in diese Grube. / Nur immer rein in die gute Stube. / Paar Schaufeln Erde und wir haben / ein Jammertal hinter uns zugegraben.“ Nun: ein „Jammertal“ war Peter Rühmkorf das „Irdische Vergnügen in g“ nicht immer und schon gar nicht ganz & gar; zur Hälfte gewiss auch ein Freudental für den Dichter und Peniden.

Immer gut, etwas Neues anzupacken,
Dann packt dich das Neue von selbst beim Nacken.
Grad heute mich wieder mal aufgerafft
und gleich ein Totentänzchen geschafft!

Ein Totentänzchen namens Paradiesvogelschiß. Geschafft. Sela Psalmenende.

Wolfram Schütte, titel-magazin.de, 30.6.2008

Noch einmal den schwindenden Kräften etwas abringen,

noch einmal etwas vollenden, ehe es nicht mehr gelingen kann: Seit je kreisen angstbesetzte Künstlerträume um ihr ominöses Alterswerk.

Zeigen, daß Du bist.
Aber nicht bloß so, im seligen Erinnern,
sondern mit der Frechheit von Beginnern,
ab nach vorne, neues zeigen,
dir und mir und uns zu eigen
daß man diesen Lichtblick nicht sofort vergißt.
Los, ein Liebesbrief!

So hört sich der Traum vom Alterswerk bei Peter Rühmkorf an – trotz aller Fatalismen ein dreistes Dennoch. Wer in seinem neuen Gedichtband, Paradiesvogelschiß, liest, wird überall auf Frechheit und Erinnern, zahlreiche Lichtblicke und Liebesbriefe stoßen.
Rühmkorf zeigt, dass er ist – ein halbes Jahrhundert nach Veröffentlichung seines ersten Gedichtbands, Irdisches Vergnügen in g, im selben Verlag.
Dabei sind diese Gedichte alles andere als die Normalproduktion eines alternden Poeten: Rühmkorf, Jahrgang 1929, hat Krebs. Lange Zeit war unsicher, ob er einen Gedichtband würde fertigstellen können. Dass er es unter großen Anstrengungen vollbracht hat, ist ein Triumph, mit dem Rühmkorf dem Schnitter ein Schnippchen geschlagen hat:

Immer gut, etwas neues anzupacken.
Dann packt dich das Neue von selbst beim Nacken.
Grad heute mich wieder mal aufgerafft
und gleich ein Totentänzchen geschafft!

Alexander Cammann, nexusboard.net, 24.5.2008

Paradiesvogelschiß

– Einige Anmerkungen zu Peter Rühmkorfs neuem Gedichtband. –

I.
Mit Peter Rühmkorf geht es mir, wie mit einigen ganz wenigen anderen Dichtern, die auch noch merkwürdigerweise alle seiner Generation angehören: Kein Gedicht, keine Strophe, ja nicht einmal eine Zeile, die seinem Füllfederhalter entschlüpft ist, die er mit der Schreibmaschine aufs Papier gehämmert oder mit dem Bleistift aufs Blatt gehaucht hat, kann ich lesen, ohne dabei das Gefühl zu haben, seine Stimme zu hören, seinen selbstironiegewürzten Balladengesang, das waterkantische Sprachtimbre, diesen unverwechselbaren Doppelton aus grubentiefer Melancholie und dreistester Komik. Wenn meine Augen seine Schrift berühren, dann tönen im Kopfe die Glocken!

II.
Unlängst, auf dem Weg nach Rotterdam, im ICE erging mir’s so: Die F.A.Z. hatte ich aufgeschlagen, war sogleich in ein Rühmkorf’sches Gedicht hineingeraten und stante pede glaubte ich, vom Blatt her seine Stimme zu vernehmen. Ein Vorabdruck aus seinem neuen Gedichtband, den ich jetzt in der Hand halte: Paradiesvogelschiß. Ein wundervoller Titel, dem weltumflatternden Paradiesvogel Peter Rühmkorf aufs altbunte Federkleid geschneidert. Was der Titel-Vogel da einst abgeworfen hat als Klacks in den Garten des Dichters, das enthielt den Samenkern für den Stoff aus dem die Gedichte sind, den Stoff, aus dem das Buch geworden ist, die geschenkten Blätter am Baum: Einigen der Texte in diesem Band bin ich schon im Originalton begegnet Anno 2006, auf einer CD, für die Rühmkorf sie gemeinsam mit einigen Musikern inszeniert hatte. Jetzt nachzulesen Schwarz auf Weiß: Das große Gedicht mit dem Titel Rückblickend mein eigenes Leben. Das auch den Titel abgibt für den dritten und letzten Teil des Buches, der sechsunddreißig Gedichte enthält: Gedichte über das Dichten, die Liebe und den Tod.

III.
Das siebenunddreißigste Gedicht steht ganz am Anfang des Buches und ist, im wahrsten Sinne des Wortes, ein Kapitel für sich… das erste nämlich, ein kurzes, gerade mal zwei Seiten umfassendes: „Die Ballade von den geschenkten Blättern“, die vom Baum erzählt, der – dem Vogelschiße entsprossen – in des Dichters Garten gen Himmel wächst und – oh Wunder – Blatt für Blatt die Früchte vieler Jahre trägt:

Weil auf jedem Blatt steht ein goldener Spruch…

IV.
Ja, und was für Blätter und was für Sprüche! Auf gut 80 Seiten verteilt hat Peter Rühmkorf hier eine Art Walpurgissack ausgeschüttet: das dem Baum der Erkenntnis abgeschüttelte Laub. Notate, Sentenzen, Ent- und Verwürfe, Skizzen, Reimchen, Worte und Wörtchen, Witze und Wahrheiten. Ein Mikrokosmos, in dem es zischt, blubbert, urknallt und blitzt, daß es eine helle Freude ist. Wenn es noch irgendeines philologischen Beweises bedurft hätte, daß Georg Christoph Lichtenberg auch bald 210 Jahre nach seinem Tod putzmunter weiterwirkt und von gewissen Stellvertretern seine Sudelbücher fortführen läßt – hier ist es zu Buche geschlagen: Peter Rühmkorf und der gewitzte Aufklärer aus Göttingen, zwei Kumpanen im Blätterwald, zwei kichernde Sammler, die sich angesichts eines Wortfragmentchens, einer gelungenen, weil pointierten Sentenz scheckig lachen können. Beispiele? Bitte:

Vereinsamte Jungfernhäutchen,
Es braucht viel Artistik, eine einigermaßen nette Ehe zu führen,
Ein blutunterlaufener Landstrich,
Und es weinte aus seinem kleinen häßlichen Gesicht, weil kein Mensch es ansehen mochte,
Deines Alters oft gar nicht mehr eingedenk, aber unermüdlich daran erinnert,
Nun, da ich aufgehört habe zu hoffen und lieber mal 2 Stunden länger schlafe.

V.
Im Mai letzten Jahres, am Eröffnungsabend des internationalen Bremer Literaturfestivals Poetry on the Road, sollte endlich, endlich Peter Rühmkorf lesen. Seit Jahren hatten wir es versucht, ihn nach Bremen einzuladen, doch immer steckte er in einem Buchprojekt, an den Schreibtisch gefesselt von dringlichen Abgabeterminen, gefangen in unaufschiebbaren Lektorengesprächen. 2007 also endlich hatte er zugesagt! Und mußte dann, in Folge einer von mehreren Operationen doch absagen. Ich hatte die undankbare Aufgabe, es dem Publikum zu verklickern am Eröffnungsabend, im erwartungsfroh gefüllten Saal des Bremer Schauspielhauses, die Enttäuschung war mit Händen zu greifen. Die Vertröstung auf das kommende, also dieses Jahr, ein schwacher Trost.

VI.
Peter Rühmkorf wird auch in diesem Jahr nicht kommen können, wenn Mitte Mai das Festival beginnt. Es ist kein Geheimnis: Sein Gesundheitszustand ist ernst, sehr ernst.  Seinen neuen Gedichtband, von dem ich hier erzähle, den hat er sich abgerungen. Unter Schmerzen, da bin ich sicher. Und wohl auch unter Angst. Aber diese Schmerzen und diese Angst, die lassen sich nur ahnen, denn was dort zu lesen ist auf den Seiten des Buches, das hat eine fast schwebende Leichtigkeit, und auch dort, wo es um letzte Dinge geht, um Themen wie Abschied und Tod, die Peter Rühmkorf ja immer berührt hat in seinen Büchern, in seinen Gedichten – ja, die er angepackt hat mit Wucht und Verve sogar – da zaubert er eine Atmosphäre von verblüffend gelassener Heiterkeit, die ansteckend ist, die auch den wissenden Leser lächeln macht. Zwischen Freund Hain und Heine, da hat Rühmkorf tatsächlich seinen Platz behauptet. Auch zum nüchternen Big Benn hält er Tuchfühlung, zu Ringelnatz und zum schon erwähnten Professor aus Göttingen.

VII.
Kurz
Kürzer
Am kürzesten:
Es wird immer mehrer.
Leicht
Leichter
Am leichtesten:
Es wird immer schwerer.

Michael Augustin, glossen, Heft 27, 2008

famos, grandios, virtuos: Worttreffsicherheit pur

Man kann der Superlative wohl gar nicht genug hinzusetzen: dieser Gedichteband ist ein herrlich-frischer Genuss, ohne Nachgeschmack, aber schmackhaft machend die Lyrik und das politische Bewußtsein nutzend.
Denn Peter Rühmkorf setzt hier Alltag und Ausnahmezustand dezend und manchmal geradezu überraschend nebeneinander, dass es einmal manches Mal die Sprache verschlägt und man auch schon kräftig schlucken muss, bei soviel an Ernst, Ironie und professionellem Sprachwitz.
Es gibt so viele beachtenswerte Lyrik in dem Band, dass es kaum möglich ist, ein Gedicht besonders herauszugreifen:

20. Juli – Volksgerichtshof.
Sie erhoben sich für das Volk,
aber das Volk blieb sitzen.

Diese Zeilen spiegeln auf grandiose Weise die politische Hintergründigkeit des großen deutschen Lyrikers, den so manch einer zu spät entdeckt hat, wieder.
Peter Rühmkorf hat hier mal gereimt, ein anderes Mal in pointiert gesetzter Worttreffsicherheit seine Kritik zum Ausdruck gebracht.
Schließlich sind es zudem diese mittlerweile seltener im Alltag gebrauchten Wörter und diese Wortneukombinationsschöpfungen, welche den besonderen Scharm von Paradiesvogelschiß ausmachen.
Wer diesen Band liest, will mehr lesen, mehr erfahren, mehr kennenlernen: von Rühmkorf und der Welt. Und vielleicht ist dies das Vermächtnis an uns Verbliebenen, welches Peter Rühmkorf in seinem letzten Buch uns mit auf den Weg gegeben hat: nicht nachlassen im Erfassen, Begreifen und Neugierig bleiben!

Detlef Rüsch, amazon.de, 18.8.2008

Letzte Worte

Peter Rühmkorf, der bedeutendste deutsche Lyriker der vergangenen Jahrzehnte, ist tot, und so ist sein erst vor wenigen Wochen erschienener Gedichtband Paradiesvogelschiß zum Vermächtnis geworden.

Manches wird zierlicher,
manches banaler,
allseits genierlicher:
Dein Feld wird schmaler.

Früher die ganze Flur
Dir zu Belieben,
fast eine Furche nur
ist dir geblieben.

Mit Altersmelancholie und Aufmüpfigkeit hat Rühmkorf, an Heine, Benn und Fontane geschult, in seinen letzten Monaten angeschrieben gegen seine Krebserkrankung und einen Zyklus von drei Dutzend Texten voll Weisheit und Humor, Skepsis und Komik hinterlassen. Und wenn man ihn liest, hat man dabei ganz unweigerlich den unverwechselbaren Rühmkorf-Ton im Ohr.
Das Vergnügen an der Lektüre schmälert nicht die Tatsache, dass manches, der Krankheit Tribut zollend, von Rühmkorf nicht mehr in bewährter Weise durchkomponiert werden konnte, sondern Gedankensplitter, Apercu, Aphorismus bleiben musste: „Die Jugend ist so hübsch wie nie / und doch so doof wie selten“, heißt es da etwa über die Kids in Zeiten der Spaßkultur.
Paradiesvogelschiß ist ein perfekt komponiertes Meisterwerk, in dem vieles, auch selbstironisch, um die Vergänglichkeit kreist, und ein Geschenk an den Leser. Der Dichter bescheidet sich in dem ihm eigenen Sound mit einem augenzwinkernden „Grabspruch“:

Schaut nicht so bedeppert in die Grube.
Nur immer rein in die gute Stube.
Paar Schaufeln Erde und wir haben
Ein Jammertal hinter uns zugegraben.

ml, amazon.de, 16.6.2008

Fürs Angedenken sorgt die Poesie

Gerade mal zwei Monate hat Peter Rühmkorf das Erscheinen seines letzten Gedichtbandes überlebt. Es ist ein herber Verlust, dass diese virtuose (wenn nicht gar virtuoseste) Stimme in der deutschen Lyrik verstummt ist.
Der ironische Blick auf die Zeitläufe wird uns fehlen, das gekonnte Zurechtrücken der Sichtweise, die leise Melancholie, die immer durchscheint, aber nie dominant wird, die Kritik, deren Berechtigung nie in Frage stand.
Paradiesvogelschiß kennt drei Teile: Ein erläuterndes Anfangsgedicht, dann hunderte von Notizen und kleinen Texten, in denen sich Rühmkorf mit Tod und Leben auseinandersetzt – bisweilen fast aphoristisch verknappt: „Sie halten für individuelle Freiheit, / was eigentlich nur asoziales Verhalten ist.“ Und im dritten Teil letzte Gedichte „Rückblickend mein eigenes Leben…“
Sein „Grabspruch“ sei abschließend zitiert:

Schaut nicht so bedeppert in diese Grube.
Nur immer rein in die gute Stube.
Paar Schaufeln Erde und wir haben
ein Jammertal hinter uns begraben.

Ihm seien noch viele Leser gewünscht, wenn er sie auch nicht mehr mit Neuem beglücken kann; sein Werk gilt es eigentlich noch wirklich zu entdecken.

Hans-Jürgen Singer, amazon.de, 27.6.2008

Rühmis letzte Meister-Scherze

In seinem letzten Gedichtband zeigt der Dichter, der Witz und Tiefsinn vereint hat wie vielleicht kein anderer in deutscher Sprache, dass auch Alter und Krankheit der Frische seines Geistes nichts anhaben konnten: Ein Feuerwerk aus kurzen Einfällen und Kalauern wie „Er war ein Dichter vom Schuh bis zum Scheitel / mit Bildung gefüllt / wie ein Staubsaugerbeutel“, oder „Dies Gedicht für Nicole Kidman / könnt ich praktisch jeder widmen: / so ein Passepartoutgedicht. / Nur für Erna paßt es nicht.“ macht ihm einfach niemand nach, genauso wie einige der längeren Gedichte in diesem Band wie „Ansteckendes Pfeifen“ oder „Dichterliebe“, in dem er in seiner unnachahmlichen augenzwinckernden Art eine Episode mit einer Prostituierten erzählt, die ihn zu manchen Gedichten inspirierte,

… bis ich eine der schärferen Skizzen
bei Marcel Rex Ranitzen
im KANON wiederfand −
O, wie wehte es mich ihr entgegen:
Honorar für das laufende Jahr! –
Doch die Antwort klang eher verlegen:
Morgen muß ich mich weiterbewegen,
Tank-Rast-Platz Gardelegen,
aber schön wär ein Reisesegen:
ein signiertes Belegexemplar!

− dieses Belegexemplar deutschen Vers-Humors darf keinem fehlen der etwas mit Sprachwitz anfangen kann, es ist ein weiteres Meisterwerk, leider sein letztes.

M. Kunz, amazon.de, 23.7.2008

 

WAS ICH TRÄUMTE, ALS PETER RÜHMKORF STARB

Sie ist jung und zart, ganz weißgepudert, sie arbeitet als Geisha, aber nur für einen Herren, sagt sie, Graf Dracula, der seine Zähne diesmal nicht im Hals, sondern im Bäckchen der Braut versenkt. Zwei punktförmige Male, rot, auf ihrer Wange, ganz normal, wenn man mit Geistern verkehrt. Doch plötzlich, ich habe kurz weggesehen, ist ihr Puttengesicht von Raubtierbissen übersät. Und als sie den vollbesetzten Bus besteigt, Bacchantin, verzückt, gleicht ihr lichter Herrenanzug einem Ganzkörperverband. Sie stopft alle Gedichte, ihr Hab und Gut, unter den Mull, zu den einbalsamierten Larven und Keimen. Nun sieht sie aus wie eine Mumie, so aufgedreht, zwischen dürren Vampiren.

Barbara Maria Kloos

 

 

Hans Edwin Friedrich: Phönix voran!.  Ringvorlesung an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Bernd Erhard Fischer: Peter Rühmkorf in Altona

Peter Rühmkorf-Tagung vom 23. bis zum 26.10.2009: Im Vollbesitz meiner Zweifel – Peter Rühmkorf

 

 

Gespräch I – Walter Höllerer spricht mit Peter Rühmkorf über seine Schulzeit

 

Gespräch II – Das Gespräch dreht sich um Rühmkorfs Studienzeit

 

Gespräch III und Lesung I – Peter Rühmkorf spricht über seine Zeit bei der Zeitschrift Konkret und liest Lyrik

 

Gespräch IV und Lesung II – Walter Höllerer spricht mit Rühmkorf über Politik und Rühmkorf liest Lyrik

 

Gespräch V und Lesung III – Ein Gespräch über Peter Rühmkorf als Poet und Poetologe. Noch einmal liest Rühmkorf Lyrik

 

Lesung und Gespräch VI – Peter Rühmkorf liest Gedichte aus dem Band Kleine Fleckenkunde, dann beantwortet er Fragen aus dem Publikum

 

Heinz Ludwig Arnold: Meine Gespräche mit Schriftstellern 

 

 

Zeitzeugen – Thomas Hocke im Gespräch mit Peter Rühmkorf (1993)

 

Zum 70. Geburtstag des Autors:

Hajo Steinert: Ein Leben in doll
Deutschlandfunk, 24.10.1999

Zum 75. Geburtstag des Autors:

Hanjo Kesting: In meinen Kopf passen viele Widersprüche
Sinn und Form, Heft 1, Januar/Februar 2005

Volker Weidermann: Der Eckensteher
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.9.2004

Zum 10. Todestag des Autors:

Ulrike Sárkány: Zum zehnten Todestag des Poeten Peter Rühmkorf
ndr.de, 7.6.2018

Zum 90. Geburtstag des Autors:

Stiftung Historische Museen Hamburg: Laß leuchten!
shmh.de, 20.7.2019

Julika Pohle: „Wer Lyriks schreibt, ist verrückt“
Die Welt, 21.8.2019

Vera Fengler: Peter Rühmkorf: Der Dichter, die die Welt verändern wollte
Hamburger Abendblatt, 21.8.2019

Volker Stahl: Lästerlustiger Wortakrobat
neues deutschland, 22.8.2019
Elbe Wochenblatt, 27.8.2019

Hubert Spiegel: Der Wortschnuppenfänger
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.8.2019

Anina Pommerenke: „Laß leuchten!“: Rühmkorf Ausstellung in Altona
NDR, 20.8.2019

Maren Schönfeld: Herausragende Ausstellung über den Lyriker Peter Rühmkorf
Die Auswärtige Presse e.V., 21.8.2019

Thomas Schaefer: Nicht bloß im seligen Erinnern
Badische Zeitung, 26.8.2019

Willi Winkler: Der Dichter als Messie
Süddeutsche Zeitung, 28.8.2019

Paul Jandl: Hanf ist dem Dichter ein nützliches Utensil. Peter Rühmkorf rauchte seine Muse herbei
Neue Zürcher Zeitung, 11.9.2019

 

„Laß leuchten!“ Susanne Fischer über die Rühmkorf-Ausstellung im Schiller-Nationalmuseum.

 

„Laß leuchten!“ Friedrich Forssman über die Rühmkorf-Ausstellung im Schiller-Nationalmuseum.

 

„Laß leuchten!“ Jan Philipp Reemtsma über die Rühmkorf-Ausstellung im Schiller-Nationalmuseum.

 

„Laß leuchten!“ Ein Sonntag für Peter Rühmkorf in Marbach. Lesung und Gespräch mit Jan Wagner.

 

„Jazz & Lyrik“ – Ein Fest mit Peter Rühmkorfs Freunden

 

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Nachrufe auf Peter Rühmkorf: Spiegel ✝ Die Welt ✝ FAZ 1 + 2 ✝
literaturkritik.de 1 + 2 ✝ Die tageszeitung ✝ Die Zeit ✝
Badische Zeitung ✝ Haus der Literatur  Tagung ✝ Stufe ✝

 

Bild von Juliane Duda mit den Texten von Fritz Schönborn aus seiner Deutschen Dichterflora. Hier „Rühmkorfzahn“.

 

Bild von Juliane Duda mit den Zeichnungen von Klaus Ensikat und den Texten von Fritz J. Raddatz aus seinem Bestiarium der deutschen Literatur. Hier „Rühmkorf, der“.

 

Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Peter Rühmkorf

 

Film über Peter RühmkorfBleib erschütterbar und widersteh. 1/2

 

Film über Peter RühmkorfBleib erschütterbar und widersteh. 2/2

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