– Zu Paul Flemings Gedicht „Er verwundert sich seiner Glückseeligkeit.“ aus dem Band Ich bin ein schwaches Both ans große Schiff gehangen. –
PAUL FLEMING
Er verwundert sich seiner
Glückseeligkeit.
Wie mir es gestern gieng / und wie ich ward empfangen
in meiner Freundinn Schoß / weiß Sie nur und nur ich.
Das allerliebste Kind das hertzt’ und grüßte mich.
Sie hielte fäste mich / wie ich sie hart ümmfangen.
Auff meinem lag ihr Mund / auff ihren meine Wangen.
Offt sagte sie mir auch / was nicht läst sagen sich.
Darümm du / Momus / nicht hast zu bekümmern dich.
Bey ihr ist noch mein Sinn / bey mir noch ihr Verlangen;
O wol mir / der ich weiß / was nur die Götter wissen /
die sich auch / wie wir uns / in reiner Keuschheit küssen.
O wol mir / der ich weiß / was kein verliebter weiß.
Wird meiner Seelen Trost mich allzeit also laben /
mir allzeit also thun / so werd ich an ihr haben
ein weltlichs Himmelreich / ein sterblichs Paradeiß.
Ein Liebesgedicht, deutlich und handfest. Kein Gedicht der Sehnsucht, sondern eines der Erfüllung. Nicht ,ich möchte‘ oder ,könnte ich doch‘, kein ,wenn sie nur‘ oder ,dürfte ich endlich‘ – sondern großartig einfach: ,gestern geschah es, und morgen wird’s wieder so sein‘. Ein Gedicht des erreichten Glücks.
Gar so häufig ist das nicht. Die unerreichbare Geliebte regiert die europäische und nicht zuletzt auch die deutsche Liebeslyrik über weite Strecken. Das ist schon bei den Minnesängern so, und Petrarca hat daraus ein eigentliches System gemacht, ein Produktionsmuster, nach dessen Vorgabe unabsehbar gedichtet und poetisch gelitten wurde über die Jahrhunderte hin. Und wenn es auch viele Gedichte der derben, sinnlichen Besitznahme gibt, so steht doch sogar diese noch oft genug in Spannung zu einer unerreichbaren höheren Liebe.
Die Liebe im Abendland ist von Spaltungen gezeichnet: die himmlische steht der irdischen Liebe entgegen, die sinnliche der geistigen, die gesellschaftlich vornehme der vulgären, die ehelich brave der ehebrecherisch wilden. Die Romantiker kultivierten die Verfallenheit an ein Traumbild und kontrastierten dieses mit der geistigen und erotischen Harmlosigkeit ihrer angetrauten Suppenköchin. Keiner hat dies ausdauernder zum Thema gemacht als E.T.A. Hoffmann. Noch und noch steht die radikale Erfüllung unter einem gesellschaftlichen oder religiösen Verbot. Das führt zu einer Ästhetik der Resignation. Dem fortwährenden Scheitern der politischen Hoffnungen läuft in der deutschen Lyrik das fortwährende Scheitern der radikalen Liebe parallel. Oft genug wird alles Glück als unmöglich erfahren. Man höre sich daraufhin den berühmten Schluss von Schuberts Lied „Der Wanderer“ an:
Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück.
Dunkler und dunkler werden die Töne, und am Ende sinkt das Wort Glück in einen Abgrund der Hoffnungslosigkeit. So umfassend vergessen der Dichter Georg Philipp Schmidt von Lübeck sonst auch ist, mit dieser einzigen Verszeile hat er im kulturellen Bewusstsein Deutschlands überlebt.
Daneben das Sonett von Fleming. Schon der Titel ist unvergleichlich: „Er verwundert sich seiner Glückseeligkeit“. Da wird nicht einfach ein Thema gesetzt, da wird ein Vorgang beschworen. Ein Mann staunt darüber, dass das Glück möglich ist, das umfassende Glück, die Aufhebung aller Wünsche in der Liebe zu einer schönen Frau, die ihn ebenso kräftig, ebenso beseligt wiederliebt. Würde der Autor nur die Freuden des gemeinsamen Bettes schildern, so herzlich konkret, wie es hier geschieht, ein prächtiges Ziel wäre bereits erreicht. Aber das Gedicht geht weit darüber hinaus. Es umspielt eine Metaphysik der Liebe, die verwegen war zu seiner Zeit und heute um nichts weniger fasziniert. Das Schlüsselwort ist ,wissen‘. Fünf Mal erscheint es in den vierzehn Versen. Und auf raffinierte Art wird es als Paradox dargestellt. Inständig spricht der Dichter davon, wie er zum Wissenden wird in der Liebe, wie die Liebenden zusammen ein gemeinsames Wissen gewinnen, aber je dringlicher er dies sagt, umso deutlicher macht er auch, dass der Inhalt dieser Erkenntnis verborgen bleibt. Was er jetzt weiß und sie mit ihm, das darf sonst niemand wissen, aber alle sollen wissen, dass er dieses Wissen besitzt. Das ist eine Provokation für den Leser, für den Interpreten aber ist es schon fast bedrohlich. Denn wenn er daran scheitert, scheitert er am Ganzen.
Als das Stichwort zum ersten Mal fällt, nimmt es sich noch ganz einfach aus:
Wie es mir gestern ging
und wie ich ward empfangen
in meiner Freundin Schoß
weiß sie nur und nur ich.
Das verweist auf die Heimlichkeit der Liebe, auf die Vielfalt ihrer Spiele und Gebärden, von denen man nicht spricht. Der Anfang sagt nicht mehr, als dass es diese Heimlichkeit gibt und niemand sich da eindrängen darf. Ein bisschen wird der Schleier sogar gelüftet: die Frau habe ihn fest, mit allen Kräften, gehalten, genau so, wie er sie energisch (,hart‘) umfangen habe. Das ist schön berichtet. Das freut den Leser und die Leserin. Die Leserin und der Leser haben das entschlossene Zugreifen nämlich viel lieber als das Erröten und Zittern und Zagen, das sonst so reichlich durch die deutschen Gedichte bebt.
Im siebten Vers wird das angekündigte Paradox deutlicher:
Oft sagte sie mir auch
was nicht läst sagen sich.
Von einem Reden wird da gesprochen, das selbst der Rede entzogen bleibt. Der Raum der Liebe baut sich so noch konkreter auf. Er kennt eine eigene Sprache, aber diese darf nicht nach außen dringen. Niemand soll sie vernehmen. Momus, der Gott des Spottes, der alles, was er sieht, dem Gelächter preisgibt, hat hier nichts zu bestellen. Wörter und Sätze gibt es demnach, Mitteilungen und Bekenntnisse, die der Liebe allein gehören. Sie werden in deren Stunde laut, aber außer den zwei Liebenden hört sie keiner. Wie eine neue Sprache sind sie, geschaffen einzig für diese zwei Menschen. Das Umarmen und Liebkosen findet darin zu Laut und Wort. Dieses Wort, das von Körperglück leuchtet, würde außerhalb des Raums der Liebe sofort erlöschen, mehr noch: es würde sich in Misston verwandeln und Verderbtheit. Hier ist es ganz nur schön, dort wäre es hässlich.
So macht das Gedicht die Heimlichkeit des Eros öffentlich, indem es sie versiegelt. Es bringt ihre Existenz ans Licht und verbirgt sie damit erst recht. Jetzt sind die Voraussetzungen gegeben zur letzten Steigerung. Von den Gebärden über das Wort zum Wissen. Das Tun und das Reden führen zur Erkenntnis. Wie aber soll man diese verdeutlichen, wenn niemand sie besitzt außer den zwei Liebenden? Der kühnste Wurf gelingt Fleming tatsächlich, und er streift damit die Grenze zur Blasphemie.
„O wol mir / der ich weiß / was nur die Götter wissen“ – mit diesem Vers beginnen, nach den zwei Quartetten, die zwei Terzette des Sonetts. Und mit diesem Vers skizziert Fleming eine Theologie der irdischen Liebe. Indem sich diese ihres Glücks bewusst wird, erlangt sie das Wissen der Götter. Das Glück ist Erkenntnis. Sie übersteigt das, was dem Menschen sonst zugemessen ist und was die Ordnung unter den Menschen bestimmt. Zu dieser Ordnung gehört, dass der Liebesakt das Gegenteil der Keuschheit ist. Keuschheit wird in der christlichen Tradition gleichgesetzt mit Jungfräulichkeit und Reinheit. Hier aber geschieht ein Zusammenfall der Gegensätze, die Coincidentia oppositorum. Die Wollust in der Liebe ist ,reine Keuschheit‘. Das gibt es, meint Fleming, sonst nur bei den Göttern. Mit dieser Aussage tritt er aus dem christlichen Raum heraus, und zwar nicht bloß rhetorisch wie bei dem vielen Zitieren aus der antiken Mythologie, das damals poetisch in Mode war, sondern durchaus philosophisch und theologisch. Eine Sexualität Gottes kennt das Christentum nicht. Wohl aber kannten die Griechen die Sexualität der Götter. Mochte diese in den Berichten noch so irdisch erscheinen, sie war doch über alle Kategorien menschlichen Verfehlens hinaus. Sie war, um Nietzsche abzuwandeln, jenseits von Tugend und Sünde. Wollte man einen Begriff dafür, müsste man so widersprüchliche Wendungen finden wie etwa einen jungfräulichen Beischlaf. Nichts anderes, nichts Geringeres meint Fleming, wenn er von den Göttern sagt, dass sie sich „in reiner Keuschheit küssen“.
Solches Wissen ereignet sich hier im Vollzug der Liebe. Wer nur verliebt ist, hat davon keine Ahnung, mag ihm das Herz noch so sehr rasen. Verliebtheit ist Sehnsucht, Wunsch, Gezogensein. Hier geht es um Haben. Alles Suchen ist aufgehoben im Genuss, der zugleich Erkenntnis ist:
O wol mir / der ich weiß / was kein verliebter weiß.
Das heißt nichts anderes, als dass der Himmel auf der Erde möglich ist. Dass die Sterblichen hier schon im Paradies sein können. Aufgehoben ist auch der Gegensatz zwischen irdischem Jammertal und jenseitiger Seligkeit, von dem das Zeitalter des Barock sonst so inständig spricht, beseitigt der Täuschungscharakter der Welt, ihre bloße Traumbeschaffenheit. Deshalb staunt der Dichter so. Das hat er nicht gewusst. Niemand hat ihm das je gesagt. Jetzt trifft ihn die Erfahrung, er ist überwältigt und „verwundert sich seiner Glückseeligkeit“. Das Staunen verwandelt sich in das Gedicht. Im Bauen und Fügen der Verse gewinnt er den Standpunkt gegenüber der existentiellen Erschütterung, die ihn selbst und die ganze Welt verändert hat. Es ist, als wäre der mythische Sündenfall nie geschehen. Adam und Eva spazieren Arm in Arm zurück ins Paradies, und der Engel mit dem hauenden Schwert hält ihnen freundlich die Tür offen.
Peter von Matt, aus Ich bin ein schwaches Both ans große Schiff gehangen. Die Lebensreise des Paul Fleming in seinen schönsten Gedichten. Herausgegeben von Richard Pietraß unter Mitarbeit von Peter Gosse, Projekte-Verlag Cornelius, 2009
Schreibe einen Kommentar