Peter von Matt: Zu Thomas Rosenlöchers Gedicht „Mozart“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Thomas Rosenlöchers Gedicht „Mozart“ aus Thomas Rosenlöcher: Die Dresdner Kunstausübung. 

 

 

 

 

THOMAS ROSENLÖCHER

Mozart

Ein Tastengeklacker. Und rumms rumms die Treppe
stapft der Tod hoch. Doch der Kerl ist schon wieder
auf und davon über alle Oktaven,
dreht grinsend den Kopf im Triolengestöber.

Noch heute läuft der Tod durch Wien
und schlägt nach im Knöchelverzeichnis
und verkauft der ratlosen Fachwelt
den falschen Schädel als echt.

Doch wieder hört er den Unsterblichkeitstriller
und nimmt gleich den Fahrstuhl, den Falschen zu treffen,
der hier auch nur übte. Nicht traurig sein, Tod.
Kriegst ja sonst jeden, auch mich. – Lauf, da rennt er.

 

Der verschaukelte Tod

Da ist dieser Kalauer genau in der Mitte des Gedichts. Schnellt er einem nicht entgegen wie ein Springteufel? „Knöchelverzeichnis“. Der Witz wirkt, noch bevor man weiß, ob man ihn gut finden soll. Er verwandelt die stereotype Rede vom Köchelverzeichnis in ein neues Wort von schräger Anschaulichkeit.
Aber geht das überhaupt? Kalauer in der Lyrik sind heikel, wenn es sich nicht gerade um Klamaukverse handelt. Hier ist der Tod das Thema, Mozarts Tod und unser Tod. Also doch geschmacklos, die Pointe?
In Wahrheit trifft sie die Sache genau. Genauer sogar, als der Autor wissen konnte. Denn erst ein paar Jahre nach dem Erscheinen des Gedichts hat die Aufregung um Mozarts Schädel und Knochen ihren Höhepunkt erreicht. Mit DNA-Analysen wollte man Sicherheit schaffen. Heraus kam im Januar 2006 der blanke Wirrwarr. In den Familiengräbern war niemand mit dem andern verwandt. Und ein Knöchelchen oder Härchen, das zu Mozarts angeblichem Schädel im Salzburger Mozarteum genetisch gepaßt hätte, wurde auch nirgends gefunden. Aber Knöchelverzeichnisse gab es jetzt tatsächlich, angelegt von ernsten Wissenschaftlern.
Mozart erscheint bei Rosenlöcher ganz ähnlich wie im Film Amadeus von Milos Forman, eulenspiegelhaft, ein Trickster und Schelm. Daß er solche Züge tatsächlich besaß, ist nicht nur durch die Briefe belegt. Daß das nicht alles war, wissen wir tausendfach aus seiner Musik. Rosenlöcher spielt mit dem Märchenmotiv vom überlisteten Tod. Der Knochenmann hetzt durch Wien, immerzu auf der Suche nach Mozart, die Gassen lang, Treppen hoch und Treppen runter, keuchend, klappernd, quer über Märkte und Plätze, und doch erwischt er sein Opfer nicht. Jeder Melodie rennt er nach, die zufällig aus einem Fenster dringt, und oft stammt sie wirklich von Mozart. Ist er aber endlich zur Stelle mit seiner geschliffenen Sense, saust der Gesuchte lachend davon auf Trillern und Triolen. Mit einem falschen Schädel und gezinkten Knochen will nun der Tod seinen Sieg beweisen. Da steht plötzlich der lebendige Mozart neben ihm: Hier bin ich! Faß mich, wenn du kannst! Und wieder geht’s los.
Hinter der lustigen Ballade vom betrogenen Tod, durch die der Jubel von Mozarts Musik schwingt, wird die Klage laut über Mozarts frühes Sterben. So weh tut dieses heute noch daß man es verstecken muß. Eine barocke Legende schiebt sich davor. Die Vermutung, der Tod könnte ein Österreicher sein, ist alt. Wer je die kühle Treppe zur Kapuzinergruft hinuntergestiegen ist, kennt die Gründe. Wo ließe der Unerbittliche sich besser aufbieten und zum Düpierten machen als hier, in Wien, wo Raimund sein Hobellied sang und so viele Autoren bis heute mit schwarzer Tinte schreiben, der „schwoazzn Dintn“ H.C. Artmanns?
Offensichtlich geht es hier um den doppelten Tod: das Sterben einerseits, das Vergessenwerden andererseits. Der Sensenmann wünscht sauberen Tisch; er möchte diesen Mozart nicht nur aus dem Leben, sondern auch aus aller Erinnerung schaffen. Doch seine Musik trickst ihn aus. Ihr kommt er nicht bei. Sie besitzt den Unsterblichkeitstriller, wie das Gedicht anmutig sagt. Und tatsächlich bleibt durch die Unvergänglichkeit von Mozarts Musik auch er selbst, seine leibhaftige Person, unter uns, ein ewiger Zeitgenosse. Jede Epoche sieht ihn anders, bald tragischer, bald burlesker, aber jede erlebt ihn als gegenwärtig – trotz Frack und Perücke einer von heute. Lauf, Tod! Lauf nur zu!

Peter von Mattaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Dreiunddreißigster Band, Insel Verlag, 2010

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