LIDO DI DANTE
Die schicken Jungs lieben die Gegend
und sind ganz verschaut ins Meer,
was hier nicht alles die Sonne gebiert,
die Schattenwesen, Erebos, die Eurydike…
Welch Aufatmen in der Pineta,
wo ein Stamm den anderen übersieht.
Du schließt sofort die Augen. Mögen
die Schlangen dich beißen – nur kein Bild beschwören
sollen sie. Apropos Schlangeaug – es sieht nichts,
oder nichts von dem, was zu erträumen du imstande bist;
so warte schön im Schatten der gesenkten Lider,
bis das Bein ausgleitet, bis das Zischen anhebt –
was denn gleitet! – bis du auf die bewegte Mine trittst
(die letzte Metapher, bevor es dich entfesselt, das Gift)
Petr Borkovec liest „Lido di Dante“
wenn die übrigen Tiere schlafen. Sie lauscht und lauert. Sie sieht dasselbe, wie die anderen bei Tag, nur verinnerlicht, umnebelt, erweitert um die Dunkelheit. Petr Borkovec hat immer unverwandt geschaut und gestochen scharf geschrieben. In den Liebesgedichten schaut er anders. Er tritt näher heran, gibt Kontrolle und Distanz auf und findet sich in die Komplexität einer Welt verwoben, die nur in präziser Unschärfe zu fassen ist. Er zeichnet sorgsam, koloriert und vertont etwas, das fester Umrisse entbehrt und unter den Händen entwischt. Die Koexistenz von Garten, Tieren und Familie werden dem Dichter zu Bildern, die einander berühren und sich überblenden. So entsteht ein intimes Familien-Tagebuch, das eine veränderte Haltung gegenüber der Welt bezeugt. An die Stelle von innerer Unstetigkeit sind Gelassenheit und Zuneigung getreten. Es sind Liebesgedichte, die nicht hymnisch die Liebe beschwören, nicht sich selbst in der Liebe feiern, sondern ein gemeinsames Schauen zulassen, durch das ein Gleichgewicht möglich wird.
Fast noch im Rohzustand, ungeglättet, leicht und mit subtilem Witz kommen diese Gedichte daher: als Stillleben, Fabeln, Naturbilder, Dialoge, Träume und Listen. Schillernde Miniaturen der Zugewandtheit.
Edition Korrespondenzen, Ankündigung
Udo Kawasser: Liebesgedichte
fixpoetry.com, 15.2.2015
– Der Lyriker Petr Borkovec schreibt Liebesgedichte über Menschen und Tiere. –
Petr Borkovec, geboren 1970 im mittelböhmischen Louňovice pod Blaníkem, lebt als Dichter und Übersetzer in Černošice bei Prag. Seit 1990 hat er acht Gedichtbände und zahlreiche Übertragungen russischer Lyrik aus dem 20. Jahrhundert veröffentlicht. In Zusammenarbeit mit Philologen übersetzte er koreanische Lyrik und antike Dramen, zum Beispiel für das Prager Nationaltheater. Für seine Werke wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem erhielt er den Jiří-Orten-Preis und den Hubert-Burda-Preis für junge osteuropäische Lyrik. Wer der Poesie Petr Borkovecs lauschen will, sollte das Prager Café Fra besuchen. Dort lädt der Lyriker regelmäßig zu Lesungen und stellt Literatur zeitgenössischer Autoren vor. Im Klub Ferenc Futurista in Černošice veranstaltet Borkovec Themenabende, zeigt Filme, organisiert Konzerte und diskutiert über Gott und die Welt.
Franziska Neudert: Wie sind Sie zur Poesie gekommen?
Petr Borkovec: Ich bin als Einzelkind nur unter Frauen aufgewachsen. Nicht einmal meine Großmütter hatten einen Mann. Allein unter diesen Frauen habe ich mir gern das Lexikon der Tschechoslowakischen Schriftsteller aus dem Jahr 1964 angesehen. Das war wohl entscheidend.
Neudert: Wie muss man sich das Gedichteschreiben vorstellen? Tauchen die Strophen einfach in Ihrem Kopf auf oder setzen Sie sich gezielt an den Schreibtisch?
Borkovec: Ich schreibe, wenn ich Zeit habe und – wie jemand einmal sagte – es wahrscheinlich ist, dass man für wenigstens vier Stunden nicht gestört wird.
Neudert: Fällt es Ihnen schwer, Gedichte zu schreiben?
Borkovec: Sicher. Schreiben bedeutet, aus dem Ungewissen, aus einer Vorahnung, aus dem Zweifel und den Gefühlen heraus etwas zu erschaffen, das zusammenhalten und sich durch eine gewisse Klarheit auszeichnen soll.
Neudert: Die Liebesgedichte in Ihrem Buch sind sehr unterschiedlich. Sie erzählen von Tieren, von Landschaften und von Menschen. Gibt es einen roten Faden?
Borkovec: Gemeinsam ist den Gedichten, dass sie kurz sind. Die meisten von ihnen verstehe ich als Liebesgeständnis: von Ding zu Dingen, von Mensch zu Menschen, von Ding zu Mensch und von Mensch zu Dingen, von den Toten zu den Lebenden, von den Lebenden zu den Tieren, von den Bäumen zu den Männern, den Männern zu den Männern und manchmal von irgendeinem Mann zu einer Frau.
Neudert: Das Motiv der Eule kehrt in mehreren Gedichten wieder. Was hat es damit auf sich?
Borkovec: Ich habe zwei Monate in der Schriftsteller-Residenz Hellebosch bei Brüssel gewohnt. Im Garten nisteten damals Uhus. Ich hatte viel Zeit und konnte sie beobachten, dabei habe ich mir Notizen gemacht. Unter ihren Klängen waren viele Liebeslieder, Duette und Arien.
Petr Borkovec liest „Lido di Dante“
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