− 11 Thesen zu Monika Rincks „NZL“ aus dem Gedichtband Monika Rinck: zum fernbleiben der umarmung. −
MONIKA RINCK
NZL
nutten zur literatur. keiner lachte.
note to self: never make that joke again.
nein beige, das biest war beige und es trug frack.
es war eine mannshohe dogge und sie trug frack.
ganz eingedenk der natur, ihre tatzen lagen schulterhoch.
so etwas wie adornitische animation.
und das, so hörte ich jemanden sagen,
das sei tristesse. klingklong. der keeper guckt rüber.
er ist ganz dünn – wie ein winseln im grünen.
er nimmt beflissen unsere wünsche entgegen.
könnt ich dazu noch mal
das fahrige hörnchen tuten
hörn am tresen, du triste,
so gebrauchsmäßig ditte
wie grade dreckseben.
break even.
draußen regen. wir garnen uns an.
auf das pflaster gefallene kelle.
mussensun: super MUTZ: die frau, das tier
ohne schwanz. da nich für. da nich für. denn
es wird, solang es menschen gibt, geschöpft.
und auch – damit.
1.
Bei dem Gedicht „NZL“ [Nicht Verschwiegen werden soll, dass Monika Rinck vor einiger Zeit selbst über ihr Gedicht Auskunft gegeben hat. Es sei „ein Gedicht über Hunde, Frauen und Adorno, genauer: über Adornos Traumprotokolle.“ Vgl. http://www.lyrikkritik.de/Rinck%20zu%20Ingold.html (Stand: 22.04.2012)] handelt es sich um ein aufklärerisches und folglich um ein politisches Gedicht. In diesem Zusammenhang ist NZL die offizielle Abkürzung für Nebelzusatzleuchte, denn das Licht steht traditionell für die Aufklärung.
2.
Die Szenerie spielt von der ersten bis zur dritten Strophe in einer Bar („klingklong“ – die Eiswürfel des (Bar)keepers, der herüber guckt), in der sich eine unbestimmte Anzahl Personen (mindestens drei) unterhalten. In der letzten Strophe gehen die Personen vor die Tür und treffen auf weitere Personen. Obwohl in der Bar nicht mehr geraucht werden darf, ist sie stickig und darüber hinaus schlecht beleuchtet. Die Besucher plaudern, trinken und verbrauchen Sauerstoff. Musik spielt im Hintergrund – alles so, wie es sich für eine Bar mit Hochbetrieb am Abend gehört. Das Stimmen-, Geräusch- und Getränkegewirr vernebelt die Sinne. Das Gedicht antwortet darauf mit seinem eigenen Sprachnebel und übernimmt damit den Gestus Münchhausens, der sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht. Es ist der Modus der Übertreibung, der gegenwärtige Sprachnebel wird noch einmal überboten. Unerbittlicher als die Realität will es sein, um die Leser vor sich selbst erschrecken zu lehren, um ihnen Courage zu machen. Das Gedicht steigert sich in seiner Übertreibung von Strophe zu Strophe. Die Schlagzahl der gegeneinander geschnittenen Sequenzen erhöht sich. Die Sprache wird für das Finale durch Wortneuschöpfungen (mussensun, super MUTZ) noch einmal radikalisiert. Aus dieser Übertreibung zieht das Gedicht seinen aufklärerischen Wert. Marx sagt: „Man muß die versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, daß man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt“ – die Noten zur Literatur sind in diesem Fall eine Mischung aus Anton Webern und Hanns Eisler.
3.
Die erste Zeile beginnt mit der Ausschreibung des Titels. Die Sprachverfremdung macht aus Adornos „Noten zur Literatur“ „nutten zur literatur.“ Es ist ein Witz, der aus bewusstem Falschverstehen entsteht, der über die Stränge schlagen und Irritationsmoment sein will. Doch nicht nur formal, sondern auch inhaltlich wird die Avantgarde zum Referenzpunkt, indem dieser Imperativ die Forderung der historischen Avantgarde, Kunst und Lebenspraxis zu vereinen, in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit aufnimmt. Die gegenwärtige Verzahnung von Kunst und Kulturindustrie kann zwar als eine Aufhebung der Kunst in Lebenspraxis angesehen werden, muss aber, ganz im Sinne Adornos, als eine falsche Aufhebung begriffen werden. Die Annäherung von Kunst und Kulturindustrie war jedoch in der historischen Avantgarde bereits angelegt. Für Raoul Hausmann war Kurt Schwitters ein „Reklamekünstler ersten Ranges“, der es gut verstand, die beste Reklame für sich selbst zu machen. Aufgrund Schwitters fehlenden politischen Engagements nannte Richard Huelsenbeck ihn den „Caspar David Friedrich der dadaistischen Revolution.“ Illustriert ist Monika Rincks Gedichtband zum fernbleiben der umarmung mit einer Adaption des Gemäldes „Das Eismeer“ von eben jenem Romantiker.
Auch „nutten zur literatur“ hat Reklamecharakter und preist als Slogan das Gedicht, dem es selbst angehört. Das Gedicht bewirbt sich daher selbst. Der Slogan läuft jedoch Gefahr, über dem Gedicht zu schweben und die weiteren Zeilen zu überlagern, sozusagen als eine Über-Zeile. Freud entdeckte das Über-Ich, als ein Patient ihm erzählte, im Traum schwebte ein Hund über ihn. (So steht es – so meine ich mich zu erinnern – in einem Artikel im Kursbuch. Nach einem kursorischen Durchgang aller sich in meinem Besitz befindenden Kursbuchausgaben, habe ich nichts gefunden, was meine windige These stützen könnte und in mir wächst die Vermutung, dies selbst geträumt zu haben.)
4.
„nutten zur literatur“ ist kein Kalauer, kein Witz mit geringer Halbwertszeit (oder etwas für den schnellen Lacher), der genauso schnell wieder verstummt, sollte sich überhaupt jemand zu mehr bemüßigt fühlen, als sich nur ein müdes Lächeln abzuringen. Etwas als Kalauer abzukanzeln heißt, sich erhaben über diese „kleine Blödelei“ zu dünken. Sich diesem Kaulauer zu versagen heißt, ihn als solchen zu enttarnen, im gleichen Atemzug jedoch zu betonen, bei einem „richtigen“ Witz – und zwar einen mit Tiefgang – durchaus im Stande zu sein zu lachen.
5.
Der Witz geht nach den ersten drei Wörtern erst richtig los, denn obwohl es ein Witz sein sollte, wurde dieser von den Adressaten entweder als nicht lustig empfunden oder nicht verstanden. Es folgt eine Notiz an das eigene Ich, eine Regieanweisung für zukünftiges Verhalten. Der Sprecher im Gedicht wechselt auf die Ebene der Selbstreferenz und macht sich selbst zum Objekt des Humors, gerade weil der ursprüngliche Witz gescheitert ist. Aus diesem Scheitern zieht der Humor seine Kraft, um sich gegen die eigene Scham und die Pein zu wehren. Die Notiz ist nicht für das Publikum bestimmt, die der Leser aber unweigerlich mit liest. Es ist eine Selbstevaluation und -optimierung.
6.
Wenn nach einem Witz keiner lacht, droht peinliche Stille. Den ersten zwei Zeilen folgt daher ein schneller Schnitt, um das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken. Der angestimmte Plauderton beginnt mit einer Negation, die weiter präzisiert wird: „nein beige, das biest war beige und es trug frack. / es war eine mannshohe dogge und sie trug frack.“ Es geht um eine Erinnerung an eine Situation und wie diese sich zugetragen hat. Jemand beharrt auf seinem Standpunkt und verleiht ihm mit Stabreim und Wiederholung Nachdruck. Das sitzt und erinnert an das Grundprinzip der Kulturindustrie, welches nach Adorno dem Konsumenten die ewige Wiederkehr des Gleichen vorsetzt.
7.
Die mannshohe Dogge im Frack ist ein edles Tier. Liegen ihre Tatzen schulterhoch, probt sie den aufrechten Gang, ist dabei jedoch auf Unterstützung angewiesen. Obwohl auf Augenhöhe, ist sie einem nicht ebenbürtig. Es entsteht der Eindruck, als ob das Paar zusammen tanzen würde. Der Mensch führt, sie folgt. Allerdings stelle man sich eine deutsche Dogge vor, ein Ungetüm von einem Hund, auf den Schultern liegt eine überwältigende Last unter der man einzubrechen droht. Hier zeigt sich die Dialektik der Aufklärung: Die Gewalt über die Natur schlägt um in Naturgewalt, die sich nun gegen die Menschen richtet. Im Rassestandard der FCI (Fédération Cynologique Internationale) für die deutsche Dogge heißt es im Abschnitt „Allgemeines Erscheinungsbild“: „Sie ist der Apoll unter den Hunderassen.“ Apollon ist in der griechischen Mythologie der Gott des Lichts und der Künste, insbesondere der Musik, der Dichtkunst und des Gesangs – „schon der Mythos ist Aufklärung, und: Aufklärung schlägt in Mythologie zurück.“
8.
„so etwas wie adornitische animation.“ Form und Inhalt – Alliteration und Begriff haben einen Aufforderungscharakter, der allerdings von vornherein relativiert ist: So etwas, aber eben nicht ganz. Es ist also ein Vortasten auf leisen Pfoten. Der Adornit ist so etwas wie der Granit unter den (Kritik-)Felsen in der Brandung. Adornitische Animation ist:
a. Eine harte Animation, eine die nicht leicht zu haben ist, eine erschwerte, negierte Animation, das Gegenteil eines leichten Amüsements. Denn wie aus dem Kulturindustriekapitel aus der Dialektik der Aufklärung bekannt: „Fun ist ein Stahlbad.“
b. Eine gelungene Animation, etwas Versöhnliches, eine Animation freier Individuen in freier Betriebsamkeit oder zumindest ein Animierbetrieb, der seine eigene Kritik mitdenkt. Dort kämen Nutten zur Literatur
9.
Der Keeper – der Wärter am Tresen, ein Nadelöhr, an dem er die Wünsche entgegennimmt. Sie haben die Form von Getränkebestellungen und diejenigen, die dem Keeper ihre Wünsche anvertrauen, zahlen dafür. Anschließend wird der Wunsch genossen. „Welch einen Zustand muß das herrschende Bewußtsein erreicht haben, daß die dezidierte Proklamation von […] Champagnerfröhlichkeit […] mit tierischem Ernst zur Maxime richtigen Lebens erhoben wird.“ Das Individuum ist derart zugerichtet, dass es sogar seine eigene Unfreiheit genießt. Adorno nennt das auch die Liquidierung des Individuums. In der Bar wird der Verflüssigungsprozess noch einmal dadurch befeuert, dass man sich von innen mit Likör befüllt. Das erfordert ständiges liquide Bleiben, damit der Nachschub nicht abreißt.
Aber Wünsche entgegennehmen heißt noch lange nicht, sie auch zu erfüllen. In einem Auszug aus dem Arbeitszeugnis des Barkeepers heißt es: „Er war stets beflissen, im Rahmen seiner Möglichkeiten – hinterm Tresen – die an ihn herangetragenen Wünsche zu erfüllen.“ Es bleibt ein Mangel – „klingklong“ Casper David, Eismeer im Glas, neue Runde, neues Glück, das Spiel geht weiter. Denn nach Adorno wächst dem Individuum seine Stärke in dem Moment zu, wo es zu verschwinden droht. Also: „noch mal das fahrige hörnchen tuten / hörn“ – Hier kehrt einerseits die ewige Wiederkehr des Gleichen wieder. Andererseits ist das Nebelhorn das akustische Pendant zur Nebelzusatzleuchte (NZL) und Casper David Friedrich liefert mit „der Wanderer über dem Nebelmeer“ das passende Gemälde.
10.
Es regt sich was, es bahnt sich was an, mit dreckigen Reimen und einer Mischung aus sich Umgarnen und gegenseitigem Angehen:
„dreckseben. // break even. // draußen regen.“ In der Mitte der Klangfolge steht die Gewinnschwelle – break even. Ab jetzt geht es bergauf, bergab oder gerade aus. Was zuvor noch dreckseben war, wird nach dem break even vom Regen rein gewaschen – es geht also bergauf. Der Gewinn könnte aber auch ins Wasser fallen. Doch wer so dreckig reimt, der kann keine schlechten Absichten haben, nur wer sich reiner Reime bedient, führt Böses im Schilde. Man ist versucht, an diese Klangfolge „Garten Eden“ anzufügen als Urszene des break even: Seinen Einsatz machen, sich selbst ermächtigen, göttlichen Ungehorsam leisten und den Preis der Erkenntnis mit der Verbannung aus dem Paradies zahlen.
„wir garnen uns an.“ Wir könnten uns über das Wetter unterhalten, um auf eine erste Tuchfühlung zu gehen. „Siehst du/merkst du? Es regnet Bindfäden.“ Allerdings fallen diese nicht so einfach vom Himmel. Hier ist Initiative gefragt. Handeln, sagt Hannah Arendt, bedeutet „den eigenen Faden ins bestehende Gewebe zu schlagen.“ Weil das aber zu gewalttätig klingt, schlage ich den Begriff Netzwerken vor. Ein weiteres Zitat von Arendt, diesmal über Adorno, lautet: „Der kommt uns nicht ins Haus.“ In diesem Fall bedeutet es alleine und unfreiwillig im Regen stehen zu bleiben. Wer allerdings bei solchem Wetter vor die Tür tritt, ist ein Getriebener und/oder ein hoffnungsloser Romantiker, des Handelns unfähig. Nach Likör kommt Qualm.
11.
Mit der Kelle wird geschöpft: Flüssigkeit, Wert, Wörter und sich selbst. In der letzten Strophe wird abgerechnet: Haben sich die Investitionen gelohnt oder hat sich am Ende der Gewinn ganz ohne eigenes Zutun eingestellt? Durch höhere Gewalt, durch einen „mussensun“, einen Monsun, der mächtig Regen in die Kelle spült und eine Zeit des Überflusses anbrechen lässt. Die Wortneuschöpfung „MUTZ“ ist neben dem Titel das einzige großgeschriebene Wort, weswegen diese in direkter Verbindung stehen. „super MUTZ:“ Schmutz, etwas Anrüchiges, Verruchtes zur Literatur bringen; Schmutz an der Nebelzusatzleuchte im Rotlichtmilieu. Die schmutzige Frau ist das Tier ohne Schwanz und deshalb ein Mangelwesen. Weiblichkeit wird im dichotomischen Denken mit der Natur gleichgesetzt, Männlichkeit mit der Kultur. In dem Maße, wie die Gesellschaft rücksichtslos mit der Natur umgeht, sie ausbeutet und zerstört, hat sie Hochachtung vor ihren Kulturleistungen.
Eine andere Lesart ist, dass sowohl Frau als auch Dogge keinen Schwanz haben. Und bei dem ganzen Schmutz darf der dreckige Reim nicht fehlen: „das tier / ohne schwanz. da nich für. da nich für.“ Doch nicht nur die Dogge, auch das „nicht“ ist kupiert. Nicht, nein, das Wort der Weigerung und der Negation, wird, durch Umgangssprache beschädigt, denn es wird so lange es Menschen gibt mit und durch Menschen geschöpft. Aber der von Menschen geschaffene Fortschritt gereicht den Menschen nicht zum Vorteil. Dass alles so weitergeht, das ist die Katastrophe. Ja, das ist in der Tat Tristesse.
Philipp Günzel
Ich bedanke mich sehr. Eine einzige Korrektur: In der betreffenden Bar kann man nach wie vor rauchen, man konnte es damals, man kann es noch heute, zumindest als ich das letzte mal dort gewesen bin, am 21. November 2011.
Ich möchte nochmals meiner Freude Ausdruck verleihen: Am besten sind die Dinge, wenn sie als Fremde zurückkehren.
Will ich die Adresse der Bar preisgeben, führte das wahrscheinlich zur Enttäuschung, weil die Details des Essays die Bar immens erweitert und verfeinert haben. Doch ja, es ist eine feine Bar. Dorotheenstr. 65, übrigens.
Monika Rinck
Die Texte wurden entnommen aus: die horen, Heft 246, Wallstein Verlag, 2. Quartal 2012
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