– Laudatio zur Verleihung des Horst-Bienek-Förderpreises der Bayerischen Akademie der Schönen Künste an Toni Pongratz am 8. Dezember 1997 in München. –
Meine Gedichte sind Blei
in meinem Mund
Ich spreche sie nicht mehr aus
Ich lasse sie nicht mehr vor
Ich zeige sie niemand
Ich schreibe weiter
Ein Gedicht von Horst Bienek, veröffentlicht in der Edition Toni Pongratz. Horst Bienek befand diese Edition für wert, ihr Gedichte anzuvertrauen, die er niemandem mehr zeigen wollte.
ENGEL
Engel – wenn du ihn suchst
er ist Erde
zwischen den Steinen am großen Berg
bereit aufzustehn
wenn du ihn rufst
ohne Macht
ohne Herrlichkeit
ruf wie ein Bruder
wenn du ihn suchst
Germane war er Jude Christ
Erde ist er für Schlehdorn Fuchsie Ginster
zwischen den Sternen am großen Berg
Wenn du ihn suchst
wenn du ihn findest Engel
mach ihn neu
nicht aus Blut
nicht aus Galle
aus Tränen und
ein paar Tropfen Rheinwasser
mach ihn neu
wenn du ihn findest
Wissen Sie, wer dieses Gedicht geschrieben hat? Heinrich Böll. Veröffentlicht wurde es in der Edition Toni Pongratz.
Elisabeth Kottmeier werden manche von Ihnen als Übersetzerin russischer und ukrainischer Literatur kennen, kaum aber als Dichterin. Ihre Gedichte fanden sich im Nachlaß, und Toni Pongratz druckte sie. Der Titel des Büchleins: Die Stunde hat sechzig Zähne.
Allein wegen dieser Metapher hätte es Elisabeth Kottmeier verdient, daß wir uns ihrer als Dichterin erinnern, und der Glaube, ihre Hinterlassenschaft würde bemerkt werden, hatte sie beflügelt. In einem Gedicht heißt es:
Aber die Enkel von Fremden
werden mein gedenken.
Der Kuckuck bin ich,
der niemals über die blühende Heide fliegt.
„Manchmal schreibt mir das weibchen des kuckucks“ heißt ein Gedicht der tschechischen Dichterin Lenka Chytilová.
Manchmal schreibt mir das weibchen des kuckucks:
Ein nest haben – weißt du –
das wäre schön…
Aber ER würde sowieso
wegfliegen aus ihm
Und einen anderen nehmen –
der wiederum wäre nicht so gesprenkelt
Auch diesem Gedicht hat Toni Pongratz ein Nest bereitet.
Schließlich noch ein Gedicht des Ungarn László Nagy:
DAS FEUER
Feuer
du lebendiges,
sternenmächtiges, stampfend-wendiges,
heiz die lok zu tode, hetze sie,
daß ihre schwarze einsamkeit sie nie
bedrücke,
feuer,
du lebendiges,
inspirierendes, all-beständiges,
blüh im vogel, jenem blutenden,
senge ihn, daß er vom schicksal spricht,
seine asche wolln wir nicht,
wir wolln sein wort, sein wachendes,
feuer,
du lebendiges,
eisbezwingendes, sonnenhändiges,
dulde nicht, daß einer nach dem andern wir
altern, in der seele bärtig, daß wir hier,
wo kauf, verkauf, verrat gedeihn,
wägend abkühln bis zu stein,
hülle mich in feenrot,
schnelle gegen ewiges verbot
mich übers eis in reiche, wo der tanz, der rote, loht,
du, der jugend könig,
feuer!
Edition Toni Pongratz.
Ich habe mich beschränkt auf Beispiele aus der Poesie, die Toni Pongratz bisher verlegte, Gedichte von Rose Ausländer, Richard Exner, Milena Fucimanová, Harald Grill, Sarah Kirsch, Paul Konrad Kurz, Ulrich Schacht, Jaroslav Seifert, Gabriele Wohmann und anderen Autorinnen und Autoren, unter ihnen Debütanten. Wie gern würde ich Ihnen einige gescheite Gedanken von Hans Bender, Günter Kunert oder Siegfried Lenz zitieren und Ihnen eine köstliche Geschichte von Janosch, ein nie mehr aus dem Sinn gehendes Feuilleton von Jan Skácel oder ein tschechisches Märchen zur guten Nacht vorlesen, damit auch die Prosa den Qualitätsanspruch der Edition bezeuge, doch würde die Zeit dann nicht reichen, Ihnen anzudeuten, was für ein zähes Wesen das ist, das im Bayerischen Wald eine literarische Reihe von internationalem Ansehen herausgibt. Seit siebzehn Jahren. Die Nummer auf den einzelnen Bändchen – es sind bereits über ein halbes Hundert – ist immer schwarz, aber die Zahlen, die das Finanzamt sieht, sind rot, so daß es für die Existenz des Verlages seit siebzehn Jahren schwarz sieht.
Um die Leidensfähigkeit von Toni Pongratz nicht über die Maßen zu beanspruchen – er ist der Nichtmittelpunkt in Person –, zu ihm selbst nur soviel: Aus eigenem Entschluß verläßt er nach der mittleren Reife das Gymnasium und entsagt seinem Lebenswunsch, Arzt zu werden. Grund: Die Armut der Mutter. Der Vater hatte der Familie den Rücken gekehrt. Toni Pongratz lernt Krankenpfleger, absolviert ein zweijähriges Fachstudium für Anästhesie und Intensivpflege und wird pflegerischer Leiter der internistischen Intensivstation im Klinikum Passau. Christa, seine Frau, arbeitet als Krankenschwester auf derselben Station. Sie haben einen Ausnahmesohn, denn er scheint nicht nur vom Fleische, sondern auch vom Geist seiner Eltern zu sein. Christa und Toni Pongratz, das ist bekannt, opfern sich für ihre Patienten auf, vom Dienst nach dem Dienst an Verwandten, die bettlägrig ihrer harren, ganz zu schweigen.
Dennoch aber zusätzlich der Verlag, ein Ein-Mann-Nachtverlag, der Verleger eingehüllt in Pfeifenrauch (nach einem Liter Espresso tagsüber dem Geist zur Nacht die Tabaksporen).
Woher dieser zweite große Lebenswunsch, Bücher zu verlegen (Toni Pongratz gibt nicht nur die Edition heraus, sondern auch eine zum Teil aufwendig gestaltete Reihe literarisch-graphischer Blätter)? Woher die an Masochismus grenzende Leidenschaft, auf der Intensivstation schwerstens erarbeitetes Geld in einen Verlag zu investieren, der am Banktropf hängt?
Erstens gehört Toni Pongratz zur mikroskopischen Minderheit derer, die das Gedicht zum Leben brauchen. Er ist ein wirklicher Leser, und es ist ihm ein Bedürfnis, sich für das, was er liebt, zu engagieren. Zweitens zählt er zu jener Minderheit von Christen, an die ich glaube. Ihm ist es verwehrt, nur zu nehmen. Er möchte zurückgeben, indem er weitergibt. Drittens braucht er dieses zweite Leben, um im ersten bestehen zu können.
Und seine Frau Christa? Unterzöge man sie einer Kernspintomographie, würden die Ärzte Augen machen – sie würden das sogenannte Toleranzherz entdecken.
Als wir uns vor zwanzig Jahren am Fuße des Bayerischen Waldes ansiedelten, hörte ich in München erstmals das Wort vom Sibirien Bayerns. Im Fall des 1990 verstorbenen Tierbildhauers Heinz Theuerjahr, der fünfzig Jahre im tiefen Bayerischen Wald lebte, muß dieser für die Bayerische Akademie der Schönen Künste auch so fern gewesen sein wie Sibirien, denn sie hat diesen Künstler nicht bemerkt oder nicht erkannt. Sie schuldet dem Bayerischen Wald Wiedergutmachung. Toni Pongratz war einer der uneigennützigsten Freunde Heinz Theuerjahrs und gab nicht nur mehrere Bücher über ihn heraus, sondern drückte ihm auch die Augen zu, wusch ihn und kleidete ihn an für den letzten Weg.
Ich bat Toni Pongratz, mich Horst Bieneks Briefe lesen zu lassen. Ein Dreivierteljahr vor seinem Tod schrieb Horst Bienek an Toni Pongratz: „Ich denke manchmal an Sie, Sie sind für mich wie vom andern Stern.“
Reiner Kunze
Dieser Text von Reiner Kunze zeigt mir,was uns durch sein nahezu Verstummen nach der Wende wohl verloren gegangen ist.
Ich freue mich sehr,nach langer Zeit wieder etwas von ihm zu bemerken.
Ein Mensch-ein Humanist-ein Solitär.
G.B.