Rainer Zekert: Zu Erich Arendts Gedicht „EIN GLANZ ein Blatt…“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Erich Arendts Gedicht „EIN GLANZ ein Blatt…“ –

 

 

 

 

ERICH ARENDT

EIN GLANZ ein Blatt
die absolute
Stille.

Von Langmut –
unablässig
gesprochen hatte das Meer –
war Kunde.
Horizonthart und
Gegenhell,
dunkel im Innern.

Sturzlichtige Vögel,
klangweiß
webend den Tag.
Und nachts
die mit dem Augenprofil,
schmale, des Totenvogels
andere Helle: wurzelnd
durch Wand und –
in deinen Schlaf:

gestrig, der Wanderhirt
war gezogen mit seinem
Kyrie, dicht
vor dir her.

Glühendes Weglos.
Disteln und unverrückbare
Formen.
Offen im Schlummerkreis
des Mittags
die Vogelbucht, blau,
lag der mythengeboren

Berg.

Ein Glanz und ein
Blatt: die Einsamkeit –
JEDES.

 

Bildinnerste Gleichsetzung

Dieses Gedicht ist wie eine Landschaft, die weit und ruhig vor dem Auge liegt. Es ist eine Landschaft, die genaues Betrachten fordert; es ist ein Text, der eiliges Lesen nicht duldet.
Nicht vordergründige Erläuterung oder redselige Beschreibung findet statt, sondern ein Deuten von Welt durch das bedeutungsgeladene Einzelwort. Dieses Verfahren – Erich Arendt hat es in den letzten Jahren mehrfach als Grundmuster seines heutigen Schreibens bezeichnet – ist wohl vor allem zu begreifen als ein Abstoßen von lyrischem Sprechen, das der unumgänglichen Vernutzung sprachlicher Mittel in der alltäglichen Kommunikation nicht genügend Widerstand entgegenzusetzen vermag.
Es ist nicht zuletzt – das in harter Fügung gesetzte Bild am Beginn des Gedichts zeigt es an – eine Abkehr von metaphorischem Sprechen im herkömmlichen Sinn. Die tradierte Metapher nach dem geläufigen Muster (A ist vergleichbar mit B durch ein gemeinsames Drittes) ist für Arendt ebenso wie für viele andere Dichter des 20. Jahrhunderts – man denke an Paul Celan und Johannes Bobrowski – zu einem wenig tauglichen Mittel lyrischer Weltaneignung geworden. Das produktiv-kritische Verhältnis zur Sprache, dessen Ursachen sehr vielfältig und kaum auf einen Nenner zu bringen sind, verbietet es den genannten Autoren, durch ein unvermitteltes und unproblematisiertes Operieren mit Vergleichsbeziehungen einem Verlust an Wahrnehmungsfähigkeit Vorschub zu leisten. Das Meer – es ist für den Dichter vielfach variierter Gegenstand von Reflexion – wird als Bild und damit, wie Arendt sagt, als „sinnliche, bildinnerste Gleichsetzung mit dem Gegenstand“ gesetzt:

Horizonthart und
Gegenhell,
dunkel im Innern.

Erich Arendt vertraut auf die poetische Kompetenz des Lesers, der in der Lage ist, das weitgehende Fehlen von „argumentierenden“, logischen Satzstrukturen durch eigene Denkanstrengung auszugleichen. Das Vertrauen auf den Leser freilich setzt, bedenkt man die hohe sprachliche Verdichtung der Texte Erich Arendts, eine ungeschmälerte Sicherheit des Autors im Umgang mit den ihm zur Verfügung stehenden sprachlichen Mitteln voraus. Erich Arendt steht sie zu Gebote:

Sturzlichtige Vögel,
klangweiß
webend den Tag.

Die lyrische Sprache durchbricht in diesen Zeilen semantische Konventionen der Wortbildung. Die Folgen einer solchen Sprachbehandlung in kommunikativen Situationen des Alltags sind leicht abzusehen; die Verständigung wäre erschwert oder gar unmöglich.
Es ist gewiß ein staunenswertes Phänomen, daß die poetische Sprache ihre Brisanz oftmals gerade durch das Durchbrechen konventioneller Sprachlagen gewinnt und auf einer vom üblichen Sprachgebrauch abgehobenen Ebene erneut Sinnspannung zu setzen vermag. Die adjektivische Neubildung „sturzlichtig“ ist somit in der Lage, eine ganze Kette von Assoziationen im Leser auszulösen. Freilich sind Sprachgestalt und inhaltliche Struktur eines Gedichts nur zu Zwecken, der Analyse trennbar. Der zweite Teil des Textes, deutlich als traumhafte Vision abgehoben vom Vorausgehenden, mag als Beleg dafür stehen.
Die Umkehr der Normalform in der Wortfolge ist keine formale Spielerei, sondern trägt Inhaltliches. Das gleichsam stockende Sprechen macht den Vorgang des Erinnerns sinnlich faßbar. Es ist ein Erinnern an die griechische Meereslandschaft, an einen geschichtsträchtigen Raum, der für Arendt Gegenstand vielgestaltiger Auseinandersetzung war und ist. Die Mittelmeerlandschaft mit ihrem Ineinander verschiedener Phasen der Geschichte erscheint als Sinnbild für Humanität, als „Daseinsform“.
Am Ende des Gedichts greift Arendt das zu Beginn gesetzte Bild wieder auf. Der Kreis schließt sich. Wer ihn ausschreitet, wer die Leseanstrengung nicht scheut, wird in die Lage versetzt, das bedeutungsschwere Einzelwort in Beziehung zum Ganzen des Textes zu setzen und die Relationen zwischen nur scheinbar partikulären sprachlichen Elementen mitzudenken. Wird der Text unter dieser Voraussetzung gelesen, so hellt sich seine vermeintliche „Dunkelheit“ auf. Wir werden eines poetischen Verfahrens inne, das – unbeschadet unterschiedlicher Traditionslinien – eine enge Beziehung zum „Benennen“ in den Gedichten Johannes Bobrowskis hat.
Ein Verfahren, das wesentlich geprägt ist durch ständiges „Aufscheinen“ des assoziativen Horizonts der Einzelworte. Jede Redseligkeit vermeidend, vertrauen diese Gedichte auf den zu schöpferischem Nachvollzug bereiten Leser.

Rainer Zekert, neue deutsche literatur, Heft 4, April 1983

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