– Zu Ossip Mandelstams Gedicht „Windstille meiner Gärten – Orte…“ erschienen in Ralph Dutli: Mandelstam, Heidelberg. –
OSSIP MANDELSTAM
Windstille meiner Gärten – Orte
Der Rose, künstlich, unbetastet;
Und keinerlei Bedrohung lastet
Von unsagbaren Stunden dort.
Am Jammertal, irdischem Leben
Hat unfreiwillig sie doch teil;
Und über ihr der Himmel steil
Und wortlos klar – sie ist umgeben
Vom Wenigen, das doch geprägt
Von meinen scheuen Eingebungen
Sie furchtsam nur berührt, besungen
Einzig von Zeichen, sanft gehegt.
Selbstreflexiv sind bereits die frühen Gedichte Mandelstams, sie kreisen um die Entstehung des Gedichtes und das Wesen der Poesie. Letztere ist die „künstliche Rose“, die in einem „windstillen“, scheinbar unwirklichen, zeitlosen Garten-Raum steht, wo es keinerlei „Bedrohung“ gibt. Doch im russischen Wort für „Bedrohung“ (ugróza) steckt das Wort für „Rose“ (róza), der Reim enthüllt eine Verwandtschaft…
Später, wenn die geschichtlichen Katastrophen in seine Dichtung eingebrochen sind, wird Mandelstam im Gedicht „An die deutsche Sprache“ (August 1932) bekennen:
Du Poesie! Du brauchst Gewittertoben!1
Doch schon im frühen Gedicht herrscht das Bewusstsein, dass die Rose nicht ausgeschlossen ist vom tragischen Weltgeschehen:
Am Jammertal, irdischem Leben
Hat unfreiwillig sie doch teil.
Der junge Mandelstam charakterisiert (3. Str.) seine Dichtung als das bescheidene „Wenige“, das von seinen „scheuen Eingebungen“ und „furchtsamen Berührungen“ geprägt wird. Ein noch unsicheres, seine Bestimmung suchendes Ich ist hier am Werk, aber es weiß bereits um die Beschwörungskraft der Poesie, mag sie sich auch auf „Andeutungen“ und „Zeichen“ beschränken. Stéphane Mallarmé schreibt in „Verskrise“ („Crise de vers“, 1892):
Ich sage: eine Blume! und aus dem Vergessen, wohin meine Stimme jeden Umriss verbannt, erhebt sich musikalisch, als etwas Anderes als die gewussten Kelche, Idee selbst und lieblich, die aus allen Sträußen Abwesende.2
„Sie furchtsam nur berührt“ – die Beteiligung des Tastsinns bei der Entstehung des Gedichtes weist voraus auf Mandelstams poetologischen Essay „Das Wort und die Kultur“ (1921):
Das Gedicht ist lebendig durch das innere Bild, durch jenen klingenden Abguss der Form, der dem geschriebenen Gedicht vorausgeht. Noch kein einziges Wort ist da, doch das Gedicht klingt bereits. Es klingt das innere Bild, das vom Gehör des Dichters betastet wird.3
Ralph Dutli, aus Ralph Dutli: Mandelstam, Heidelberg, Gedichte und Briefe 1909–1910, Wallstein Verlag, 2016
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