wie ist die welt doch winzig geworden die paar
inches vom nord zum südpol neil armstrong
überprüft temperaturen in und außerhalb des
anzugs er macht essen und wetter wie es ihm gefällt
er blickt zum dünnen himmelchen hinunter hüpft
einige schritte spazieren es ist ihm leicht ums herz
geworden der winzige raum von armstrongs anzug
ist wohlreguliert knöpfe für nahrung wasser und
luft wenig gravierend mehr die erdanziehung
der mond steht sehr still der staub der meere
liegt unbewegt die sonnenwinde nur durch die
instrumente wahrnehmbar neil armstrong dreht
am radio die weisungen werden leiser nunmehr
atmosphärisch rauscht der äther im helm das visier
weist fast alle strahlung ab es reicht als firmament
vollauf relativ schnell dreht sich weitab die welt
bei dem die Freude am verschmitzten Spiel ebenso auffällt wie die Strenge der Komposition. Eine Entdeckung. 1999 wurde die wichtigste Auszeichnung für junge Lyrik, der Leonce-und-Lena-Preis, erstmals einem Schweizer zugesprochen.
Der 25-jährige Raphael Urweider bringt auch anderswo Leben in das Wachsfigurenkabinett vergangener Größen. Er entdeckt Lichter in Menlo Park, dem Ort, wo Thomas A. Edison seinen legendären Think Tank gründete. Von Gutenberg bis Neil Armstrong reicht die Galerie der Ahnen, denen Raphael Urweider mit charmanter Hinterhältigkeit über die Schulter guckt.
Raphael Urweider faszinieren die Übergänge von Alltagswahrnehmung zu wissenschaftlicher Weltsicht. Andere Gedichte des Bandes schwingen sich mit Chopins Präludien durch die Tonarten, blicken auf die Kontinente hinunter und verfolgen Kleinbauern.
DuMont Verlag, Ankündigung
1999 war er der Aufsteiger des Jahres. Der 1974 geborene Raphael Urweider gewann überraschend den renommierten Leonce-und-Lena-Preis. Nun ist sein erstes Buch, der Gedichtband Lichter in Menlo Park erschienen.
In Menlo Park/New Jersey richtete der Erfinder Thomas Alva Edison vor 130 Jahren ein Laboratorium für seine technischen Tüfteleien ein. Wenige Jahre später flammte 1879 hier die erste Kohlefadenglühlampe auf und brannte sich blitzhaft, jäh den Mitarbeitern Edisons auf der Netzhaut ein. Das Licht war erfunden.
sie verharren noch in der pose
bis einer kurz in die hände klatscht
boys rnachen wir weiter
Einen Augenblick nur dauert die Verwunderung, dann drängt die Neugier weiter, zu neuen Erfindungen. Mit zwei Strophen über diesen magischen Moment der Technikgeschichte schliesst der Gedichtband.
Diese 21 Zeilen sind typisch für Raphael Urweiders erstaunlich ausgereifte Lyrik, formal wie inhaltlich. In beider Hinsicht gibt sie sich betont sachlich, fast liesse sich sagen: prosaisch. Eine auserlesene Bildsprache und ein eigenwilliger Rhythmus verleihen ihr lyrische Qualität.
An innerpsychischen Feinsinnigkeiten scheint Urweider keinen rechten Geschmack zu finden. Was ihn augenscheinlich interessiert, ist das Reale: Kontinente, Wolken, Natur, Kultur – vor allem aber deren physikalische und chemische Entladungen. Im abschliessenden Zyklus „Manufakturen“ lässt er der Reihe nach die grossen Tüftler, Entdecker und Erfinder bis 1900 auftreten. Galilei erfindet mit dem Fernrohr „sonne mond und sterne“. Gutenberg setzt an den Anfang der Welt den Bleisatz. Samuel Morse verschlägt es die Sprache in alle Windrichtungen. Er habe Indien erreicht, kichert Columbus, „wenn ich mich nicht irre“.
Wiederholt klingt hier grosse Beschreibungsliteratur an, etwa in der Kapitelüberschriften „Tagwerk“, die an Herodot erinnert, und „Kleinbauern“, worin ein Stück Vergilscher „Georgica“ mitschwingt. Ihrem Vorbild folgt Urweider auf eigene Weise, die Substanz bleibt indes vergleichbar, nämlich die Beschreibung der realen Welt und deren wortwörtliche Ver(s)dichtung. Letzteres steigert die Sachlichkeit ins bildhaft Anekdotische, ausgeschnitten Typische. Ruhe ist dabei eines der Schlüsselworte in diesem Band: die Quelle, aus der die Unruh des Forschens und Suchens und Beobachtens angetrieben wird.
Vor allem den 24 Variationen zu Chopins „Préludes“ mit Szenen aus dessen Leben ist der Wunsch nach Ruhe einbeschrieben.
ruhe bewahren
schreien dreissig ärzte gleichzeitig es
leidet darunter der duldsame patient
Im leichten Erregungszustand zwischen Ruhe und Unruhe bewegen sich Urweiders Gedichte auch formal. Zeilen und Strophen sind lyrisch, doch der Sprachfluss übertritt permanent die formale Begrenzung. Verslänge und Versanordnung folgen eher visuellen Mustern und Variationen.
Dies vor allem, weil sich Urweiders Gedichte durch das Fehlen jeglicher Satzzeichen der eindeutigen Lektüre verweigern. Der Sprachfluss muss während der Lektüre von den Lesenden eigens interpunktiert werden, doch die grammatische Zuordnung innerhalb dieser lyrischen „Kettenreaktionen“ ist oft mehrdeutig und erlaubt verschiedene Lesarten.
Lichter in Menlo Park ist dergestalt ein ebenso lichter wie vertrackter Gedichtband. Er imponiert durch Iyrischen Eigensinn wie durch prosaische Ironie. Ein schönes Debüt.
– Die Energie der Zeichen: Kling, Beil und andere. –
(…)
„Indien, wenn ich mich nicht irre“, kichert Columbus. Er steigt an Land. Die Amerikaner freuen sich. Ganz europäisch tanzen sie um die flotte Besatzung.
Kalauer, Kinderbuch, Comic, Kalendergeschichte, was fängt so an? Alles falsch, sagt Raphael Urweider, der Schweizer Dichter, sechsundzwanzig Lenze jung und schon mit dem Leonce-und-Lena-Preis gekürt: Es ist der Anfang eines Gedichtes und man schreibt ihn so:
indien wenn ich mich nicht irre kichert
columbus er steigt an land die amerikaner
freuen sich ganz europäisch tanzen sie um
die flotte besatzung columbus hält ausschau
[…]
Gedicht, das heißt also: Ich, Märchenonkel mit Subjekt-Prädikat-Sätzen von welthistorischen Persönlichkeiten, tilge Interpunktion und Rechtschreibung und lose mir ein graphisches Schema aus, in das ich die Zeilen wie im Schulschreibheft eintrage – und wenn ich an den Seitenrand komm, fang ich einfach links wieder an. Und weil das Ganze schon genugsam nach Scherz klingt, basteln wir noch ein paar Lalula-Assonanzen ein:
columbus hält ausschau
wo rauch ist in amerika ist auch eine nachricht
des erstaunens
Warum nur kann man es diesem Herrn U. nicht übelnehmen. dass er eins nach dem anderen produziert von diesen Irgendwie-Gedichten? Die Antwort ist einfach: Herr U. ist wunderbar arglos. „Form“, „Gestalt“, „Dramaturgie“ – Kleingeld germanistischer Seminarkassen. Statt dessen: Munter los geplaudert und in nicht allzu großen Abständen einen Spaß eingebaut, da lacht das Leserherz. Humor, das ist, vom Lalula abgesehen, vor allem die witzige Kontrafaktur: Das Welthistorische gerät in die Tücken des Alltags, der Menschheitsentwurf entzündet sich am bodenständigsten Witz einfacher Gemüter, das Genialische ist insgeheim ein Plagiat: Gutenbergs epochale Entdeckung verdankt sich einem Winzer, der ihm das Keltern erklärt; James Watt will, weil er das Rauchen aufgegeben hat, „den rauchtee auf den markt / bringen“ (späterhin „Earl Grey“ genannt), und das hektisch angetriebene Pfeifen des Teekessels erst gibt ihm die Idee zur Dampfmaschine ein; Morse erfindet sein Alphabet, weil er ein nervöser Fingertrommler auf Tisch und Stuhl ist. Das ist ein kurzweiliges Vergnügen, ein harmlos unterhaltsamer Nachtrag zum Enzensbergerschen Mausoleum. Je verspielter und theorieloser, je unbelasteter von jeder hehren Tradition das konterkarierende Spiel mit den großen Entdecker- und Erfindergestalten, desto besser: „abraham bell entdeckt den dialog mit einem buntspecht“, Galilei im Teleskop Papageien; in Magellans Tagebuch „liegen die kontinente beieinander wie schläfrige / kühe“. Und immer wieder werden die großen Entdeckernamen kindisch-munter verkalauert: „licht her august lumiere“, „bei wem klingelts bei abraham bell“; „guten tag herr gutenberg“: Benjamin Franklin korrespondiert „doktor donner“ und „stellt dem meister blitz nach“.
Keine Seite ohne herzerquickende Launen dieser Art, kaum ein Gedicht ohne gescheite Possierlichkeit. Wenn der junge Poet nach Höherem greift, da wird’s allerdings wacklig, Einsturzgefahr droht.
AGITATO
wie johann sebastian bach auch
sichtlich bewegt als ein weg
erregt durchquert jedes vorspiel
als vorspiel zu einem vorspiel.
Das ist der erste „fingersatz“ zu den Chopinschen „Préludes“, diesem Grundbuch moderner Klavierliteratur. Das, diese Prise Wortspiel, ist keine Höranweisung, keine Deutung, keine Verbeugung vor einer artistischen Epochenleistung, sie ist eine Kapitulationserklärung: Irgendwo in einem Konzertführer wird wohl stehen, dass Chopins Enzyklopädie des romantischen Klaviersatzes insgeheim der Bachschen Polyphonie Tribut zollt – aber was für ein Mätzchen wird bei Urweider daraus, ein hilfloses Bubenstück neben dem hochkonzentrierten metrischen und harmonischen Kalkül Chopins. Und es wird nur wenig besser in diesen vierundzwanzig Kommentargedichtlein. Manches klingt geradezu nach einem gymnasialen „So stelle ich mir die Königin der Nacht vor“. Und wie sollte es anders sein, als dass jemand, der freimütig die Frage nach der Architektur im Wortkunstwerk außen vor lässt, nicht an Chopins kristallklaren Architekturen einfach vorbeisieht – und dafür von einem Begräbnis erzählt, wenn es irgendwie traurig und langsam wird („wenn die toten frisch aufgebahrt der totentrauer harren / werden zur dokumentation…“), wenn es schnell und ein wenig nach Osten klingt, aber lehrt:
ein breites weißes landhaus kommt
in polen doch kaum ohne geister aus
So ist es nur gut, dass ein Titel aus dem durch seinen konterkarierenden Witz einnehmenden Kapitel zu den Entdeckergestalten auch den Titel des Buches abgab: Menlo Park in der Nähe New Yorks, dort gründete Edison 1876 sein Laboratorium, dem wir die elektrische Glühbirne, den Phonographen und das Kohlemikrofon verdanken. Dieser Zyklus allein macht das Buch wert, doch man sollte darüber nicht die „kleinbauern“-Gedichte verachten. Sie zeigen Urweider gewissermaßen am reinsten. Die minimalisierte Erzählmanier ist hier so konsequent durchgehalten, die Arglosigkeit so radikal in Szene gesetzt, dass sie von kühler Artifizialität nicht mehr zu unterscheiden ist, und das ist ein ganz eigener Ton:
kleinbauern kommen
mit der milch ins tal die wandtafel zeigt
einige vokabeln französisch noch die
frischeste sonne trägt keine milch ins tal
wohl aber kreidebleiches licht kleinbauern
gelingt der transport nicht immer.
Was schwerlich zu widerlegen sein dürfte.
Sebastian Kiefer, neue deutsche literatur, Heft 539, September/Oktober 2001
Raphael Urweider – Frisch geslamt zu Max Frisch.
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