– Zu Bertolt Brechts Gedicht „Über induktive Liebe“ aus Bertolt Brecht: Gesammelte Werke in acht Bänden. Band IV: Gedichte. –
BERTOLT BRECHT
Über induktive Liebe
F. Bacon gewidmet, der die induktive Methode in die Naturwissenschaften einführte.
Der große Bacon baute auf Versuche.
’s wär Zeit, sie in die Liebe einzuführen.
Vielleicht, wir finden, wenn wir uns berühren:
Wir liegen gerne unter einem Tuche.
Und meine Hand, die deine Brüste fand
Sag: ist sie angenehm? Wenn wir’s nur wüßten!
Vielleicht dem Schoß nicht, aber doch den Brüsten?
Vielleicht dem Schoß, und diesem nur die Hand?
Nur dürfte weder Wollen noch Verwehren
Bei dem Versuch das letzte Wort bedeuten.
Erfreuen sollten wir, wenn wir uns freuten.
Aus dem Genießen wachse das Begehren.
Gestattete sie, daß er sie begattet
Ist ihm, sich nicht zu gatten, auch gestattet.
Er gilt als Pascha, wenn auch wohl kaum als Papagallo. Denn dazu wie zum echten Macho fehlte ihm wohl das Imponiergehabe. „Aber“, tönt es schrill, „ein Male Chauvinist war Bertolt Brecht bestimmt!“ Und Kritiker, die sich emanzipiert dünken, bieten eilig die Belege hierfür an. Beispiele werden hervorgeholt, Aussprüche nachgewiesen, erotische Untaten aufgezählt. Flugs hat man (will sagen man/frau) den Stab über den armen B. B. gebrochen und lauthals sein Verdammungsurteil verkündet. Wagte er nicht, dieser angeblich so fortschrittlich gesinnte Dichter, von Frauen wie von Frauen zu reden und als Frauen mit ihnen umzugehn? Weh ihm!
Nun war in der Tat das Liebesleben des Mannes Brecht ein bißchen – ja, wie soll ich es eigentlich nennen: „unbürgerlich“? Doch erstens ist das Bürgertum keineswegs so prüde und puritanisch, wie uns gewisse Kreise weismachen wollen; und zweitens treibt „man“ es ausgerechnet in solchen Kreisen zumeist noch so autoritär, patriarchalisch und auch muffig wie nur je unter Kleinbürgern.
Also? Müßten wir uns mit dem abgedroschenen Wort „bohemehaft“ behelfen? Sollen wir gar den gefährlichen Ausdruck „natürlich“ wählen? Oder wäre ganz schlicht und einfach zu konstatieren, Brechts Liebesleben sei eben kein sehr gewöhnliches gewesen? Daß er im Sinn gewöhnlicher, gängiger, hergebrachter Moralbegriffe (wie erst recht, versteht sich, im Sinn rigoros feministischer Verkehrsformen und -forderungen) einiges auf dem biographischen und poetischen Kerbholz hat, läßt sich schwerlich leugnen. Zu fragen bleibt indes, ob es durch ein Gedicht wie „Über induktive Liebe“ nicht längst schon aufgewogen ist, wenn es denn aufgewogen werden soll und muß.
Ich werde mich freilich hüten, das in Prosa breitzutreten, was Brecht in Versen vorschlägt. Gerade weil es sich hier um kein schwüles Bettgeflüster, sondern um den Austausch zwischen zwei gleichberechtigten Partnern handelt, hat dieses Gedicht keine Paraphrasen oder sonstigen Phrasen nötig. In ihm ist, obzwar bloß die männliche Stimme spricht, stets auch die weibliche gegenwärtig. Die Gemeinsamkeit der beiden sich liebend Erprobenden und Erfreuenden ist sogar, zur Abwechslung, rein philologisch-numerisch demonstrierbar. Nicht weniger als achtmal steht das Pronomen „wir“ oder „uns“, hingegen kein einziges Mal das Pronomen „ich“!
Statt mieser Tradition, die sich fortschleppt, oder neuer dogmatischer Starre erscheint lebendige Dialektik – wenn anders Dialektik das Ineinander von Gegensätzen und deren Entfaltung oder, konkret, die widerspruchsvolle Einheit von Wollen, Verwehren und Gestatten, von „Genießen“ und „Begehren“ (man beachte die Umkehrung) darstellt.
Auch ihren Humor besitzt diese kecke Verwissenschaftlichung des Erotischen: von der augenzwinkernden Widmung an den „großen Bacon“ bis zur Lautkomik des stotternden Staccatoschlusses, die dessen Ernst aber darum keineswegs mindert. Und wie sich’s seit Petrarca und Shakespeare für ein auf Gefühl und Gedanke bauendes Liebesgedicht, zumal ein didaktisches, ziemt, ist Brechts Discours de la méthode selbstverständlich ein Sonett.
Übrigens behaupte ich durchaus nicht, das Gedicht sei vollkommen. Aber es ist so ganz ohne Faxen und Verrenkungen, von solch humaner Gelassenheit, lässigem Freimut, freier Bindung und Rücksicht wie nur selten Verse über die Liebe. Sinnlich zugleich und sachlich, zeigt es die schöne Nacktheit der wirklichen Emanzipation, die keinerlei ideologischer Reizwäsche bedarf.
Reinhold Grimm, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Sechster Band, Insel Verlag, 1982
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