René Schwachhofer und Wilhelm Tkaczyk (Hrsg.): Spiegel unseres Werdens

Mashup von Juliane Duda zum Buch von René Schwachhofer und Wilhelm Tkaczyk (Hrsg.): Spiegel unseres Werdens

Schwachhofer und Tkaczyk (Hrsg.)/Masereel-Spiegel unseres Werdens

DEINE LAST

Und hast du dein Päckchen zu tragen
in den Keller und astest und schichtest das hin
Und da paßt einer auf ob die Kohlen auch stimmen
Als wäre jetzt schon Ultimo
Dann ist dein Leben schwarz
aaaaawie das Gesicht eines Kohlenträgers
aaaaaund naß von Schweiß
Und du rennst und pustest kraus, wo andere stehen:
Ja die haben es leichter.
In den Händen ein Schlüsselbund bloß

Doch schiebst du den Wagen auf den Kohlenplatz des Kellers
Und hängst das Schloß vor
Und wäschst dich und spülst dir den Dreck ab
Von dem du die Schnauze voll hast
Strahlst du wieder um die Augen
aaaaaheller und aufgeweckter

Und manchmal nimmst du dein Kind auf den Arm
Als wolltest du es verkohlen
Wie es deine Arbeit mit dir ja auch macht
Ach ja dann kannst du lachen
Weil das auch so ein Päckchen ist

Uwe Greßmann

 

 

 

Eine Bemerkung in eigener Sache

Der Gedanke dieses Buches war naheliegend. Und doch ist die erstaunliche Tatsache zu vermerken, daß es offenbar eine Anthologie mit ähnlicher Konzeption im deutschen Sprachraum bis heute nicht gibt. Unsere Zeit ist recht anthologiefreudig, Lyrikanthologien gibt es wie Sand am Meer. Und doch…
Zur Zeit unserer Großväter, als wir in Deutschland noch eine Monarchie hatten, brachte die Buchhandlung Vorwärts unter dem Titel Von unten auf eine zweibändige Sammlung revolutionärer Kampfdichtung heraus – für die damalige Zeit eine respektable kulturpolitische Leistung. Sie wurde zur Hauspostille des klassenbewußten deutschen Arbeiters.
Auch in der Deutschen Demokratischen Republik sind in den zurückliegenden Jahren einige wichtige Anthologien erschienen, die sich die Aufgabe stellen, die proletarisch-revolutionäre Dichtung und Prosaliteratur in ihren besten Beiträgen vor allem aus der Zeit von 1914 bis 1933 zu sammeln und ihr den verdienten Platz in der deutschen Nationalliteratur und im Bewußtsein breitester Schichten unseres Volkes zu verschaffen. Um nur drei Beispiele zu nennen: Wir sind die rote Garde, eine zweibändige Sammlung, herausgegeben von Dr. Edith Zenker, Die Zeit trägt einen roten Stern, herausgegeben von I.M. Lange und Joachim Schreck, und Rotes Metall, herausgegeben von Rudolf Hoffmann.
Diesen und ähnlichen verdienstvollen Büchern ein weiteres mit gleicher Zielsetzung hinzuzufügen war nicht unsere Absicht. Uns interessierte vielmehr die Frage, wie sich die Arbeit, die seit Jahrtausenden unzertrennliche und unumgängliche Begleiterin des Menschen, die ihn überhaupt erst zum Menschen gemacht hat, in der Dichtung widerspiegelt. Aber wir fanden keine Edition, die uns eine Antwort auf unsere Frage gegeben hätte.
Welchen Platz nimmt das Thema Arbeit im Schaffen unserer Klassiker ein? War ihnen auch nur die Fragestellung vertraut? Und welche Einstellung hatten bürgerlich-humanistische Dichter der jüngeren Vergangenheit zu diesem Problem? Betrachteten sie den arbeitenden Menschen nur von einer Position des Mitleids, oder ahnten sie, welche ungeheuren Veränderungen sich gleichsam unter ihren Augen in der Arbeitswelt anbahnten? Blieben sie ungerührt beobachtende Außenseiter, oder wurden sie angeregt, über ihre eigene Stellung in der kapitalistischen Gesellschaft nachzudenken? Welche Rolle spielt heute das Verhältnis des Menschen zur Arbeit in der deutschen Gegenwartsdichtung? Wie spiegelt sich in ihr das Antlitz des Menschen wider, der in der Vergangenheit gezwungen war, seine Arbeitskraft zu verkaufen, der vor kaum mehr als zwanzig Jahren vor den Trümmern seiner Stadt, seines Werkes und oft auch seiner persönlichen Habe stand und der heute bei uns an den Schalthebeln der technisch-wissenschaftlichen Revolution steht und als Herr über Natur und Gesellschaft ein neues Zeitalter emporführt?
Ausgehend von diesen Fragestellungen, erschien uns die deutsche Dichtung wie ein noch unbekannter, unentdeckter Planet, abschreckend durch seine ungeheuren Dimensionen und verlockend zugleich.
Von Anfang an hatten wir nicht die Absicht, die ganze Weltliteratur zu untersuchen. Das Ergebnis einer solchen Forschung wäre ja kein Buch, sondern eine Bibliothek, und der Versuch eine Lebensaufgabe für ein Kollektiv internationaler Literaturwissenschaftler. Aber auch bei dem Entschluß, uns auf die deutschsprachige Literatur zu beschränken, waren wir, wie eingestanden werden muß, nicht frei von Naivität. Je tiefer wir in die Materie eindrangen, desto höher wuchs der Berg von Büchern, die es zu berücksichtigen galt. Auch bei unserem bescheidenen Versuch nahm das Material beängstigende Dimensionen an.
Reichhaltigkeit und Vielseitigkeit wollten wir bieten, aber keineswegs Vollständigkeit, natürlich auch keine subjektive Zufälligkeit und geschmäcklerische Einseitigkeit, sondern eine konzentrierte, gültige Sammlung, die eine Vorstellung von dem vorhandenen Reichtum an Gedichten über dieses Thema vermittelt.
Bei der Auswahl war es unser Bemühen, die Vielfalt von Problemen, weltanschaulichen Aspekten und künstlerischen Aussagen bei der Darstellung des Verhältnisses des Menschen zur Arbeit sichtbar zu machen. Das einzelne Gedicht hat dabei fast immer eine stellvertretende Funktion für ungezählte andere, die nicht aufgenommen werden konnten.
„Von Goethe bis Brecht“ ist der Untertitel dieses Buches. Diese beiden Namen sind Markierungen, keine Grenzsteine. Es war gerade unser Bemühen, Vertreter der jüngsten literarischen Generation zu Worte kommen zu lassen, die sich oft in überraschend unkonventioneller Weise mit unserem Thema auseinandergesetzt haben und die Zeugnis ablegen für das hohe künstlerische Niveau der Lyrik in unserer Republik.
An dieser Stelle möchten die Herausgeber allen jenen von Herzen danken, die am Zustandekommen des Bandes maßgeblich beteiligt waren: dem Kulturfonds der DDR, mit dessen Unterstützung das Vorhaben in Angriff genommen werden konnte, den Verlagen, Autoren und Nachlaßverwaltern, die uns die Abdruckgenehmigungen erteilten, den bildenden Künstlern und den Museen unserer Republik, insbesondere der Deutschen Fotothek Dresden, die uns die Grafiken zur Verfügung stellten. Herrn Dr. Fritz Hüser, Leiter des Archivs für Arbeiterdichtung und soziale Literatur in Dortmund, dem wir wertvolle Ratschläge für die Auswahl der westdeutschen Lyrik verdanken, den Bibliotheken, die unermüdlich Berge von Büchern heranschafften – der Deutschen Staatsbibliothek, der Universitätsbibliothek Berlin, der Berliner Stadtbibliothek, der Carragiale-Bibliothek in Berlin-Pankow – Herrn Christian Löser, der als Außengutachter unserem Vorhaben wesentliche Impulse gab, Günther Deicke und Bruno Brandl im Verlag der Nation, mit denen uns in all diesen Jahren eine fruchtbare und kameradschaftliche Zusammenarbeit verband, und nicht zuletzt den Kollegen der Produktionsbetriebe, die dem Buch sein endgültiges Gesicht gaben.
So möge denn diese Anthologie, Ergebnis einer mehrjährigen Arbeit, hinausgehen und auf ihre Weise davon künden, „wie der Mensch zum Riesen wurde“.

René Schwachhofer und Wilhelm Tkaczyk, Vorwort

Von der Größe des Menschen

von seiner Furcht und seiner Hoffnung, seiner Mühsal und seiner Sehnsucht, von seiner Kraft, von seinem Willen zur Gestaltung und von seinem Glück spricht dieses Buch. Jeder, der es zur Hand nimmt, wird ein Stück seines eigenen Weges und Wesens darin finden. Immer ist die Begegnung mit der Welt der Arbeit, mit der Welt menschlichen Schöpfertums auch Selbstbegegnung.
Im Jahre 1949 erlebte ein junger Mensch, der nach Krieg und Gefangenschaft eben dabei war, seine mangelhafte Bildung so gut es ging zu vervollkommnen und sein Weltbild neu zu ordnen, im Deutschen Nationaltheater zu Weimar Goethes Fragment Pandora. Er, der Gedichte schrieb über den Flieder, über nächtliche Straßen, Schuld und Reue, war fasziniert von Goethes Vision einer Aussöhnung zwischen Prometheus und Epimetheus, einer Vereinigung von Tat und Traum, Nützlichkeit und Schönheit. Pandoras Wiederkehr sollte ein Reich des Friedens und des Glücks für die Menschheit bringen.
Pandora – das war in der antiken Sage das bildschöne, aber verruchte Göttergeschöpf, das Zeus den Menschen geschickt hatte, um sie für den Raub des Feuers durch Prometheus zu bestrafen. Hunger, Mühsal, Neid, Streitsucht, Krieg und Tod verbreiten sich über die Menschheit, als Epimetheus, entgegen dem Rat seines Bruders Prometheus, neugierig das schreckliche Göttergeschenk öffnet. Nur die Hoffnung behält Pandora in ihrer Büchse zurück, um vielleicht eines Tages wiederzukehren und eine glücklichere Welt zu erlösen.
Der junge Mann suchte nach der Quelle von Goethes Dichtung und fand sie bei Hesiod, dem Zeitgenossen Homers. Dort gibt es eine bedeutsame Weiterführung der griechischen Mythologie. In seiner Dichtung Werke und Tage läßt Hesiod aus all den Plagen, die eine rachsüchtige Gottheit über die Menschen gebracht hat, am Ende sogar einen Segen erwachsen: den Antrieb zur Arbeit. In jenem ersten großen Gedicht über die menschliche Arbeit, wird der Lobpreis ländlicher Tätigkeit eingekleidet 1n die beschwörenden Verse:

Arbeite, Perses, erlauchter Sproß, damit dich der Hunger
Hasse, dagegen dich liebe die schönbekränzte Demeter,
Die erhabene, und dir fülle die Scheuer mit Nahrung.

Arbeit bringt keine Schande, die Faulheit aber bringt Schande.

Die Herstellung des Pflugs, das Säen, Ernten, der Fischfang, die Besorgung des Hauses, das Leben mit dem Nachbarn, der ganze Jahreskreis des bäuerlichen Lebens wird hier, 700 Jahre vor unserer Zeitrechnung, ausgeschritten. Und vielleicht ist es gerade dieses mit großer Kunst vorgetragene unmittelbar Nützliche gewesen, das in der Antike die Legende entstehen ließ, Hesiod habe Homer im Sängerwettstreit besiegt.
Goethes kraftvolles Bild der Arbeit in seiner Pandora mag also auf Hesiods Anregung zurückgehen; vielleicht auch auf seine nachstehende Überlegung:

Mit Gedanken, die nicht aus der tätigen Natur entsprungen sind und nicht wieder aufs tätige Leben wohltätig hinwirken und so in einem mit dem jedesmaligen Lebenszustand übereinstimmenden mannigfaltigen Wechsel unaufhörlich entstehen und sich auflösen, ist der Welt wenig geholfen.

Studium und praktisches Leben sind zwei der wesentlichen Quellen, aus denen Goethe die Erfahrungswerte für sein Werk geschöpft hat. Während Schiller am „Lied von der Glocke“ schrieb, hat Goethe den Freund im Zusammenhang mit dem Entstehungsprozeß des Gedichts mehrfach auf die unmittelbare Anschauung handwerklicher Arbeit hingewiesen. In dem Gedicht „Vermächtnis altpersischen Glaubens“, einem der wesentlichsten Stücke im West-östlichen Diwan, sind ebenso altpersische Religionslehren enthalten wie die Erfahrungen des Staatsministers Goethe bei der Arbeit am Wasserbauwesen:

Auch dem Wasser darf es in Kanälen
Nie am Laufe, nie an Reine fehlen;
Wie euch Senderud aus Bergrevieren
Rein entspringt, soll er sich rein verlieren.

Sanften Fall des Wassers nicht zu schwächen,
Sorgt, die Gräben fleißig auszustechen;
Rohr und Binse, Molch und Salamander,
Ungeschöpfe, tilgt sie miteinander!

Habt ihr Erd und Wasser so im Reinen,
Wird die Sonne gern durch Lüfte scheinen,
Wo sie, ihrer würdig aufgenommen,
Leben wirkt, dem Leben Heil und Frommen.

In diesem Gedicht sprach Goethe eine wichtige Lebenserfahrung aus, die er im Druck hervorheben ließ:

Und nun sei ein heiliges Vermächtnis
Brüderlichem Wollen und Gedächtnis:
Schwerer Dienste tägliche Bewahrung,
Sonst bedarf es keiner Offenbarung.

Friedrich Engels hat in einer kurzen Studie den „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“ untersucht. Darin heißt es:

Arbeit zuerst, nach und dann mit ihr die Sprache, das sind die beiden wesentlichsten Antriebe, unter deren Einfluß das Gehirn eines Affen in das bei aller Ähnlichkeit weit größere und vollkommnere eines Menschen allmählich übergegangen ist. Mit der Fortbildung des Gehirns aber ging Hand in Hand die Fortbildung seiner nächsten Werkzeuge, der Sinnesorgane… Durch das Zusammenwirken von Hand, Sprachorganen und Gehirn, nicht allein bei jedem einzelnen, sondern auch in der Gesellschaft, wurden die Menschen befähigt, immer verwickeltere Verrichtungen auszuführen, immer höhere Ziele sich zu stellen und zu erreichen. Die Arbeit selbst wurde von Geschlecht zu Geschlecht eine andere, vollkommnere, vielseitigere. Zur Jagd und Viehzucht trat der Ackerbau, zu diesem Spinnen und Weben, Verarbeitung der Metalle, Töpferei, Schiffahrt. Neben Handel und Gewerbe trat endlich Kunst und Wissenschaft, aus Stämmen wurden Nationen und Staaten.

Goethe war sich dieser Kontinuität in der Entwicklung der Menschheit bereits durchaus bewußt. Schuf ihm die Arbeit einerseits ästhetisches Vergnügen (man denke an einige Abschnitte in Wilhelm Meisters Wanderjahre), so sah er in ihr andererseits ein umfassendes schöpferisches Prinzip. Der Gedanke der tätig-tüchtigen Gemeinschaft war eine der Grundlagen seines Kulturbegriffs.

Im Innern hier ein paradiesisch Land,
Da rase draußen Flut bis auf zum Rand,
Und wie sie nascht, gewaltsam einzuschießen,
Gemeindrang eilt, die Lücke zu verschließen.

Und das ist sein persönliches Bekenntnis:

Mein Losungswort ist Gemeinsinn, der sich, wenn er echt ist, mit Weltsinn recht wohl verträgt.

So gelangte er in die Nähe einer wissenschaftlichen Weltanschauung und und als Bürger auf der Höhe seiner Zeit. Schließlich hatte sich das Bürgertum durch die Arbeit emanzipiert und schickte sich auch in dem ökonomisch zurückgebliebenen Deutschland an, im Kampf gegen den Feudalismus die Führung der Nation zu übernehmen.
So modern uns Goethe auch mit seiner Einsicht in den schöpferischen Charakter der Arbeit erscheinen mag, so sollte man nicht übersehen, daß er hier in einer starken deutschen Literaturtradition steht, die bis in die Renaissance zurückreicht. Hans Sachs zum Beispiel wußte den Faulpelzen seiner Tage keine schrecklichere Vision entgegenzuhalten als – das Schlaraffenland. Auch die Gedichte von Voß und Bürger zeigen ganz deutlich eine scharfe antifeudalistische Tendenz.
Goethes Pandora blieb unvollendet, vielleicht aus der Erkenntnis des utopischen Charakters jener Versöhnung von Traum und Tat heraus, wie ja auch die Vision vom „freien Volk auf freiem Grund“ zu Goethes Zeit nur der blinde Faust haben konnte, der nicht sah, daß die Lemuren sein Grab schaufelten. Faust wird „gerettet“ als der sich immer strebend Mühende, nicht als der Sieger über die dunklen Mächte. Der Dichter war sich der Progressionen bewußt, aber er war ihrer nicht sicher. So konnte er zuversichtlich urteilen:

Ausbreitung der Technik hebt die Menschheit über sich selbst und bereitet der höchsten Vernunft die fertigsten Organe.

Und er mußte bangen:

Das überhandnehmende Maschinenwesen quält und ängstigt mich; es wälzt sich heran wie ein Gewitter, langsam, langsam, aber es hat seine Richtung genommen, es wird kommen und treffen.

Doch um wieviel weitschauender, selbst noch unter negativem Aspekt, um wieviel realistischer in der Erkenntnis des Problems sind solche Gedanken im Vergleich zu der rückwärtsgewandten Weltsicht der Romantik, die mit der Hinwendung zum Mittelalter in die Idylle der Schloßgärten und Mühlengründe flüchtete und allenfalls noch dem Dorfschmied Raum in der Poesie gab. Des Salinenassessors Hardenberg (Novalis) Bild vom freien Bergmann auf den Gebirgen, der „mit Freuden arm“ bleibt, wird durch die Wirklichkeit eines Volksliedes aus der gleichen Zeit schlagend widerlegt:

Ich ernte selten oder nie
die Frucht von meinem Fleiß;
der Müß’ge droben erntet sie,
getränkt mit meinem Schweiß.

In der bürgerlichen Dichtung der nachklassischen Zeit spielt der arbeitende Mensch noch immer eine gewisse, wenn auch untergeordnete Rolle. Das Thema wird nach vielen Seiten hin ästhetisch abgetastet, und das geht – bei Chamisso, Keller, Storm, Fontane – Hand in Hand mit dem Bemühen, beim arbeitenden Menschen jene humanistischen Lebensideale zu finden, die die herrschende Klasse bereits in zunehmendem Maße preisgab.
Wenn Goethe 1777 an Charlotte von Stein schrieb: „Wie sehr ich wieder… Liebe zu der Klasse von Menschen gekriegt habe, die man die niedre nennt, die aber gewiß für Gott die höchste ist! Da sind doch alle Tugenden beisammen, Beschränktheit, Genügsamkeit, grader Sinn, Treue, Freude über das leidlichste Gut, Harmlosigkeit, Dulden – Dulden – Ausharren…“ wenn Chamisso von seiner alten Waschfrau dichtete:

Und ich an meinem Abend wollte,
Ich hätte, diesem Weibe gleich,
Erfüllt, was ich erfüllen sollte,
In meinen Grenzen und Bereich…,

dann steckt in solchen Darstellungen, so liebenswert sie sind, natürlich ein gut Teil Verkennung der wahren Lage der arbeitenden Klasse. Es ist fast immer der Kleinbürger, der hier im Blickfeld des Betrachters steht und noch die Illusion einer möglichen Klassenharmonie gestattet.
Erst die revolutionären Dichter des Vormärz und der Märzrevolution von 1848 erkennen (unter dem Einfluß von Marx und Engels) den Klassencharakter der Gesellschaft und die Notwendigkeit des Klassenkampfes. Heinrich Heines Auseinandersetzung mit der „Romantischen Schule“ war viel weniger ästhetischer als philosophischer Art. Seine Beschäftigung mit sozialen Fragen geht weit über die von Marx und Engels kritisierte „Mitleidspoesie“ hinaus, die in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts aufkommen sollte; er verquickt Wirklichkeitsdenken mit Parteilichkeit und reicht bereits an Erkenntnisse des wissenschaftlichen Sozialismus heran. So wurde aus dem Kritiker der Bourgeoisie der Bundesgenosse der Arbeiterklasse.
Der erste bedeutende Dichter des Proletariats, Georg Weerth, konnte unmittelbar bei Heine anknüpfen. In dem großen Gedicht „Die Industrie“ weist er darauf hin, daß mit der Befreiung des Proletariats zugleich die ganze Menschheit befreit werde:

Was er verlieh, des Menschen hehrer Geist,
Nicht einem – allen wird es angehören!

tritt auch der Proletarier als Gestalt und als Vertreter seiner Klasse selbstbewußt in die Dichtung: Georg Weerths Kanonengießer, Freiligraths Schiffsheizer in der Ballade „Von unten auf“, Ferdinand von Saars Lokomotivführer. Einen Hauch davon, daß sich hier eine Kraft zu formieren beginnt, die in zunehmendem Maße das Bild der Gesellschaft bestimmen wird, spürt auch ein solch konservativer Dichter wie Liliencron. Das Bild des Arbeiters, das er zeichnet, zeugt nicht von Sympathie, aber er sieht die gesellschaftliche Realität, und er spürt, daß diese Entwicklung nicht aufzuhalten ist. Sein Ja zur Technik schließt das Ja zu den gesellschaftlichen Veränderungen letztlich ein. Und „Im Nachtzug“ vernimmt auch Gerhart Hauptmann „das Lied, so finster und doch so schön, das Lied von unserm Jahrhundert!“ Arno Holz, Richard Dehmel, Karl Henckell haben ihre besten Gedichte dem Erstarken der Arbeiterbewegung und ihrem persönlichen sozialen Engagement zu verdanken, ebenso die Dramen des jungen Hauptmann, mit allem, was vom Naturalismus bis zum heutigen Tage lebendig geblieben ist.
In dieser Bewegung greift der Arbeiter selbst zur Feder, um seine Umwelt und seine soziale Lage im Gedicht darzustellen. Wir denken an Heinrich Kämpchen, Leopold Jakoby, Max Kegel, Ludwig Lessen, Ernst Preczang.
1912 gründeten drei junge Schriftsteller, Josef Winckler, Wilhelm Vershofen und Jakob Kneip, allesamt Verehrer des Dichters Richard Dehmel, den Bund der Werkleute auf Haus Nyland. Sie fühlten die Verpflichtung, die Poesie der Großstadt, der Industrie, der Arbeit zu erfassen. Was ihnen, ergriffen vom „Triumph menschlicher Arbeitsgröße“ und von der „Dämonie industrieller Erscheinungen“, vorschwebte, war ein Phantom, nämlich eine „Synthese von Imperialismus und Kultur, Industrie und Kunst, von modernem Wirtschaftsleben und Freiheit“. Die Weltsicht dieser Dichter, die mitten im rheinischen Industriegebiet saßen, reichte letztlich nicht weiter als jene Rilkesche Mystifizierung der Arbeit im Stundenbuch: „Werkleute sind wir, Knappen, Jünger, Meister…“ – Ausdruck vergeblichen Bemühens, vor den Deformationserscheinungen der spätbürgerlichen Gesellschaft in eine idealistisch verklärte „Bauhütten“-Gemeinschaft zu flüchten. Illusionen, Teilwahrheiten, fragwürdig, mißbrauchbar, mißbraucht…
Aber dieser Vorwurf trifft nicht nur aus dem Bürgertum stammende Schriftsteller. Das Abrutschen des Arbeiterdichters Karl Bröger auf nationalistische Positionen im ersten Weltkrieg ist ihm bis heute nicht verziehen, obwohl doch das Versagen des einzelnen im Grunde das Versagen der deutschen Sozialdemokratie war und obwohl sich Bröger später persönlich dem Faschismus widersetzt hat. Und man kennt auch den Weg des „Arbeiterdichters“ Heinrich Lersch, zweifellos ein bedeutendes dichterisches Talent, der der Demagogie der Nazis erlag und neben dem Renegaten Max Barthel zum Kronzeugen der Deutschen Arbeitsfront wurde. Dabei ergab sich die paradoxe Situation, daß Karl Bröger im faschistischen Konzentrationslager saß, während seine Gedichte neben denen von Gerrit Engelke, diesem starken, ursprünglichen Dichter der Industrie, der 1918 bei Cambrai gefallen war, in faschistischen Schulbüchern standen.
Die große Traditionslinie der deutschen Dichtung über das Thema der Arbeit reicht von Goethe über die Kampfdichter des Jahres 1848 bis zur proletarisch-revolutionären Literatur der Zwanziger- und Dreißigerjahre. Gewiß! Aber in dem großen Zusammenhang unserer Sammlung gewinnen auch einzelne Gedichte von Rilke, Hofmannsthal, Winckler, Britting, Trakl und anderen eine unerwartete Leuchtkraft und erhellen auf ihre Weise den langen konfliktreichen Weg der Annäherung humanistischer Dichter aus dem Bürgertum an die in unserem Jahrhundert zur Führung der Nation berufene historische Kraft. Sicher haben diese Dichter bei ihrem Bemühen, sich mit der Arbeitswelt ihrer Tage auseinanderzusetzen, nur Teilwahrheiten gefunden, aber wir möchten diese Stimmen, abgesehen von ihrem literarischen Wert, nicht missen, weil sie einen interessanten Einblick in die großen gesellschaftlichen Umwandlungsprozesse unserer Epoche gewähren.
Georg Heym, Ernst Stadler, Paul Zech gelangten in der gewitterschwülen Atmosphäre am Vorabend des ersten Weltkriegs oder unter dem Eindruck des eigenen Kriegserlebens zu weiter reichenden Erkenntnissen. Und die charaktervollsten, politisch konsequentesten Dichter aus dem Bürgertum fanden schließlich ganz auf die Seite des Proletariats: Erich Weinert, Johannes R. Becher, Bertolt Brecht, Friedrich Wolf, Rudolf Leonhard, Erich Arendt…
In ihnen zeichnet sich die Bewegung der Epoche ab: Immer mehr tritt die Gestalt des Arbeiters nun auch als Gegenstand der Kunst hervor, und in dem Maße, wie die historische Rolle der Arbeiterklasse erkannt wird, gewinnt die Dichtung nationale Größe. Und es wächst bereits die Erkenntnis, daß die Arbeit das höchste gesellschaftliche Prinzip des Sozialismus sein wird. Das zeichnet sich ganz klar in Johannes R. Bechers um 1925 geschriebenem Gedicht „Die Fabrik“ ab, das jene Bewegung der Epoche an einem einzigen Bild, an einer Fabrik am Stadtrand, sichtbar macht – bis hin zu jenem Tag, an dem das Werk den Arbeitern gehören wird. Was damals utopisch geklungen haben mag, lesen wir heute wie eine Selbstverständlichkeit. Dieses Gedicht ist eins der ersten, in dem idealistische Züge im früheren Schaffen Bechers überwunden sind, ohne daß auch nur ein Gran poetischer Kraft verlorengegangen wäre. Und es hat überaus anregend auf die damals jungen proletarischen Schriftsteller wie Hans Marchwitza, Kurt Kläber, Emil Ginkel, Kurt Huhn, Hans Lorbeer, Wilhelm Tkaczyk und andere gewirkt, die durch ihre Erfahrungen im Klassenkampf zu Dichtern wurden.
Diese Dichtung, die von der Darstellung des Arbeiterelends in den Krisenjahren nach dem ersten Weltkrieg ausgeht, die im politischen Kampf erstaunlich schnell reift, immer festere Positionen gewinnt, bewußter, kämpferischer wird, reißt gesellschaftliche Hintergründe auf und gibt auch den Ausblick nach vorn, so in den Versen Walter Bauers:

Mächtig rundet sich vor unserem Blick die Welt,
die freie Erde,
wenn wir erobern die Universitäten!

Das geht ein in das Lied des Widerstands gegen den Faschismus, in den Kampf der deutschen Emigranten. Mitunter ist behauptet worden, die Arbeiterdichtung sei mit Beginn des Faschismus zerschlagen worden und auch nach 1945 nicht wieder zum Leben erwacht. Aber die Arbeiterdichtung ist spätestens mit Formierung der antifaschistischen Front in der sozialistischen Dichtung aufgegangen. Kubas „Bergarbeiterlied“, 1937 in der tschechischen Emigration geschrieben, Lorbeers Gedichte aus dem Gefängnis, Arendts Verse aus dem spanischen Freiheitskampf, das in einem faschistischen Konzentrationslager entstandene. „Lied der Moorsoldaten“ und Bertolt Brechts Deutsche Kriegsfibel sind aus einem Stamm. Der geistige Kampf gegen den Faschismus war wirksam und zukunftsträchtig nur als antiimperialistischer Kampf.
Und eine Arbeiterdichtung, wenn sie mehr sein wollte als bloße Jeremiade, konnte schon in den zwanziger Jahren an der Existenz der Sowjetunion, als des ersten Arbeiterstaates der Welt, nicht vorübergehen. Eine neue Welt war dort entstanden, die von sich zu sagen vermochte, sie habe den Klassenkampf beseitigt. Voller Stolz schrieb Johannes R. Becher über die Stadt Dnjeprostroj:

Großes ist geschehn.
Großes haben die Menschen geschaffen.
Aber das Größte hatten sie nicht erreicht.

Es wohnen nebeneinander die Menschen,
Eng wohnen sie nebeneinander in den Großstädten.
Aber die Gedanken der Einen
Sind nicht die Gedanken der Anderen,
Die Taten, die die Einen tun,

Richten sich gegen die Taten der Anderen,
Die Worte,
Die sie in derselben Sprache sprechen,
Sind zweierlei Worte:

Klasse kämpft
Gegen
Klasse.

Wir, die Stadt Dnjeprostroj,
Werden Euch zeigen, wenn Ihr zu uns kommt,
Wie wir diese Zweiteilung aufgehoben
Und die Einheit hergestellt haben.

Und so hat es Bertolt Brecht gesehen bei der „Inbesitznahme der großen Metro durch die Moskauer Arbeiterschaft am 27. April 1935“:

Als nun die Bahn gebaut war nach den vollkommensten Mustern
Und die Besitzer kamen, sie zu besichtigen und
Auf ihr zu fahren, da waren es diejenigen
Die sie gebaut hatten.

Wo wäre dies je vorgekommen, daß die Frucht der Arbeit
Denen zufiel, die da gearbeitet hatten? Wo jemals
Wurden die nicht vertrieben aus dem Bau
Die ihn errichtet hatten?
Als wir sie fahren sahen in ihren Wagen,
Den Werken ihrer Hände, wußten wir:
Dies ist das große Bild, das die Klassiker einstmals
Erschüttert voraussahen.

Wir haben hier zwei Gedichte recht umfangreich zitiert, weil wir meinen, daß sie beide einen gesellschaftlichen Wendepunkt markieren. „Als Bauherren die Bauleute!“ Das klingt im Gedicht wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Aber heute erscheint uns der Begriff „Volkseigener Betrieb“ schon wie eine Selbstverständlichkeit. In der Deutschen Demokratischen Republik hat sich eine Weltwende begeben, und wir haben sie hingenommen wie ein Neubauprojekt. Das Beispiel des sozialistischen Aufbaus, wie es die Sowjetunion vorgelebt hat, ist in unserer Republik unter den besonderen Bedingungen der deutschen Nachkriegssituation verwirklicht worden. Wer denkt noch daran zwischen Schwedt und Leuna, Hoyerswerda und Rostock, auf dem Gelände der Technischen Messe in Leipzig oder in Eisenhüttenstadt, in welch kompliziertem Prozeß dies alles gewachsen ist! Auch wir könnten mit dem gleichen Stolz wie Dnjeprostroj sagen: Wir werden euch zeigen, wenn ihr zu uns kommt, wie wir die Zweiteilung aufgehoben und die Einheit hergestellt haben. An diesem überaus schwierigen Aufbauwerk hatten alle Schichten der Bevölkerung, für immer in einem festen Bündnis vereint, ihren Anteil.
Am Ende dieser Entwicklung wird jenes „Reich des Menschen“ stehen, das Johannes R. Becher ein Leben lang gesucht, erträumt und für das er in vielen seiner Gedichte Zeugnis abgelegt hat.
Die letzten Abschnitte des Buches geben auf ihre Weise eine Bilanz der Entwicklung unserer Lyrik in den vergangenen zwanzig Jahren, und das Ergebnis ist nicht nur durch die Vielfalt der Probleme und persönlichen Aspekte bemerkenswert, sondern auch durch sein künstlerisches Niveau. Namen wie Brecht, Becher, Fürnberg, Huchel, Maurer, Hermlin, Fühmann, Wiens, Kunert, Berger, Braun, Preißler, Kirsch bis hin zu den jüngsten Repräsentanten unserer Lyrik gehören heute schon im besten Sinne des Wortes zur Nationalliteratur.
Auch in Westdeutschland sind in den letzten Jahren, vor allem unter den Arbeitern des Ruhrgebiets, beträchtliche Fortschritte beim literarischen Erfassen der Arbeitswelt unserer Tage zu verzeichnen, nachdem lange Zeit, abgesehen von sozial engagierten Dichtern wie Günter Eich, Karl Krolow, Hans Magnus Enzensberger, Klaus Piontek, Arno Reinfrank und anderen, die Arbeit und das Antlitz des arbeitenden Menschen offenbar kaum für ein literaturwürdiges Thema gehalten wurde. Noch in jüngster Zeit klagte Heinrich Böll in einem Vorwort zu einem sowjetischen Roman:

Die Suche nach einem neuen Realismus in der Bundesrepublik kommt nicht von ungefähr. Doch noch immer nicht hat unsere Literatur die Arbeitswelt entdeckt, von der Welt der Arbeiter ganz zu schweigen.

Viel ist in letzter Zeit von der im Ruhrgebiet beheimateten Gruppe 61 gesprochen worden. Diese Dichtung knüpft, zugegeben oder nicht, an die deutsche Arbeiterdichtung der zwanziger Jahre an. Was gewachsen ist in der Zwischenzeit von gut vierzig Jahren – die Veränderungen im äußeren Bild des literarischen Gegenstandes, der höhere Kunstwert in der Darstellung –, ändert nichts an der Tatsache, daß hier eine Welt abgebildet wird, in der die Arbeit noch immer Fron ist. Selbst das Bemühen einzelner Theoretiker, den Dichtern dieser Gruppe einzureden, das Thema der Arbeit sei untendenziös, „ideologiefrei“, nimmt dieser Dichtung nichts von ihrem wahren Charakter. Der Klassenkampf ist im Gegenstand enthalten, und der Gegenstand ist noch immer die Arbeitswelt in der Ausbeutergesellschaft. Die besten Gedichte von Hildegard Wohlgemuth, Josef Büscher, Willy Bartok, Arthur Granitzki, Kurt Klüther lassen daran ebensowenig zweifeln wie die Reportagen von H. Günter Wallraff oder der Roman Irrlicht und Feuer von Max von der Grün. Der Verlauf einer Diskussion mit Max von der Grün, die anläßlich der Aufführung des gleichnamigen Fernsehfilms im Ruhrgebiet vor kaum einem Jahr stattfand, bewies, daß sich die herrschenden Kreise Westdeutschlands und die von ihnen beeinflußten kleinbürgerlichen Schichten durch solche Werke durchaus provoziert fühlen.
Es ist sehr gut möglich, daß manchen Mitgliedern der Gruppe 61, mit der sich die Schriftsteller unserer Republik freundschaftlich verbunden fühlen, die Darstellung unserer Arbeitswelt unwirklich erscheint, daß sie eine „nonkonformistische“ Einstellung unserer Schriftsteller zu ihrem Staat vermissen. Es gibt da die seltsamsten Vorstellungen. Wenn zum Beispiel ein angesehener Literaturwissenschaftler wie Walter Jens in diesem Zusammenhang abfällig von einer „Traktoristen-Emphase östlicher Herkunft“ spricht, dann zeugt das einfach von schlichter Unwissenheit; denn jeder kann sich davon überzeugen, daß neben den kleinen Prosaformen gerade die Lyrik zu den überzeugendsten Leistungen der Literatur in unserer Republik gehört.
Dichtung über das Verhältnis des Menschen zur Arbeit muß heute, wenn sie auf der Höhe ihrer Zeit stehen will, Weltanschauungsdichtung sein. Wie der Arbeiter im volkseigenen Betrieb über seinen Arbeitsplatz hinaus den Produktionsprozeß zu überschauen bestrebt ist, muß auch die Arbeitswelt in der sozialistischen Gesellschaft künstlerisch umfassender dargestellt werden. Die technisch-wissenschaftliche Revolution, die im Kapitalismus die Entfremdung des Menschen von der Arbeit vertieft, macht im Sozialismus den Menschen zum Gestalter seiner Geschicke. Er erwächst, wie Kuba in seinem großen Poem „Gedicht vom Menschen“ sagt, „stolz und herrenlos:  D E R  H E R R  D E R  E R D E“.
Die Vision vom freien Volk auf freiem Grunde beginnt Realität zu werden. Prometheus und Epimetheus sind versöhnt, Tat und Traum, Nützlichkeit und Schönheit vereinigt. Der von Goethe geplante, aber nicht ausgeführte zweite Teil der dramatischen Dichtung Pandora beginnt sich zu verwirklichen: Pandora kehrt wieder und bringt den Menschen die guten Gaben, Wissenschaft und Kunst, um die menschlichen Wesenskräfte zu bereichern, und sie verkündet ein Reich des Friedens und des Glücks.

Im Anfang war die Arbeit. Nimm die Hand,
Betrachte sie als Spiegel deines Werdens!

Die Dichtung unserer Gegenwart, die sich der Arbeit, dem schöpferischen Werk der Schöpferkraft des Menschen zuwendet, hat wieder den großen Atem klassischer Dichtung. Und sie steht in weltweiter Korrespondenz. Majakowski ist hier lebendig wie Paul Eluard. Wir hören die Botschaft Pablo Nerudas:

Der Mensch
wird trennen das Licht von der Finsternis,
und so,
wie er seinen eitlen Stolz bezwang
und einsetzte seinen Plan,
wird er weiterbauen
die Rose der Gemeinsamkeit,
wird er zusammenfügen auf Erden
den spröden Stoff des Glücks,
und aus Vernunft und Stahl
wird das Gebäude erwachsen
aller Menschen.

Günther Deicke, August 1968, Vorwort

 

Von der Größe des Menschen,

von seiner Furcht und seiner Hoffnung, seiner Mühsal und seiner Sehnsucht, seiner Kraft und seinem Glück kündet dieses Buch. Aus eineinhalb Jahrhunderten deutschsprachiger Dichtung wurden die künstlerisch interessantesten Äußerungen über das Verhältnis des Menschen zur Arbeit zusammengestellt. Dieses Problem hat schon Goethe beschäftigt, es hat die revolutionären Dichter des Vormärz und des Jahres 1848 zu leidenschaftlichen Konfessionen entflammt. Es hat viele Arbeiter veranlaßt, in eigenen dichterischen Versuchen sich ihrer Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft bewußt zu werden. Fast unübersehbar schließlich ist der Schatz der Gedichte, die in unserer Epoche die Welt der Arbeit widerspiegeln.Welche Fülle großer Namen, welche Vielfalt der künstlerischen Aussage! Unsere Sammlung mit mehr als 360 Gedichten bietet ein erregendes Bild der sozialen Kämpfe in Deutschland seit dem Ende des 18. Jahrhunderts. Der Band ist reich mit Grafiken namhafter Künstler wie Chodowiecki, Menzel, Liebermann, Zille, Baluschek, Käthe Kollwitz, Sella Hasse, Grosz, Dix, Felixmüller, Hofer, Pankok, Lingner, Hans und Lea Grundig, Nerlinger, Mohr, Bergander, Arnold, Marcks, Cremer und Masereel ausgestattet.

Verlag der Nation, Klappentext, 1969

 

Fakten und Vermutungen zu René Schwachhofer + Kalliope

 

Fakten und Vermutungen zu Wilhelm Tkaczyk + Archiv + Kalliope
Nachruf auf Wilhelm Tkaczyk: ndl

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