DIE BILDER
Die Bilder bleiben nicht, wir bleiben heiter
Ein letztlich heiteres Geschlecht, weil diese gehen
Bis wir nicht mehr sie selbst, nur ihr Verschwinden
aaaaasehen.
Gut, daß sie fliehn. Wir können sie nicht fliehen
Ihr einziger Weg ist: Weg von uns; das treibt sie
aaaaaweiter
Als wir mit unseren aufgeschlagnen Knien
Jetzt gehen sollten. Schon geht wunderbar
Anstatt des Bilds sein schnelles Fliehen uns an, noch schneller
(Das Bild wird dunkler und der Blick wird heller)
Bleibt uns nur wunderbar noch, daß es war.
Gut, daß es schwindet! Anders schwänden wir
Vor unseren Bildern hin und wären nicht mehr hier.
er ist ein Mann, der auch Verse macht. Er hat wenige Gedichte geschrieben, noch weniger veröffentlicht, und jedes ist ein Meisterstück. Der Gedankengang ist konzentriert und überraschend; das Urteil entschieden und ohne Fanatismus; der Satz fest und unangestrengt; die rhythmische Bewegung leidenschaftlich und beherrscht; aus dem Kern gearbeitet.
Karl Mickel, Verlag Neues Leben, Klappentext, 1975
Richard Leisings Gedichte sind wortgetreu wie Protokolle, aber sie durchbrechen Vers für Vers die Wiederholung des vorgegebenen Textes. Ihre vielfältige Bindung an die gesellschaftliche Bewegung, stets ein Merkmal realistischer Dichtung, ermöglicht zugleich die subjektive Sicht, durch die sich die Objektivierung der Welt erst herstellt. Diese Gedichte sind von jener gelösten Heiterkeit, die undenkbar ist ohne den hohen Respekt vor dem Menschen. Leising unterbreitet Vorschläge, denen zugestimmt oder wiedersprochen werden kann, aber der Widerspruch wird produktiv sein: es handelt sich um Gedichte aus diesem besseren Land.
Verlag Neues Leben, Ankündigung
Richard Leising ist, obwohl er kaum mehr als fünfzehn Gedichte hat drucken lassen, in jeder ernsthaften Anthologie der DDR-Poesie vertreten; er gehört mit Mickel, Braun, Endler zu den wichtigen Dichtern der mittleren Generation. Die Sparsamkeit seiner Produktion macht, daß er so etwas wie einen Personalstil nicht entwickelt hat; wo andere eine einmal gefundene poetische Technik an mehreren Gegenständen proben und modifizieren, läßt es Leising bei einem Werk und braucht für das nächste ein ganz anderes Arsenal von Mitteln. Was dabei herauskommt, ist allerdings so gearbeitet, daß man die ungeschriebenen Zweit- und Drittgedichte verschmerzt – wenngleich man weiß, daß übertriebene Strenge Purismus werden kann und manch berühmtes Gedicht nur ein oder zwei wirklich große Strophen enthält. Leisings Dichtung ist, wie die vieler seiner Altersgenossen, kunstvolle Beschreibung, die ohne Metaphern im engeren Sinn auskommt (im Gedicht „Der Sieg“ sind die Metaphern Zitat, also bloßgestellt); kürzlich haben Literaturwissenschaftler (Sinn und Form 1/1974) diesen Verzicht bedauert. Sie vergessen damit einmal den Kontext, in dem Poesie steht (die Sprache der Massenmedien ist heute gesättigt von zum Teil höchst bizarrer und irrationaler Metaphorik, die, um zu einer neuen poetischen Metapherntechnik zu kommen, zunächst aufgebrochen werden müßte); zum anderen übersehen sie einen Hinweis Goethes aus Maximen und Reflexionen, nach dem es „Gedichte ohne Tropen“ gibt, die „selbst ein einziger Tropus sind“. In der Tat sind die Arbeiten Leisings, wie protokollierend sie sich geben mögen, als Ganzes Metaphern, weisen also über sich hinaus und sind weder auf den berichteten Sachverhalt noch auf eine Schlußsentenz zu reduzieren; eben hier ist ihre Poetik etwa der Reiner Kunzes, bei dem das Gedicht oft auf eine entschlüsselnde Pointe hinarbeitet, entgegengesetzt. Wenn Leisings Poesie aufklärerisch ist, so im höheren Sinn des Wortes; was ein strahlend daherkommendes Gedicht wie „Der Sieg“ so intensiv und still böse macht, ist nicht Schulmeisterei, noch eine Geste, die Wahrheiten in die Menge schleudert, sondern Präzision, die die Epoche faßt. Man wird von diesem Dichter noch hören.
Rainer Kirsch, 1973
– Richard Leising 1934–1997. –
Richard Leising, der sächsische Dichter, hielt auf Genauigkeit. Wenn Oscar Wilde die Mühsal des Poetenalltags einst einer Dame beim Souper so beschrieb: „Vormittags habe ich ein Komma eingesetzt, nachmittags es wieder gestrichen“, konnte derlei Suche nach dem rechten Kunstgriff sich bei Richard über Jahre, ja Jahrzehnte hinziehen; daß die Weltläufe ihm dabei mitunter ins Wortmaterial spukten, ertrug er mannhaft. So in einem merkwürdigen, „Homo sapiens“ betitelten Gedicht, das anhebt „Der Mensch lebt nicht von Brot allein / Er will auch sein Rettich und Eisbein“, mit allerlei Knittel-Kapriolen auf den Schlagreim „Zu einem richten Arbeiterstaat / Gehört ein richtiger Kartoffelsalat“ zuläuft und Anfang der sechziger Jahre schließt
Der Mensch lebt nicht von Brot allein
Also führt er den Kommunismus ein.
Der Kommunismus, erinnere ich höflich, gilt Marx als derjenige Zustand des Gemeinwesens, da alle Grundbedürfnisse befriedigt sind und jenseits der materiellen Produktion das „Reich der Freiheit“ beginnt, darin jeglicher, statt einen Beruf, mehrerlei Beschäftigungen lustvoll kenntnisreich nachgeht; ganz marxistisch bestand Leising damals darauf, kein Dichter zu sein, sondern jemand, der auch dichtet. 1975 freilich, als seine Gedichtsammlung Poesiealbum 97 in der DDR herauskam, war die jugendliche Gewißheit dahin; es hieß nun
Der Mensch lebt nicht von Brot allein
Es müßte ganz schnell Kommunismus sein.
− die Utopie wird als Nirgend-Ort kenntlich gemacht, gleichwohl als Ideal hochgehalten. Was aber 1990, da Langewiesche-Brandt unter dem Titel Gebrochen deutsch die fünfunddreißig Gedichte umfassende bibliophile Gesamtausgabe vorbereitete? „Kommunismus“ war als Schimpfwort zerredet, der eigene Erläuterer mochte Richard nicht werden; andererseits, mag er in seinem Herzen „voll fröhlicher Kälte“ – die Formel ist von 1967 – erwogen haben, war es schade um das schöne Gebilde, und ein Chemnitzer Sachse läßt nichts umkommen. So daß er, Meister Hegel folgend, die Schlußstrophe aufhob (bewahrte, annihilierte, auf höhere Stufe lüpfte); die Fassung letzter Hand lautet
Der Mensch lebt nicht von Brot allein
Aber es muß da sein.
(mit dem Akzent auf „da“): Richard war, bei aller Liebenswürdigkeit im Umgang, einer der dickköpfigsten Menschen dieser Erde, die Nachwelt verdankt seiner Sturheit die kürzeste und vollständigste Beschreibung einer wünschenswerten Menschheitsverfassung, die sich denken läßt.
Man rechnet Leising, mit Recht, zur sächsischen Dichterschule. Deren Kennmale sind, meint ein Freund, „Sanguinik, Weltbezug, Handwerksernst“ und „Bestehen auf Vernunft“: Nur der Genußfähige vermag Schönheit zu erkennen und hervorzubringen; das Alltägliche ist kunstwürdig wie die Phantasie, die aus ihm blüht; Gedichte bestehen aus Versen, nicht aus Wörtern; wer angesichts der Welträtsel Schweigen für verdienstvoll hält, soll, statt zu erzählen er schweige, schweigen. Anders als seine Kollegen Volker Braun, Adolf Endler, Karl Mickel aber hat Richard Leising einen Personalstil nie entwickelt, sondern jeden Text gleichsam vom poetischen Urgrund her frisch erfunden. Gröbliches steht neben Zartem, politisch Ironisches neben gelassen schwingender Betrachtung; es ist seltsam zu lesen, wie die Gedichte gleichwohl zueinander gehören und miteinander, und zu uns, über die Zeiten weg reden.
Rainer Kirsch, Juni 1997
LEISING
Du kannst dich selber nicht tragen
Du hast alles satt
Trägst dein Kindergesicht wie ein König
Der alle Reiche verloren hat.
Kratzt
Schreibst mit Kinderschrift
Kreide auf Stein
Höhlenzeichen am Mauerrand ein.
Fällt ein Pferd um trägst du den Wagen.
Inge Müller
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