Richard Pietraß: Lustwandel

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Richard Pietraß: Lustwandel

Pietraß/Lepke-Lustwandel

STURZFLUG

Die Tage, die wir verbrennen, rücken
Einander nah. Die Stunden, die wir verrennen
Und was im Schlaf geschah. Wege
Liegen im Weg. Schwarz steht die Wolkenwand.
Und doch kommst, gelocktes Schäfchen
Du übern Himmel geflammt. Der wetzt
Sein blaues Messer. Du fällst
In meinen Kuß, der Asche
Schmeckt und Apfel und genügen muß.

 

 

 

Wie Singdrosseln und Sardinen

vor ihren wegelagernden Fressfeinden den Schutz des Schwarms suchen, ballen sich die kleinsten und feinsten Gedichte von Richard Pietraß, von ihm krude als „Krill“ abgetan, vor seinen liebestollen Freunden zu pulsenden Pulks.
Die Kuß- und Moskissenreise führt ins Wendland, nach Paris und Pennsylvania und vollbringt mit mozartischer Feder die Ehrenrettung von erotischem Medaillon und europäischem Haiku.

Verlag SchumacherGebler, Ankündigung

 

Zitronenfalter und Melonenkern

Der Bauernkalender weiß es seit vielen hundert Jahren: „Lichtmess verlängert den Tag um eine Stunde für Leute und Hunde“ und er meint den zweiten Februar, das Ende der Lichtkerzenzeit, an dem das Bauernneujahr gefeiert wird, nicht immer ganz schicklich, mit Wein, Weib und Gesang.
Dem „Erdengel seiner Lichtmessen“ hat der Lyriker Richard Pietraß die jüngste Gedichtsammlung Lustwandel zugeeignet. Was für eine schöne Widmung. Wem da nicht das Herz aufgeht, der soll im Kalten bleiben. Und: Was für ein Buch (Manfred Richter hat es gestaltet), sorgfältig in der Centaur, Monotype gesetzt, leicht und klar konturiert und kongenial ergänzt durch fünf Arbeiten Gerda Lepkes auf Japanpapier: luftige Aquarelle, Deckweiß, Tusche, als „schwesterliche Beigabe“ erkennbar, nicht miss zu verstehen als Beiwerk, als Illustration; lila Einbanddeckel, Lesebändchen dito.
Und was für Gedichte – reichlich hundert an der Zahl, keines länger als neun Zeilen, keines kürzer als drei, ein halbes hundert Haikus inklusive, geschrieben zwischen 2007 und 2011 und reihenweise aufgestellt in drei Abteilungen Sie heißen „Traumsaum“ und „Pariser Lust“ und „Sternenstaub“. Naturgedichte sind es, Liebesgedichte, Weltgedichte. Heiter, sarkastisch, sprachverliebt, andächtig und nachdenklich, kommen sie allesamt ohne Pathos und ohne Zeigefinger aus.

Braunbier säuert am Boden. So wenig
Bin ich gereift, dass ich mit Hölderlinhoden
Nach Eissternen greif. Und dir ins Lustgetriebe.
Trägst meine Last mit List. Die du mir
Zitronenfalter und Melonenkern bist.
(„Niederlage“)

Gefeiert wird der Moment und dessen heitere oder bittere Summe, Musik die über das Wasser weht, die notenbelaubte Linde, der Sonnenflug ans Blätterklavier – feierlich wird es nie, und was in den spielerisch, leichten Fußes daher kommenden Versen da und dort zunächst als romantische Verklärung aufscheint, hat seinen raufasrigen Hintergrund, auf dessen Folie Richard Pietraß an der Wegscheide zwischen Traum und Wirklichkeit seine Zwischenwelt entwirft, in der alles Mögliche beunruhigend möglich wird. Wo man Stimmen hört, die als Suchtrupp die Adern heraufkommen. Wo das eigene Gesicht in der Zeitung als Mond in abnehmender Phase auftaucht:

Lachfalten und lange Leitung
Handbreit überm Rasen. Krähenfüße und Kratzfuß
Duzfuß mit dem Tod. Mein Name meistens Hase
Wappen mein Pfauenrad.

(„Zeitgesicht“)

Dem mit „Pariser Lust“ überschriebenen Kapitel widmet der Dichter, neben anderen, eine Melange von Wortspaß versessenen amüsanten Texten, Kobolz schießenden Gebilden, in denen über „Ochsenbäckchen in Schwanzbouillon. Stein- / Pilzpimmel von gepfefferter Karte“ („Liebesmahl“) schwadroniert oder „von Hecke zu Hecke… zwischen Quappen, Quendel und Quecken“ alliterierend lustwandelt wird. („Lustwandel. Jardin des Plantes“) Man liest es mit großem Vergnügen.
Stärker haften wohl dennoch die einem leiseren Ton verhafteten Sentenzen: „Kiefernkerzen vorm Fenster, gezündet, / Im Grillenkonzert wiegt uns die Brise, die kühlend / In knisternde Laken fährt. // („Wachnacht. Hôtel de l’Horloge“) oder die den Band als schwebende Sternenstaubwolke beschließenden meisterlichen Haikus. In einem heißt es und hallt lange nach:

Spitzeichblatt
Noch im Fallen weist du
In alle Himmel

Norbert Weiß, Signum, Heft 2, 2015

Richard Pietraß: Lustwandel

– Ein Gedichtbuch für alle Sprachsensiblen und Sprachverliebten und Verliebten sowieso… –

Richard Pietraß ist einer der wichtigen deutschen Lyriker, und als solcher war er in verschiedenen Kampfgebieten der deutschen Lyrik im Einsatz, z.B. von 1975 bis 1979 als Lektor für Lyrik im Verlag Neues Leben, DDR, und zugleich als Redakteur der Literaturzeitschrift Temperamente. Von 1977 an gab Pietraß die berühmte Lyrikreihe Poesiealbum heraus. Nach der Wiedervereinigung war er von 2009 bis 2012 – in Nachfolge von Bernd Jentzsch – wieder Herausgeber der Lyrikreihe. Und er hat zwei Dutzend Gedichtbände herausgebracht.
Richard Pietraß bietet in seiner neuen Gedichtzusammenstellung kurze kleine feine Texte an, die von Sprachverliebtheit und Sprachsensibilität nur so strotzen und die sich dem Dichter gleichsam aus der Seele wie aus dem Sprechakt ringeln, denn dies sind auch Sprechgedichte, schön auch dadurch, dass die kleinen Gegenstände der Gedichte hier im Schutz des Schwarmes „Gedichtbuch“ uns vor Augen und Herzen schwimmen und flattern. Man kann in diesem Gedichtbuch hin und her blättern und sich lesend hie und da einnisten.
Es sind vor allem Natur-und Liebesgedichte, es gibt Kuss- und Mooskissenreisen in den märkischen Sand und ins niedersächsische Wendland, es geht aber auch nach Paris und Pennsylvania. Pietraß selbst ist ein barocker oder auch bacchantischer Typ, der aber in seiner Lyrik immer wieder feine, fast mozartische Töne kreiert. Es gibt aber auch erotische Speisegedichte im neuen Band, Pietraß schreibt:

(…) Ochsenbäckchen in Schwanzbouillon
Steinpilzpimmel von gepfefferter Karte
Pappsatt topflappenschlapp
(…)

Im Titel Lustwandel deutet Pietraß das Wort in seiner Vielfalt, man kann zwischen den Texten quasi lustwandeln, und da es um Liebe geht, spielt auch Erotik eine entscheidende Rolle, der männliche Sprecher hat dabei mitunter durchaus etwas Bockähnlich-Schmeichelndes, aber auf hohem ästhetischen Niveau, es ist sozusagen ein Lust, und da der Autor des Ganzen ja auch älter wird, ist „Lust-Wandel“ natürlich auch als Wandel des Lust-Genusses interpretierbar.
Richard Pietraß’ Ton ist in diesen Gedichten meist schnurrend heiter. Hier hat sich Pietraß zur klugen, genießenden Gelassenheit des reifen Dichters entschlossen.
Das Kapitel „Sternenstaub“, das sind Haikus, kennt man bereits aus einer anderen Veröffentlichung, aber es passt zu den anderen neuen Texten im Band. Hervorzuheben sind auch die eingefügten Aquarelle von Gerda Lepke, pralle, kleine bunt-verkritzelte Beifügungen, die die ästhetische Kraft des Buches befördern.
Ein Gedichtbuch für alle Sprachsensiblen und Sprachverliebten und Verliebten sowieso, und für alle, die ein anspruchsvolles Nicolaus- oder Weihnachtsgeschenk suchen, und für alle, die noch nicht taub geworden sind im öffentlichen Gezeter und Marktgeschrei.

Salli Sallmann, kulturradio.de, 27.11.2014

 

AUSREISEN
für Richard Pietraß

Der schönste von allen Tänzen
Ist der Tanz über alle Grenzen
aaTanz nach hier und tanz nach da
aaHeute fern und morgen nah
aaSehen was ich noch nie sah
aaaFliegen fliegen fliegen
aaaDavon – eh sie uns kriegen
aaaFahren fahren fahren
aaaAllein – oder in Scharen
aaaReisen reisen reisen
aaaSchnell – ehe wir vergreisen
aaSehen was ich noch nie sah
aaHeute fern und morgen nah
aaTanz nach hier und tanz nach da
Der schönste von allen Tänzen
Ist der Tanz über alle Grenzen

B.K. Tragelehn

 

 

Richard Pietraß Lesung und Gespräch mit Sebastian Kleinschmidt am 27.3.2018 im Haus für Poesie

Zum 70. Geburtstag des Autors:

Jan Wagner: Lob des Spreewals
Der Tagesspiegel, 11.6.2016

Stefan Sprenger: Dass der Mensch der Stil sein möge
Sprache im technischen Zeitalter, Heft 218, Juni 2016

Fakten und Vermutungen zum Autor + Instagram + KLG 1 & 2 +
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Das Pietraß _______ Aus einem Bestiarium Literaricum, aufgefunden im Archiv des Museo Rhinum; übersetzt von Peter Böthig

 

Bild von Juliane Duda mit den Übermalungen von C.M.P. Schleime und den Texten von Andreas Koziol aus seinem Bestiarium Literaricum. Hier „Der Pietraß“.

 

Richard Pietraß liest am 4.5.2018 für planetlyrik.de die 3 Gedichte „Hundewiese“, „Klausur“ und „Amok“.

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