HÖLLENFAHRT. BIBLIOTHÈQUE NATIONALE
Im Pilgersaal wuchernder Ruten und zahnender
Puten, die meinen Kindwurm
Mit Herkuleskeulen und Muschelkiefern
Straften, straffte ich mich im Rücken
Dieses mageren Jungen, der seinen Roll-
Stuhl hochfuhr
Der Gräfin ins Pfauenauge zu schauen.
L’ENFER. BIBLIOTHÈQUE NATIONALE
Dans la salle de pèlerinage, bittes bandées
Et cons dentés attaquent mon zizi
Avec matraques d’Hercule et mâchoires de moules
Je me suis raidi derrière ce garçon maigrichon
Qui élevait de quelques crans
Sa chaise roulante
Pour plonger dans l’œil de paon de la Comtesse.
Übersetzung: Alain Lance
– Richard Pietraß als liebender Flaneur. –
Es heißt, Paris sei längst tot fotografiert, von Touristen in Grund und Boden getrampelt, auch leer geschrieben und ausgedichtet. Also sind nach Baudelaire und Verlaine, nach Eluard und Aragon Gedichte über Paris heute undenkbar? Weit gefehlt! Richard Pietraß tritt leichter Hand und übervollen Herzens den Gegenbeweis an. Hatte der sächsische Lichtensteiner als Herausgeber der Poesiealbumreihe gerade noch in Heft 294 eine schöne Neunachdichtung von Apollinaires Brückengedicht geliefert:
Unterm Pont Mirabeau fließt die Seine
Komm Nacht Stunde eile
Die Tage gehn ich verweile
begibt er sich jetzt selbst neben, über und in die Seine, was sowohl Fluß als auch Geliebte meinen kann. Zwischen Februar 2009 und Mai 2011 hat Pietraß der Stadt mehrfach Besuche abgestattet. Er erweist sich als Flaneur, Genießer und Liebender, als ein poetischer Stadtbummler par excellence. Mit allen Sinnen faßt er nach dem Unfaßbaren, nach Fundstücken, die in Luft und Parks, auf Straßen, Plätzen und Tellern oder im Bett liegen. Dreiundzwanzig Gedichtperlen streut Richard Pietraß lustvoll aus, die niemals länger als acht Zeilen sind, die aber auch nie den Eindruck erwecken, es würde in ihnen etwas zu kurz kommen, und die nicht zum touristischen Nummernprogramm verkommen. Und wenn doch einmal bekannte Pariser Namen wie „Bibliothèque Nationale“, „Hôtel de Ville“ oder „Porte des Lilas“ zu Gedichttiteln und Ausflüge zu berühmten Orten wie nach Saint Denis, Giverny oder Chaumont unternommen werden, sind sie wie Türen, hinter denen sich persönliche Erinnerungen tummeln, die wenig mit den Hausnummern gemein haben. In der „Alten Oper“ (Opéra Garnier) zum Beispiel entpuppt sich auf wundersame Weise die Loge als Séparée, „Spiegel / Wiegeln und zügeln den Seitenblick“ auf ein „Schäumendes Stück! / Da Capo, Pferdchen! Die Samtvorhänge!“ All das hinterläßt eine „Leuchtspur glücklicher Momente“, wie es Pietraß im Gespräch nennt. Was den Leser mit dieser „Pariser Lust“ anweht, ist eine Melange aus Melancholie, Pathos und kindhaftem Übermut. Da wird gemaunzt und geraunzt, geschnurrt und gegurrt, es bamseln Amseln im Gebüsch und zum „Liebesmahl“ gibt es „Ochsenbäckchen in Schwanzbouillon. Stein- / Pilzpimmel von gepfefferter Karte.“ Ein Höhepunkt in mehrfachem Wortsinn ist das jüngste Gedicht der Sammlung, das als „Zugabe“ dem Buch gleich einem Lesezeichen beiliegt. Wie der Dichter darin den Besuch im Restaurant des Eiffelturms imaginiert, bei erhoffter „Haute cuisine“ in Teufelsküche gerät, ist der Geniestreich eines verhinderten Gourmets. Gelungene Leckerbissen sind in jedem Fall die bibliophile Ausgabe aus dem Warmbronner Verlag von Ulrich Keicher und ihre Zweisprachigkeit, für die der Pietraßfreund Alain Lance und die Dichtermuse Gabriele Wennemer gesorgt haben. Chapeau! Chapeau!
EITLAND
nach Zitaten von Richard Pietraß
Theatralischer Autist
hat tatsicheres Ritual,
hat Asch, irrt leis, autet
Stil, tauscht Eier, haart,
tauscht Salti, Heirater,
lacht heiter aus, Rat
hat, Laute, rare Sicht, ist
eishart, auch Titelstar,
Hit acht, ausser Literat.
II.
Ton ab – andere Einsteins, Tells
bieten Eiltand, rasseln, tosen.
Dollita-Stars neben Eisenten.
O, bald essen! Literaten nisten.
Reisendes Onanistenballett
ist Realsonnett, Leisenbande,
lesendes BIN. Nein. Tatlose Art
Snob? Nein. Dies Eseln: Talertat!
Alle rasen. Bin nett: So ist. Ende.
Róža Domašcyna
Richard Pietraß Lesung und Gespräch mit Sebastian Kleinschmidt am 27.3.2018 im Haus für Poesie
Jan Wagner: Lob des Spreewals
Der Tagesspiegel, 11.6.2016
Stefan Sprenger: Dass der Mensch der Stil sein möge
Sprache im technischen Zeitalter, Heft 218, Juni 2016
Das Pietraß _______ Aus einem Bestiarium Literaricum, aufgefunden im Archiv des Museo Rhinum; übersetzt von Peter Böthig
Richard Pietraß liest am 4.5.2018 für planetlyrik.de die 3 Gedichte „Hundewiese“, „Klausur“ und „Amok“.
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