WALLACE STEVENS UND MOZART
Oh, Wallace Stevens, lieber Freund,
Du bist solch eine Plage. Du bist so sicher.
Du glaubst , jeder gehöre zu deiner Familie.
Da seid ihr, du und dein Vater und Mozart
und Damen in Florenz, die den kalten Regen kosten,
Inschriften entziffern, das Blattgold studieren.
Es ist, als wäre das Leben eine Reise nach Florenz,
Zu einem Ort ohne Maden im Fleisch,
Ohne Schreien und ohne Angst.
Deine Arbeit, deine Freude, dein Morgenspaziergang,
Als balanciertest du auf dem Seil des Geistes,
Hoch über den Elefanten; du rufst leise, doch du fällst nie.
Als könnten wir immer hoch über der Welt dahingehn,
Ohne Bären, ohne Hexen, ohne Macbeth,
Ohne Schreie, ohne Schmerzen, ohne Angst.
− Die großartigen Gedichte von Robert Bly. −
Die meisten von uns würden es als ein hartes Exil betrachten, wenn sie den Winter im nördlichen Teil des mittleren Westens der USA verbringen müssten. Das Land ist flach und einsam, die Äcker riesig, das Wetter äußerst kalt, und es gibt nur zwei Farben, schwarz und weiß, die zwei Farben, die in den Kulturen der Welt als Symbol des Todes gelten.
So aber sieht es Robert Bly überhaupt nicht. Den Gedichtband Snowbanks North of the House – Schneewehen nördlich vom Haus füllt eine ruhige starke Freude. Wer sich das Gesicht mit Schnee abreibt, setzt die Durchblutung in Gang, und der beißende Frost ruft die strömende Wärme hervor. Dazu braucht man freilich Beherztheit. Das erste Gedicht dieses Bandes, der einen Querschnitt durch ein halbes Jahrhundert von Blys lyrischer Produktion enthält, trägt den Titel Three Kinds of Pleasure – Drei Arten von Vergnügen. Dem unbefangenen Auge wollen sie sich erst wie drei ziemlich identische Ödnisse darbieten.
Aber Bly weiß im Ähnlichen genau zu unterscheiden: erstens eine Autofahrt durch das winterliche Wisconsin, eine Telefonstange nach der anderen springt am Straßenrand kurz ins Zentrum des verschneiten Blickfelds und sinkt dann wieder zurück; zweitens die Dunkelheit auf abgeernteten Maisfeldern, dazwischen vereinzelt die schwarzen Bäume, und Schnee hält sich nur in den Spuren der Mähdrescher. Und drittens:
Es ist auch ein Vergnügen, kurz vor der Dunkelheit
in Richtung Chicago zu fahren
Und in den Scheunen die Lichter zu sehen.
Die kahlen Bäume sind würdiger denn je,
Wie ein grimmiger Mann auf seinem Totenbett,
Und die Straßengräben halbvoll mit heimlichem Schnee.
Beim heimlichen Schnee fällt es schwer, sich von europäischen Missverständnissen freizuhalten; mit Schneeflöckchen, weiß Röckchen und Weihnachtskuschelei hat er nichts zu tun. „A private snow“ heißt er im Original. Private und Privacy sind, zusammen mit dem Schnee, die Schlüsselwörter dieses Werks. Der Privatmann steht allein und aufrecht, kein Menschenfeind, ja das genaue Gegenteil eines solchen, aber darauf bedacht, niemals im Ganzen der Gesellschaft auf- und unterzugehen. Der Andere ist da, aber stets im Singular: der Vater, den noch der alte Mann so intensiv vermisst, die Ehefrau, der Gast. „Looking into a Face – In ein Gesicht schauend“ heißt ein Gedicht, und es beginnt:
Das Gespräch bringt uns einander so nahe! Es öffnet
Die Brandung des Körpers,
Bringt Fische herauf zur Sonne
Und stärkt das Rückgrat des Meeres!
Öffentlichkeit in ihrer heroischen Phase konstituiert sich – so hat Habermas sie bestimmt – als die Versammlung der Privatleute, als ein Aggregatzustand, der Steigerung gerade durch die Umschriebenheit seines Zwecks erreicht. So, und nur so, ist Bly bereit, das Wort ,Wir‘ in den Mund zu nehmen. Er tut es eigentlich nur bei einem einzigen Anlass: dem Vietnamkrieg. Bly nimmt an einem Protestmarsch teil, und im Gegensatz zur weiten zeitlosen Anmutung seiner Landschaftsgedichte sagt er genau wann und wo: Washington, am 27. November 1965.
Unsere Heiterkeit
Wird schließlich
In Asien landen, und du wirst in deine Tasse schauen
Und schwarze Starfighter sehen.
Wir waren diejenigen, auf die wir unsere Bomben gerichtet haben!
Dieses Wir, ohne jenen Ton des Grandiosen und widrig Sentimentalen gesprochen, hat mehr Kraft als das wütende ,Die‘ der Studentenbewegung, das den Vietnamkrieg als tückische Veranstaltung des Establishments entlarven wollte. Schon auf der übernächsten Seite beginnt wieder ein Zyklus „Six Winter Privacy Poems“, in wohl unumgänglicher Verkürzung übersetzt als „Sechs Gedichte vom Alleinsein im Winter“.
Es ist jene demokratische Tradition, für die in den USA die Namen Thoreau, Whitman und besonders Lincoln einstehen. Sie setzt den Einzelnen voraus und knüpft sich an sein Erlebnis einer wilden und sogar feindlichen, aber herrlich großen Natur. Selbst den Wogen im Meer, kurz bevor die Sonne sinkt, rühmt Bly es nach, dass sie „bald die Lincolnschen Mäntel der Nacht“ tragen werden: schwarz wie Frack, Bart und Zylinder dieses düsteren Solitärs, der dennoch allen sein Vermächtnis von Freiheit und Güte hinterließ. Diese Natur erschließt sich durch der Hände Arbeit, die Farm ist das Maß der Dinge, riesig für die Alte Welt, doch hier gerade eben ausreichend für das Bedürfnis eines Menschen. Was man dort macht, wenn man nur überhaupt etwas macht, fällt nicht so ins Gewicht. Warum nicht Wäscheklammern?
Ich hätte gern mein Leben damit verbracht,
Wäscheklammern herzustellen. Nichts hätte darunter gelitten,
Außer ein paar Kiefern, die wahrscheinlich auf meinem Grund
Gestanden hätten und nachgewachsen wären.
Das Missverhältnis, das einem alten Europäer zuerst ins Auge sticht, zwischen der Größe des zur Verfügung stehenden Raums – ein ganzer eigener Wald – und der Kleinheit des hergestellten Produkts, wird von solcher Gelassenheit gar nicht gefühlt.
Einen Europäer würde die Leere dieser Räume traurig machen; und fast mit Neid vernimmt er das feierliche Glück, das Blys Gedichte stattdessen atmen. Eine Kartoffel scheint kein besonders inspirierender poetischer Gegenstand. Bly aber bietet sie sich so dar:
Die Kartoffel erinnert an einen wachen Stein in der Wüste. Und sie gehört zu einer Rasse, die Romane schreibt über glänzende Niederlagen. Die Kartoffel bewegt sich nicht von selbst, und doch ist Bewegung in ihrer Form, als hielte ein Wirbelwind inne und verwandelte sich dann in Kartoffelfleisch, wenn ein Geist darauf spuckt.
Der Band aus dem kleinen Verlag Im Wald präsentiert sich seinerseits fast wie eine Privatsache, die an den Modus der Veröffentlichung nur anstreift. Im englischen Text der zweisprachigen Ausgabe sitzen die Druckfehler leider wie die Fliegen an der Wand. Aber sie behalten nicht das letzte Wort. Eine Hand, die offenbar identisch ist mit der des Verlegers und Übersetzers, hat sie Stück für Stück mit Bleistift korrigiert. Robert Bly hätte vermutlich nichts dagegen.
Burkhard Müller, Süddeutsche Zeitung, 21.8.2oo7
aus den Gedichtbänden von Robert Bly, der 1966 als Mitbegründer der Bewegung American Writers Against the Vietnam War in Erscheinung trat (…)
Zum einen ist dies der erste Gedichtband von Bly, der im deutschen Sprachraum veröffentlicht worden ist, zum anderen ist die vorliegende Auswahl aus 16 (!) Gedichtbänden irritierend stimmig. Dies ist ob der ganz eigenen Stimme des Dichters nicht überraschend, aber eben auch der trefflich präzisen Auswahl des Übersetzers geschuldet. (…)
Schön: das erstmalig im August 2oo2 in The Nation veröffentlichte Gedicht „Call and Answer“, eines der ersten Gedichte gegen den derzeitigen US-amerikanischen Krieg im Irak, ist in der vorliegenden Auswahl unter dem Titel „Anruf und Antwort“ enthalten. 2oo4 erschien von Bly der Gedichtband The Insanity of Empire: A Book of Poems Against the Iraq War. (…)
Volker Frick, buchkritik.at, 2.8.2oo7
Theo Breuer stellt hier mehrsprachige Gedichtbücher vom Verlag im Wald vor.
Robert Bly spricht über seine Poesie und Musik.
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