SCHÖN UND GUT UND KLAR UND WAHR
Da sind diese vier weißen Tauben,
die sich in das Blau des Himmels schrauben.
Sie leuchten sehr auf beim Steigen,
um sich kurz drauf dunkel zu zeigen.
Das machen sie immer gemeinsam,
nie flog auch nur eine je einsam.
Warum die das tun? Keine Ahnung.
Möglicherweise als Mahnung:
Es ist schön, sich im Aufwind zu wiegen
Es ist gut, nicht alleine zu fliegen
Es ist klar, daß Steigen schon viel ist
Es ist wahr, daß der Weg das Ziel ist.
nimmt Robert Gernhardt mit seinen Gedichten, die zwischen 1984 und 1994 entstanden sind, ins Visier. Und tatsächlich: Er trifft genau des Menschen Freud und Leid. Mal melancholisch, mal heiter, mal nachdenklich und mal nur der reinen Komik verpflichtet, durchstreift Gernhardt die verschlungenen Pfade im Gefilde des Allzumenschlichen. Meisterlich jongliert er mit Wörtern und mit Reimen, um körperliche Lust und Beziehungsfrust, verständliche Irrungen und manch lächerliche Verwirrungen auf den Punkt zu bringen. Virtuos parodiert er berühmte Verse und wirbelt literarische Formen durch die Luft. Dabei balanciert Gernhardt leichtfüßig auf dem Hochseil seiner Sprachkunst und zaubert unnachahmliche Gedichte – manche traurig, viele voller Ironie und alle schön und gut und klar und wahr.
Fischer Taschenbuch Verlag, Klappentext, Oktober 1994
Wissen, Sie noch, was, der Kragenbär sich munter holte? Was die Tänzerin Tilly Losch tat? (Sie tanzte grad den sterb’nden Frosch. Und Niddy Impekoven, versteht sich, den sterb’nden Ofen.) Wir liebten sie ob ihres Tuns, und wegen der Apostrophe verehrten wir den Dichter. Robert Gernhardt fügt nun schon seit vielen (doch seinetwegen nicht langen) Jahren – allen kenntnislosen Unken zum Trotz – dem durchaus nicht kleinen Hausschatz der Komik oder auch nur des verschärften Humors in unsrem Lande Juwelen hinzu, sprachlich brillant geschliffene, in hellem Wahnsinn aufleuchtende und den Tiefsinn als inneres Feuer einschließend.
Oder was sagt man dazu (weil’s grad aktuell ist):
Oktoberfest
Sitzend unter den Ungeschlachten
fühl ich mich federleicht
und fremd.
Stehend am Morgen danach auf der Waage
weiß ich: Ich war unter
meinesgleichen.
Ist das nicht prächtig brechtisch? Und wollen wir bei einem Gedicht, das so anhebt:
Fronleichnamsmorgen in,
Unna:
Ein Super-Tip für Genießer.
Die Häuser alle schon
draußen
und in ihnen all die
Spießer
wollen wir da nicht allsogleich erfahren, wie’s weitergeht und wies sonst noch zugeht in Unna? (Furchtbar, unter uns, und wunderbar ist nur das Gedicht) Gernhardts Verse sind von jener Leseleichtigkeit, hinter der die bekannte harte Arbeit steckt, die auch nicht größer ist als bei schwierigen, düstren Lyremen (wenn’s die denn gibt). Wer hier loslacht, weiß, daß er, bloß weil ihm nichts im Halse steckenbleibt, dennoch ohne Schuld ist, selbst wenn ihm das Lachen nicht verging. Und es vergeht nicht, denn schon liest man:
IHM GESAGT
In jeder Frau da steckt
ein Sexualobjekt,
Das muß der Mann erwecken,
sonst bleibt es in ihr stecken
In einer seiner vielen Glossen, Rezensionen, Aufsätzen zu Witz und Komik, zuerst erschienen in der Titanic-Humorkritik Rubrik, dann gesammelt in dem Haffmans-Band Was gibts denn da zu lachen, dessen 480 Seiten den Verschlinger süchtig machen nach mehr, noch viel mehr Gernhardt-Klugheiten – in einer dieser Glossen beschwert er sich über die ebenso banale wie typische Anmerkung eines Kritikers, Loriot betreffend, wonach der „in seinen besten Einfällen die Grenze zum Tragik-Komischen“ streife. Darauf nun, zu Recht erbost, Robert Gernhardt:
Ich erinnere mich nicht, je gelesen zu haben: „In seinen besten Tragödien streift Sophokles die Grenze zur Komödie.“ Ich würde gerne mal lesen: „In seinen besten Einfällen ist XY so komisch, daß es einen vor Lachen schier zerreißt.“
Weidlich zerrissen von gut zwei Schock (das sind acht Mandeln) bester Gedichte aus Gernhardts Feder, geben wir ihm einmal mehr recht, nicht ohne ein paar Anmerkungen zu diesem Punkt der noch immer fehlenden Debatte.
Jener Kritiker dachte wohl nicht so sehr an verweinte Tragödien als an die Bruchstelle, die in der Tat eines der Funktionsgeheimnisse von Witz ist; die der Täuschung oder Enttäuschung des Erwarteten, deren eine Methode als „romantische Ironie“ germanistenbekannt ist und die am kaltschnäuzigsten (oder eben am waidwundesten) von Heinrich Heine ausgspielt wurde: Der Leser wird in liebliche Stimmung gelullt, dann kommt das Erwachen im Alltag.
So soll es sein,
wenn man die Frau,
so lange nicht gesehen,
wiedersieht:
Die Träne quillt,
die Hose spannt,
das Herz wird weich und
hart das Glied.
Das war nicht Heine, sondern Gernhardt, der eine andere Methode der Komik noch lieber, bravouröser pflegt, die Ebenenverschiebung.
Vor Gott ist alles eins.
Sein Nehmen ist ein Geben:
Er gibt den Tod und nimmt
im Gegenzug das Leben.
Oder auch:
Ihr Menschen, lernet doch
von Wiesenblümelein:
Gott hat euch ausgesät
und ihr geht dennoch ein.
Über derlei fällt dem Angelus Silesius der gute Glaube aus dem Mund. Hoch angeschlagen der Ton – oft der von Hölderlin, Hofmannsthal, Claudius, Brecht und Martial –, stürzt uns sein Inhalt in die Niederungen des Trivialen und reißt uns damit zur Höhe der Komik:
Gedicht kann beides sein:
Klage und Feier.
Dies geht mir auf den Sack,
das auf die Eier.
Sollte nun der Eindruck entstanden sein, Gernhardt liebe das direkte Wort, sonderlich jene Wörter aus dem Sexualbereich, so ist dieser richtig, wie es ja für Menschen an sich zutrifft und wie es eben ein weiteres Ingredienz des Komischen ist. Doch nicht zu vergessen: Bei ihm heiligt die Form den Inhalt, sprengt der triviale Inhalt die geheiligte Form. Gerade dies aber, daß er die Formen so über die Maßen glanzvoll beherrscht, daß seinen Versen die allergründlichste Kenntnis abendländischer Dichtung anzumerken ist, diese Gewissenhaftigkeit und – jetzt sind wir wieder an besagtem Punkt – der Ernst einer lebenslangen Beschäftigung mit Lyrik, Kunst und Kritik, dies alles macht die Größe seines Witzes aus, bewirkt, daß niemand ein flaues Gefühl beim Lachen haben muß, daß es uns statt dessen ungeniert zerreißt.
Das ist wie bei dem Kleckse Maler: Wenn man weiß, er versteht auch akademisch zu malen, nimmt man auch die „Kleckse“ ernster – und dann sind sie möglicherweise auch ernster zu nehmen. Wenn die Biermösl Blasn nach krachend bajuwarischen Kabarettliedern plötzlich mit Harfe und Trompete Händel in Philharmonikerqualität spielen, dann wächst der Respekt ins Grenzenlose, und – so ist der platte Mensch – man hört sich dann auch deren Komik mit gespitzteren Ohren an.
Und wenn Robert Gernhardt in seinen zehn Trauergedichten tatsächlich mal ganz, ganz ernst ist, rührt uns das noch viel tiefer an als bei den bekannten Gramlyrikern. Obendrein: In seinen besten Kummerversen streift Gernhardt die Grenze zum Komischen! Das ist nun zum Entzücken gar.
… Menschen. Das Menschliche beschreibt Robert Gernhardt dann auch im Fischer-Taschenbuch Weiche Ziele. Vereint sind Gedichte von 1984–1994. Partnerschaft, Eitelkeit, Hässlichkeit und vieles mehr wird ironisch aufgepickt. Mit ,Schelm‘ Heinz Erhardt vielleicht entfernt verwandt, doch wirklich nicht zu verwechseln, sorry.
Eigentlich würde ich da jedes dritte Gedicht sofort auswendig lernen wollen… Fünf Sterne.
Robert Gernhardt ist ein Schelm und er hat das Verdienst, das Schelmische in die deutsche Lyrik zurückgebracht zu haben. Nur wenige haben den Wortwitz und die Sprachgewalt (uh, was für ein Ausdruck!), dass sie so albern sein dürften. Dabei ist sein Humor durchaus feinsinnig, was man aber oft erst beim zweiten Lesen bemerkt. Dem unbedachten Leser mag er recht oberflächlich erscheinen, aber die scheinbare Tolpatschigkeit und Unbedarftheit ist gewollt und darum – gekonnt!
Robert Gernhardt gehört zu den wenigen Autoren, die den schmalen, chronisch kränkelnden deutschen Traditionsstrang lustvoll-komischer Dichtung am Leben erhalten. Nach Günter Bruno Fuchs’ frühem Tod waren es vor allem Peter Rühmkorf und eben Robert Gernhardt, die dem Lyrikinteressierten wohltuende Abwechslung von der Tonlage des Grams und der Betroffenheit boten. Gernhardts ohnehin oft turbulenten Gedichte sorgen nun in dieser Sammlung der letzten zehn Jahre für gehörigen Wirbel. Im Nu ist das Buch verschlungen, doch tut der Leser gut daran, es erneut in die Hand zu nehmen. Die Zielstrebigkeit, mit der Gernhardt immer wieder der Pointe entgegenstrebt, oder das opulente Sprach- und Bildrepertoire drängen verhaltenere Töne und nur leicht kaschierte Anspielungen und Zitate zuerst einmal in den Hintergrund.
Erst beim genaueren, langsamen Lesen behaupten sich Nachdenkliches und Kleines. Unter der ersten von sieben Überschriften, die die Gedichte nur unverbindlich gruppieren und größere Zusammenhänge eher vorgeben als herstellen, versammeln sich Gedichte, in denen virulent vom Leben, von Mann und Frau, vom Sex, vom Lieben und Fühlen die Rede ist: „Zu Paaren“. Das Gedicht „Stadtnacht“ endet mit folgenden Versen:
Morgens aber in den Städten
Sieht man stolz ins Zwielicht treten
Mädchen, die vom Vögeln kommen.
Lust und Sinnlichkeit stehen hier unvermittelt in kühl-distanziertem Morgenlicht. Diese Perspektive erinnert an Brecht („Baal“, „Vom armen B.B.“).
Doch nicht nur Brecht erweist Gernhardt seine Referenz. Neben anderen bekannten Dichtern wie Goethe, Heine oder Benn haben auch heute weniger gelesene ihre Spuren hinterlassen, so etwa Uz und Angelus Silesius. Die Handhabung tradierter lyrischer Formen wie etwa dem Sonett tut dann ein übriges, um den Leser von Gernhardts Kompetenz und Talent zu überzeugen. Wer dann noch nicht genug hat, mag dann den mehr oder weniger unauffälligen Textreferenzen nachspüren, und davon gibt es reichlich. Die mitunter fast stillschweigenden Bezüge zu anderen literarischen Texten gehören zu Gernhardts ästhetischem Programm.
Eine Einschränkung ist vonnöten: Man muß Gernhardts Art mögen, um seinen kritischen Humor und seine griffige Sprache genießen zu können. Das galt bereits für den Band Was gibts denn da zu lachen, der Gerhardts Titanic-Beiträge gesammelt präsentierte, und gilt auch für das Lese- und Bilderbuch Über alles (beide ebenfalls im Haffmans Verlag erschienen). Die große, bis ins Euphorische reichende Resonanz, die seine Bücher in der Presse und im Rundfunk fanden, läßt allerdings vermuten, daß auch die gesammelten Gedichte aus den letzten zehn Jahren allseits aufs Neue Vergnügen bereiten. Hierzu helfen nicht zuletzt Verse wie
„Uschi! Ich vergehe nach dir!“
„Was soll dieser Quatsch, Karl? Wir sind hier in Dortmund!“
Lutz Roggemann, Deutsche Bücher, Heft 3, 1994
Manfred Dierks: Stille Brisanz
Frankfurter Rundschau, 5.10.1994
Auch in: Der Rabe, Nr. 50, 1997, S. 126–128
Eva Maria Bogner: Der Tag, an dem ich Unseld übersah
Süddeutsche Zeitung, 9.11.1994
Kurt Flasch: Ein Reim von Hinsein und Eisbein
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.11.1994
Auch in: Der Rabe. Nr. 50, 1997, S. 128–130
Angelika Overath: Im Fadenkreuz
Neue Zürcher Zeitung, 10.1.1995
ROBERT GERNHARDT
LULU
Bis zum Morgen die Bescherung
Gier wird lustlos, die Verehrung
für die Maid im Bett sie schwindet
beim Entwirren all der Schlaufen
wer riet der Göre nur zu kaufen
Nonenkornett, das man rundum bindet
sich die Nacht durch bemühend
emsiger alle Fäden ziehend
schafft der Freier nichts zu lösen
lässt sich fallen, um zu dösen
Peter Wawerzinek
Robert Gernhardt: Über einige Erfahrungen beim Verfassen von Gedichten. Vortrag bei der Philosophisch-Literarischen Gesellschaft in Baden-Baden 2005.
Jan Philipp Reemtsma: Robert Gernhardt zum 60sten ein Dank
Alexander Solloch: Robert Gernhardt und seine unverwüstlichen Gedichte
NDR, 30.6.2021
Robert Gernhardt – Leben im Labor.
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